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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

Bald war König Leopold mit Paris einig. In Aachen gab er dem
Baron Wahis die letzten Instruktionen; dieser schiffte sich am 6. Oktober nach
dem Kongo ein. Baron Dhanis folgte am 6. November. Das Personal der
französischen Expedition Marchand reiste im Frühjahr 1896 ab. Marchand
selber am 25. Juni. Am 23. Juli 1896 begann er seinen Marsch zum Stanley
Pook von Loanga aus. Er hatte schwere Kämpfe zu bestehen, verbrannte dreißig
Dörfer und war sieben Monate unterwegs. Erst Anfang 1897 war er in
Brazzaville. Dann folgten Schwierigkeiten mit der Einschiffung seiner Ex¬
pedition; erst als der Kongostaat seinen Dampfer "Ville de Bruges" leihweise
zur Verfügung stellte, ging der Abtransport nach Bangui an den Ubangi-Fällen
glatt von statten.

Unterdessen hatte Baron Dhanis auf der Station bei den Stanley-Fällen
tausend Soldaten und zweitausend Hilfskrieger rekrutiert; sie brachen im September
und Oktober 1896 auf. Die Avantgarde unter Kapitän Leroi sollte über
Akubi, Kavali am Albertsee und Kilo nach Redjaf marschieren. Dahin richtete
sich auch eine siebenhundert Mann starke Kolonne unter Leutnant Chaillu, die von
Dongu am Actie ausging. Diejenige von den beiden Kolonnen, die zuerst vor
Redjaf ankam, sollte die Mhadisten hinauswerfen, den Platz befestigen und den
Befehl über die Enclave Lato übernehmen, während die andere das Gros
unter den: Baron Dhanis abwarten und mit ihm zusammen schnell nach
Norden ziehen sollte. Die Kolonne Chaillu kam auch am 18. Februar 1897 in
Nedjaf an und fetzte sich dort fest; wie es aber den übrigen Truppen erging,
werden wir gleich sehen.

Außer den Expeditionen Dhanis und Marchand sollte noch eine dritte von
Abessynien ausgehen. Frankreich hatte Lagarde nach Abif-Abeba entsandt, der
versuchen sollte, die Erlaubnis zum Durchzuge durch Abessynien für eine Ex¬
pedition unter Kapitän Clochette zu erlangen. Sie sollte durch eine zweite
Expedition unterstützt werden, an deren Spitze Bonchamps stand, ein altes
Mitglied einer belgischen Katanga" Expedition. Lagarde konnte am 20. März
1397 einen Allianzvertrag mit Menelik von Abessynien schließen, laut welchem
der Kaiser die Grenzen seines Reiches bis zum weißen Nil und zum Albertsee
ausdehnen sollte. Um jene Zeit dachte Leopold der Zweite daran, eine kongo¬
lesische Gesandtschaft nach Abefsynien zu schicken, an deren Spitze ein Priester
stehen sollte, der Bekehrer Meneliks. Er wollte sich durch Frankreich bei
Menelik nicht den Rang ablaufen lassen.

Nichts verlautete von allen diesen Dingen in Europa; in Frankreich und
Belgien herrschte tiefes Schweigen. Nur der Artikel im "Belgique coloniale"
vom 4. März 1897 gab von der fieberhaften Spannung der Wissenden Kunde;
es ist der schon erwähnte Aufsatz.

In Abefsynien war am 20. März 1897 der Abschluß des Allianzvertrages
gelungen; die Expeditionen Clochette und Bonchamps marschierten ab. Unter
unsäglichen Schwierigkeiten schleppten sie sich durch das abessynische Bergland;


Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

Bald war König Leopold mit Paris einig. In Aachen gab er dem
Baron Wahis die letzten Instruktionen; dieser schiffte sich am 6. Oktober nach
dem Kongo ein. Baron Dhanis folgte am 6. November. Das Personal der
französischen Expedition Marchand reiste im Frühjahr 1896 ab. Marchand
selber am 25. Juni. Am 23. Juli 1896 begann er seinen Marsch zum Stanley
Pook von Loanga aus. Er hatte schwere Kämpfe zu bestehen, verbrannte dreißig
Dörfer und war sieben Monate unterwegs. Erst Anfang 1897 war er in
Brazzaville. Dann folgten Schwierigkeiten mit der Einschiffung seiner Ex¬
pedition; erst als der Kongostaat seinen Dampfer „Ville de Bruges" leihweise
zur Verfügung stellte, ging der Abtransport nach Bangui an den Ubangi-Fällen
glatt von statten.

Unterdessen hatte Baron Dhanis auf der Station bei den Stanley-Fällen
tausend Soldaten und zweitausend Hilfskrieger rekrutiert; sie brachen im September
und Oktober 1896 auf. Die Avantgarde unter Kapitän Leroi sollte über
Akubi, Kavali am Albertsee und Kilo nach Redjaf marschieren. Dahin richtete
sich auch eine siebenhundert Mann starke Kolonne unter Leutnant Chaillu, die von
Dongu am Actie ausging. Diejenige von den beiden Kolonnen, die zuerst vor
Redjaf ankam, sollte die Mhadisten hinauswerfen, den Platz befestigen und den
Befehl über die Enclave Lato übernehmen, während die andere das Gros
unter den: Baron Dhanis abwarten und mit ihm zusammen schnell nach
Norden ziehen sollte. Die Kolonne Chaillu kam auch am 18. Februar 1897 in
Nedjaf an und fetzte sich dort fest; wie es aber den übrigen Truppen erging,
werden wir gleich sehen.

Außer den Expeditionen Dhanis und Marchand sollte noch eine dritte von
Abessynien ausgehen. Frankreich hatte Lagarde nach Abif-Abeba entsandt, der
versuchen sollte, die Erlaubnis zum Durchzuge durch Abessynien für eine Ex¬
pedition unter Kapitän Clochette zu erlangen. Sie sollte durch eine zweite
Expedition unterstützt werden, an deren Spitze Bonchamps stand, ein altes
Mitglied einer belgischen Katanga» Expedition. Lagarde konnte am 20. März
1397 einen Allianzvertrag mit Menelik von Abessynien schließen, laut welchem
der Kaiser die Grenzen seines Reiches bis zum weißen Nil und zum Albertsee
ausdehnen sollte. Um jene Zeit dachte Leopold der Zweite daran, eine kongo¬
lesische Gesandtschaft nach Abefsynien zu schicken, an deren Spitze ein Priester
stehen sollte, der Bekehrer Meneliks. Er wollte sich durch Frankreich bei
Menelik nicht den Rang ablaufen lassen.

Nichts verlautete von allen diesen Dingen in Europa; in Frankreich und
Belgien herrschte tiefes Schweigen. Nur der Artikel im „Belgique coloniale"
vom 4. März 1897 gab von der fieberhaften Spannung der Wissenden Kunde;
es ist der schon erwähnte Aufsatz.

In Abefsynien war am 20. März 1897 der Abschluß des Allianzvertrages
gelungen; die Expeditionen Clochette und Bonchamps marschierten ab. Unter
unsäglichen Schwierigkeiten schleppten sie sich durch das abessynische Bergland;


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[0412] Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas Bald war König Leopold mit Paris einig. In Aachen gab er dem Baron Wahis die letzten Instruktionen; dieser schiffte sich am 6. Oktober nach dem Kongo ein. Baron Dhanis folgte am 6. November. Das Personal der französischen Expedition Marchand reiste im Frühjahr 1896 ab. Marchand selber am 25. Juni. Am 23. Juli 1896 begann er seinen Marsch zum Stanley Pook von Loanga aus. Er hatte schwere Kämpfe zu bestehen, verbrannte dreißig Dörfer und war sieben Monate unterwegs. Erst Anfang 1897 war er in Brazzaville. Dann folgten Schwierigkeiten mit der Einschiffung seiner Ex¬ pedition; erst als der Kongostaat seinen Dampfer „Ville de Bruges" leihweise zur Verfügung stellte, ging der Abtransport nach Bangui an den Ubangi-Fällen glatt von statten. Unterdessen hatte Baron Dhanis auf der Station bei den Stanley-Fällen tausend Soldaten und zweitausend Hilfskrieger rekrutiert; sie brachen im September und Oktober 1896 auf. Die Avantgarde unter Kapitän Leroi sollte über Akubi, Kavali am Albertsee und Kilo nach Redjaf marschieren. Dahin richtete sich auch eine siebenhundert Mann starke Kolonne unter Leutnant Chaillu, die von Dongu am Actie ausging. Diejenige von den beiden Kolonnen, die zuerst vor Redjaf ankam, sollte die Mhadisten hinauswerfen, den Platz befestigen und den Befehl über die Enclave Lato übernehmen, während die andere das Gros unter den: Baron Dhanis abwarten und mit ihm zusammen schnell nach Norden ziehen sollte. Die Kolonne Chaillu kam auch am 18. Februar 1897 in Nedjaf an und fetzte sich dort fest; wie es aber den übrigen Truppen erging, werden wir gleich sehen. Außer den Expeditionen Dhanis und Marchand sollte noch eine dritte von Abessynien ausgehen. Frankreich hatte Lagarde nach Abif-Abeba entsandt, der versuchen sollte, die Erlaubnis zum Durchzuge durch Abessynien für eine Ex¬ pedition unter Kapitän Clochette zu erlangen. Sie sollte durch eine zweite Expedition unterstützt werden, an deren Spitze Bonchamps stand, ein altes Mitglied einer belgischen Katanga» Expedition. Lagarde konnte am 20. März 1397 einen Allianzvertrag mit Menelik von Abessynien schließen, laut welchem der Kaiser die Grenzen seines Reiches bis zum weißen Nil und zum Albertsee ausdehnen sollte. Um jene Zeit dachte Leopold der Zweite daran, eine kongo¬ lesische Gesandtschaft nach Abefsynien zu schicken, an deren Spitze ein Priester stehen sollte, der Bekehrer Meneliks. Er wollte sich durch Frankreich bei Menelik nicht den Rang ablaufen lassen. Nichts verlautete von allen diesen Dingen in Europa; in Frankreich und Belgien herrschte tiefes Schweigen. Nur der Artikel im „Belgique coloniale" vom 4. März 1897 gab von der fieberhaften Spannung der Wissenden Kunde; es ist der schon erwähnte Aufsatz. In Abefsynien war am 20. März 1897 der Abschluß des Allianzvertrages gelungen; die Expeditionen Clochette und Bonchamps marschierten ab. Unter unsäglichen Schwierigkeiten schleppten sie sich durch das abessynische Bergland;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/412>, abgerufen am 28.07.2024.