Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Industrialisierung des Landes

des in Frage stehenden Problems auch von deren Meinung und Bereit¬
willigkeit abhängig ist, mögen auch sie hier zu Worte kommen. Sie äußern
ihre Bedenken hauptsächlich in folgender Weise: Vor allem würde die
Industrialisierung ein weiteres Steigen der Löhne und ein Entziehen der
landwirtschaftlichen Arbeitskräfte zur Folge haben. Die Arbeiter würden sich
allmählich immer mehr der Jndustriearbeit zuwenden, sich ihr auf die Dauer
vollständig hingeben und keine Neigung mehr zur Arbeit in der Landwirt¬
schaft zeigen. Soziale und gesundheitliche Nachteile würden sich um so mehr
ergeben, je mehr auch die Frauen der Fabrikarbeit sich zuwenden würden.
Je ausgedehnter die Fabrikarbeit würde, um so eher könnte eine Über¬
anstrengung infolge der zwiefachen Tätigkeit in der Fabrik einerseits und in
der Hauswirtschaft und im ländlichen Nebenbetrieb andererseits eintreten, und
diese Überanstrengung könnte sich sowohl bei den Männern als auch bei den
Frauen und Kindern zeigen.

Die mit der Industrialisierung auftretende Bodenzerstückelung würde eine
noch weitere Verschärfung der landwirtschaftlichen Arbeiternot zur Folge haben.
Die auf dem Lande lebenden Industriearbeiter, die an ländliche Arbeit gewohnt
sind, bewirtschaften lieber eigenes oder gepachtetes Land in ihrer freien Zeit
und sind als Hilfskräfte für die Landwirtschaft verloren. Damit würde gleich¬
zeitig ein Verlust an Konsumenten eintreten. Die landwirtschaftlich im Neben¬
beruf tätige industrielle Arbeiterschaft wird bezüglich der Beschaffung landwirt¬
schaftlicher Erzeugnisse vom fremden Bedarf unabhängig. Diese Arbeiter kommen
für die von ihnen selbst erzeugten Produkte für die Landwirtschaft als Abnehmer
nicht mehr in Betracht, sie werden vielmehr in vielen Fällen deren erfolgreiche
Konkurrenten. Schließlich würden auch die Werkskonsumvereine, die z. B.
Kartoffeln für ihre Arbeiter in großen Mengen von fernerher bezögen, sowie
die industriellen Mästereien usw. der Landwirtschaft am Orte eine empfindliche
Konkurrenz bereiten können.

Vor allem befürchtet man in landwirtschaftlichen Kreisen von dem Vordringen
der Industrie eine allmähliche Verdrängung des landwirtschaftlichen Kulturbodens
sowie der Landwirtschaft überhaupt. Die Wertsteigerung des Grund und
Bodens wäre vielfach der Landwirtschaft gar nicht zugute gekommen, fondern
den Spekulanten, die vorzeitig das Gelände weggekauft hätten. Anderswo
hätten die den Boden augenblicklich besitzenden Landwirte von der Industriali¬
sierung wegen des besseren und lohnenden Absatzes und wegen der Aussicht
auf späteren gewinnbringenden Verkauf an Grundstücksinterefsenten zwar
erhebliche Vorteile, aber kein anderer Landwirt wird angesichts der Bodenpreis¬
steigerung mehr daran denken können, diesen Boden als landwirtschaftlich zu
nutzenden Boden käuflich zu erwerben. Der Landwirt, der seinen Hof veräußert,
um der Industrie Platz zu machen, verwendet sein Kapital nicht, um sich wieder
in anderer rein ländlicher Gegend anzukaufen, sondern er wendet sich meist der
Industrie zu, die ihm eine gute Verzinsung des Anlagekapitals bietet. Den


Die Industrialisierung des Landes

des in Frage stehenden Problems auch von deren Meinung und Bereit¬
willigkeit abhängig ist, mögen auch sie hier zu Worte kommen. Sie äußern
ihre Bedenken hauptsächlich in folgender Weise: Vor allem würde die
Industrialisierung ein weiteres Steigen der Löhne und ein Entziehen der
landwirtschaftlichen Arbeitskräfte zur Folge haben. Die Arbeiter würden sich
allmählich immer mehr der Jndustriearbeit zuwenden, sich ihr auf die Dauer
vollständig hingeben und keine Neigung mehr zur Arbeit in der Landwirt¬
schaft zeigen. Soziale und gesundheitliche Nachteile würden sich um so mehr
ergeben, je mehr auch die Frauen der Fabrikarbeit sich zuwenden würden.
Je ausgedehnter die Fabrikarbeit würde, um so eher könnte eine Über¬
anstrengung infolge der zwiefachen Tätigkeit in der Fabrik einerseits und in
der Hauswirtschaft und im ländlichen Nebenbetrieb andererseits eintreten, und
diese Überanstrengung könnte sich sowohl bei den Männern als auch bei den
Frauen und Kindern zeigen.

Die mit der Industrialisierung auftretende Bodenzerstückelung würde eine
noch weitere Verschärfung der landwirtschaftlichen Arbeiternot zur Folge haben.
Die auf dem Lande lebenden Industriearbeiter, die an ländliche Arbeit gewohnt
sind, bewirtschaften lieber eigenes oder gepachtetes Land in ihrer freien Zeit
und sind als Hilfskräfte für die Landwirtschaft verloren. Damit würde gleich¬
zeitig ein Verlust an Konsumenten eintreten. Die landwirtschaftlich im Neben¬
beruf tätige industrielle Arbeiterschaft wird bezüglich der Beschaffung landwirt¬
schaftlicher Erzeugnisse vom fremden Bedarf unabhängig. Diese Arbeiter kommen
für die von ihnen selbst erzeugten Produkte für die Landwirtschaft als Abnehmer
nicht mehr in Betracht, sie werden vielmehr in vielen Fällen deren erfolgreiche
Konkurrenten. Schließlich würden auch die Werkskonsumvereine, die z. B.
Kartoffeln für ihre Arbeiter in großen Mengen von fernerher bezögen, sowie
die industriellen Mästereien usw. der Landwirtschaft am Orte eine empfindliche
Konkurrenz bereiten können.

Vor allem befürchtet man in landwirtschaftlichen Kreisen von dem Vordringen
der Industrie eine allmähliche Verdrängung des landwirtschaftlichen Kulturbodens
sowie der Landwirtschaft überhaupt. Die Wertsteigerung des Grund und
Bodens wäre vielfach der Landwirtschaft gar nicht zugute gekommen, fondern
den Spekulanten, die vorzeitig das Gelände weggekauft hätten. Anderswo
hätten die den Boden augenblicklich besitzenden Landwirte von der Industriali¬
sierung wegen des besseren und lohnenden Absatzes und wegen der Aussicht
auf späteren gewinnbringenden Verkauf an Grundstücksinterefsenten zwar
erhebliche Vorteile, aber kein anderer Landwirt wird angesichts der Bodenpreis¬
steigerung mehr daran denken können, diesen Boden als landwirtschaftlich zu
nutzenden Boden käuflich zu erwerben. Der Landwirt, der seinen Hof veräußert,
um der Industrie Platz zu machen, verwendet sein Kapital nicht, um sich wieder
in anderer rein ländlicher Gegend anzukaufen, sondern er wendet sich meist der
Industrie zu, die ihm eine gute Verzinsung des Anlagekapitals bietet. Den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330692"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Industrialisierung des Landes</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_513" prev="#ID_512"> des in Frage stehenden Problems auch von deren Meinung und Bereit¬<lb/>
willigkeit abhängig ist, mögen auch sie hier zu Worte kommen. Sie äußern<lb/>
ihre Bedenken hauptsächlich in folgender Weise: Vor allem würde die<lb/>
Industrialisierung ein weiteres Steigen der Löhne und ein Entziehen der<lb/>
landwirtschaftlichen Arbeitskräfte zur Folge haben. Die Arbeiter würden sich<lb/>
allmählich immer mehr der Jndustriearbeit zuwenden, sich ihr auf die Dauer<lb/>
vollständig hingeben und keine Neigung mehr zur Arbeit in der Landwirt¬<lb/>
schaft zeigen. Soziale und gesundheitliche Nachteile würden sich um so mehr<lb/>
ergeben, je mehr auch die Frauen der Fabrikarbeit sich zuwenden würden.<lb/>
Je ausgedehnter die Fabrikarbeit würde, um so eher könnte eine Über¬<lb/>
anstrengung infolge der zwiefachen Tätigkeit in der Fabrik einerseits und in<lb/>
der Hauswirtschaft und im ländlichen Nebenbetrieb andererseits eintreten, und<lb/>
diese Überanstrengung könnte sich sowohl bei den Männern als auch bei den<lb/>
Frauen und Kindern zeigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_514"> Die mit der Industrialisierung auftretende Bodenzerstückelung würde eine<lb/>
noch weitere Verschärfung der landwirtschaftlichen Arbeiternot zur Folge haben.<lb/>
Die auf dem Lande lebenden Industriearbeiter, die an ländliche Arbeit gewohnt<lb/>
sind, bewirtschaften lieber eigenes oder gepachtetes Land in ihrer freien Zeit<lb/>
und sind als Hilfskräfte für die Landwirtschaft verloren. Damit würde gleich¬<lb/>
zeitig ein Verlust an Konsumenten eintreten. Die landwirtschaftlich im Neben¬<lb/>
beruf tätige industrielle Arbeiterschaft wird bezüglich der Beschaffung landwirt¬<lb/>
schaftlicher Erzeugnisse vom fremden Bedarf unabhängig. Diese Arbeiter kommen<lb/>
für die von ihnen selbst erzeugten Produkte für die Landwirtschaft als Abnehmer<lb/>
nicht mehr in Betracht, sie werden vielmehr in vielen Fällen deren erfolgreiche<lb/>
Konkurrenten. Schließlich würden auch die Werkskonsumvereine, die z. B.<lb/>
Kartoffeln für ihre Arbeiter in großen Mengen von fernerher bezögen, sowie<lb/>
die industriellen Mästereien usw. der Landwirtschaft am Orte eine empfindliche<lb/>
Konkurrenz bereiten können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_515" next="#ID_516"> Vor allem befürchtet man in landwirtschaftlichen Kreisen von dem Vordringen<lb/>
der Industrie eine allmähliche Verdrängung des landwirtschaftlichen Kulturbodens<lb/>
sowie der Landwirtschaft überhaupt. Die Wertsteigerung des Grund und<lb/>
Bodens wäre vielfach der Landwirtschaft gar nicht zugute gekommen, fondern<lb/>
den Spekulanten, die vorzeitig das Gelände weggekauft hätten. Anderswo<lb/>
hätten die den Boden augenblicklich besitzenden Landwirte von der Industriali¬<lb/>
sierung wegen des besseren und lohnenden Absatzes und wegen der Aussicht<lb/>
auf späteren gewinnbringenden Verkauf an Grundstücksinterefsenten zwar<lb/>
erhebliche Vorteile, aber kein anderer Landwirt wird angesichts der Bodenpreis¬<lb/>
steigerung mehr daran denken können, diesen Boden als landwirtschaftlich zu<lb/>
nutzenden Boden käuflich zu erwerben. Der Landwirt, der seinen Hof veräußert,<lb/>
um der Industrie Platz zu machen, verwendet sein Kapital nicht, um sich wieder<lb/>
in anderer rein ländlicher Gegend anzukaufen, sondern er wendet sich meist der<lb/>
Industrie zu, die ihm eine gute Verzinsung des Anlagekapitals bietet. Den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0154] Die Industrialisierung des Landes des in Frage stehenden Problems auch von deren Meinung und Bereit¬ willigkeit abhängig ist, mögen auch sie hier zu Worte kommen. Sie äußern ihre Bedenken hauptsächlich in folgender Weise: Vor allem würde die Industrialisierung ein weiteres Steigen der Löhne und ein Entziehen der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte zur Folge haben. Die Arbeiter würden sich allmählich immer mehr der Jndustriearbeit zuwenden, sich ihr auf die Dauer vollständig hingeben und keine Neigung mehr zur Arbeit in der Landwirt¬ schaft zeigen. Soziale und gesundheitliche Nachteile würden sich um so mehr ergeben, je mehr auch die Frauen der Fabrikarbeit sich zuwenden würden. Je ausgedehnter die Fabrikarbeit würde, um so eher könnte eine Über¬ anstrengung infolge der zwiefachen Tätigkeit in der Fabrik einerseits und in der Hauswirtschaft und im ländlichen Nebenbetrieb andererseits eintreten, und diese Überanstrengung könnte sich sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen und Kindern zeigen. Die mit der Industrialisierung auftretende Bodenzerstückelung würde eine noch weitere Verschärfung der landwirtschaftlichen Arbeiternot zur Folge haben. Die auf dem Lande lebenden Industriearbeiter, die an ländliche Arbeit gewohnt sind, bewirtschaften lieber eigenes oder gepachtetes Land in ihrer freien Zeit und sind als Hilfskräfte für die Landwirtschaft verloren. Damit würde gleich¬ zeitig ein Verlust an Konsumenten eintreten. Die landwirtschaftlich im Neben¬ beruf tätige industrielle Arbeiterschaft wird bezüglich der Beschaffung landwirt¬ schaftlicher Erzeugnisse vom fremden Bedarf unabhängig. Diese Arbeiter kommen für die von ihnen selbst erzeugten Produkte für die Landwirtschaft als Abnehmer nicht mehr in Betracht, sie werden vielmehr in vielen Fällen deren erfolgreiche Konkurrenten. Schließlich würden auch die Werkskonsumvereine, die z. B. Kartoffeln für ihre Arbeiter in großen Mengen von fernerher bezögen, sowie die industriellen Mästereien usw. der Landwirtschaft am Orte eine empfindliche Konkurrenz bereiten können. Vor allem befürchtet man in landwirtschaftlichen Kreisen von dem Vordringen der Industrie eine allmähliche Verdrängung des landwirtschaftlichen Kulturbodens sowie der Landwirtschaft überhaupt. Die Wertsteigerung des Grund und Bodens wäre vielfach der Landwirtschaft gar nicht zugute gekommen, fondern den Spekulanten, die vorzeitig das Gelände weggekauft hätten. Anderswo hätten die den Boden augenblicklich besitzenden Landwirte von der Industriali¬ sierung wegen des besseren und lohnenden Absatzes und wegen der Aussicht auf späteren gewinnbringenden Verkauf an Grundstücksinterefsenten zwar erhebliche Vorteile, aber kein anderer Landwirt wird angesichts der Bodenpreis¬ steigerung mehr daran denken können, diesen Boden als landwirtschaftlich zu nutzenden Boden käuflich zu erwerben. Der Landwirt, der seinen Hof veräußert, um der Industrie Platz zu machen, verwendet sein Kapital nicht, um sich wieder in anderer rein ländlicher Gegend anzukaufen, sondern er wendet sich meist der Industrie zu, die ihm eine gute Verzinsung des Anlagekapitals bietet. Den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/154
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/154>, abgerufen am 03.07.2024.