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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Industrialisierung des Landes

der Steuerbehörde abliefert, geboten wird, wie höhere Schulen, gute Verkehrs¬
einrichtungen, billige Beleuchtung, Wasserleitung, Unterhaltung, und was sonst
noch das Leben angenehm macht. Auch Beamte und Lehrer, sammelten auf
dem Lande Dienstjahre, um sich, so bald als möglich, in die größeren Städte
versetzen zu lassen. Mittelst einer Industrialisierung des Landes wird es all¬
mählich möglich werden, dem Leben auf dem platten Lande wenigstens einiger¬
maßen die das großstädtische Leben auszeichnenden Vorteile zu verschaffen.
Nicht gering wird die Wirkung sein, wenn man die Bildungsmittel, die den
Bewohnern der Groß- und Mittelstädte zur Verfügung stehen, dem Lande
zugänglich zu machen sucht durch Gründung von Fortbildungsschulen und
Bibliotheken, durch Veranstaltung von allgemeinverständlichen wissenschaftlichen
Vorträgen usw.

Insbesondere erhofft man von der Industrialisierung des Landes auch
eine Hemmung der Landflucht der breiten Massen. Gerade die tüchtigsten
und gesundesten Arbeitskräfte waren es bisher immer, welche das Land ver¬
ließen. Die Landflucht wurde um so größer, je mehr sich die Landwirtschaft
zum Saisongewerbe entwickelte und es vornehmlich in der Winterzeit auf dem
Lande an Beschäftigung mangelte. Das Vorhandensein einer Industrie würde
es für die Leute unnötig machen, nach auswärts auf Arbeit zu gehen. Für
viele würde die Jndustriebeschäftigung eine wertvolle Ergänzung und Stütze
des ländlichen Kleinbesitzes bedeuten. Die Heiratsgelegenheiten würden sich
vermehren und damit eine willkommene Gelegenheit zur Hebung der Geburten¬
ziffer erreicht werden. Auch aus gesundheitlichen Gründen wäre die Dezentrali¬
sation der Industrie mehr zu wünschen als die Jndustriehäufung in den
Großstädten mit all ihren Nachteilen. Die Dezentralisation auf dem Lande
ermöglicht einen gesundheitlich günstigen Wechsel zwischen Industrie- und Land¬
arbeit. Auf dem Lande können die Leute ein Eigenhaus erwerben oder doch
ein Einfamilienhaus mieten, sie können einen Garten haben und mit der
Natur leben. Der Wechsel zwischen Arbeit in geschlossenen Räumen und
Arbeit im Freien erhält die Leute gesund.

Auch manche Landwirte versprechen sich von einer Industrialisierung des
Landes große Vorteile. Sie erhoffen von der Industrialisierung einen ge¬
steigerten Absatz und bessere Preise für ihre landwirtschaftlichen Produkte. Die
Industrie würde die Werte der Güter erhöhen; durch Abverkauf von Grund¬
stücken würde eine willkommene Gelegenheit geboten, Schuldsummen abzutragen
oder den Betrieb intensiver zu gestalten. Die Anstedlung von Industrien
bringt den Fortschritt mit sich. Dies würde sich auch der Landwirtschaft
mitteilen und anregend auf die Vervollkommnung der Produktion und auf die
Intensivierung der Betriebe einwirken.

Neben diesen Befürwortern der Dezentralisation der Industrie gibt es
allerdings auch Gegner der Industrialisierung des Landes, die besonders
in manchen Kreisen der Landwirtschaft zu finden sind. Da die Lösung


Die Industrialisierung des Landes

der Steuerbehörde abliefert, geboten wird, wie höhere Schulen, gute Verkehrs¬
einrichtungen, billige Beleuchtung, Wasserleitung, Unterhaltung, und was sonst
noch das Leben angenehm macht. Auch Beamte und Lehrer, sammelten auf
dem Lande Dienstjahre, um sich, so bald als möglich, in die größeren Städte
versetzen zu lassen. Mittelst einer Industrialisierung des Landes wird es all¬
mählich möglich werden, dem Leben auf dem platten Lande wenigstens einiger¬
maßen die das großstädtische Leben auszeichnenden Vorteile zu verschaffen.
Nicht gering wird die Wirkung sein, wenn man die Bildungsmittel, die den
Bewohnern der Groß- und Mittelstädte zur Verfügung stehen, dem Lande
zugänglich zu machen sucht durch Gründung von Fortbildungsschulen und
Bibliotheken, durch Veranstaltung von allgemeinverständlichen wissenschaftlichen
Vorträgen usw.

Insbesondere erhofft man von der Industrialisierung des Landes auch
eine Hemmung der Landflucht der breiten Massen. Gerade die tüchtigsten
und gesundesten Arbeitskräfte waren es bisher immer, welche das Land ver¬
ließen. Die Landflucht wurde um so größer, je mehr sich die Landwirtschaft
zum Saisongewerbe entwickelte und es vornehmlich in der Winterzeit auf dem
Lande an Beschäftigung mangelte. Das Vorhandensein einer Industrie würde
es für die Leute unnötig machen, nach auswärts auf Arbeit zu gehen. Für
viele würde die Jndustriebeschäftigung eine wertvolle Ergänzung und Stütze
des ländlichen Kleinbesitzes bedeuten. Die Heiratsgelegenheiten würden sich
vermehren und damit eine willkommene Gelegenheit zur Hebung der Geburten¬
ziffer erreicht werden. Auch aus gesundheitlichen Gründen wäre die Dezentrali¬
sation der Industrie mehr zu wünschen als die Jndustriehäufung in den
Großstädten mit all ihren Nachteilen. Die Dezentralisation auf dem Lande
ermöglicht einen gesundheitlich günstigen Wechsel zwischen Industrie- und Land¬
arbeit. Auf dem Lande können die Leute ein Eigenhaus erwerben oder doch
ein Einfamilienhaus mieten, sie können einen Garten haben und mit der
Natur leben. Der Wechsel zwischen Arbeit in geschlossenen Räumen und
Arbeit im Freien erhält die Leute gesund.

Auch manche Landwirte versprechen sich von einer Industrialisierung des
Landes große Vorteile. Sie erhoffen von der Industrialisierung einen ge¬
steigerten Absatz und bessere Preise für ihre landwirtschaftlichen Produkte. Die
Industrie würde die Werte der Güter erhöhen; durch Abverkauf von Grund¬
stücken würde eine willkommene Gelegenheit geboten, Schuldsummen abzutragen
oder den Betrieb intensiver zu gestalten. Die Anstedlung von Industrien
bringt den Fortschritt mit sich. Dies würde sich auch der Landwirtschaft
mitteilen und anregend auf die Vervollkommnung der Produktion und auf die
Intensivierung der Betriebe einwirken.

Neben diesen Befürwortern der Dezentralisation der Industrie gibt es
allerdings auch Gegner der Industrialisierung des Landes, die besonders
in manchen Kreisen der Landwirtschaft zu finden sind. Da die Lösung


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[0153] Die Industrialisierung des Landes der Steuerbehörde abliefert, geboten wird, wie höhere Schulen, gute Verkehrs¬ einrichtungen, billige Beleuchtung, Wasserleitung, Unterhaltung, und was sonst noch das Leben angenehm macht. Auch Beamte und Lehrer, sammelten auf dem Lande Dienstjahre, um sich, so bald als möglich, in die größeren Städte versetzen zu lassen. Mittelst einer Industrialisierung des Landes wird es all¬ mählich möglich werden, dem Leben auf dem platten Lande wenigstens einiger¬ maßen die das großstädtische Leben auszeichnenden Vorteile zu verschaffen. Nicht gering wird die Wirkung sein, wenn man die Bildungsmittel, die den Bewohnern der Groß- und Mittelstädte zur Verfügung stehen, dem Lande zugänglich zu machen sucht durch Gründung von Fortbildungsschulen und Bibliotheken, durch Veranstaltung von allgemeinverständlichen wissenschaftlichen Vorträgen usw. Insbesondere erhofft man von der Industrialisierung des Landes auch eine Hemmung der Landflucht der breiten Massen. Gerade die tüchtigsten und gesundesten Arbeitskräfte waren es bisher immer, welche das Land ver¬ ließen. Die Landflucht wurde um so größer, je mehr sich die Landwirtschaft zum Saisongewerbe entwickelte und es vornehmlich in der Winterzeit auf dem Lande an Beschäftigung mangelte. Das Vorhandensein einer Industrie würde es für die Leute unnötig machen, nach auswärts auf Arbeit zu gehen. Für viele würde die Jndustriebeschäftigung eine wertvolle Ergänzung und Stütze des ländlichen Kleinbesitzes bedeuten. Die Heiratsgelegenheiten würden sich vermehren und damit eine willkommene Gelegenheit zur Hebung der Geburten¬ ziffer erreicht werden. Auch aus gesundheitlichen Gründen wäre die Dezentrali¬ sation der Industrie mehr zu wünschen als die Jndustriehäufung in den Großstädten mit all ihren Nachteilen. Die Dezentralisation auf dem Lande ermöglicht einen gesundheitlich günstigen Wechsel zwischen Industrie- und Land¬ arbeit. Auf dem Lande können die Leute ein Eigenhaus erwerben oder doch ein Einfamilienhaus mieten, sie können einen Garten haben und mit der Natur leben. Der Wechsel zwischen Arbeit in geschlossenen Räumen und Arbeit im Freien erhält die Leute gesund. Auch manche Landwirte versprechen sich von einer Industrialisierung des Landes große Vorteile. Sie erhoffen von der Industrialisierung einen ge¬ steigerten Absatz und bessere Preise für ihre landwirtschaftlichen Produkte. Die Industrie würde die Werte der Güter erhöhen; durch Abverkauf von Grund¬ stücken würde eine willkommene Gelegenheit geboten, Schuldsummen abzutragen oder den Betrieb intensiver zu gestalten. Die Anstedlung von Industrien bringt den Fortschritt mit sich. Dies würde sich auch der Landwirtschaft mitteilen und anregend auf die Vervollkommnung der Produktion und auf die Intensivierung der Betriebe einwirken. Neben diesen Befürwortern der Dezentralisation der Industrie gibt es allerdings auch Gegner der Industrialisierung des Landes, die besonders in manchen Kreisen der Landwirtschaft zu finden sind. Da die Lösung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/153>, abgerufen am 01.07.2024.