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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Die Industrialisierung des Landes

Friedenswirtschaft aufgestellt worden. Dabei wurde betont, daß die zu ver¬
legenden oder neu zu begründenden industriellen Anlagen nicht so sehr in den
Vororten der jetzt vorhandenen Großstädte untergebracht werden sollen, denn
die Erfahrung habe gelehrt, daß in den Großstädten die Tendenz vorhanden
sei, die Vororte der zentralen Zusammenballung anzugliedern, was dann im
Verlaufe weniger Jahre oder Jahrzehnte dahin führen würde, daß der ehemalige
Vorort nicht nur hinsichtlich der Verwaltung, sondern auch bezüglich seiner
Bevölkerungsdichtigkeit, der Entfernung von dem segensreichen Einflüsse der
freien Natur u. tgi. das Los der Großstadt teile. Auch sollte das Bestreben
nicht dahin gehen, die Hungerindustrien in den kalkarmen schlesischen, sächsischen
und thüringischen Gebirgen noch weiter zu vermehren. Es sollten vielmehr
Jndustrieunternehmungen gerade in fruchtbaren Ackerbaugegenden mit hartem
Trinkwasser angelegt werven.

Über die Jndustriealisterung des Landes sind nun allerdings die Ansichten
sehr geteilt. Die einen begrüßen sie als eine willkommene und erfreuliche Ent¬
wicklung, andere dagegen erheben gegen die Verpflanzung der Industrie auf
das Land grundsätzliche Bedenken und wollen das Land lieber davon verschont
wissen. Für die Lösung des Problems wird es gewiß am besten sein, wenn
man beide Parteien einmal zu Wort kommen läßt und den beiderseitigen An¬
sichten in unvoreingenommener Weise Gehör schenkt, um dann zu sehen, ob sich
nicht auf einer mittleren Linie das Bestmögliche erreichen läßt.

Hören wir daher zunächst, welche Vorteile die Befürworter einer In¬
dustrialisierung des Landes sich von einer solchen Entwicklung versprechen.
Vor allem wird es nach dem Kriege nötig sein, unsere Industrie möglichst
konlurrenz- und leistungsfähig zu machen. Dies ist am ehesten möglich durch
die Herabdrückung der Gestehungskosten. In vielen Fällen wird die Industrie
auf dem Lande billiger arbeiten können. Von der Verlegung der Industrie
auf das Land erhofft man eine Verringerung des Grund- und Gebäude- sowie
des Lohnkontos. Der ländliche Bevölkerungsüberschuß bietet genügend tüchtige
Arbeitskräfte, welche vielfach keine allzu hohen Löhne beanspruchen, und sie
können auch mit einem geringeren Lohn dort eher zurechtkommen, weil das
Leben auf dem Lande billiger ist und die meisten noch etwas Land und einen
kleinen Viehbestand als Nebenerwerbsquelle ihr eigen nennen. Die fortdauernde
Verteuerung der Lebenshaltung in den Städten dagegen führt zu immer
weiteren Teuerungszulagen. Insbesondere sind auch die Wohnungsverhältnisse
in der Stadt erheblich teuerer; die Wohnung des städtischen Arbeiters nimmt
allein etwa 20 bis 25 Prozent seines Verdienstes weg.

Gleichzeitig hofft man mittelst der Industrialisierung eine Hebung der
ländlichen Gemeinden und eine günstigere wirtschaftliche und finanzielle Ent¬
wicklung derselben herbeiführen zu können. Bisher zogen gerade die Steuer--
kräftigsten Bewohner des Landes immer wieder zur Stadt, wo niedrigere Kom¬
munalsteuerzuschläge erhoben werden, und wo etwas für das Geld, das man


Die Industrialisierung des Landes

Friedenswirtschaft aufgestellt worden. Dabei wurde betont, daß die zu ver¬
legenden oder neu zu begründenden industriellen Anlagen nicht so sehr in den
Vororten der jetzt vorhandenen Großstädte untergebracht werden sollen, denn
die Erfahrung habe gelehrt, daß in den Großstädten die Tendenz vorhanden
sei, die Vororte der zentralen Zusammenballung anzugliedern, was dann im
Verlaufe weniger Jahre oder Jahrzehnte dahin führen würde, daß der ehemalige
Vorort nicht nur hinsichtlich der Verwaltung, sondern auch bezüglich seiner
Bevölkerungsdichtigkeit, der Entfernung von dem segensreichen Einflüsse der
freien Natur u. tgi. das Los der Großstadt teile. Auch sollte das Bestreben
nicht dahin gehen, die Hungerindustrien in den kalkarmen schlesischen, sächsischen
und thüringischen Gebirgen noch weiter zu vermehren. Es sollten vielmehr
Jndustrieunternehmungen gerade in fruchtbaren Ackerbaugegenden mit hartem
Trinkwasser angelegt werven.

Über die Jndustriealisterung des Landes sind nun allerdings die Ansichten
sehr geteilt. Die einen begrüßen sie als eine willkommene und erfreuliche Ent¬
wicklung, andere dagegen erheben gegen die Verpflanzung der Industrie auf
das Land grundsätzliche Bedenken und wollen das Land lieber davon verschont
wissen. Für die Lösung des Problems wird es gewiß am besten sein, wenn
man beide Parteien einmal zu Wort kommen läßt und den beiderseitigen An¬
sichten in unvoreingenommener Weise Gehör schenkt, um dann zu sehen, ob sich
nicht auf einer mittleren Linie das Bestmögliche erreichen läßt.

Hören wir daher zunächst, welche Vorteile die Befürworter einer In¬
dustrialisierung des Landes sich von einer solchen Entwicklung versprechen.
Vor allem wird es nach dem Kriege nötig sein, unsere Industrie möglichst
konlurrenz- und leistungsfähig zu machen. Dies ist am ehesten möglich durch
die Herabdrückung der Gestehungskosten. In vielen Fällen wird die Industrie
auf dem Lande billiger arbeiten können. Von der Verlegung der Industrie
auf das Land erhofft man eine Verringerung des Grund- und Gebäude- sowie
des Lohnkontos. Der ländliche Bevölkerungsüberschuß bietet genügend tüchtige
Arbeitskräfte, welche vielfach keine allzu hohen Löhne beanspruchen, und sie
können auch mit einem geringeren Lohn dort eher zurechtkommen, weil das
Leben auf dem Lande billiger ist und die meisten noch etwas Land und einen
kleinen Viehbestand als Nebenerwerbsquelle ihr eigen nennen. Die fortdauernde
Verteuerung der Lebenshaltung in den Städten dagegen führt zu immer
weiteren Teuerungszulagen. Insbesondere sind auch die Wohnungsverhältnisse
in der Stadt erheblich teuerer; die Wohnung des städtischen Arbeiters nimmt
allein etwa 20 bis 25 Prozent seines Verdienstes weg.

Gleichzeitig hofft man mittelst der Industrialisierung eine Hebung der
ländlichen Gemeinden und eine günstigere wirtschaftliche und finanzielle Ent¬
wicklung derselben herbeiführen zu können. Bisher zogen gerade die Steuer--
kräftigsten Bewohner des Landes immer wieder zur Stadt, wo niedrigere Kom¬
munalsteuerzuschläge erhoben werden, und wo etwas für das Geld, das man


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[0152] Die Industrialisierung des Landes Friedenswirtschaft aufgestellt worden. Dabei wurde betont, daß die zu ver¬ legenden oder neu zu begründenden industriellen Anlagen nicht so sehr in den Vororten der jetzt vorhandenen Großstädte untergebracht werden sollen, denn die Erfahrung habe gelehrt, daß in den Großstädten die Tendenz vorhanden sei, die Vororte der zentralen Zusammenballung anzugliedern, was dann im Verlaufe weniger Jahre oder Jahrzehnte dahin führen würde, daß der ehemalige Vorort nicht nur hinsichtlich der Verwaltung, sondern auch bezüglich seiner Bevölkerungsdichtigkeit, der Entfernung von dem segensreichen Einflüsse der freien Natur u. tgi. das Los der Großstadt teile. Auch sollte das Bestreben nicht dahin gehen, die Hungerindustrien in den kalkarmen schlesischen, sächsischen und thüringischen Gebirgen noch weiter zu vermehren. Es sollten vielmehr Jndustrieunternehmungen gerade in fruchtbaren Ackerbaugegenden mit hartem Trinkwasser angelegt werven. Über die Jndustriealisterung des Landes sind nun allerdings die Ansichten sehr geteilt. Die einen begrüßen sie als eine willkommene und erfreuliche Ent¬ wicklung, andere dagegen erheben gegen die Verpflanzung der Industrie auf das Land grundsätzliche Bedenken und wollen das Land lieber davon verschont wissen. Für die Lösung des Problems wird es gewiß am besten sein, wenn man beide Parteien einmal zu Wort kommen läßt und den beiderseitigen An¬ sichten in unvoreingenommener Weise Gehör schenkt, um dann zu sehen, ob sich nicht auf einer mittleren Linie das Bestmögliche erreichen läßt. Hören wir daher zunächst, welche Vorteile die Befürworter einer In¬ dustrialisierung des Landes sich von einer solchen Entwicklung versprechen. Vor allem wird es nach dem Kriege nötig sein, unsere Industrie möglichst konlurrenz- und leistungsfähig zu machen. Dies ist am ehesten möglich durch die Herabdrückung der Gestehungskosten. In vielen Fällen wird die Industrie auf dem Lande billiger arbeiten können. Von der Verlegung der Industrie auf das Land erhofft man eine Verringerung des Grund- und Gebäude- sowie des Lohnkontos. Der ländliche Bevölkerungsüberschuß bietet genügend tüchtige Arbeitskräfte, welche vielfach keine allzu hohen Löhne beanspruchen, und sie können auch mit einem geringeren Lohn dort eher zurechtkommen, weil das Leben auf dem Lande billiger ist und die meisten noch etwas Land und einen kleinen Viehbestand als Nebenerwerbsquelle ihr eigen nennen. Die fortdauernde Verteuerung der Lebenshaltung in den Städten dagegen führt zu immer weiteren Teuerungszulagen. Insbesondere sind auch die Wohnungsverhältnisse in der Stadt erheblich teuerer; die Wohnung des städtischen Arbeiters nimmt allein etwa 20 bis 25 Prozent seines Verdienstes weg. Gleichzeitig hofft man mittelst der Industrialisierung eine Hebung der ländlichen Gemeinden und eine günstigere wirtschaftliche und finanzielle Ent¬ wicklung derselben herbeiführen zu können. Bisher zogen gerade die Steuer-- kräftigsten Bewohner des Landes immer wieder zur Stadt, wo niedrigere Kom¬ munalsteuerzuschläge erhoben werden, und wo etwas für das Geld, das man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/152>, abgerufen am 29.06.2024.