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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Wir und die Chinesen

Missionaren, die nähere Kunde von uns hätten bringen können, war bereits
1716 unter Kaiser Kanghi und abermals 1785 unter Kaiser Kiau-lung das
Land verboten worden,- und der Handels- und Schiffsverkehr, wenn er auch
bestand, war doch zu gering und berührte auch nur die äußersten Seegrenzen
des Reiches, als daß er als wichtiges Verständigungsmittel zwischen West und
Ost hätte in Betracht kommen können.

Diese gegenseitige Unkenntnis hat eine ununterbrochene Kette von Schmerz"
lichen und bedauerlichen Mißverständnissen hüben und drüben zur Folge gehabt.
Wir sahen Hochmut. Anmaßung und bornierte Dünkelhaftigkeit, wo China
tatsächlich (und von seinem Standpunkte mit Recht) um den Fortbestand seiner
Staatsidee kämpfte; wir sahen bösen Willen und verletzende Rücksichtslosigkeit
gegen unsere "guten" Absichten, wo es sich für China um die Erhaltung seiner
Kultur und kulturellen Ideale handelte. Andererseits erhoben wir Forderungen,
die nach westlicher Auffassung nicht unbegründet, nach chinesischer hingegen als
brutale Vergewaltigungsabsichten erscheinen mußten, verkehrten wir mit China in
Formen, die uns im Laufe der Entwicklung geläufig geworden waren, ihm
aber als verächtliche Äußerung barbarischer Gesinnung erschienen.

Es ist sicherlich ganz irrig, für den Westen mildernde Umstände in Anspruch
zu nehmen und China die Hauptschuld an all den unzähligen Mißverständnissen
zuzuschreiben. Soweit von Schuld im einzelnen Falle überhaupt die Rede sein
kann, lag sie auf beiden Seiten; ihre Wurzel war aber fast stets das gegen¬
seitige Nichtkennen. Im übrigen dürfen wir nicht vergessen: China hatte
uns ja nicht gerufen, sondern der Westen kam und drängte sich ihm auf, schlug
rücksichtslos Einlaß begehrend an die Pforten des Reiches, unbekümmert um
Chinas Wünsche, ausschließlich geleitet von der Durchsetzung seiner eigenen Ziele
und Bestrebungen.

Es kann gewiß nicht wundernehmen, daß dieses nur von eigenen Rück¬
sichten diktierte Vorgehen den Westländern herzlich wenig Sympathien in China
eintrug. Man verabscheute die Fremden, verachtete und haßte sie. So kam
es bald hier, bald dort zu Auseinandersetzungen und Blutvergießen, bis
schließlich die allgemeine Fremdenfeindlichkeit zum Ausbruch kam in dem Boxer¬
aufstand, jener von oben herab organisierten Generalabrechnung mit den West¬
ländern, die das seit Jahrtausenden überkommene Verhältnis zwischen Re¬
gierung und Volk mit ihren staatsrechtlichen, philosophischen und religiösen
Ideen zerstörten, die den territorialen Bestand des Reiches antasteten, die das
Land in früher ungeahnte Schulden stürzten, die seine wirtschaftlichen Hilfs¬
quellen sich selber nutzbar machten, die obendrein mit ihrem Gift, dem Opium,
das Volk entnervten und verdarben und nur ein Ziel zu kennen schienen:
politischer und wirtschaftlicher Gewinn auf Kosten Chinas.

So hat die gegenseitige Unkenntnis bittere Früchte getragen, schwere Opfer
an Blut und Gut gefordert und zur Folge gehabt, daß die gegenseitige An¬
näherung zwischen West und Ost nur zögernd und langsam vor sich gegangen ist.


Wir und die Chinesen

Missionaren, die nähere Kunde von uns hätten bringen können, war bereits
1716 unter Kaiser Kanghi und abermals 1785 unter Kaiser Kiau-lung das
Land verboten worden,- und der Handels- und Schiffsverkehr, wenn er auch
bestand, war doch zu gering und berührte auch nur die äußersten Seegrenzen
des Reiches, als daß er als wichtiges Verständigungsmittel zwischen West und
Ost hätte in Betracht kommen können.

Diese gegenseitige Unkenntnis hat eine ununterbrochene Kette von Schmerz»
lichen und bedauerlichen Mißverständnissen hüben und drüben zur Folge gehabt.
Wir sahen Hochmut. Anmaßung und bornierte Dünkelhaftigkeit, wo China
tatsächlich (und von seinem Standpunkte mit Recht) um den Fortbestand seiner
Staatsidee kämpfte; wir sahen bösen Willen und verletzende Rücksichtslosigkeit
gegen unsere „guten" Absichten, wo es sich für China um die Erhaltung seiner
Kultur und kulturellen Ideale handelte. Andererseits erhoben wir Forderungen,
die nach westlicher Auffassung nicht unbegründet, nach chinesischer hingegen als
brutale Vergewaltigungsabsichten erscheinen mußten, verkehrten wir mit China in
Formen, die uns im Laufe der Entwicklung geläufig geworden waren, ihm
aber als verächtliche Äußerung barbarischer Gesinnung erschienen.

Es ist sicherlich ganz irrig, für den Westen mildernde Umstände in Anspruch
zu nehmen und China die Hauptschuld an all den unzähligen Mißverständnissen
zuzuschreiben. Soweit von Schuld im einzelnen Falle überhaupt die Rede sein
kann, lag sie auf beiden Seiten; ihre Wurzel war aber fast stets das gegen¬
seitige Nichtkennen. Im übrigen dürfen wir nicht vergessen: China hatte
uns ja nicht gerufen, sondern der Westen kam und drängte sich ihm auf, schlug
rücksichtslos Einlaß begehrend an die Pforten des Reiches, unbekümmert um
Chinas Wünsche, ausschließlich geleitet von der Durchsetzung seiner eigenen Ziele
und Bestrebungen.

Es kann gewiß nicht wundernehmen, daß dieses nur von eigenen Rück¬
sichten diktierte Vorgehen den Westländern herzlich wenig Sympathien in China
eintrug. Man verabscheute die Fremden, verachtete und haßte sie. So kam
es bald hier, bald dort zu Auseinandersetzungen und Blutvergießen, bis
schließlich die allgemeine Fremdenfeindlichkeit zum Ausbruch kam in dem Boxer¬
aufstand, jener von oben herab organisierten Generalabrechnung mit den West¬
ländern, die das seit Jahrtausenden überkommene Verhältnis zwischen Re¬
gierung und Volk mit ihren staatsrechtlichen, philosophischen und religiösen
Ideen zerstörten, die den territorialen Bestand des Reiches antasteten, die das
Land in früher ungeahnte Schulden stürzten, die seine wirtschaftlichen Hilfs¬
quellen sich selber nutzbar machten, die obendrein mit ihrem Gift, dem Opium,
das Volk entnervten und verdarben und nur ein Ziel zu kennen schienen:
politischer und wirtschaftlicher Gewinn auf Kosten Chinas.

So hat die gegenseitige Unkenntnis bittere Früchte getragen, schwere Opfer
an Blut und Gut gefordert und zur Folge gehabt, daß die gegenseitige An¬
näherung zwischen West und Ost nur zögernd und langsam vor sich gegangen ist.


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[0260] Wir und die Chinesen Missionaren, die nähere Kunde von uns hätten bringen können, war bereits 1716 unter Kaiser Kanghi und abermals 1785 unter Kaiser Kiau-lung das Land verboten worden,- und der Handels- und Schiffsverkehr, wenn er auch bestand, war doch zu gering und berührte auch nur die äußersten Seegrenzen des Reiches, als daß er als wichtiges Verständigungsmittel zwischen West und Ost hätte in Betracht kommen können. Diese gegenseitige Unkenntnis hat eine ununterbrochene Kette von Schmerz» lichen und bedauerlichen Mißverständnissen hüben und drüben zur Folge gehabt. Wir sahen Hochmut. Anmaßung und bornierte Dünkelhaftigkeit, wo China tatsächlich (und von seinem Standpunkte mit Recht) um den Fortbestand seiner Staatsidee kämpfte; wir sahen bösen Willen und verletzende Rücksichtslosigkeit gegen unsere „guten" Absichten, wo es sich für China um die Erhaltung seiner Kultur und kulturellen Ideale handelte. Andererseits erhoben wir Forderungen, die nach westlicher Auffassung nicht unbegründet, nach chinesischer hingegen als brutale Vergewaltigungsabsichten erscheinen mußten, verkehrten wir mit China in Formen, die uns im Laufe der Entwicklung geläufig geworden waren, ihm aber als verächtliche Äußerung barbarischer Gesinnung erschienen. Es ist sicherlich ganz irrig, für den Westen mildernde Umstände in Anspruch zu nehmen und China die Hauptschuld an all den unzähligen Mißverständnissen zuzuschreiben. Soweit von Schuld im einzelnen Falle überhaupt die Rede sein kann, lag sie auf beiden Seiten; ihre Wurzel war aber fast stets das gegen¬ seitige Nichtkennen. Im übrigen dürfen wir nicht vergessen: China hatte uns ja nicht gerufen, sondern der Westen kam und drängte sich ihm auf, schlug rücksichtslos Einlaß begehrend an die Pforten des Reiches, unbekümmert um Chinas Wünsche, ausschließlich geleitet von der Durchsetzung seiner eigenen Ziele und Bestrebungen. Es kann gewiß nicht wundernehmen, daß dieses nur von eigenen Rück¬ sichten diktierte Vorgehen den Westländern herzlich wenig Sympathien in China eintrug. Man verabscheute die Fremden, verachtete und haßte sie. So kam es bald hier, bald dort zu Auseinandersetzungen und Blutvergießen, bis schließlich die allgemeine Fremdenfeindlichkeit zum Ausbruch kam in dem Boxer¬ aufstand, jener von oben herab organisierten Generalabrechnung mit den West¬ ländern, die das seit Jahrtausenden überkommene Verhältnis zwischen Re¬ gierung und Volk mit ihren staatsrechtlichen, philosophischen und religiösen Ideen zerstörten, die den territorialen Bestand des Reiches antasteten, die das Land in früher ungeahnte Schulden stürzten, die seine wirtschaftlichen Hilfs¬ quellen sich selber nutzbar machten, die obendrein mit ihrem Gift, dem Opium, das Volk entnervten und verdarben und nur ein Ziel zu kennen schienen: politischer und wirtschaftlicher Gewinn auf Kosten Chinas. So hat die gegenseitige Unkenntnis bittere Früchte getragen, schwere Opfer an Blut und Gut gefordert und zur Folge gehabt, daß die gegenseitige An¬ näherung zwischen West und Ost nur zögernd und langsam vor sich gegangen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/260>, abgerufen am 23.07.2024.