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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

lang ihm auch, am 12. Mai 1894 schon einen Vertrag zustande zu bringen, wo¬
durch ihm England das Bahr el Ghazal-Gebiet verpachtete, wohingegen der
König jenem einen Landstreifen am Tanganjikasee abtreten sollte. Gegen diesen
Vertrag protestierten Deutschland und Frankreich.

Den König bedrückten um diese Zeit neue finanzielle Schwierigkeiten; sie
führten zum belgischen Annektionsprojekt vom Dezember 1894. Leopold der
Zweite ließ es scharf bekämpfen, und es fiel. Aber seine Lage war doch un¬
gemein mißlich; große Summen schienen, da die erstrebte Erweiterung des
Kongostaates nach Norden sich nicht verwirklichen ließ, umsonst ausgegeben.

In der unangenehmen Lage, in der sich der König damals befand, hatte
er das Glück, daß sein Freund Felix Faure Präsident der französischen Republik
wurde. Zu jener Zeit gab es ferner wegen Ägypten sehr starke französisch¬
englische Verstimmungen, und der König beschloß sofort, daraus Nutzen zu
ziehen. Im März 1895 besuchte er Paris und bezauberte die Stadt durch
seine Liebenswürdigkeit; in jenen Tagen wurde im Prinzip eine belgisch¬
französische Expedition zum Nil vereinbart. Der damalige Minister der Kolonien
in Paris, Mr. Delcassö, hatte dem Lomissaire Z6n6rat Liotard bereits den
Auftrag gegeben, von den französischen Besitzungen im Sudan einen Weg zum
Nil zu eröffnen; er sollte durch eine militärische Expedition unterstützt werden,
und zu ihrem Leiter war der Oberst Marchand bestimmt. Leopold der Zweite
wollte eine große Expedition unter das Kommando des Baron Dhanis stellen,
der den Araberaufstand niedergeworfen hatte. Dhanis weilte im August 1895
in London auf dem Internationalen Geographen-Kongreß. Dort mußte er
offiziell erklären:


"Unsere Avantgarde, bestehend aus tausend regulären und gut be¬
waffneten Soldaten, versehen mit Kruppkanonen und Mitrailleusen, ist in
Lato oder muß in Kürze dort eintreffen. (In Wahrheit erschien sie dort am
18. Februar 1897.) Eine andereKolonne von fünfzehnhundert Regularen und
einer starken Reserve befindet sich gegenwärtig bei Kavali. In dem Distrikt,
der die alte arabische Zone umschließt, können wir jederzeit eine Truppe
von zwanzigtausend bis dreißigtausend Mann aufstellen, selbst mehr. Es
ist also klar, daß die Belgier eher als jede andere europäische Macht in
Afrika dem Mhadi widerstehen können."

Diese Prahlerei, die durch Reuter verbreitet wurde, war auf Frankreich
berechnet. Der "Etoile de Belge" mußte bald darauf >me Unterredung mit
dem Sekretär des Kongostaates Van Eetvelde über denselben Gegenstand
bringen, und als König Leopold sich im September 1895 in Paris befand,
um mit Ribot, Hanotaux und Lebon zu konferieren, wurde jene Unterredung
durch den "Temps" reproduziert. Zur selben Zeit unterbreitete Marchand
seinen Plan, den Ubangi- und Bali-Fluß aufwärts zu gehen und über den
Bahr el Hoar den weißen Nil bei Faschoda zu erreichen.


Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

lang ihm auch, am 12. Mai 1894 schon einen Vertrag zustande zu bringen, wo¬
durch ihm England das Bahr el Ghazal-Gebiet verpachtete, wohingegen der
König jenem einen Landstreifen am Tanganjikasee abtreten sollte. Gegen diesen
Vertrag protestierten Deutschland und Frankreich.

Den König bedrückten um diese Zeit neue finanzielle Schwierigkeiten; sie
führten zum belgischen Annektionsprojekt vom Dezember 1894. Leopold der
Zweite ließ es scharf bekämpfen, und es fiel. Aber seine Lage war doch un¬
gemein mißlich; große Summen schienen, da die erstrebte Erweiterung des
Kongostaates nach Norden sich nicht verwirklichen ließ, umsonst ausgegeben.

In der unangenehmen Lage, in der sich der König damals befand, hatte
er das Glück, daß sein Freund Felix Faure Präsident der französischen Republik
wurde. Zu jener Zeit gab es ferner wegen Ägypten sehr starke französisch¬
englische Verstimmungen, und der König beschloß sofort, daraus Nutzen zu
ziehen. Im März 1895 besuchte er Paris und bezauberte die Stadt durch
seine Liebenswürdigkeit; in jenen Tagen wurde im Prinzip eine belgisch¬
französische Expedition zum Nil vereinbart. Der damalige Minister der Kolonien
in Paris, Mr. Delcassö, hatte dem Lomissaire Z6n6rat Liotard bereits den
Auftrag gegeben, von den französischen Besitzungen im Sudan einen Weg zum
Nil zu eröffnen; er sollte durch eine militärische Expedition unterstützt werden,
und zu ihrem Leiter war der Oberst Marchand bestimmt. Leopold der Zweite
wollte eine große Expedition unter das Kommando des Baron Dhanis stellen,
der den Araberaufstand niedergeworfen hatte. Dhanis weilte im August 1895
in London auf dem Internationalen Geographen-Kongreß. Dort mußte er
offiziell erklären:


„Unsere Avantgarde, bestehend aus tausend regulären und gut be¬
waffneten Soldaten, versehen mit Kruppkanonen und Mitrailleusen, ist in
Lato oder muß in Kürze dort eintreffen. (In Wahrheit erschien sie dort am
18. Februar 1897.) Eine andereKolonne von fünfzehnhundert Regularen und
einer starken Reserve befindet sich gegenwärtig bei Kavali. In dem Distrikt,
der die alte arabische Zone umschließt, können wir jederzeit eine Truppe
von zwanzigtausend bis dreißigtausend Mann aufstellen, selbst mehr. Es
ist also klar, daß die Belgier eher als jede andere europäische Macht in
Afrika dem Mhadi widerstehen können."

Diese Prahlerei, die durch Reuter verbreitet wurde, war auf Frankreich
berechnet. Der „Etoile de Belge" mußte bald darauf >me Unterredung mit
dem Sekretär des Kongostaates Van Eetvelde über denselben Gegenstand
bringen, und als König Leopold sich im September 1895 in Paris befand,
um mit Ribot, Hanotaux und Lebon zu konferieren, wurde jene Unterredung
durch den „Temps" reproduziert. Zur selben Zeit unterbreitete Marchand
seinen Plan, den Ubangi- und Bali-Fluß aufwärts zu gehen und über den
Bahr el Hoar den weißen Nil bei Faschoda zu erreichen.


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[0411] Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas lang ihm auch, am 12. Mai 1894 schon einen Vertrag zustande zu bringen, wo¬ durch ihm England das Bahr el Ghazal-Gebiet verpachtete, wohingegen der König jenem einen Landstreifen am Tanganjikasee abtreten sollte. Gegen diesen Vertrag protestierten Deutschland und Frankreich. Den König bedrückten um diese Zeit neue finanzielle Schwierigkeiten; sie führten zum belgischen Annektionsprojekt vom Dezember 1894. Leopold der Zweite ließ es scharf bekämpfen, und es fiel. Aber seine Lage war doch un¬ gemein mißlich; große Summen schienen, da die erstrebte Erweiterung des Kongostaates nach Norden sich nicht verwirklichen ließ, umsonst ausgegeben. In der unangenehmen Lage, in der sich der König damals befand, hatte er das Glück, daß sein Freund Felix Faure Präsident der französischen Republik wurde. Zu jener Zeit gab es ferner wegen Ägypten sehr starke französisch¬ englische Verstimmungen, und der König beschloß sofort, daraus Nutzen zu ziehen. Im März 1895 besuchte er Paris und bezauberte die Stadt durch seine Liebenswürdigkeit; in jenen Tagen wurde im Prinzip eine belgisch¬ französische Expedition zum Nil vereinbart. Der damalige Minister der Kolonien in Paris, Mr. Delcassö, hatte dem Lomissaire Z6n6rat Liotard bereits den Auftrag gegeben, von den französischen Besitzungen im Sudan einen Weg zum Nil zu eröffnen; er sollte durch eine militärische Expedition unterstützt werden, und zu ihrem Leiter war der Oberst Marchand bestimmt. Leopold der Zweite wollte eine große Expedition unter das Kommando des Baron Dhanis stellen, der den Araberaufstand niedergeworfen hatte. Dhanis weilte im August 1895 in London auf dem Internationalen Geographen-Kongreß. Dort mußte er offiziell erklären: „Unsere Avantgarde, bestehend aus tausend regulären und gut be¬ waffneten Soldaten, versehen mit Kruppkanonen und Mitrailleusen, ist in Lato oder muß in Kürze dort eintreffen. (In Wahrheit erschien sie dort am 18. Februar 1897.) Eine andereKolonne von fünfzehnhundert Regularen und einer starken Reserve befindet sich gegenwärtig bei Kavali. In dem Distrikt, der die alte arabische Zone umschließt, können wir jederzeit eine Truppe von zwanzigtausend bis dreißigtausend Mann aufstellen, selbst mehr. Es ist also klar, daß die Belgier eher als jede andere europäische Macht in Afrika dem Mhadi widerstehen können." Diese Prahlerei, die durch Reuter verbreitet wurde, war auf Frankreich berechnet. Der „Etoile de Belge" mußte bald darauf >me Unterredung mit dem Sekretär des Kongostaates Van Eetvelde über denselben Gegenstand bringen, und als König Leopold sich im September 1895 in Paris befand, um mit Ribot, Hanotaux und Lebon zu konferieren, wurde jene Unterredung durch den „Temps" reproduziert. Zur selben Zeit unterbreitete Marchand seinen Plan, den Ubangi- und Bali-Fluß aufwärts zu gehen und über den Bahr el Hoar den weißen Nil bei Faschoda zu erreichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/411>, abgerufen am 28.07.2024.