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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Albaniens Enttäuschung und Erwartung

lichen Flüchtlinge aus Dibra und Umgebung. die, im Oktober 1913 durch die
Serben von Hof und Herd vertrieben und um jede Habe gebracht worden
waren, sodaß die Armut jener Gegend bedrohlich gestiegen war und natur¬
gemäß die politisch völlig uugeschulte, ja in öffentlichen Dingen vielfach
geradezu kindliche Bevölkerung jenen in die Hände spielen mußte, die ihrer
materiellen Not abzuhelfen versprachen.

Es darf und muß festgehalten werden, daß weder in Valona, d. h. in
der viel fortgeschritteneren Toskerie (dem Süden Albaniens) noch im Norden,
wo Skutari eine gewisse Volksbildung verbreitet hat, eine Aufstandsbewegung
wie jene, der die erste albanische Regierung zum Opfer fiel, möglich gewesen wäre.

In vieler Hinsicht lagen schon bei der Landung des Fürsten die Um¬
stände also so ungünstig wie möglich, darum gab er schon am 7. März 1914, als
das Fürstenpaar an der Seite Essads unter dem Jubel der ziemlich zahlreich
erschienenen Bevölkerung in Durazzo einzog, gar manche, die sich durch den
günstigen Eindruck des Augenblicks nicht von ihren Besorgnissen ablenken
ließen. Drei Tage, eine Woche später, waren die Besorgten bereits den Hoff¬
nungsfrohen gegenüber in der Mehrzahl.

Nicht als hätte Fürst Wilhelm in dieser kurzen Spanne Zeit bereits die
Sympathien verscherzt, welche ihm von Anfang an alle Patrioten als dem Mann
entgegenbrachten, der bestimmt war. Albanien endlich zu einer selbständigen
nationalen und politischen Existenz zu verhelfen, aber bereits bei der Bildung
des Ministeriums hatten sich Symptome all jener verhängnisvollen Umstände
gezeigt, die eine günstige Entwicklung der Dinge in Albanien schlechterdings
zur Unmöglichkeit gemacht haben. --

Baron Aliotti, der Vertreter Italiens, ging bei der Wahl der ent¬
sprechenden Persönlichkeiten mit einer Rücksichtslosigkeit und Leidenschaftlichkeit zu
Werke, als handle es sich tun die Ernennung der Beamten einer italienischen Kolonie.
Er ließ es sich mit jedem Mittel angelegen sein, die Freunde Österreichs
vou allen irgendwie einflußreichen Stellen fernzuhalten, griff zur Verleumdung
und Drohung, ja entblödete sich nicht die aufopferndste" und tüchtigsten
Männer dem Fürsten als gefährlich hinzustellen. Der österreichische Gesandte,
Herr von Löwenthal, hielt sich dagegen zurück, halb aus Neigung seiner
zögernden und mehr durchaus ehrenwerten als rasch-gewandten Natur, teils,
weil er der Ansicht war. Österreichs Schützerrollc habe mit inneralbanischen
Angelegenheiten wenig zu schaffen.

Fürst Wilhelm, der allen in Frage stehenden Persönlichkeiten fremd
gegenüberstand und schwer beurteilen konnte, inwieweit gewisse Ratschläge
tatsächlich den Interessen seines Landes entsprachen, der überdies daraus
angewiesen war, Italien, dessen Vertreter so bestimmte Wünsche äußerte, nicht
!chon gleich anfangs zu verstimmen, wurde auf diese Weise veranlaßt, Persön¬
lichkeiten, die er besser ferngehalten hätte, mit allzuviel Macht auszustatten -- und
namentlich andere, die ihm und dem Lande von Nutzen gewesen wären, auszuschalten.


Albaniens Enttäuschung und Erwartung

lichen Flüchtlinge aus Dibra und Umgebung. die, im Oktober 1913 durch die
Serben von Hof und Herd vertrieben und um jede Habe gebracht worden
waren, sodaß die Armut jener Gegend bedrohlich gestiegen war und natur¬
gemäß die politisch völlig uugeschulte, ja in öffentlichen Dingen vielfach
geradezu kindliche Bevölkerung jenen in die Hände spielen mußte, die ihrer
materiellen Not abzuhelfen versprachen.

Es darf und muß festgehalten werden, daß weder in Valona, d. h. in
der viel fortgeschritteneren Toskerie (dem Süden Albaniens) noch im Norden,
wo Skutari eine gewisse Volksbildung verbreitet hat, eine Aufstandsbewegung
wie jene, der die erste albanische Regierung zum Opfer fiel, möglich gewesen wäre.

In vieler Hinsicht lagen schon bei der Landung des Fürsten die Um¬
stände also so ungünstig wie möglich, darum gab er schon am 7. März 1914, als
das Fürstenpaar an der Seite Essads unter dem Jubel der ziemlich zahlreich
erschienenen Bevölkerung in Durazzo einzog, gar manche, die sich durch den
günstigen Eindruck des Augenblicks nicht von ihren Besorgnissen ablenken
ließen. Drei Tage, eine Woche später, waren die Besorgten bereits den Hoff¬
nungsfrohen gegenüber in der Mehrzahl.

Nicht als hätte Fürst Wilhelm in dieser kurzen Spanne Zeit bereits die
Sympathien verscherzt, welche ihm von Anfang an alle Patrioten als dem Mann
entgegenbrachten, der bestimmt war. Albanien endlich zu einer selbständigen
nationalen und politischen Existenz zu verhelfen, aber bereits bei der Bildung
des Ministeriums hatten sich Symptome all jener verhängnisvollen Umstände
gezeigt, die eine günstige Entwicklung der Dinge in Albanien schlechterdings
zur Unmöglichkeit gemacht haben. —

Baron Aliotti, der Vertreter Italiens, ging bei der Wahl der ent¬
sprechenden Persönlichkeiten mit einer Rücksichtslosigkeit und Leidenschaftlichkeit zu
Werke, als handle es sich tun die Ernennung der Beamten einer italienischen Kolonie.
Er ließ es sich mit jedem Mittel angelegen sein, die Freunde Österreichs
vou allen irgendwie einflußreichen Stellen fernzuhalten, griff zur Verleumdung
und Drohung, ja entblödete sich nicht die aufopferndste« und tüchtigsten
Männer dem Fürsten als gefährlich hinzustellen. Der österreichische Gesandte,
Herr von Löwenthal, hielt sich dagegen zurück, halb aus Neigung seiner
zögernden und mehr durchaus ehrenwerten als rasch-gewandten Natur, teils,
weil er der Ansicht war. Österreichs Schützerrollc habe mit inneralbanischen
Angelegenheiten wenig zu schaffen.

Fürst Wilhelm, der allen in Frage stehenden Persönlichkeiten fremd
gegenüberstand und schwer beurteilen konnte, inwieweit gewisse Ratschläge
tatsächlich den Interessen seines Landes entsprachen, der überdies daraus
angewiesen war, Italien, dessen Vertreter so bestimmte Wünsche äußerte, nicht
!chon gleich anfangs zu verstimmen, wurde auf diese Weise veranlaßt, Persön¬
lichkeiten, die er besser ferngehalten hätte, mit allzuviel Macht auszustatten — und
namentlich andere, die ihm und dem Lande von Nutzen gewesen wären, auszuschalten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/89>, abgerufen am 28.07.2024.