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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

Wendung der Dinge aus. Generalgouvemeur Camille Janssen nahm seinen
Abschied. Die General-Administratoren Strauch und Van Neuß verließen den
Staatsdienst. Der König ließ sie gehen, ignorierte die Proteste der Öffentlichkeit
in Belgien und im Auslande und beharrte bei seinen Entschlüssen.

Im Juni 1891 hatte Leopold der Zweite verschiedene Kontingente im
Actie-Gebiet zum Vormarsch gegen den Sudan konzentriert. Es gelang, die
Actie-Sultane zu bewegen, den Zug mit viertausend bis fünftausend Kriegern
und tausend Gewehren bis zum Nil zu begleiten. Unter furchtbaren Verwüstungen
und Plünderungen drang die Expedition Vankerckhoven vorwärts. Unmengen von
Elfenbein wurden erbeutet und nach Bunda am Kongo gebracht, das nun mit
einem Schlage ein wichtiger Elfenbeinplatz wurde. Vankerckhoven starb am
29. September 1892; sein Nachfolger, der Leutnant Milz, erreichte am
9. Oktober 1892 den Nil bei Born.*) Die alten Offiziere Emin Paschas
traten da in seine Dienste. Da Leopold der Zweite am 24. Mai 1890 mit
der englischen Uganda-Kompagnie einen Vertrag geschlossen hatte, wonach der
Nil die Grenze der beiderseitigen Einflußgebiete bilden sollte, stand dem
belgischen Vordringen nach Norden nichts weiter entgegen.

England machte aber doch Schwierigkeiten, und deshalb wandte sich
Leopold der Zweite 1892 an Frankreich, mit dem er das Nilbassin teilen
wollte. Dieser Vorgang wurde 7. Juni 1894 von Hanotaux in der französischen
Kammer enthüllt.

Am Nil waren 1893 Rückschritte gekommen. Kapitän Delanghe hatte
den Fluß verlassen müssen, weil die alten Offiziere Emin Paschas mit ihren
Leuten zu den Mhadisten übergegangen waren. Bald aber wurden sie wieder
geschlagen, und 1894 sandte Kapitän Francqui Expeditionen bis ins Herz des
Bahr el Ghazal-Gebiets vor. Colmar gelangte bis Dem Ziber, der verwüsteten
Residenz Lupton Beys.

Schon vorher, im Juni 1893, waren vom Ubangi aus die Leutnants
Unis und de la Khötulle bis ins Ouellgebiet des Bahr el Arad vorgestoßen.
Sie hatten dort nördlich des achten Breitengrades den Posten Katuaka gegründet
und mit dem Sultan Hussein von Dar Minga einen Vertrag geschlossen, laut
welchem er dem Beherrscher des Kongostaates die Ausbeutung der alten
Kupfergruben von Hofrat en Nehas einräumte.

Gleichfalls vom Ubangi aus war Kommandant Hanolet nach Norden
vorgestoßen. Er drang bis Mbele in Dar Banda vor, auf dem achten
Breitengrade gelegen, und er hatte den Auftrag, mit dem Sultan Rades einen
Bündnisvertrag abzuschließen. Rades, der frühere Knecht und Soldat, dann
Offizier Zubar Paschas, des großen Sklavenhändlers und späteren Gouverneurs
des Bahr el Ghazal, hatte sich nach dem Sturz Zubars der ägyptischen
Regierung nicht unterworfen, sondern war mit einigen Tausend alten Soldaten



*) Siehe A. I. Wauters "Nistoire politiyue an conxo beleb".
Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas

Wendung der Dinge aus. Generalgouvemeur Camille Janssen nahm seinen
Abschied. Die General-Administratoren Strauch und Van Neuß verließen den
Staatsdienst. Der König ließ sie gehen, ignorierte die Proteste der Öffentlichkeit
in Belgien und im Auslande und beharrte bei seinen Entschlüssen.

Im Juni 1891 hatte Leopold der Zweite verschiedene Kontingente im
Actie-Gebiet zum Vormarsch gegen den Sudan konzentriert. Es gelang, die
Actie-Sultane zu bewegen, den Zug mit viertausend bis fünftausend Kriegern
und tausend Gewehren bis zum Nil zu begleiten. Unter furchtbaren Verwüstungen
und Plünderungen drang die Expedition Vankerckhoven vorwärts. Unmengen von
Elfenbein wurden erbeutet und nach Bunda am Kongo gebracht, das nun mit
einem Schlage ein wichtiger Elfenbeinplatz wurde. Vankerckhoven starb am
29. September 1892; sein Nachfolger, der Leutnant Milz, erreichte am
9. Oktober 1892 den Nil bei Born.*) Die alten Offiziere Emin Paschas
traten da in seine Dienste. Da Leopold der Zweite am 24. Mai 1890 mit
der englischen Uganda-Kompagnie einen Vertrag geschlossen hatte, wonach der
Nil die Grenze der beiderseitigen Einflußgebiete bilden sollte, stand dem
belgischen Vordringen nach Norden nichts weiter entgegen.

England machte aber doch Schwierigkeiten, und deshalb wandte sich
Leopold der Zweite 1892 an Frankreich, mit dem er das Nilbassin teilen
wollte. Dieser Vorgang wurde 7. Juni 1894 von Hanotaux in der französischen
Kammer enthüllt.

Am Nil waren 1893 Rückschritte gekommen. Kapitän Delanghe hatte
den Fluß verlassen müssen, weil die alten Offiziere Emin Paschas mit ihren
Leuten zu den Mhadisten übergegangen waren. Bald aber wurden sie wieder
geschlagen, und 1894 sandte Kapitän Francqui Expeditionen bis ins Herz des
Bahr el Ghazal-Gebiets vor. Colmar gelangte bis Dem Ziber, der verwüsteten
Residenz Lupton Beys.

Schon vorher, im Juni 1893, waren vom Ubangi aus die Leutnants
Unis und de la Khötulle bis ins Ouellgebiet des Bahr el Arad vorgestoßen.
Sie hatten dort nördlich des achten Breitengrades den Posten Katuaka gegründet
und mit dem Sultan Hussein von Dar Minga einen Vertrag geschlossen, laut
welchem er dem Beherrscher des Kongostaates die Ausbeutung der alten
Kupfergruben von Hofrat en Nehas einräumte.

Gleichfalls vom Ubangi aus war Kommandant Hanolet nach Norden
vorgestoßen. Er drang bis Mbele in Dar Banda vor, auf dem achten
Breitengrade gelegen, und er hatte den Auftrag, mit dem Sultan Rades einen
Bündnisvertrag abzuschließen. Rades, der frühere Knecht und Soldat, dann
Offizier Zubar Paschas, des großen Sklavenhändlers und späteren Gouverneurs
des Bahr el Ghazal, hatte sich nach dem Sturz Zubars der ägyptischen
Regierung nicht unterworfen, sondern war mit einigen Tausend alten Soldaten



*) Siehe A. I. Wauters „Nistoire politiyue an conxo beleb".
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[0409] Leopold der Zweite als erster Vorkämpfer Mitteleuropas Wendung der Dinge aus. Generalgouvemeur Camille Janssen nahm seinen Abschied. Die General-Administratoren Strauch und Van Neuß verließen den Staatsdienst. Der König ließ sie gehen, ignorierte die Proteste der Öffentlichkeit in Belgien und im Auslande und beharrte bei seinen Entschlüssen. Im Juni 1891 hatte Leopold der Zweite verschiedene Kontingente im Actie-Gebiet zum Vormarsch gegen den Sudan konzentriert. Es gelang, die Actie-Sultane zu bewegen, den Zug mit viertausend bis fünftausend Kriegern und tausend Gewehren bis zum Nil zu begleiten. Unter furchtbaren Verwüstungen und Plünderungen drang die Expedition Vankerckhoven vorwärts. Unmengen von Elfenbein wurden erbeutet und nach Bunda am Kongo gebracht, das nun mit einem Schlage ein wichtiger Elfenbeinplatz wurde. Vankerckhoven starb am 29. September 1892; sein Nachfolger, der Leutnant Milz, erreichte am 9. Oktober 1892 den Nil bei Born.*) Die alten Offiziere Emin Paschas traten da in seine Dienste. Da Leopold der Zweite am 24. Mai 1890 mit der englischen Uganda-Kompagnie einen Vertrag geschlossen hatte, wonach der Nil die Grenze der beiderseitigen Einflußgebiete bilden sollte, stand dem belgischen Vordringen nach Norden nichts weiter entgegen. England machte aber doch Schwierigkeiten, und deshalb wandte sich Leopold der Zweite 1892 an Frankreich, mit dem er das Nilbassin teilen wollte. Dieser Vorgang wurde 7. Juni 1894 von Hanotaux in der französischen Kammer enthüllt. Am Nil waren 1893 Rückschritte gekommen. Kapitän Delanghe hatte den Fluß verlassen müssen, weil die alten Offiziere Emin Paschas mit ihren Leuten zu den Mhadisten übergegangen waren. Bald aber wurden sie wieder geschlagen, und 1894 sandte Kapitän Francqui Expeditionen bis ins Herz des Bahr el Ghazal-Gebiets vor. Colmar gelangte bis Dem Ziber, der verwüsteten Residenz Lupton Beys. Schon vorher, im Juni 1893, waren vom Ubangi aus die Leutnants Unis und de la Khötulle bis ins Ouellgebiet des Bahr el Arad vorgestoßen. Sie hatten dort nördlich des achten Breitengrades den Posten Katuaka gegründet und mit dem Sultan Hussein von Dar Minga einen Vertrag geschlossen, laut welchem er dem Beherrscher des Kongostaates die Ausbeutung der alten Kupfergruben von Hofrat en Nehas einräumte. Gleichfalls vom Ubangi aus war Kommandant Hanolet nach Norden vorgestoßen. Er drang bis Mbele in Dar Banda vor, auf dem achten Breitengrade gelegen, und er hatte den Auftrag, mit dem Sultan Rades einen Bündnisvertrag abzuschließen. Rades, der frühere Knecht und Soldat, dann Offizier Zubar Paschas, des großen Sklavenhändlers und späteren Gouverneurs des Bahr el Ghazal, hatte sich nach dem Sturz Zubars der ägyptischen Regierung nicht unterworfen, sondern war mit einigen Tausend alten Soldaten *) Siehe A. I. Wauters „Nistoire politiyue an conxo beleb".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/409>, abgerufen am 28.07.2024.