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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die böhmische Frage

Österreich wie in Reichsdeutschland der größte Feind des bestehenden Staates.
Diese ungebildeten, kulturlosen Massen ohne staatlichen Sinn sind die Hilfs¬
truppen einer skrupelloser Demagogie. Es wird eine ebenso dringende wie
schwierige Aufgabe nach dem Kriege sein, sie fernzuhalten und durch eine
Förderung der Binnenwanderung zu ersetzen.

Das Problem der Binnenwanderung in dem vielstämmigen Kaiserstaat
hat den Gedanken gezeitigt, die Nationalitätenfrage durch die Einführung eines
das ganze Reich umfassenden und durchsetzenden Nationalitätenkatasters zu
lösen, sodaß jeder, gleichgültig wo er sich gerade aufhält, Pflichten und Rechte
des Staatsbürgers im Sinne seiner Nationalität üben könnte. Ohne auf die
Schwierigkeiten einzugehen, die der Ausführung des gewiß geistreichen Ge¬
dankens im Wege stehen, muß gesagt werden, daß dadurch die eigentümlichen
Schwierigkeiten der böhmischen Frage genau so bestehen bleiben wie vorher.
Es handelt sich darum, die nationalen Forderungen zweier verschieden starker
Stimmen zu befriedigen, der Tschechen, die etwa 63 Prozent, der Deutschen, die
etwa 37 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Schon jetzt fällt auf die Deutschen
weniger von den Landesausgaben, als ihnen im Verhältnis zukäme, während
ihr Anteil an den direkten Staatssteuern die Hälfte der Gesamtsumme merklich
überschreitet. Sie bilden also schon jetzt eine majorisierte Minorität. Was in
der Gesamtlandesverwaltung im Großen geschieht, vollzieht sich in den ein¬
zelnen Bezirken, die eine gemischte Bevölkerung aufweisen, in entsprechender
Weise, am rücksichtslosesten vielleicht in der Hauptstadt Prag und ihren Vor¬
orten. Noch sind aber die einzelnen Bezirke, abgesehen von Prag und einigen
Industriebezirken, national ziemlich einheitlich, nur eine geringe Zahl von den
7400 Gemeinden -- noch nicht 300 -- weist erhebliche nationale Minderheiten
auf. In diesen Gemeinden zunächst muß es nach dem Vorbild des verwandten
Mähren zu einem friedlichen Nebeneinander kommen und ihre nationale Ver¬
tretung muß gesichert sein. Die völlige administrative Zweiteilung Böhmens,
wie sie durch die Schaffung eines national gemischten Landesschul- und Landes-
kulturats angebahnt wurde, ist schon Jahre hindurch das Ziel weiter Kreise
Deutschböhmens gewesen. Der Sinn einer solchen Zweiteilung ist, die Be¬
vorzugung des tschechischen Landesteils bei der Verwendung der staatlichen
Einkünfte, zu dem die Deutschen in so hervorragendem Maße beitragen, in
Zukunft zu hindern. Äußerlich prägt sich das schon in der Bevorzugung der
Tschechen bei der Besetzung aller Beamtenstellen aus. Auch hier kann nach
dem Kriege eine gründliche Änderung erwartet werden. Daß für jeden Deut¬
schen die Kenntnis beider Landessprachen unbedingt erforderlich ist, für fein
wirtschaftliches Fortkommen und den ganzen Verkehr, ist allgemein anerkannt;
die Kenntnis oder wenigstens der Gebrauch des Deutschen wurde aber von
tschechischer Seite in oft lächerlicher Weise abgelehnt. Auch hier hat der Krieg
den Deutschen recht gegeben und ihre Forderungen der deutschen Amtssprache
im Verkehr der Behörden, bei der Eisenbahn u. a. dürften jetzt ohne weiteres


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Die böhmische Frage

Österreich wie in Reichsdeutschland der größte Feind des bestehenden Staates.
Diese ungebildeten, kulturlosen Massen ohne staatlichen Sinn sind die Hilfs¬
truppen einer skrupelloser Demagogie. Es wird eine ebenso dringende wie
schwierige Aufgabe nach dem Kriege sein, sie fernzuhalten und durch eine
Förderung der Binnenwanderung zu ersetzen.

Das Problem der Binnenwanderung in dem vielstämmigen Kaiserstaat
hat den Gedanken gezeitigt, die Nationalitätenfrage durch die Einführung eines
das ganze Reich umfassenden und durchsetzenden Nationalitätenkatasters zu
lösen, sodaß jeder, gleichgültig wo er sich gerade aufhält, Pflichten und Rechte
des Staatsbürgers im Sinne seiner Nationalität üben könnte. Ohne auf die
Schwierigkeiten einzugehen, die der Ausführung des gewiß geistreichen Ge¬
dankens im Wege stehen, muß gesagt werden, daß dadurch die eigentümlichen
Schwierigkeiten der böhmischen Frage genau so bestehen bleiben wie vorher.
Es handelt sich darum, die nationalen Forderungen zweier verschieden starker
Stimmen zu befriedigen, der Tschechen, die etwa 63 Prozent, der Deutschen, die
etwa 37 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Schon jetzt fällt auf die Deutschen
weniger von den Landesausgaben, als ihnen im Verhältnis zukäme, während
ihr Anteil an den direkten Staatssteuern die Hälfte der Gesamtsumme merklich
überschreitet. Sie bilden also schon jetzt eine majorisierte Minorität. Was in
der Gesamtlandesverwaltung im Großen geschieht, vollzieht sich in den ein¬
zelnen Bezirken, die eine gemischte Bevölkerung aufweisen, in entsprechender
Weise, am rücksichtslosesten vielleicht in der Hauptstadt Prag und ihren Vor¬
orten. Noch sind aber die einzelnen Bezirke, abgesehen von Prag und einigen
Industriebezirken, national ziemlich einheitlich, nur eine geringe Zahl von den
7400 Gemeinden — noch nicht 300 — weist erhebliche nationale Minderheiten
auf. In diesen Gemeinden zunächst muß es nach dem Vorbild des verwandten
Mähren zu einem friedlichen Nebeneinander kommen und ihre nationale Ver¬
tretung muß gesichert sein. Die völlige administrative Zweiteilung Böhmens,
wie sie durch die Schaffung eines national gemischten Landesschul- und Landes-
kulturats angebahnt wurde, ist schon Jahre hindurch das Ziel weiter Kreise
Deutschböhmens gewesen. Der Sinn einer solchen Zweiteilung ist, die Be¬
vorzugung des tschechischen Landesteils bei der Verwendung der staatlichen
Einkünfte, zu dem die Deutschen in so hervorragendem Maße beitragen, in
Zukunft zu hindern. Äußerlich prägt sich das schon in der Bevorzugung der
Tschechen bei der Besetzung aller Beamtenstellen aus. Auch hier kann nach
dem Kriege eine gründliche Änderung erwartet werden. Daß für jeden Deut¬
schen die Kenntnis beider Landessprachen unbedingt erforderlich ist, für fein
wirtschaftliches Fortkommen und den ganzen Verkehr, ist allgemein anerkannt;
die Kenntnis oder wenigstens der Gebrauch des Deutschen wurde aber von
tschechischer Seite in oft lächerlicher Weise abgelehnt. Auch hier hat der Krieg
den Deutschen recht gegeben und ihre Forderungen der deutschen Amtssprache
im Verkehr der Behörden, bei der Eisenbahn u. a. dürften jetzt ohne weiteres


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[0319] Die böhmische Frage Österreich wie in Reichsdeutschland der größte Feind des bestehenden Staates. Diese ungebildeten, kulturlosen Massen ohne staatlichen Sinn sind die Hilfs¬ truppen einer skrupelloser Demagogie. Es wird eine ebenso dringende wie schwierige Aufgabe nach dem Kriege sein, sie fernzuhalten und durch eine Förderung der Binnenwanderung zu ersetzen. Das Problem der Binnenwanderung in dem vielstämmigen Kaiserstaat hat den Gedanken gezeitigt, die Nationalitätenfrage durch die Einführung eines das ganze Reich umfassenden und durchsetzenden Nationalitätenkatasters zu lösen, sodaß jeder, gleichgültig wo er sich gerade aufhält, Pflichten und Rechte des Staatsbürgers im Sinne seiner Nationalität üben könnte. Ohne auf die Schwierigkeiten einzugehen, die der Ausführung des gewiß geistreichen Ge¬ dankens im Wege stehen, muß gesagt werden, daß dadurch die eigentümlichen Schwierigkeiten der böhmischen Frage genau so bestehen bleiben wie vorher. Es handelt sich darum, die nationalen Forderungen zweier verschieden starker Stimmen zu befriedigen, der Tschechen, die etwa 63 Prozent, der Deutschen, die etwa 37 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Schon jetzt fällt auf die Deutschen weniger von den Landesausgaben, als ihnen im Verhältnis zukäme, während ihr Anteil an den direkten Staatssteuern die Hälfte der Gesamtsumme merklich überschreitet. Sie bilden also schon jetzt eine majorisierte Minorität. Was in der Gesamtlandesverwaltung im Großen geschieht, vollzieht sich in den ein¬ zelnen Bezirken, die eine gemischte Bevölkerung aufweisen, in entsprechender Weise, am rücksichtslosesten vielleicht in der Hauptstadt Prag und ihren Vor¬ orten. Noch sind aber die einzelnen Bezirke, abgesehen von Prag und einigen Industriebezirken, national ziemlich einheitlich, nur eine geringe Zahl von den 7400 Gemeinden — noch nicht 300 — weist erhebliche nationale Minderheiten auf. In diesen Gemeinden zunächst muß es nach dem Vorbild des verwandten Mähren zu einem friedlichen Nebeneinander kommen und ihre nationale Ver¬ tretung muß gesichert sein. Die völlige administrative Zweiteilung Böhmens, wie sie durch die Schaffung eines national gemischten Landesschul- und Landes- kulturats angebahnt wurde, ist schon Jahre hindurch das Ziel weiter Kreise Deutschböhmens gewesen. Der Sinn einer solchen Zweiteilung ist, die Be¬ vorzugung des tschechischen Landesteils bei der Verwendung der staatlichen Einkünfte, zu dem die Deutschen in so hervorragendem Maße beitragen, in Zukunft zu hindern. Äußerlich prägt sich das schon in der Bevorzugung der Tschechen bei der Besetzung aller Beamtenstellen aus. Auch hier kann nach dem Kriege eine gründliche Änderung erwartet werden. Daß für jeden Deut¬ schen die Kenntnis beider Landessprachen unbedingt erforderlich ist, für fein wirtschaftliches Fortkommen und den ganzen Verkehr, ist allgemein anerkannt; die Kenntnis oder wenigstens der Gebrauch des Deutschen wurde aber von tschechischer Seite in oft lächerlicher Weise abgelehnt. Auch hier hat der Krieg den Deutschen recht gegeben und ihre Forderungen der deutschen Amtssprache im Verkehr der Behörden, bei der Eisenbahn u. a. dürften jetzt ohne weiteres 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/319>, abgerufen am 28.07.2024.