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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Albaniens Enttäuschung und Erwartung

zwar durchaus nicht etwa aus Vorliebe, sondern in völlig richtiger Erkenntnis
der Tatsache, daß, wie die Machtverhältnisse nun einmal lagen, der Fürst sich
nicht gegen Essad halten konnte, und Essad nur zu gewinnen war, wenn man
ihn mit Ehren überhäufte.

Essad entstammt einer der vornehmsten und mächtigsten Familien Al¬
baniens, der mächtigsten in Mittelalbanien überhaupt -- dem Hause Toptani,
Mehrere andere Glieder der Familie haben sich um die albanische National¬
bewegung große Verdienste erworben. Essad Pascha hingegen ist ganz der
mittelalterliche Grundherr geblieben, dem das Vaterland nichts gilt, die eigene
Macht alles. Er hat sich nie seinem Volke verpflichtet gefühlt, strebte von
kleinauf nur nach eigener Gewalt und Ehre. Da diese nur durch die türkische
Regierung zu erreichen waren, ließ er sich zum Gendarmeriekommandanten von
Janina machen, später in Konstantinopel zum General und fügte dort zu den
Ideen des mittelalterlichen Großfeudalen die korruptesten hamidischer Zeit.
Eine gefährliche Mischung bei so viel Willen, so großem Reiz der Persönlichkeit!

Seine Rolle im belagerten Skutari, das er schließlich, nachdem er
den offiziellen Befehlshaber Hassan Riza beseitigt hatte, König nitida übergab,
tut hier nichts zur Sache. Sie ist nur ein neuer Beweis für die alte
Erkenntnis, daß er für Ehren und Macht zu allem fähig ist. Ehren und
Macht erhoffte er damals von Montenegro, wie heute von Italien. Die
Politik der österreichischen Konsuln in Albanien war -- zu ihrer Ehre und
ihrem Tadel seis gesagt,-- nie biegsam genug, um diesen Ehrgeizigen an ihre
Fahne zu fesseln.

Als die Kontrollkommission, d. h. ihr deutsches und albanisches Mitglied,
Essad in: guten überredete, den Fürsten selbst in Neu Wied zu holen, machte
sie ihm als Gegendienst das Zugeständnis, daß Durazzo die Hauptstadt des
neuen Fürsten sein werde, also ein Ort im Machtgebiet Essads und nicht das
Valonn der Vlora oder Skutari, in dem die katholische Geistlichkeit zu berück¬
sichtigen gewesen wäre.

Die Kontrollkommission hoffte so Essads Ehrgeiz zu beruhigen und war
wohl überzeugt, daß sie es ohne große Gefahr zu tun imstande war, da ein
Mann von so dürftiger Bildung wie Essad bei jedem einigermaßen modernen
Regiment ganz von selbst ins Hintertreffen käme und voraussichtlich sogar
selbst klug genug sein würde, bald einzusehen, daß er mit den jüngeren und
geschulten Vertretern der albanischen Intelligenz nicht weiter würde konkur¬
rieren können.

Trotzdem barg dies Zugeständnis eine Gefahr, weil die Bevölkerung um
Durazzo, ganz besonders das benachbarte schlät, stark mit bosniakischm Ele¬
menten durchsetzt und, am meisten zurückgeblieben von allen Stämmen Albaniens,
am wenigsten zu bewußt-nationalem Streben erwacht ist, wodurch sie natürlich
Treibereien von außen am schutzlosesten preisgegeben ist. Überdies waren
gerade in Mittelalbamen, Tirano insbesondere, ganze Scharen jener Unglück-


Albaniens Enttäuschung und Erwartung

zwar durchaus nicht etwa aus Vorliebe, sondern in völlig richtiger Erkenntnis
der Tatsache, daß, wie die Machtverhältnisse nun einmal lagen, der Fürst sich
nicht gegen Essad halten konnte, und Essad nur zu gewinnen war, wenn man
ihn mit Ehren überhäufte.

Essad entstammt einer der vornehmsten und mächtigsten Familien Al¬
baniens, der mächtigsten in Mittelalbanien überhaupt — dem Hause Toptani,
Mehrere andere Glieder der Familie haben sich um die albanische National¬
bewegung große Verdienste erworben. Essad Pascha hingegen ist ganz der
mittelalterliche Grundherr geblieben, dem das Vaterland nichts gilt, die eigene
Macht alles. Er hat sich nie seinem Volke verpflichtet gefühlt, strebte von
kleinauf nur nach eigener Gewalt und Ehre. Da diese nur durch die türkische
Regierung zu erreichen waren, ließ er sich zum Gendarmeriekommandanten von
Janina machen, später in Konstantinopel zum General und fügte dort zu den
Ideen des mittelalterlichen Großfeudalen die korruptesten hamidischer Zeit.
Eine gefährliche Mischung bei so viel Willen, so großem Reiz der Persönlichkeit!

Seine Rolle im belagerten Skutari, das er schließlich, nachdem er
den offiziellen Befehlshaber Hassan Riza beseitigt hatte, König nitida übergab,
tut hier nichts zur Sache. Sie ist nur ein neuer Beweis für die alte
Erkenntnis, daß er für Ehren und Macht zu allem fähig ist. Ehren und
Macht erhoffte er damals von Montenegro, wie heute von Italien. Die
Politik der österreichischen Konsuln in Albanien war — zu ihrer Ehre und
ihrem Tadel seis gesagt,— nie biegsam genug, um diesen Ehrgeizigen an ihre
Fahne zu fesseln.

Als die Kontrollkommission, d. h. ihr deutsches und albanisches Mitglied,
Essad in: guten überredete, den Fürsten selbst in Neu Wied zu holen, machte
sie ihm als Gegendienst das Zugeständnis, daß Durazzo die Hauptstadt des
neuen Fürsten sein werde, also ein Ort im Machtgebiet Essads und nicht das
Valonn der Vlora oder Skutari, in dem die katholische Geistlichkeit zu berück¬
sichtigen gewesen wäre.

Die Kontrollkommission hoffte so Essads Ehrgeiz zu beruhigen und war
wohl überzeugt, daß sie es ohne große Gefahr zu tun imstande war, da ein
Mann von so dürftiger Bildung wie Essad bei jedem einigermaßen modernen
Regiment ganz von selbst ins Hintertreffen käme und voraussichtlich sogar
selbst klug genug sein würde, bald einzusehen, daß er mit den jüngeren und
geschulten Vertretern der albanischen Intelligenz nicht weiter würde konkur¬
rieren können.

Trotzdem barg dies Zugeständnis eine Gefahr, weil die Bevölkerung um
Durazzo, ganz besonders das benachbarte schlät, stark mit bosniakischm Ele¬
menten durchsetzt und, am meisten zurückgeblieben von allen Stämmen Albaniens,
am wenigsten zu bewußt-nationalem Streben erwacht ist, wodurch sie natürlich
Treibereien von außen am schutzlosesten preisgegeben ist. Überdies waren
gerade in Mittelalbamen, Tirano insbesondere, ganze Scharen jener Unglück-


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[0088] Albaniens Enttäuschung und Erwartung zwar durchaus nicht etwa aus Vorliebe, sondern in völlig richtiger Erkenntnis der Tatsache, daß, wie die Machtverhältnisse nun einmal lagen, der Fürst sich nicht gegen Essad halten konnte, und Essad nur zu gewinnen war, wenn man ihn mit Ehren überhäufte. Essad entstammt einer der vornehmsten und mächtigsten Familien Al¬ baniens, der mächtigsten in Mittelalbanien überhaupt — dem Hause Toptani, Mehrere andere Glieder der Familie haben sich um die albanische National¬ bewegung große Verdienste erworben. Essad Pascha hingegen ist ganz der mittelalterliche Grundherr geblieben, dem das Vaterland nichts gilt, die eigene Macht alles. Er hat sich nie seinem Volke verpflichtet gefühlt, strebte von kleinauf nur nach eigener Gewalt und Ehre. Da diese nur durch die türkische Regierung zu erreichen waren, ließ er sich zum Gendarmeriekommandanten von Janina machen, später in Konstantinopel zum General und fügte dort zu den Ideen des mittelalterlichen Großfeudalen die korruptesten hamidischer Zeit. Eine gefährliche Mischung bei so viel Willen, so großem Reiz der Persönlichkeit! Seine Rolle im belagerten Skutari, das er schließlich, nachdem er den offiziellen Befehlshaber Hassan Riza beseitigt hatte, König nitida übergab, tut hier nichts zur Sache. Sie ist nur ein neuer Beweis für die alte Erkenntnis, daß er für Ehren und Macht zu allem fähig ist. Ehren und Macht erhoffte er damals von Montenegro, wie heute von Italien. Die Politik der österreichischen Konsuln in Albanien war — zu ihrer Ehre und ihrem Tadel seis gesagt,— nie biegsam genug, um diesen Ehrgeizigen an ihre Fahne zu fesseln. Als die Kontrollkommission, d. h. ihr deutsches und albanisches Mitglied, Essad in: guten überredete, den Fürsten selbst in Neu Wied zu holen, machte sie ihm als Gegendienst das Zugeständnis, daß Durazzo die Hauptstadt des neuen Fürsten sein werde, also ein Ort im Machtgebiet Essads und nicht das Valonn der Vlora oder Skutari, in dem die katholische Geistlichkeit zu berück¬ sichtigen gewesen wäre. Die Kontrollkommission hoffte so Essads Ehrgeiz zu beruhigen und war wohl überzeugt, daß sie es ohne große Gefahr zu tun imstande war, da ein Mann von so dürftiger Bildung wie Essad bei jedem einigermaßen modernen Regiment ganz von selbst ins Hintertreffen käme und voraussichtlich sogar selbst klug genug sein würde, bald einzusehen, daß er mit den jüngeren und geschulten Vertretern der albanischen Intelligenz nicht weiter würde konkur¬ rieren können. Trotzdem barg dies Zugeständnis eine Gefahr, weil die Bevölkerung um Durazzo, ganz besonders das benachbarte schlät, stark mit bosniakischm Ele¬ menten durchsetzt und, am meisten zurückgeblieben von allen Stämmen Albaniens, am wenigsten zu bewußt-nationalem Streben erwacht ist, wodurch sie natürlich Treibereien von außen am schutzlosesten preisgegeben ist. Überdies waren gerade in Mittelalbamen, Tirano insbesondere, ganze Scharen jener Unglück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/88>, abgerufen am 28.07.2024.