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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

und Anhängern Zubars 1879 nach Westen abmarschiert. Nachdem er jahrelang
im Schart-Quellgebiet das Leben eines Sklavenjägers im Großen geführt hatte,
überrannte er 1892/93 das Sultanat Bagirmi, und er war damit eine Macht
in Zentralafrika geworden, mit der gerechnet werden mußte. Diesen Mann
wollte Leopold der Zweite für das Vorgehen gegen das Bahr el Ghazal-Gebiet
gewinnen. Aber Rades, an den Hanolet Boten mit Briefen gesandt hatte,
lehnte ab; er bereitete sich auf den Krieg gegen Bornu vor, das er 1894 eroberte.

Aber auch für sich allein stand der Belgierkönig Anfang 1894 sehr günstig
da. Vom Schari bis zum Bahr el Ghazal hatten seine Truppen den achten
Grad nördlicher Breite überschritten. Es fehlte nur die ausdrückliche Besitz¬
ergreifung dieses Gebiets, und dazu wurden alle Vorbereitungen getroffen.
In Zemio und im Lager Dongu am Actie wurden große Truppenmassen
aufgestellt. Sie sollten nach Dem Ziber und Meshra er nel im Bahr el Ghazal
marschieren und diese Provinz besetzen. Von den Mhadisten, deren Macht im
Abnehmen begriffen war, hatte Leopold der Zweite nichts zu fürchten; die
Furcht war ganz auf feiten des Khalifen, des Nachfolgers des Mhadi.

stallr Pascha schildert sehr anschaulich die Unruhe, die den Khalifa er¬
griffen hatte, als er hörte, daß christliche Männer in die Bahr el Ghazal-
Provinz eingedrungen wären, Er berichtet auf den Seiten 469--470 seines Buches
"Feuer und Schwert im Sudan":


"Der Besitzer der Bahr el Ghazal-Provinz mag also in vier bis
fünf Jahren eine relativ gut geschulte, verläßliche Macht von vielleicht zwanzig¬
tausend Mann in seiner Hand vereinigen, genügend, um Darfur und
Kordofan, ja, dem ganzen Sudan seine Herrschaft aufzuzwingen.....
Der Khalifa erkannte die Situation; er wußte sofort beim Eintreffen des
Berichts von Mahmud Achmed, daß es sich da für ihn um eine Lebens¬
frage handle und erteilte ihm den Befehl, sogleich eine genügende Macht
nach dem Sudan Darfur zu entsenden, um von dort aus die Fremden
aus dem Gebiete des Bahr el Ghazal zu vertreiben.....Eines Tages
wurde ich zum Khalifa berufen, der mir mehrere in französischer Sprache
geschriebene Papiere mit dem Befehle übergab, ihm dieselben zu über¬
setzen. Es waren darunter zwei Briefe des Leutnants de la Khötulle...."

Ferner war dem Khalifen ein Vertrag zwischen dem Sultan von Forogö
und dem Leutnant de la KlMulle als Repräsentanten des Kongostaats in die
Hände gefallen. Er war dieser Sache wegen in ziemlicher Sorge. Seine
Rüstungen hatten auf den Kongostaat keinen Einfluß; aber Frankreich und
England fielen dem König Leopold in den Arm. Jenes fürchtete eine Fest'
Setzung der Belgier im Tschad-Schari-Territorium. An der englischen Stellung
aber in Ägypten und im Sudan zeigte es als westeuropäische Macht, die den
freien Ozean vor der Türe hat, damals schon geringeres Interesse.

Leopold der Zweite war nicht gesonnen, die schon im Reifen befindlichen
großen Pläne aufzugeben; schnell entschlossen wandte er sich an England. Es ge-


Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

und Anhängern Zubars 1879 nach Westen abmarschiert. Nachdem er jahrelang
im Schart-Quellgebiet das Leben eines Sklavenjägers im Großen geführt hatte,
überrannte er 1892/93 das Sultanat Bagirmi, und er war damit eine Macht
in Zentralafrika geworden, mit der gerechnet werden mußte. Diesen Mann
wollte Leopold der Zweite für das Vorgehen gegen das Bahr el Ghazal-Gebiet
gewinnen. Aber Rades, an den Hanolet Boten mit Briefen gesandt hatte,
lehnte ab; er bereitete sich auf den Krieg gegen Bornu vor, das er 1894 eroberte.

Aber auch für sich allein stand der Belgierkönig Anfang 1894 sehr günstig
da. Vom Schari bis zum Bahr el Ghazal hatten seine Truppen den achten
Grad nördlicher Breite überschritten. Es fehlte nur die ausdrückliche Besitz¬
ergreifung dieses Gebiets, und dazu wurden alle Vorbereitungen getroffen.
In Zemio und im Lager Dongu am Actie wurden große Truppenmassen
aufgestellt. Sie sollten nach Dem Ziber und Meshra er nel im Bahr el Ghazal
marschieren und diese Provinz besetzen. Von den Mhadisten, deren Macht im
Abnehmen begriffen war, hatte Leopold der Zweite nichts zu fürchten; die
Furcht war ganz auf feiten des Khalifen, des Nachfolgers des Mhadi.

stallr Pascha schildert sehr anschaulich die Unruhe, die den Khalifa er¬
griffen hatte, als er hörte, daß christliche Männer in die Bahr el Ghazal-
Provinz eingedrungen wären, Er berichtet auf den Seiten 469—470 seines Buches
„Feuer und Schwert im Sudan":


„Der Besitzer der Bahr el Ghazal-Provinz mag also in vier bis
fünf Jahren eine relativ gut geschulte, verläßliche Macht von vielleicht zwanzig¬
tausend Mann in seiner Hand vereinigen, genügend, um Darfur und
Kordofan, ja, dem ganzen Sudan seine Herrschaft aufzuzwingen.....
Der Khalifa erkannte die Situation; er wußte sofort beim Eintreffen des
Berichts von Mahmud Achmed, daß es sich da für ihn um eine Lebens¬
frage handle und erteilte ihm den Befehl, sogleich eine genügende Macht
nach dem Sudan Darfur zu entsenden, um von dort aus die Fremden
aus dem Gebiete des Bahr el Ghazal zu vertreiben.....Eines Tages
wurde ich zum Khalifa berufen, der mir mehrere in französischer Sprache
geschriebene Papiere mit dem Befehle übergab, ihm dieselben zu über¬
setzen. Es waren darunter zwei Briefe des Leutnants de la Khötulle...."

Ferner war dem Khalifen ein Vertrag zwischen dem Sultan von Forogö
und dem Leutnant de la KlMulle als Repräsentanten des Kongostaats in die
Hände gefallen. Er war dieser Sache wegen in ziemlicher Sorge. Seine
Rüstungen hatten auf den Kongostaat keinen Einfluß; aber Frankreich und
England fielen dem König Leopold in den Arm. Jenes fürchtete eine Fest'
Setzung der Belgier im Tschad-Schari-Territorium. An der englischen Stellung
aber in Ägypten und im Sudan zeigte es als westeuropäische Macht, die den
freien Ozean vor der Türe hat, damals schon geringeres Interesse.

Leopold der Zweite war nicht gesonnen, die schon im Reifen befindlichen
großen Pläne aufzugeben; schnell entschlossen wandte er sich an England. Es ge-


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[0410] Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas und Anhängern Zubars 1879 nach Westen abmarschiert. Nachdem er jahrelang im Schart-Quellgebiet das Leben eines Sklavenjägers im Großen geführt hatte, überrannte er 1892/93 das Sultanat Bagirmi, und er war damit eine Macht in Zentralafrika geworden, mit der gerechnet werden mußte. Diesen Mann wollte Leopold der Zweite für das Vorgehen gegen das Bahr el Ghazal-Gebiet gewinnen. Aber Rades, an den Hanolet Boten mit Briefen gesandt hatte, lehnte ab; er bereitete sich auf den Krieg gegen Bornu vor, das er 1894 eroberte. Aber auch für sich allein stand der Belgierkönig Anfang 1894 sehr günstig da. Vom Schari bis zum Bahr el Ghazal hatten seine Truppen den achten Grad nördlicher Breite überschritten. Es fehlte nur die ausdrückliche Besitz¬ ergreifung dieses Gebiets, und dazu wurden alle Vorbereitungen getroffen. In Zemio und im Lager Dongu am Actie wurden große Truppenmassen aufgestellt. Sie sollten nach Dem Ziber und Meshra er nel im Bahr el Ghazal marschieren und diese Provinz besetzen. Von den Mhadisten, deren Macht im Abnehmen begriffen war, hatte Leopold der Zweite nichts zu fürchten; die Furcht war ganz auf feiten des Khalifen, des Nachfolgers des Mhadi. stallr Pascha schildert sehr anschaulich die Unruhe, die den Khalifa er¬ griffen hatte, als er hörte, daß christliche Männer in die Bahr el Ghazal- Provinz eingedrungen wären, Er berichtet auf den Seiten 469—470 seines Buches „Feuer und Schwert im Sudan": „Der Besitzer der Bahr el Ghazal-Provinz mag also in vier bis fünf Jahren eine relativ gut geschulte, verläßliche Macht von vielleicht zwanzig¬ tausend Mann in seiner Hand vereinigen, genügend, um Darfur und Kordofan, ja, dem ganzen Sudan seine Herrschaft aufzuzwingen..... Der Khalifa erkannte die Situation; er wußte sofort beim Eintreffen des Berichts von Mahmud Achmed, daß es sich da für ihn um eine Lebens¬ frage handle und erteilte ihm den Befehl, sogleich eine genügende Macht nach dem Sudan Darfur zu entsenden, um von dort aus die Fremden aus dem Gebiete des Bahr el Ghazal zu vertreiben.....Eines Tages wurde ich zum Khalifa berufen, der mir mehrere in französischer Sprache geschriebene Papiere mit dem Befehle übergab, ihm dieselben zu über¬ setzen. Es waren darunter zwei Briefe des Leutnants de la Khötulle...." Ferner war dem Khalifen ein Vertrag zwischen dem Sultan von Forogö und dem Leutnant de la KlMulle als Repräsentanten des Kongostaats in die Hände gefallen. Er war dieser Sache wegen in ziemlicher Sorge. Seine Rüstungen hatten auf den Kongostaat keinen Einfluß; aber Frankreich und England fielen dem König Leopold in den Arm. Jenes fürchtete eine Fest' Setzung der Belgier im Tschad-Schari-Territorium. An der englischen Stellung aber in Ägypten und im Sudan zeigte es als westeuropäische Macht, die den freien Ozean vor der Türe hat, damals schon geringeres Interesse. Leopold der Zweite war nicht gesonnen, die schon im Reifen befindlichen großen Pläne aufzugeben; schnell entschlossen wandte er sich an England. Es ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/410>, abgerufen am 22.12.2024.