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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und Gcsterrcich

nisse Herr wurde, aber auch die Verdienste, die er sich in diesen heißen Tagen
um Preußen, um Deutschland, um Österreich erwarb.

An der Grenze seiner Siebzig stand König Wilhelm im Glänze eines
Erfolges, den sich vier Wochen vorher niemand geträumt Hütte. Ist es zu
wundern, wenn dem lorbeergeschmückten Greise nun das, was Bismarck ihm
empfahl, zu wenig dünkte? Es mag ein banales Wort sein, kennzeichnet aber
doch wohl das, was menschlich und begreiflich ist: dem Könige war der Appetit
beim Essen gekommen. Lange hatte er dem Kriege widerstrebt und ihn zuletzt
nur als einen defensiven akzeptiert. Nun standen seine Truppen vor der
feindlichen Hauptstadt. Nun wollte er, Soldat durch und durch, nur als
wirklicher Sieger, will sagen als Eroberer heimkehren. An Annexionen im
Sinne einer Einverleibung ganzer Staaten dachte er noch nicht, wohl aber an
ausgiebige Gebietserweiterungen: Westsachsen mit Leipzig, Chemnitz, Zwickau;
die einst hohenzollerschen Markgrasschasten Ansbach und Baireuth; Ostfriesland;
das böhmische Egerlcuid, das gewerbefleißige Reichenberg; das blühende
österreichische Schlesien sollten preußisch werden! Ging das nicht im Guten, so
mußte man eben die Waffen wieder aufnehmen, den schon begonnenen Angriff
auf Preßburg fortsetzen und nötigenfalls auch den Kampf mit Frankreich wagen.

Wie weit stand, was Wilhelm der Erste und seine militärischen Ratgeber
anstrebten, von dem ab, was Bismarck, "der Questenberg des Lagers", bean¬
tragte, -- Bismark der erklärte, mit der freien Hand in Norddeutschland sei
Preußens politischem Bedürfnisse Genüge geleistet. Auf dem schönen, hoch¬
gelegenen Schlosse der Dietrichstein zu Nilolsburg gab es nun dramatische
Szenen, auf die der Kanzler in späteren Jahren oft zurückkam. Sehr richtig
sagt Erich Marcks, daß bei König Wilhelm die persönlichen, die dynastischen,
die Siegergefühle, bei Bismarck der sachliche preußische Staatsgedanke überwog.
Oder mit anderen Worten, der König wollte das erst noch zu Erkämpfende,
das Gefährlichte und Zweifelhafte; der Minister das Praktische, Sichere, Gesunde.
Jedenfalls war Bismarck kein angenehmer Diener, aber auch Wilhelm kein
bequemer Herr.

Man staunt, daß so tief sitzende Unterschiede sich in ein paar Tagen aus¬
gleichen konnten, freilich erst, nachdem sie heftig aufeinandergeprallt. "Die
maßgebenden Nervensysteme" schreibt Roon, "sind so überreizt, daß es hie und
da lichterloh zum Dach hinaus brcnnnt und jeder Wohlmeinende mit dem
Löscheimer hinzueilen muß." Im Kriegsrate vom 3. Juli stellte sich der König
auf die Seite der Militürpartei und der einzige Zivilist in der Konferenz war
so erregt, daß er ins Nebenzimmer ging, sich aufs Bett warf und einen Wein-
krampf hatte wie ein Kind. Damals auch körperlich leidend, fah Bismarck,
wenn der Krieg fortgesetzt würde, sein ganzes bis nun so schön gediehenes Werk
gefährdet.

Er setzte sich hin und schrieb eine seiner gewaltigsten Denkschriften nieder,
die in dem lapidaren Satze gipfelte: "Der Ausschluß Österreichs aus dem


Deutschland und Gcsterrcich

nisse Herr wurde, aber auch die Verdienste, die er sich in diesen heißen Tagen
um Preußen, um Deutschland, um Österreich erwarb.

An der Grenze seiner Siebzig stand König Wilhelm im Glänze eines
Erfolges, den sich vier Wochen vorher niemand geträumt Hütte. Ist es zu
wundern, wenn dem lorbeergeschmückten Greise nun das, was Bismarck ihm
empfahl, zu wenig dünkte? Es mag ein banales Wort sein, kennzeichnet aber
doch wohl das, was menschlich und begreiflich ist: dem Könige war der Appetit
beim Essen gekommen. Lange hatte er dem Kriege widerstrebt und ihn zuletzt
nur als einen defensiven akzeptiert. Nun standen seine Truppen vor der
feindlichen Hauptstadt. Nun wollte er, Soldat durch und durch, nur als
wirklicher Sieger, will sagen als Eroberer heimkehren. An Annexionen im
Sinne einer Einverleibung ganzer Staaten dachte er noch nicht, wohl aber an
ausgiebige Gebietserweiterungen: Westsachsen mit Leipzig, Chemnitz, Zwickau;
die einst hohenzollerschen Markgrasschasten Ansbach und Baireuth; Ostfriesland;
das böhmische Egerlcuid, das gewerbefleißige Reichenberg; das blühende
österreichische Schlesien sollten preußisch werden! Ging das nicht im Guten, so
mußte man eben die Waffen wieder aufnehmen, den schon begonnenen Angriff
auf Preßburg fortsetzen und nötigenfalls auch den Kampf mit Frankreich wagen.

Wie weit stand, was Wilhelm der Erste und seine militärischen Ratgeber
anstrebten, von dem ab, was Bismarck, „der Questenberg des Lagers", bean¬
tragte, — Bismark der erklärte, mit der freien Hand in Norddeutschland sei
Preußens politischem Bedürfnisse Genüge geleistet. Auf dem schönen, hoch¬
gelegenen Schlosse der Dietrichstein zu Nilolsburg gab es nun dramatische
Szenen, auf die der Kanzler in späteren Jahren oft zurückkam. Sehr richtig
sagt Erich Marcks, daß bei König Wilhelm die persönlichen, die dynastischen,
die Siegergefühle, bei Bismarck der sachliche preußische Staatsgedanke überwog.
Oder mit anderen Worten, der König wollte das erst noch zu Erkämpfende,
das Gefährlichte und Zweifelhafte; der Minister das Praktische, Sichere, Gesunde.
Jedenfalls war Bismarck kein angenehmer Diener, aber auch Wilhelm kein
bequemer Herr.

Man staunt, daß so tief sitzende Unterschiede sich in ein paar Tagen aus¬
gleichen konnten, freilich erst, nachdem sie heftig aufeinandergeprallt. „Die
maßgebenden Nervensysteme" schreibt Roon, „sind so überreizt, daß es hie und
da lichterloh zum Dach hinaus brcnnnt und jeder Wohlmeinende mit dem
Löscheimer hinzueilen muß." Im Kriegsrate vom 3. Juli stellte sich der König
auf die Seite der Militürpartei und der einzige Zivilist in der Konferenz war
so erregt, daß er ins Nebenzimmer ging, sich aufs Bett warf und einen Wein-
krampf hatte wie ein Kind. Damals auch körperlich leidend, fah Bismarck,
wenn der Krieg fortgesetzt würde, sein ganzes bis nun so schön gediehenes Werk
gefährdet.

Er setzte sich hin und schrieb eine seiner gewaltigsten Denkschriften nieder,
die in dem lapidaren Satze gipfelte: „Der Ausschluß Österreichs aus dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/256>, abgerufen am 22.07.2024.