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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Industrialisierung des Landes

Einen großen Schaden für die Landwirtschaft bedeute auch die starke
Staub-, Rauch- und Rußentwicklung, die Industrie und Verkehr meist mit sich
bringe und die einen äußerst nachteiligen Einfluß auf das Gedeihen der
Pflanzen, auf Obst- und Gemüsegärten, auf Wiesen und Weiden ausübe. Einen
besonders verderblichen Einfluß auf die Vegetation hat die beim Verbrennen
der schwefelhaltigen Steinkohle sich bildende Säure. Die schädlichen Stoffe
werden vom Vieh und vom Wild aufgenommen und führen leicht zu Darm-
krankheiten und sonstigen Krankheitserscheinungen. Ferner könnten die industriellen
Abwässer der Landwirtschaft manchen Schaden bereiten. Schließlich würde auch
noch das Landschaftsbild und die Schönheit der Natur durch die Industrie oft
erheblich verunstaltet.

Man sieht also, daß die Meinungen über die Vorzüge der Industrialisierung
des Landes noch recht geteilt sind, jedoch wird sich zwischen den sich oft
widerstreitenden Ansichten wohl in vielen Fällen ein Ausweg und ein Ausgleich
finden lassen. Manche Bedenken sind vielleicht übertrieben oder lassen sich bei
genügender Berücksichtigung aller Verhältnisse leicht zerstreuen. Im Einzelfalle
wird ja sowieso alles von den örtlichen Vorbedingungen abhängig gemacht
werden müssen. Wie z. B. ein Ausgleich zwischen gewerblichen und landwirt¬
schaftlichen Interessen herbeigeführt werden kann, zeigt der Vorschlag von Meline
("Die Rückkehr zur Scholle und die industrielle Überproduktion"). Meline geht
von der Tatsache aus, daß es heute zahlreiche Industrien gibt, die mit einer
toten Jahreszeit zu rechnen haben, während der die Bestellungen langsamer
eingehen oder auch wohl aufhören. Wird in solcher Zeit mit Volldampf weiter¬
gefahren, so häufen sich die Vorräte immer mehr, wachsen schließlich zu großen
Beständen an, und diese Überproduktion führt dann leicht zu schlimmen Krisen.
Diesen Gefahren könnte man vorbeugen, wenn man sich entschlösse, eine schmieg¬
samere und dehnbarere Regelung der Arbeitszeit vorzunehmen. Meline schlägt
daher Abkommen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vor, auf Grund
deren den Arbeitern gestattet sein soll, in der Jahreszeit, wo die besonders an¬
strengenden und zugleich unaufschiebbaren ländlichen Arbeiten die Tätigkeit des
Arbeiters in Anspruch nehmen (also in der Zeit, wo gepflügt, gesät und ge-
erntet werden muß), zeitweilig die Fabrikarbeit zu unterbrechen, um sich aus¬
schließlich den landwirtschaftlichen Beschäftigungen widmen zu können. Auf diese
Weise käme einerseits die Landarbeit zu ihrem Rechte, und andererseits würde
auch für die Industrie in sehr vielen Fällen eine zeitweilige Entlassung ihrer
Arbeiter insofern erwünscht sein, als die Notwendigkeit, zwecks Erhaltung eines
zuverlässigen geschulten Arbeiterpersonals auch bei Geschäftsflaue immer weiter
zu produzieren, auf diese Weise vermieden oder wenigstens erheblich eingeschränkt
werden könnte.

Die Bedenken, die gegen eine Industrialisierung des Landes hauptsächlich
geltend gemacht werden, stützen sich vielfach auf wenig erfreuliche Erfahrungen,
die man in verschiedenen bereits industrialisierten Landgemeinden gemacht hat.


Die Industrialisierung des Landes

Einen großen Schaden für die Landwirtschaft bedeute auch die starke
Staub-, Rauch- und Rußentwicklung, die Industrie und Verkehr meist mit sich
bringe und die einen äußerst nachteiligen Einfluß auf das Gedeihen der
Pflanzen, auf Obst- und Gemüsegärten, auf Wiesen und Weiden ausübe. Einen
besonders verderblichen Einfluß auf die Vegetation hat die beim Verbrennen
der schwefelhaltigen Steinkohle sich bildende Säure. Die schädlichen Stoffe
werden vom Vieh und vom Wild aufgenommen und führen leicht zu Darm-
krankheiten und sonstigen Krankheitserscheinungen. Ferner könnten die industriellen
Abwässer der Landwirtschaft manchen Schaden bereiten. Schließlich würde auch
noch das Landschaftsbild und die Schönheit der Natur durch die Industrie oft
erheblich verunstaltet.

Man sieht also, daß die Meinungen über die Vorzüge der Industrialisierung
des Landes noch recht geteilt sind, jedoch wird sich zwischen den sich oft
widerstreitenden Ansichten wohl in vielen Fällen ein Ausweg und ein Ausgleich
finden lassen. Manche Bedenken sind vielleicht übertrieben oder lassen sich bei
genügender Berücksichtigung aller Verhältnisse leicht zerstreuen. Im Einzelfalle
wird ja sowieso alles von den örtlichen Vorbedingungen abhängig gemacht
werden müssen. Wie z. B. ein Ausgleich zwischen gewerblichen und landwirt¬
schaftlichen Interessen herbeigeführt werden kann, zeigt der Vorschlag von Meline
(„Die Rückkehr zur Scholle und die industrielle Überproduktion"). Meline geht
von der Tatsache aus, daß es heute zahlreiche Industrien gibt, die mit einer
toten Jahreszeit zu rechnen haben, während der die Bestellungen langsamer
eingehen oder auch wohl aufhören. Wird in solcher Zeit mit Volldampf weiter¬
gefahren, so häufen sich die Vorräte immer mehr, wachsen schließlich zu großen
Beständen an, und diese Überproduktion führt dann leicht zu schlimmen Krisen.
Diesen Gefahren könnte man vorbeugen, wenn man sich entschlösse, eine schmieg¬
samere und dehnbarere Regelung der Arbeitszeit vorzunehmen. Meline schlägt
daher Abkommen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vor, auf Grund
deren den Arbeitern gestattet sein soll, in der Jahreszeit, wo die besonders an¬
strengenden und zugleich unaufschiebbaren ländlichen Arbeiten die Tätigkeit des
Arbeiters in Anspruch nehmen (also in der Zeit, wo gepflügt, gesät und ge-
erntet werden muß), zeitweilig die Fabrikarbeit zu unterbrechen, um sich aus¬
schließlich den landwirtschaftlichen Beschäftigungen widmen zu können. Auf diese
Weise käme einerseits die Landarbeit zu ihrem Rechte, und andererseits würde
auch für die Industrie in sehr vielen Fällen eine zeitweilige Entlassung ihrer
Arbeiter insofern erwünscht sein, als die Notwendigkeit, zwecks Erhaltung eines
zuverlässigen geschulten Arbeiterpersonals auch bei Geschäftsflaue immer weiter
zu produzieren, auf diese Weise vermieden oder wenigstens erheblich eingeschränkt
werden könnte.

Die Bedenken, die gegen eine Industrialisierung des Landes hauptsächlich
geltend gemacht werden, stützen sich vielfach auf wenig erfreuliche Erfahrungen,
die man in verschiedenen bereits industrialisierten Landgemeinden gemacht hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/156>, abgerufen am 22.07.2024.