Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

des Seins in der Renaissance stehen im Barock
die Werte der Veränderung gegenüber. Trotz¬
dem ist gerade die klassische die Komposition,
die innerhalb der Einheit eine Vielheit der
Elemente in relativer Selbständigkeit beläßt,
während im Barock die Elemente in die ein¬
heitliche Dynamik des Ganzen hineingerissen
sind. Dem gegliederten Formensystem der
Klassik steht der unendliche Fluß des Barock
gegenüber. Dort sind die Akzente koordiniert,
hier dem einheitlichen Gesamtmotiv unter¬
geordnet. Unmittelbar einleuchtend ist, daß
sich alle behandelten Gegensatzpaare schließlich
auf das eine hin wenden lassen, das Klarheit
und Unklarheit oder betonte und verschleierte
Klarheit einander gegenüberstellt. Hier ge¬
winnt namentlich die Lichtbehandlung des
Barock, etwa bei Rembrandt, eine besondere
Bedeutsamkeit.

Alle diese Antithesen, die sich unter fünf
hauptsächliche Gegensatzpaare ordnen, werden
in der lichtvollen Weise, die wir an Wölfflin
bewundern, an einem reichen Schatz von
Einzelbeispielen belegt, die als Illustrationen
dem Buche beigegeben sind. Dabei geht meist
der Weg von der Malerei über die Plastik
zur Architektur. Die Einheit des Stiles
übergreift also sehr Wohl den Unterschied in
den künstlerischen Bedingungen der besonderen
Kunstzweige. Schon innerhalb dieses Kernes
der Erörterung greift der Verfasser aber über
die Immanenz der kunstgeschichtlichen Ge¬
gebenheiten hinweg, indem er unter der Spitz¬
marke: Historisches und Nationales allemal
die klassische Formgebung zur romanischen,
die barocke zur germanischen Naturanlage in
besonders nahe Beziehung bringt. Ferner
kompliziert sich die Problemlage, indem
Wölfflin innerhalb des Stiles jeweils eine
doppelte Motivation, einmal vom Ausdruck
einer nationalen oder historischen Individua¬
lität her und dann einer solchen Unterschieden
gegenüber indifferenten Vesonderung des so¬
zusagen rein optischen Kunstsehens unter¬
scheidet. Und innerhalb dieser zweiten rein
auf die Grundbedingungen der Darstellung,
das Schema der Seh- und Gestaltungsmög¬
lichkeiten gehenden Betrachtung ist wiederum
die imitative von der dekorativen Funktion
dieser Begriffe zu trennen.

[Spaltenumbruch]

Es ist zumal die Einleitung und der Ab¬
schluß, wo diese wirklich systematischen Er¬
wägungen, freilich in einer sehr zusammen¬
gedrängten und wenig erschöpfenden Dar¬
stellung ihren Platz gefunden haben. Hier
zeigt sich nun doch, wie sich die historische
Wirklichkeit für die gewaltsame Festlegung
auf eine antithetische Logik rächt. DaS wird
vor allem an der unbefriedigender Behandlung
der gelegentlich zugezogenen sogenannten Früh¬
renaissance offenbar. Unter der Bezeichnung
der "Primitiven" wird sie trotz gelegentlicher
Einschränkungen und Vorbehalte doch im
Grunde dem Schema zuliebe ihres Eigen¬
wertes beraubt und lediglich als Vorstufe auf
die Klassik bezogen. Aber überhaupt muß
sich, zumal die Einsinnigkeit der Bewegung
von der Klassik zum Barock eine Umkehrung
auch logisch ausschließen soll, sehr laut die
Frage vernehmbar machen, wie sich denn
dieser kunsthistorische Einzelfall, dem die
Untersuchung gilt, in die übergreifende Ent¬
wicklung hineinfügt, wenn das 1'ertium non
äatur des kontradiktorischen Gegensatzes tat¬
sächlich den angezogenen empirischen Sach¬
verhalt beherrscht. Diese Schwierigkeit führt
denn auch mit zwingender Notwendigkeit den
Verfasser auf eine Theorie einer kunstgeschicht"
lichen Periodik, die diesen Wechsel als typisch
hinstellt. Auch das Altertum und nachmals
die Gotik sollen diesen Schritt vom Klassischen
zum Barock vollzogen haben. Da aber ist
denn doch auf das Anfechtbare solcher Kon¬
struktion aufmerksam zu machen, die sich der
Geschichtsphilosophie Lamprechts mit ihren
typischen Abfolgen und ihrer Liebhaberei für
historische Gesetze immerhin nähert. Und vor
allem wird fraglich, ob nun nicht die auf¬
gezeigten Gegensätze doch allzu sehr auf den
hier im Beispiel zugrunde liegenden Einzel¬
fall einer solchen Abwandlung, eben der vom
16. zum 17. Jahrhundert, zugespitzt und fest¬
gelegt sind, um nun auch in der Tat der
behaupteten Typik solcher Abfolgen zu ge¬
nügen. Die verwunderliche Prästabilierte
Harmonie zwischen dem begrifflich einleuch¬
tenden Gegensatz und der tatsächlich hier
erfolgten historischen Veränderung würde
durch solche Typisierung der hier analysierten
Stilwendung an Glaubwürdigkeit gewinnen:

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

des Seins in der Renaissance stehen im Barock
die Werte der Veränderung gegenüber. Trotz¬
dem ist gerade die klassische die Komposition,
die innerhalb der Einheit eine Vielheit der
Elemente in relativer Selbständigkeit beläßt,
während im Barock die Elemente in die ein¬
heitliche Dynamik des Ganzen hineingerissen
sind. Dem gegliederten Formensystem der
Klassik steht der unendliche Fluß des Barock
gegenüber. Dort sind die Akzente koordiniert,
hier dem einheitlichen Gesamtmotiv unter¬
geordnet. Unmittelbar einleuchtend ist, daß
sich alle behandelten Gegensatzpaare schließlich
auf das eine hin wenden lassen, das Klarheit
und Unklarheit oder betonte und verschleierte
Klarheit einander gegenüberstellt. Hier ge¬
winnt namentlich die Lichtbehandlung des
Barock, etwa bei Rembrandt, eine besondere
Bedeutsamkeit.

Alle diese Antithesen, die sich unter fünf
hauptsächliche Gegensatzpaare ordnen, werden
in der lichtvollen Weise, die wir an Wölfflin
bewundern, an einem reichen Schatz von
Einzelbeispielen belegt, die als Illustrationen
dem Buche beigegeben sind. Dabei geht meist
der Weg von der Malerei über die Plastik
zur Architektur. Die Einheit des Stiles
übergreift also sehr Wohl den Unterschied in
den künstlerischen Bedingungen der besonderen
Kunstzweige. Schon innerhalb dieses Kernes
der Erörterung greift der Verfasser aber über
die Immanenz der kunstgeschichtlichen Ge¬
gebenheiten hinweg, indem er unter der Spitz¬
marke: Historisches und Nationales allemal
die klassische Formgebung zur romanischen,
die barocke zur germanischen Naturanlage in
besonders nahe Beziehung bringt. Ferner
kompliziert sich die Problemlage, indem
Wölfflin innerhalb des Stiles jeweils eine
doppelte Motivation, einmal vom Ausdruck
einer nationalen oder historischen Individua¬
lität her und dann einer solchen Unterschieden
gegenüber indifferenten Vesonderung des so¬
zusagen rein optischen Kunstsehens unter¬
scheidet. Und innerhalb dieser zweiten rein
auf die Grundbedingungen der Darstellung,
das Schema der Seh- und Gestaltungsmög¬
lichkeiten gehenden Betrachtung ist wiederum
die imitative von der dekorativen Funktion
dieser Begriffe zu trennen.

[Spaltenumbruch]

Es ist zumal die Einleitung und der Ab¬
schluß, wo diese wirklich systematischen Er¬
wägungen, freilich in einer sehr zusammen¬
gedrängten und wenig erschöpfenden Dar¬
stellung ihren Platz gefunden haben. Hier
zeigt sich nun doch, wie sich die historische
Wirklichkeit für die gewaltsame Festlegung
auf eine antithetische Logik rächt. DaS wird
vor allem an der unbefriedigender Behandlung
der gelegentlich zugezogenen sogenannten Früh¬
renaissance offenbar. Unter der Bezeichnung
der „Primitiven" wird sie trotz gelegentlicher
Einschränkungen und Vorbehalte doch im
Grunde dem Schema zuliebe ihres Eigen¬
wertes beraubt und lediglich als Vorstufe auf
die Klassik bezogen. Aber überhaupt muß
sich, zumal die Einsinnigkeit der Bewegung
von der Klassik zum Barock eine Umkehrung
auch logisch ausschließen soll, sehr laut die
Frage vernehmbar machen, wie sich denn
dieser kunsthistorische Einzelfall, dem die
Untersuchung gilt, in die übergreifende Ent¬
wicklung hineinfügt, wenn das 1'ertium non
äatur des kontradiktorischen Gegensatzes tat¬
sächlich den angezogenen empirischen Sach¬
verhalt beherrscht. Diese Schwierigkeit führt
denn auch mit zwingender Notwendigkeit den
Verfasser auf eine Theorie einer kunstgeschicht«
lichen Periodik, die diesen Wechsel als typisch
hinstellt. Auch das Altertum und nachmals
die Gotik sollen diesen Schritt vom Klassischen
zum Barock vollzogen haben. Da aber ist
denn doch auf das Anfechtbare solcher Kon¬
struktion aufmerksam zu machen, die sich der
Geschichtsphilosophie Lamprechts mit ihren
typischen Abfolgen und ihrer Liebhaberei für
historische Gesetze immerhin nähert. Und vor
allem wird fraglich, ob nun nicht die auf¬
gezeigten Gegensätze doch allzu sehr auf den
hier im Beispiel zugrunde liegenden Einzel¬
fall einer solchen Abwandlung, eben der vom
16. zum 17. Jahrhundert, zugespitzt und fest¬
gelegt sind, um nun auch in der Tat der
behaupteten Typik solcher Abfolgen zu ge¬
nügen. Die verwunderliche Prästabilierte
Harmonie zwischen dem begrifflich einleuch¬
tenden Gegensatz und der tatsächlich hier
erfolgten historischen Veränderung würde
durch solche Typisierung der hier analysierten
Stilwendung an Glaubwürdigkeit gewinnen:

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330399"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_1198" prev="#ID_1197"> des Seins in der Renaissance stehen im Barock<lb/>
die Werte der Veränderung gegenüber. Trotz¬<lb/>
dem ist gerade die klassische die Komposition,<lb/>
die innerhalb der Einheit eine Vielheit der<lb/>
Elemente in relativer Selbständigkeit beläßt,<lb/>
während im Barock die Elemente in die ein¬<lb/>
heitliche Dynamik des Ganzen hineingerissen<lb/>
sind. Dem gegliederten Formensystem der<lb/>
Klassik steht der unendliche Fluß des Barock<lb/>
gegenüber. Dort sind die Akzente koordiniert,<lb/>
hier dem einheitlichen Gesamtmotiv unter¬<lb/>
geordnet. Unmittelbar einleuchtend ist, daß<lb/>
sich alle behandelten Gegensatzpaare schließlich<lb/>
auf das eine hin wenden lassen, das Klarheit<lb/>
und Unklarheit oder betonte und verschleierte<lb/>
Klarheit einander gegenüberstellt. Hier ge¬<lb/>
winnt namentlich die Lichtbehandlung des<lb/>
Barock, etwa bei Rembrandt, eine besondere<lb/>
Bedeutsamkeit.</p>
            <p xml:id="ID_1199"> Alle diese Antithesen, die sich unter fünf<lb/>
hauptsächliche Gegensatzpaare ordnen, werden<lb/>
in der lichtvollen Weise, die wir an Wölfflin<lb/>
bewundern, an einem reichen Schatz von<lb/>
Einzelbeispielen belegt, die als Illustrationen<lb/>
dem Buche beigegeben sind. Dabei geht meist<lb/>
der Weg von der Malerei über die Plastik<lb/>
zur Architektur. Die Einheit des Stiles<lb/>
übergreift also sehr Wohl den Unterschied in<lb/>
den künstlerischen Bedingungen der besonderen<lb/>
Kunstzweige. Schon innerhalb dieses Kernes<lb/>
der Erörterung greift der Verfasser aber über<lb/>
die Immanenz der kunstgeschichtlichen Ge¬<lb/>
gebenheiten hinweg, indem er unter der Spitz¬<lb/>
marke: Historisches und Nationales allemal<lb/>
die klassische Formgebung zur romanischen,<lb/>
die barocke zur germanischen Naturanlage in<lb/>
besonders nahe Beziehung bringt. Ferner<lb/>
kompliziert sich die Problemlage, indem<lb/>
Wölfflin innerhalb des Stiles jeweils eine<lb/>
doppelte Motivation, einmal vom Ausdruck<lb/>
einer nationalen oder historischen Individua¬<lb/>
lität her und dann einer solchen Unterschieden<lb/>
gegenüber indifferenten Vesonderung des so¬<lb/>
zusagen rein optischen Kunstsehens unter¬<lb/>
scheidet. Und innerhalb dieser zweiten rein<lb/>
auf die Grundbedingungen der Darstellung,<lb/>
das Schema der Seh- und Gestaltungsmög¬<lb/>
lichkeiten gehenden Betrachtung ist wiederum<lb/>
die imitative von der dekorativen Funktion<lb/>
dieser Begriffe zu trennen.</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_1200" next="#ID_1201"> Es ist zumal die Einleitung und der Ab¬<lb/>
schluß, wo diese wirklich systematischen Er¬<lb/>
wägungen, freilich in einer sehr zusammen¬<lb/>
gedrängten und wenig erschöpfenden Dar¬<lb/>
stellung ihren Platz gefunden haben. Hier<lb/>
zeigt sich nun doch, wie sich die historische<lb/>
Wirklichkeit für die gewaltsame Festlegung<lb/>
auf eine antithetische Logik rächt. DaS wird<lb/>
vor allem an der unbefriedigender Behandlung<lb/>
der gelegentlich zugezogenen sogenannten Früh¬<lb/>
renaissance offenbar. Unter der Bezeichnung<lb/>
der &#x201E;Primitiven" wird sie trotz gelegentlicher<lb/>
Einschränkungen und Vorbehalte doch im<lb/>
Grunde dem Schema zuliebe ihres Eigen¬<lb/>
wertes beraubt und lediglich als Vorstufe auf<lb/>
die Klassik bezogen. Aber überhaupt muß<lb/>
sich, zumal die Einsinnigkeit der Bewegung<lb/>
von der Klassik zum Barock eine Umkehrung<lb/>
auch logisch ausschließen soll, sehr laut die<lb/>
Frage vernehmbar machen, wie sich denn<lb/>
dieser kunsthistorische Einzelfall, dem die<lb/>
Untersuchung gilt, in die übergreifende Ent¬<lb/>
wicklung hineinfügt, wenn das 1'ertium non<lb/>
äatur des kontradiktorischen Gegensatzes tat¬<lb/>
sächlich den angezogenen empirischen Sach¬<lb/>
verhalt beherrscht. Diese Schwierigkeit führt<lb/>
denn auch mit zwingender Notwendigkeit den<lb/>
Verfasser auf eine Theorie einer kunstgeschicht«<lb/>
lichen Periodik, die diesen Wechsel als typisch<lb/>
hinstellt. Auch das Altertum und nachmals<lb/>
die Gotik sollen diesen Schritt vom Klassischen<lb/>
zum Barock vollzogen haben. Da aber ist<lb/>
denn doch auf das Anfechtbare solcher Kon¬<lb/>
struktion aufmerksam zu machen, die sich der<lb/>
Geschichtsphilosophie Lamprechts mit ihren<lb/>
typischen Abfolgen und ihrer Liebhaberei für<lb/>
historische Gesetze immerhin nähert. Und vor<lb/>
allem wird fraglich, ob nun nicht die auf¬<lb/>
gezeigten Gegensätze doch allzu sehr auf den<lb/>
hier im Beispiel zugrunde liegenden Einzel¬<lb/>
fall einer solchen Abwandlung, eben der vom<lb/>
16. zum 17. Jahrhundert, zugespitzt und fest¬<lb/>
gelegt sind, um nun auch in der Tat der<lb/>
behaupteten Typik solcher Abfolgen zu ge¬<lb/>
nügen. Die verwunderliche Prästabilierte<lb/>
Harmonie zwischen dem begrifflich einleuch¬<lb/>
tenden Gegensatz und der tatsächlich hier<lb/>
erfolgten historischen Veränderung würde<lb/>
durch solche Typisierung der hier analysierten<lb/>
Stilwendung an Glaubwürdigkeit gewinnen:</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0299] Maßgebliches und Unmaßgebliches des Seins in der Renaissance stehen im Barock die Werte der Veränderung gegenüber. Trotz¬ dem ist gerade die klassische die Komposition, die innerhalb der Einheit eine Vielheit der Elemente in relativer Selbständigkeit beläßt, während im Barock die Elemente in die ein¬ heitliche Dynamik des Ganzen hineingerissen sind. Dem gegliederten Formensystem der Klassik steht der unendliche Fluß des Barock gegenüber. Dort sind die Akzente koordiniert, hier dem einheitlichen Gesamtmotiv unter¬ geordnet. Unmittelbar einleuchtend ist, daß sich alle behandelten Gegensatzpaare schließlich auf das eine hin wenden lassen, das Klarheit und Unklarheit oder betonte und verschleierte Klarheit einander gegenüberstellt. Hier ge¬ winnt namentlich die Lichtbehandlung des Barock, etwa bei Rembrandt, eine besondere Bedeutsamkeit. Alle diese Antithesen, die sich unter fünf hauptsächliche Gegensatzpaare ordnen, werden in der lichtvollen Weise, die wir an Wölfflin bewundern, an einem reichen Schatz von Einzelbeispielen belegt, die als Illustrationen dem Buche beigegeben sind. Dabei geht meist der Weg von der Malerei über die Plastik zur Architektur. Die Einheit des Stiles übergreift also sehr Wohl den Unterschied in den künstlerischen Bedingungen der besonderen Kunstzweige. Schon innerhalb dieses Kernes der Erörterung greift der Verfasser aber über die Immanenz der kunstgeschichtlichen Ge¬ gebenheiten hinweg, indem er unter der Spitz¬ marke: Historisches und Nationales allemal die klassische Formgebung zur romanischen, die barocke zur germanischen Naturanlage in besonders nahe Beziehung bringt. Ferner kompliziert sich die Problemlage, indem Wölfflin innerhalb des Stiles jeweils eine doppelte Motivation, einmal vom Ausdruck einer nationalen oder historischen Individua¬ lität her und dann einer solchen Unterschieden gegenüber indifferenten Vesonderung des so¬ zusagen rein optischen Kunstsehens unter¬ scheidet. Und innerhalb dieser zweiten rein auf die Grundbedingungen der Darstellung, das Schema der Seh- und Gestaltungsmög¬ lichkeiten gehenden Betrachtung ist wiederum die imitative von der dekorativen Funktion dieser Begriffe zu trennen. Es ist zumal die Einleitung und der Ab¬ schluß, wo diese wirklich systematischen Er¬ wägungen, freilich in einer sehr zusammen¬ gedrängten und wenig erschöpfenden Dar¬ stellung ihren Platz gefunden haben. Hier zeigt sich nun doch, wie sich die historische Wirklichkeit für die gewaltsame Festlegung auf eine antithetische Logik rächt. DaS wird vor allem an der unbefriedigender Behandlung der gelegentlich zugezogenen sogenannten Früh¬ renaissance offenbar. Unter der Bezeichnung der „Primitiven" wird sie trotz gelegentlicher Einschränkungen und Vorbehalte doch im Grunde dem Schema zuliebe ihres Eigen¬ wertes beraubt und lediglich als Vorstufe auf die Klassik bezogen. Aber überhaupt muß sich, zumal die Einsinnigkeit der Bewegung von der Klassik zum Barock eine Umkehrung auch logisch ausschließen soll, sehr laut die Frage vernehmbar machen, wie sich denn dieser kunsthistorische Einzelfall, dem die Untersuchung gilt, in die übergreifende Ent¬ wicklung hineinfügt, wenn das 1'ertium non äatur des kontradiktorischen Gegensatzes tat¬ sächlich den angezogenen empirischen Sach¬ verhalt beherrscht. Diese Schwierigkeit führt denn auch mit zwingender Notwendigkeit den Verfasser auf eine Theorie einer kunstgeschicht« lichen Periodik, die diesen Wechsel als typisch hinstellt. Auch das Altertum und nachmals die Gotik sollen diesen Schritt vom Klassischen zum Barock vollzogen haben. Da aber ist denn doch auf das Anfechtbare solcher Kon¬ struktion aufmerksam zu machen, die sich der Geschichtsphilosophie Lamprechts mit ihren typischen Abfolgen und ihrer Liebhaberei für historische Gesetze immerhin nähert. Und vor allem wird fraglich, ob nun nicht die auf¬ gezeigten Gegensätze doch allzu sehr auf den hier im Beispiel zugrunde liegenden Einzel¬ fall einer solchen Abwandlung, eben der vom 16. zum 17. Jahrhundert, zugespitzt und fest¬ gelegt sind, um nun auch in der Tat der behaupteten Typik solcher Abfolgen zu ge¬ nügen. Die verwunderliche Prästabilierte Harmonie zwischen dem begrifflich einleuch¬ tenden Gegensatz und der tatsächlich hier erfolgten historischen Veränderung würde durch solche Typisierung der hier analysierten Stilwendung an Glaubwürdigkeit gewinnen:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/299
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/299>, abgerufen am 27.07.2024.