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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und Gosterreich

den starken süddeutschen Kräften vereinigt, konnten auch nur vierzigtausend
Franzosen im Westen eine bedenkliche Situation schaffen. So dachte der
Politiker, der auch mit den in Süddeutschland noch nicht ganz erstorbenen
Rheinbundgelüsten rechnete, während Moltke bereit war, den Kampf auch an
der Rheinfront aufzunehmen.

Die militärischen Bewegungen nahmen indeß ihren Fortgang. Am 6. Juli
besetzen die Preußen Prag; am 10. übernimmt Erzherzog Albrecht den Ober¬
befehl über alle Kaiserlichen Streitkräfte; ein Teil der Südarmee wird nach der
Donau gezogen und ein Manifest Franz Josefs scheint einen neuen Widerstand
Österreichs einzuleiten. Um diese Zeit war es schon klar, daß Napoleon sich
mit seiner Intervention zunächst eine böse moralische Schlappe geholt hatte.
Preußen blieb nicht gleich auf den ersten Wink des in Europa noch immer für
so mächtig Gehaltenen stehen, und die Italiener lehnten es ab, Venetien als
Geschenk aus seiner Hand zu nehmen. Mit großer Offenheit gestand der
Kaiser, der einen ganz gebrochenen Eindruck machte, dem preußischen Gesandten
in Paris von der Goltz das Mißliche seiner Lage ein. Er selber wollte, krank
und unkriegerisch wie er war, nichts weniger als ein Eingreifen mit den
Waffen, das ihm sein Minister Drouyn de Lhuys arriel. In der französischen
Regierung und bei Hofe waren die Ansichten geteilt. Rouher sprach von
"patriotischen Beklemmungen" und die sogenannte Volkesstimme rief schon ver¬
nehmlich nach "revanLtie pour Laäowa,!" So gewann die Vermittlung
Napoleons, hinter der kein schlagfertiges Heer stand, immer mehr den Charakter
des Schwächlichen, Schwankenden, in sich selber Unklaren und gegen die
andern Unaufrichtigen.

Mit der persönlichen Vermittlung hatte der Kaiser den Grafen Benedetti
betraut -- denselben, der vier Jahre später eine noch odiösere Mission über¬
nehmen mußte. Ihm war es nach vielen Mühsalen gelungen, in der Nacht
vom 11. auf den 12. Juli nach Zwittau zu kommen und dort plötzlich an
Bismarcks Bette zu erscheinen. Den Premier empfing den Franzosen höflich
und suchte ihn zu Sortieren. Benedetti machte aber keine positive Vorschläge.
So ließ Bismarck, am 12. in Brünn angekommen, sofort den Bürgermeister
der Stadt zu sich bitten. Das war Dr. Karl Giskra, ein alter Achtund¬
vierziger, der spätere "Bürgerminister", ein Mann von hohem Verstände und
starkem Temperament. Ihn ermächtigte Bismarck in Wien zu sagen: Öster¬
reich könne sofort Frieden ohne Gebietsabtretung, ohne Kriegsentschädigung, ja
mit freier Hand südlich des Mains haben, wenn es dem Könige von Preußen
freie Hand in Norddeutschland gewähre und wenn -- jede Vermittlung
Napoleons ausgeschlossen sei. Giskra, der es nicht wagte, in solchen Tagen die
unter seiner Leitung stehende Stadt zu verlassen, sandte den Präsidenten der
Brunner Handelskammer, Baron Herring, an seiner statt. In Wien aber ließ
man den Boten Bismarcks erst ungebührlich lange auf Antwort warten. Man
schreibt dieses ebenso unhöfliche als unkluge Zaudern dem Einfluße des un-


Deutschland und Gosterreich

den starken süddeutschen Kräften vereinigt, konnten auch nur vierzigtausend
Franzosen im Westen eine bedenkliche Situation schaffen. So dachte der
Politiker, der auch mit den in Süddeutschland noch nicht ganz erstorbenen
Rheinbundgelüsten rechnete, während Moltke bereit war, den Kampf auch an
der Rheinfront aufzunehmen.

Die militärischen Bewegungen nahmen indeß ihren Fortgang. Am 6. Juli
besetzen die Preußen Prag; am 10. übernimmt Erzherzog Albrecht den Ober¬
befehl über alle Kaiserlichen Streitkräfte; ein Teil der Südarmee wird nach der
Donau gezogen und ein Manifest Franz Josefs scheint einen neuen Widerstand
Österreichs einzuleiten. Um diese Zeit war es schon klar, daß Napoleon sich
mit seiner Intervention zunächst eine böse moralische Schlappe geholt hatte.
Preußen blieb nicht gleich auf den ersten Wink des in Europa noch immer für
so mächtig Gehaltenen stehen, und die Italiener lehnten es ab, Venetien als
Geschenk aus seiner Hand zu nehmen. Mit großer Offenheit gestand der
Kaiser, der einen ganz gebrochenen Eindruck machte, dem preußischen Gesandten
in Paris von der Goltz das Mißliche seiner Lage ein. Er selber wollte, krank
und unkriegerisch wie er war, nichts weniger als ein Eingreifen mit den
Waffen, das ihm sein Minister Drouyn de Lhuys arriel. In der französischen
Regierung und bei Hofe waren die Ansichten geteilt. Rouher sprach von
„patriotischen Beklemmungen" und die sogenannte Volkesstimme rief schon ver¬
nehmlich nach „revanLtie pour Laäowa,!" So gewann die Vermittlung
Napoleons, hinter der kein schlagfertiges Heer stand, immer mehr den Charakter
des Schwächlichen, Schwankenden, in sich selber Unklaren und gegen die
andern Unaufrichtigen.

Mit der persönlichen Vermittlung hatte der Kaiser den Grafen Benedetti
betraut — denselben, der vier Jahre später eine noch odiösere Mission über¬
nehmen mußte. Ihm war es nach vielen Mühsalen gelungen, in der Nacht
vom 11. auf den 12. Juli nach Zwittau zu kommen und dort plötzlich an
Bismarcks Bette zu erscheinen. Den Premier empfing den Franzosen höflich
und suchte ihn zu Sortieren. Benedetti machte aber keine positive Vorschläge.
So ließ Bismarck, am 12. in Brünn angekommen, sofort den Bürgermeister
der Stadt zu sich bitten. Das war Dr. Karl Giskra, ein alter Achtund¬
vierziger, der spätere „Bürgerminister", ein Mann von hohem Verstände und
starkem Temperament. Ihn ermächtigte Bismarck in Wien zu sagen: Öster¬
reich könne sofort Frieden ohne Gebietsabtretung, ohne Kriegsentschädigung, ja
mit freier Hand südlich des Mains haben, wenn es dem Könige von Preußen
freie Hand in Norddeutschland gewähre und wenn — jede Vermittlung
Napoleons ausgeschlossen sei. Giskra, der es nicht wagte, in solchen Tagen die
unter seiner Leitung stehende Stadt zu verlassen, sandte den Präsidenten der
Brunner Handelskammer, Baron Herring, an seiner statt. In Wien aber ließ
man den Boten Bismarcks erst ungebührlich lange auf Antwort warten. Man
schreibt dieses ebenso unhöfliche als unkluge Zaudern dem Einfluße des un-


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[0254] Deutschland und Gosterreich den starken süddeutschen Kräften vereinigt, konnten auch nur vierzigtausend Franzosen im Westen eine bedenkliche Situation schaffen. So dachte der Politiker, der auch mit den in Süddeutschland noch nicht ganz erstorbenen Rheinbundgelüsten rechnete, während Moltke bereit war, den Kampf auch an der Rheinfront aufzunehmen. Die militärischen Bewegungen nahmen indeß ihren Fortgang. Am 6. Juli besetzen die Preußen Prag; am 10. übernimmt Erzherzog Albrecht den Ober¬ befehl über alle Kaiserlichen Streitkräfte; ein Teil der Südarmee wird nach der Donau gezogen und ein Manifest Franz Josefs scheint einen neuen Widerstand Österreichs einzuleiten. Um diese Zeit war es schon klar, daß Napoleon sich mit seiner Intervention zunächst eine böse moralische Schlappe geholt hatte. Preußen blieb nicht gleich auf den ersten Wink des in Europa noch immer für so mächtig Gehaltenen stehen, und die Italiener lehnten es ab, Venetien als Geschenk aus seiner Hand zu nehmen. Mit großer Offenheit gestand der Kaiser, der einen ganz gebrochenen Eindruck machte, dem preußischen Gesandten in Paris von der Goltz das Mißliche seiner Lage ein. Er selber wollte, krank und unkriegerisch wie er war, nichts weniger als ein Eingreifen mit den Waffen, das ihm sein Minister Drouyn de Lhuys arriel. In der französischen Regierung und bei Hofe waren die Ansichten geteilt. Rouher sprach von „patriotischen Beklemmungen" und die sogenannte Volkesstimme rief schon ver¬ nehmlich nach „revanLtie pour Laäowa,!" So gewann die Vermittlung Napoleons, hinter der kein schlagfertiges Heer stand, immer mehr den Charakter des Schwächlichen, Schwankenden, in sich selber Unklaren und gegen die andern Unaufrichtigen. Mit der persönlichen Vermittlung hatte der Kaiser den Grafen Benedetti betraut — denselben, der vier Jahre später eine noch odiösere Mission über¬ nehmen mußte. Ihm war es nach vielen Mühsalen gelungen, in der Nacht vom 11. auf den 12. Juli nach Zwittau zu kommen und dort plötzlich an Bismarcks Bette zu erscheinen. Den Premier empfing den Franzosen höflich und suchte ihn zu Sortieren. Benedetti machte aber keine positive Vorschläge. So ließ Bismarck, am 12. in Brünn angekommen, sofort den Bürgermeister der Stadt zu sich bitten. Das war Dr. Karl Giskra, ein alter Achtund¬ vierziger, der spätere „Bürgerminister", ein Mann von hohem Verstände und starkem Temperament. Ihn ermächtigte Bismarck in Wien zu sagen: Öster¬ reich könne sofort Frieden ohne Gebietsabtretung, ohne Kriegsentschädigung, ja mit freier Hand südlich des Mains haben, wenn es dem Könige von Preußen freie Hand in Norddeutschland gewähre und wenn — jede Vermittlung Napoleons ausgeschlossen sei. Giskra, der es nicht wagte, in solchen Tagen die unter seiner Leitung stehende Stadt zu verlassen, sandte den Präsidenten der Brunner Handelskammer, Baron Herring, an seiner statt. In Wien aber ließ man den Boten Bismarcks erst ungebührlich lange auf Antwort warten. Man schreibt dieses ebenso unhöfliche als unkluge Zaudern dem Einfluße des un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/254>, abgerufen am 03.07.2024.