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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Künftige Welt-Vlockpolitik
V Dr. Georg Lomer on

ir leben im Zeitalter der Großbetriebe und Massenwirkungen.
Immer seltener wurde die Vereinzelung, immer unerläßlicher,
bewußter und umfassender der Zusammenschluß. Nun aber kam
der Krieg und hat den Riesenkristallisationsprozeß der Nationen,
weit entfernt ihn aufzuhalten, erst recht in Gang gebracht. Nach
ihm, das ist sicher, wird die Welt in eine Reihe von Wirtschaftsgruppen, von
organisch in sich zusammenhängenden Völker-Großblocks gegliedert sein, deren
kristallische Umrisse dem aufmerksamen Auge schon jetzt sichtbar werden. Sie
sind es, die künftig die Weltpolitik machen. Ihre wahrscheinliche Stellung zu¬
einander kurz darzulegen, ist also sicher von Interesse.

Für uns am wichtigsten ist natürlich jenes riesige Völkermasstv, das sich
vom baltischen bis zum indischen Meere erstreckt und hauptsächlich Deutschland.
Österreich-Ungarn, Großbulgarien und die Türkei umfaßt. Dieses zusammen¬
hängende Gebiet, an das sich möglicherweise Skandinavien, Holland, Griechen¬
land locker angliedern, ist bei richtiger Förderung der Produktion und bei
rüstigem Ausbau der Transportwege durchaus imstande sich selbst zu ernähren.
Auch kann es der hochexpansiven mitteleuropäischen Industrie ein sicheres und nahes
Absatzfeld darbieten, zu dessen voller Auswertung freilich mehr gehört, als die übliche
kaufmännische, uns vonAmerika anerzogene "8marwe38" oder einseitige Ausbeuter¬
praktiken. Ein Absatzgebiet, das sich südöstlich bis zum Kaukasus und Himalaya,
südwestlich über die ganze innerafrikanische Ländermasse ausdehnen kann.

Dieser kontinentale Zentralriese wird nun zunächst zu den Nachbarn, dem
Bussen und dem Angelsachsen, Stellung nehmen müssen. Sodann zu den ent¬
fernteren Wirtschaftsriesen, d. h. dem nordamerikanischen, dem spanisch-süd-
amerikanischen und dem ostasiatischen. Sein unvergleichlicher Vorteil ist dabei
die zentrale Lage inmitten der großen, europäisch-afrikanisch-astatischen Länder-
^asse, deren Herz, deren innere und natürliche Verbindung er darstellt. Die
"Strategie der inneren Linie", die ihm bereits im Kriege so wesentlich geholfen


Grenzboten II 1916 1ö


Künftige Welt-Vlockpolitik
V Dr. Georg Lomer on

ir leben im Zeitalter der Großbetriebe und Massenwirkungen.
Immer seltener wurde die Vereinzelung, immer unerläßlicher,
bewußter und umfassender der Zusammenschluß. Nun aber kam
der Krieg und hat den Riesenkristallisationsprozeß der Nationen,
weit entfernt ihn aufzuhalten, erst recht in Gang gebracht. Nach
ihm, das ist sicher, wird die Welt in eine Reihe von Wirtschaftsgruppen, von
organisch in sich zusammenhängenden Völker-Großblocks gegliedert sein, deren
kristallische Umrisse dem aufmerksamen Auge schon jetzt sichtbar werden. Sie
sind es, die künftig die Weltpolitik machen. Ihre wahrscheinliche Stellung zu¬
einander kurz darzulegen, ist also sicher von Interesse.

Für uns am wichtigsten ist natürlich jenes riesige Völkermasstv, das sich
vom baltischen bis zum indischen Meere erstreckt und hauptsächlich Deutschland.
Österreich-Ungarn, Großbulgarien und die Türkei umfaßt. Dieses zusammen¬
hängende Gebiet, an das sich möglicherweise Skandinavien, Holland, Griechen¬
land locker angliedern, ist bei richtiger Förderung der Produktion und bei
rüstigem Ausbau der Transportwege durchaus imstande sich selbst zu ernähren.
Auch kann es der hochexpansiven mitteleuropäischen Industrie ein sicheres und nahes
Absatzfeld darbieten, zu dessen voller Auswertung freilich mehr gehört, als die übliche
kaufmännische, uns vonAmerika anerzogene „8marwe38" oder einseitige Ausbeuter¬
praktiken. Ein Absatzgebiet, das sich südöstlich bis zum Kaukasus und Himalaya,
südwestlich über die ganze innerafrikanische Ländermasse ausdehnen kann.

Dieser kontinentale Zentralriese wird nun zunächst zu den Nachbarn, dem
Bussen und dem Angelsachsen, Stellung nehmen müssen. Sodann zu den ent¬
fernteren Wirtschaftsriesen, d. h. dem nordamerikanischen, dem spanisch-süd-
amerikanischen und dem ostasiatischen. Sein unvergleichlicher Vorteil ist dabei
die zentrale Lage inmitten der großen, europäisch-afrikanisch-astatischen Länder-
^asse, deren Herz, deren innere und natürliche Verbindung er darstellt. Die
"Strategie der inneren Linie", die ihm bereits im Kriege so wesentlich geholfen


Grenzboten II 1916 1ö
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[0237] [Abbildung] Künftige Welt-Vlockpolitik V Dr. Georg Lomer on ir leben im Zeitalter der Großbetriebe und Massenwirkungen. Immer seltener wurde die Vereinzelung, immer unerläßlicher, bewußter und umfassender der Zusammenschluß. Nun aber kam der Krieg und hat den Riesenkristallisationsprozeß der Nationen, weit entfernt ihn aufzuhalten, erst recht in Gang gebracht. Nach ihm, das ist sicher, wird die Welt in eine Reihe von Wirtschaftsgruppen, von organisch in sich zusammenhängenden Völker-Großblocks gegliedert sein, deren kristallische Umrisse dem aufmerksamen Auge schon jetzt sichtbar werden. Sie sind es, die künftig die Weltpolitik machen. Ihre wahrscheinliche Stellung zu¬ einander kurz darzulegen, ist also sicher von Interesse. Für uns am wichtigsten ist natürlich jenes riesige Völkermasstv, das sich vom baltischen bis zum indischen Meere erstreckt und hauptsächlich Deutschland. Österreich-Ungarn, Großbulgarien und die Türkei umfaßt. Dieses zusammen¬ hängende Gebiet, an das sich möglicherweise Skandinavien, Holland, Griechen¬ land locker angliedern, ist bei richtiger Förderung der Produktion und bei rüstigem Ausbau der Transportwege durchaus imstande sich selbst zu ernähren. Auch kann es der hochexpansiven mitteleuropäischen Industrie ein sicheres und nahes Absatzfeld darbieten, zu dessen voller Auswertung freilich mehr gehört, als die übliche kaufmännische, uns vonAmerika anerzogene „8marwe38" oder einseitige Ausbeuter¬ praktiken. Ein Absatzgebiet, das sich südöstlich bis zum Kaukasus und Himalaya, südwestlich über die ganze innerafrikanische Ländermasse ausdehnen kann. Dieser kontinentale Zentralriese wird nun zunächst zu den Nachbarn, dem Bussen und dem Angelsachsen, Stellung nehmen müssen. Sodann zu den ent¬ fernteren Wirtschaftsriesen, d. h. dem nordamerikanischen, dem spanisch-süd- amerikanischen und dem ostasiatischen. Sein unvergleichlicher Vorteil ist dabei die zentrale Lage inmitten der großen, europäisch-afrikanisch-astatischen Länder- ^asse, deren Herz, deren innere und natürliche Verbindung er darstellt. Die "Strategie der inneren Linie", die ihm bereits im Kriege so wesentlich geholfen Grenzboten II 1916 1ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/237>, abgerufen am 28.07.2024.