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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Industrialisierung des Landes

Daß es heute manche ländliche Jndustrieorte mit unerquicklichen Zuständen
gibt, liegt in der Hauptsache daran, daß man es an einer zeitigen Vorsorge
hat fehlen lassen und nicht nach einem bestimmten wohlerwogenen Plan vor¬
gegangen ist. Von vornherein ist zu sagen, daß nicht jede Industrie in jede ländliche
Gegend hineinpaßt. Warum sollte es nicht möglich sein, ungeeignete Industrien
fernzuhalten oder an einen Ort zu verweisen, der für das Unternehmen passender
ist? Das ungeregelte "freie Spiel der Kräfte" müßte ersetzt werden durch
eine planmäßige industrielle Ansiedlungspolitik. Um der so oft beklagten
Verschandelung des Ortsbildes vorzubeugen, wäre beizeiten ein technisch und
künstlerisch befriedigender Bebauungsplan und eine zweckentsprechende Bau¬
ordnung zu entwerfen. Es müßte eine weitsichtige Bodenpolitik betrieben
werden. Die für die Ansiedlung erforderlichen Grundstücke wären rechtzeitig
anzukaufen und alsdann so zu verwerten, daß die Preistreibereien der Speku¬
lanten verhütet werden und der Wertzuwachs nach Möglichkeit der Gesamtheit
der Ortsbewohner zugute kommt.

Um diese Ziele zu erreichen, tritt besonders auch Dr. Hans Kampffmeyer
in seiner Schrift "Die Entwicklung eines modernen Jndustrieortes" für die
Schaffung besonderer Organisationen für Jndustrieansiedlung ein. Man könnte
hier anknüpfen an die Organisationen, die es bereits für die landwirtschaftliche
Jnnenkolonisation gibt. Die landwirtschaftliche Jnnenkolonisation wird be¬
kanntlich betrieben von staatlichen Instituten (Anstedlungs- und General¬
kommisstonen), von privaten Gesellschaften (wie die Landbank) und von gemein¬
nützigen Kolonisationsgesellschaften (wie die Pommersche Ansiedlungsgesellschast).
In ähnlicher Weise wären auch eigene Organisationen für Jndustrieansiedlung
einzurichten. Der preußischen Ansiedlungskommisston würde eine "Kommission
für Jndustrieansiedlung" entsprechen. Dies wäre eine staatliche Behörde mit
genügenden Geldmitteln und einem Stab von erfahrenen Beamten. Neben
einigen Verwaltungsbeamten müßten ihr technische Fachleute, Architekten sowie
Spezialisten für industrielle Geländeaufschließung angehören. Um ferner die
gesundheitsschädlichen Einflüsse der Fabriken innerhalb der neuen Siedlungen
möglichst herabzumindern, sollte in der Kommission auch ein Hugieniker Sitz
und Stimme haben. Auch eine Reihe von Ansiedlungspraktikern müßten be¬
rufen werden, die sich insbesondere auf den Geländekauf verstehen. Damit die
Kommission in enger Fühlung mit dem Wirtschaftsleben bleibt, das sie zu
fördern bestimmt ist, wäre es zweckmäßig, in den einzelnen Provinzen oder
Bezirken Ausschüsse aus den interessierten Kreisen zu bilden, also aus In¬
dustriellen. Landwirten, Gemeindevertretern, Arbeitervertretern, Vertretern der
Genossenschafts- und Gartenstadtbewegung, des Vereins für ländliche Wohlfahrt-
und Heimatpflege usw. Die Aufgaben der Kommission für Jndustrieansiedlung
wären hauptsächlich folgende: 1. sie müßte alles Material, daß auf die Sied¬
lungsfrage Bezug hat. sammeln und bearbeiten; 2. sie müßte die Projekte
begutachten, die von seiten der Behörden und der Privaten erdacht werden;


Grenzboten III 191S 10
Die Industrialisierung des Landes

Daß es heute manche ländliche Jndustrieorte mit unerquicklichen Zuständen
gibt, liegt in der Hauptsache daran, daß man es an einer zeitigen Vorsorge
hat fehlen lassen und nicht nach einem bestimmten wohlerwogenen Plan vor¬
gegangen ist. Von vornherein ist zu sagen, daß nicht jede Industrie in jede ländliche
Gegend hineinpaßt. Warum sollte es nicht möglich sein, ungeeignete Industrien
fernzuhalten oder an einen Ort zu verweisen, der für das Unternehmen passender
ist? Das ungeregelte „freie Spiel der Kräfte" müßte ersetzt werden durch
eine planmäßige industrielle Ansiedlungspolitik. Um der so oft beklagten
Verschandelung des Ortsbildes vorzubeugen, wäre beizeiten ein technisch und
künstlerisch befriedigender Bebauungsplan und eine zweckentsprechende Bau¬
ordnung zu entwerfen. Es müßte eine weitsichtige Bodenpolitik betrieben
werden. Die für die Ansiedlung erforderlichen Grundstücke wären rechtzeitig
anzukaufen und alsdann so zu verwerten, daß die Preistreibereien der Speku¬
lanten verhütet werden und der Wertzuwachs nach Möglichkeit der Gesamtheit
der Ortsbewohner zugute kommt.

Um diese Ziele zu erreichen, tritt besonders auch Dr. Hans Kampffmeyer
in seiner Schrift „Die Entwicklung eines modernen Jndustrieortes" für die
Schaffung besonderer Organisationen für Jndustrieansiedlung ein. Man könnte
hier anknüpfen an die Organisationen, die es bereits für die landwirtschaftliche
Jnnenkolonisation gibt. Die landwirtschaftliche Jnnenkolonisation wird be¬
kanntlich betrieben von staatlichen Instituten (Anstedlungs- und General¬
kommisstonen), von privaten Gesellschaften (wie die Landbank) und von gemein¬
nützigen Kolonisationsgesellschaften (wie die Pommersche Ansiedlungsgesellschast).
In ähnlicher Weise wären auch eigene Organisationen für Jndustrieansiedlung
einzurichten. Der preußischen Ansiedlungskommisston würde eine „Kommission
für Jndustrieansiedlung" entsprechen. Dies wäre eine staatliche Behörde mit
genügenden Geldmitteln und einem Stab von erfahrenen Beamten. Neben
einigen Verwaltungsbeamten müßten ihr technische Fachleute, Architekten sowie
Spezialisten für industrielle Geländeaufschließung angehören. Um ferner die
gesundheitsschädlichen Einflüsse der Fabriken innerhalb der neuen Siedlungen
möglichst herabzumindern, sollte in der Kommission auch ein Hugieniker Sitz
und Stimme haben. Auch eine Reihe von Ansiedlungspraktikern müßten be¬
rufen werden, die sich insbesondere auf den Geländekauf verstehen. Damit die
Kommission in enger Fühlung mit dem Wirtschaftsleben bleibt, das sie zu
fördern bestimmt ist, wäre es zweckmäßig, in den einzelnen Provinzen oder
Bezirken Ausschüsse aus den interessierten Kreisen zu bilden, also aus In¬
dustriellen. Landwirten, Gemeindevertretern, Arbeitervertretern, Vertretern der
Genossenschafts- und Gartenstadtbewegung, des Vereins für ländliche Wohlfahrt-
und Heimatpflege usw. Die Aufgaben der Kommission für Jndustrieansiedlung
wären hauptsächlich folgende: 1. sie müßte alles Material, daß auf die Sied¬
lungsfrage Bezug hat. sammeln und bearbeiten; 2. sie müßte die Projekte
begutachten, die von seiten der Behörden und der Privaten erdacht werden;


Grenzboten III 191S 10
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[0157] Die Industrialisierung des Landes Daß es heute manche ländliche Jndustrieorte mit unerquicklichen Zuständen gibt, liegt in der Hauptsache daran, daß man es an einer zeitigen Vorsorge hat fehlen lassen und nicht nach einem bestimmten wohlerwogenen Plan vor¬ gegangen ist. Von vornherein ist zu sagen, daß nicht jede Industrie in jede ländliche Gegend hineinpaßt. Warum sollte es nicht möglich sein, ungeeignete Industrien fernzuhalten oder an einen Ort zu verweisen, der für das Unternehmen passender ist? Das ungeregelte „freie Spiel der Kräfte" müßte ersetzt werden durch eine planmäßige industrielle Ansiedlungspolitik. Um der so oft beklagten Verschandelung des Ortsbildes vorzubeugen, wäre beizeiten ein technisch und künstlerisch befriedigender Bebauungsplan und eine zweckentsprechende Bau¬ ordnung zu entwerfen. Es müßte eine weitsichtige Bodenpolitik betrieben werden. Die für die Ansiedlung erforderlichen Grundstücke wären rechtzeitig anzukaufen und alsdann so zu verwerten, daß die Preistreibereien der Speku¬ lanten verhütet werden und der Wertzuwachs nach Möglichkeit der Gesamtheit der Ortsbewohner zugute kommt. Um diese Ziele zu erreichen, tritt besonders auch Dr. Hans Kampffmeyer in seiner Schrift „Die Entwicklung eines modernen Jndustrieortes" für die Schaffung besonderer Organisationen für Jndustrieansiedlung ein. Man könnte hier anknüpfen an die Organisationen, die es bereits für die landwirtschaftliche Jnnenkolonisation gibt. Die landwirtschaftliche Jnnenkolonisation wird be¬ kanntlich betrieben von staatlichen Instituten (Anstedlungs- und General¬ kommisstonen), von privaten Gesellschaften (wie die Landbank) und von gemein¬ nützigen Kolonisationsgesellschaften (wie die Pommersche Ansiedlungsgesellschast). In ähnlicher Weise wären auch eigene Organisationen für Jndustrieansiedlung einzurichten. Der preußischen Ansiedlungskommisston würde eine „Kommission für Jndustrieansiedlung" entsprechen. Dies wäre eine staatliche Behörde mit genügenden Geldmitteln und einem Stab von erfahrenen Beamten. Neben einigen Verwaltungsbeamten müßten ihr technische Fachleute, Architekten sowie Spezialisten für industrielle Geländeaufschließung angehören. Um ferner die gesundheitsschädlichen Einflüsse der Fabriken innerhalb der neuen Siedlungen möglichst herabzumindern, sollte in der Kommission auch ein Hugieniker Sitz und Stimme haben. Auch eine Reihe von Ansiedlungspraktikern müßten be¬ rufen werden, die sich insbesondere auf den Geländekauf verstehen. Damit die Kommission in enger Fühlung mit dem Wirtschaftsleben bleibt, das sie zu fördern bestimmt ist, wäre es zweckmäßig, in den einzelnen Provinzen oder Bezirken Ausschüsse aus den interessierten Kreisen zu bilden, also aus In¬ dustriellen. Landwirten, Gemeindevertretern, Arbeitervertretern, Vertretern der Genossenschafts- und Gartenstadtbewegung, des Vereins für ländliche Wohlfahrt- und Heimatpflege usw. Die Aufgaben der Kommission für Jndustrieansiedlung wären hauptsächlich folgende: 1. sie müßte alles Material, daß auf die Sied¬ lungsfrage Bezug hat. sammeln und bearbeiten; 2. sie müßte die Projekte begutachten, die von seiten der Behörden und der Privaten erdacht werden; Grenzboten III 191S 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/157>, abgerufen am 23.07.2024.