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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Zur Seeschlacht am Skagerrak

an Rohstoffen überwunden und die Absperrungsabsichten zunichte gemacht, und
die deutsche Verzweiflung, die die deutschen Schiffe ins englische Netz bringen
sollte, trat nicht ein. Dagegen machte sich auf feiten der Gegner Erschöpfung
bemerkbar, und die gewollte Offensive wurde auf russischer Seite zur Unmöglichkeit,
während sie auf französischer, wo sie in Zusammenfassung aller Energie wohl
noch hätte erfolgen können, durch die deutsche Offensive gegen Verdun ver¬
eitelt wurde.

In diese Periode fällt nun das Vorgehen der englischen Flotte gegen die
deutsche. Die Spinne verläßt ihr Netz und geht selbst auf Beute aus. Und
darin liegt die symptomatische Bedeutung dieses Ereignisses.

Wer jemals sich mit englischer Politik beschäftigt hat, wer jemals die
Durchführung der englischen Pläne etwas genauer studiert hat, der kennt die
Beharrlichkeit, mit welcher England seine einmal gefaßten Ziele bisher stets
festgehalten und allen Hindernissen zum Trotz in die Wirklichkeit umzusetzen
gewußt hat. Hier stehen wir nun bei dem Angriff der englischen Flotte einem
Aufgeben der durch lange Jahre hindurch festgelegten Flottenverwendungspläne
gegenüber. Wir müssen zugleich zugeben, daß der englische Plan wohlüberlegt
und wohlgeeignet war, mit kleinsten Mitteln das größte Ziel zu erreichen. Ein
solches Handeln kann in England nicht durch "andere Ansichten" hervorgerufen
sein, es muß erzwungen sein. In englischer Außenpolitik hat es noch nie ver¬
schiedene Ansichten gegeben -- die Parteien lösten sich ab im Kabinett, aber
die Politik des Kabinetts blieb in den äußeren Fragen dieselbe, wenigstens in
den großen Zügen. Es gibt schlechterdings nichts konservativeres auf der Welt
als die Politik des Kabinetts oder der Kabinette von Se. James. Wenn nun
ier eine Ausnahme in einer derart wichtigen Entscheidung getroffen wird, so
muß sie erzwungen sein.

Sehen wir uns also um bei unseren Gegnern, wodurch dieses Handeln
Englands erzwungen werden konnte. Die russische Armee hat nach dem Aus¬
spruch Hindenburgs keine entscheidende Offensivkraft mehr. Mit dem Material
muß es schlecht stehen, sonst würde nicht das überlastete Frankreich jetzt An¬
strengungen machen, seiner eigenen Armee Kräfte zu entziehen zur Förderung
russischer Materiallieferung. Die Verpflegungsfrage im Reich des Zaren scheint
allen Nachrichten nach einfach desorganisiert zu sein -- es gibt nicht Ein¬
schränkung, auch wohl einmal vorübergehenden Mangel an einzelnen Stoffen,
wie bei uns, sondern es gibt ganz einfach Hunger in großen Distrikten. Es fehlt
an Offizieren trotz der Beförderung aller möglicher Arten von "Intellektuellen",
die damit und mit der Beförderung noch lange keine brauchbaren Offiziere
darstellen, und mit dem Offiztermangel verbunden ist die Unmöglichkeit, die
sicher noch vorhandenen Menschenreserven zu brauchbaren Soldaten heran¬
zubilden. Alle diese Mängel können nur durch eingehendste Organisation
behoben werden, und auch dann nur in langer Zeit. Zunächst ist von Ru߬
land nicht viel zu erwarten.


Zur Seeschlacht am Skagerrak

an Rohstoffen überwunden und die Absperrungsabsichten zunichte gemacht, und
die deutsche Verzweiflung, die die deutschen Schiffe ins englische Netz bringen
sollte, trat nicht ein. Dagegen machte sich auf feiten der Gegner Erschöpfung
bemerkbar, und die gewollte Offensive wurde auf russischer Seite zur Unmöglichkeit,
während sie auf französischer, wo sie in Zusammenfassung aller Energie wohl
noch hätte erfolgen können, durch die deutsche Offensive gegen Verdun ver¬
eitelt wurde.

In diese Periode fällt nun das Vorgehen der englischen Flotte gegen die
deutsche. Die Spinne verläßt ihr Netz und geht selbst auf Beute aus. Und
darin liegt die symptomatische Bedeutung dieses Ereignisses.

Wer jemals sich mit englischer Politik beschäftigt hat, wer jemals die
Durchführung der englischen Pläne etwas genauer studiert hat, der kennt die
Beharrlichkeit, mit welcher England seine einmal gefaßten Ziele bisher stets
festgehalten und allen Hindernissen zum Trotz in die Wirklichkeit umzusetzen
gewußt hat. Hier stehen wir nun bei dem Angriff der englischen Flotte einem
Aufgeben der durch lange Jahre hindurch festgelegten Flottenverwendungspläne
gegenüber. Wir müssen zugleich zugeben, daß der englische Plan wohlüberlegt
und wohlgeeignet war, mit kleinsten Mitteln das größte Ziel zu erreichen. Ein
solches Handeln kann in England nicht durch „andere Ansichten" hervorgerufen
sein, es muß erzwungen sein. In englischer Außenpolitik hat es noch nie ver¬
schiedene Ansichten gegeben — die Parteien lösten sich ab im Kabinett, aber
die Politik des Kabinetts blieb in den äußeren Fragen dieselbe, wenigstens in
den großen Zügen. Es gibt schlechterdings nichts konservativeres auf der Welt
als die Politik des Kabinetts oder der Kabinette von Se. James. Wenn nun
ier eine Ausnahme in einer derart wichtigen Entscheidung getroffen wird, so
muß sie erzwungen sein.

Sehen wir uns also um bei unseren Gegnern, wodurch dieses Handeln
Englands erzwungen werden konnte. Die russische Armee hat nach dem Aus¬
spruch Hindenburgs keine entscheidende Offensivkraft mehr. Mit dem Material
muß es schlecht stehen, sonst würde nicht das überlastete Frankreich jetzt An¬
strengungen machen, seiner eigenen Armee Kräfte zu entziehen zur Förderung
russischer Materiallieferung. Die Verpflegungsfrage im Reich des Zaren scheint
allen Nachrichten nach einfach desorganisiert zu sein — es gibt nicht Ein¬
schränkung, auch wohl einmal vorübergehenden Mangel an einzelnen Stoffen,
wie bei uns, sondern es gibt ganz einfach Hunger in großen Distrikten. Es fehlt
an Offizieren trotz der Beförderung aller möglicher Arten von „Intellektuellen",
die damit und mit der Beförderung noch lange keine brauchbaren Offiziere
darstellen, und mit dem Offiztermangel verbunden ist die Unmöglichkeit, die
sicher noch vorhandenen Menschenreserven zu brauchbaren Soldaten heran¬
zubilden. Alle diese Mängel können nur durch eingehendste Organisation
behoben werden, und auch dann nur in langer Zeit. Zunächst ist von Ru߬
land nicht viel zu erwarten.


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[0357] Zur Seeschlacht am Skagerrak an Rohstoffen überwunden und die Absperrungsabsichten zunichte gemacht, und die deutsche Verzweiflung, die die deutschen Schiffe ins englische Netz bringen sollte, trat nicht ein. Dagegen machte sich auf feiten der Gegner Erschöpfung bemerkbar, und die gewollte Offensive wurde auf russischer Seite zur Unmöglichkeit, während sie auf französischer, wo sie in Zusammenfassung aller Energie wohl noch hätte erfolgen können, durch die deutsche Offensive gegen Verdun ver¬ eitelt wurde. In diese Periode fällt nun das Vorgehen der englischen Flotte gegen die deutsche. Die Spinne verläßt ihr Netz und geht selbst auf Beute aus. Und darin liegt die symptomatische Bedeutung dieses Ereignisses. Wer jemals sich mit englischer Politik beschäftigt hat, wer jemals die Durchführung der englischen Pläne etwas genauer studiert hat, der kennt die Beharrlichkeit, mit welcher England seine einmal gefaßten Ziele bisher stets festgehalten und allen Hindernissen zum Trotz in die Wirklichkeit umzusetzen gewußt hat. Hier stehen wir nun bei dem Angriff der englischen Flotte einem Aufgeben der durch lange Jahre hindurch festgelegten Flottenverwendungspläne gegenüber. Wir müssen zugleich zugeben, daß der englische Plan wohlüberlegt und wohlgeeignet war, mit kleinsten Mitteln das größte Ziel zu erreichen. Ein solches Handeln kann in England nicht durch „andere Ansichten" hervorgerufen sein, es muß erzwungen sein. In englischer Außenpolitik hat es noch nie ver¬ schiedene Ansichten gegeben — die Parteien lösten sich ab im Kabinett, aber die Politik des Kabinetts blieb in den äußeren Fragen dieselbe, wenigstens in den großen Zügen. Es gibt schlechterdings nichts konservativeres auf der Welt als die Politik des Kabinetts oder der Kabinette von Se. James. Wenn nun ier eine Ausnahme in einer derart wichtigen Entscheidung getroffen wird, so muß sie erzwungen sein. Sehen wir uns also um bei unseren Gegnern, wodurch dieses Handeln Englands erzwungen werden konnte. Die russische Armee hat nach dem Aus¬ spruch Hindenburgs keine entscheidende Offensivkraft mehr. Mit dem Material muß es schlecht stehen, sonst würde nicht das überlastete Frankreich jetzt An¬ strengungen machen, seiner eigenen Armee Kräfte zu entziehen zur Förderung russischer Materiallieferung. Die Verpflegungsfrage im Reich des Zaren scheint allen Nachrichten nach einfach desorganisiert zu sein — es gibt nicht Ein¬ schränkung, auch wohl einmal vorübergehenden Mangel an einzelnen Stoffen, wie bei uns, sondern es gibt ganz einfach Hunger in großen Distrikten. Es fehlt an Offizieren trotz der Beförderung aller möglicher Arten von „Intellektuellen", die damit und mit der Beförderung noch lange keine brauchbaren Offiziere darstellen, und mit dem Offiztermangel verbunden ist die Unmöglichkeit, die sicher noch vorhandenen Menschenreserven zu brauchbaren Soldaten heran¬ zubilden. Alle diese Mängel können nur durch eingehendste Organisation behoben werden, und auch dann nur in langer Zeit. Zunächst ist von Ru߬ land nicht viel zu erwarten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/357>, abgerufen am 28.07.2024.