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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Ueber Heercszahlen alter mit neuer Zeit

gleichzeitig (279 v. Chr.) nach Griechenland vordrang, größer, schwerlich aber
doppelt so groß. Diesen Schwarm nun beziffert die spätere Überlieferung auf
mehr als 170 000, wovon über 20 000 Mann beritten gewesen wären und je
zwei ankämpfende Sklaven bei sich gehabt hätten.

Ebenso oder noch stärker wird die Größe wandernder Volksheere sehr oft
übertrieben. Nach Plutarch bestand der Zug der Cimbern und Teutonen aus
300 000 streitbaren Männern in Waffen, und die Masse der Weiber und
Kinder soll noch viel größer gewesen sein. Die Zahl der Goten, die 267 n. Chr.
weite Strecken Griechenlands verheerten und Athen eroberten, wurde auf
320 000 Bewaffnete angegeben. Auf 200 000 kriegsfühige Männer schätzte ein
Schriftsteller der Zeit das Gotenheer Frithigerns, gegen welchen 378 bei
Adrianopel der oströmische Kaiser Valens Schlacht und Leben verlor; nach
einem anderen Bericht wären es mit Weibern und Kindern und dem Troß
gegen eine Million Menschen gewesen, die zwei Jahre vorher über die Donau
gekommen wären. Die bunt zusammengewürfelten Germanenscharen, die 404
nach Italien zogen und zum großen Teil im nächsten Jahre mit ihrem Führer
Radageis dem Verweser des weströmischen Reiches, dem Wandalen Stilicho,
auf den lieblichen Abhängen zwischen Fiesole und Florenz erlagen, waren nach
einem Gewährsmann 200 000, nach dem anderen 400 000 Mann stark.

Indessen, die Germanenheere der Völkerwanderungszeit bilden keine
Besonderheit. Attilas Heer, das im Jahre 451 in der Völkerschlacht auf den
catalaunischen Feldern sieglos blieb, war nach einer Nachricht 600 000, nach
einer anderen 700 000 Mann stark; auf beiden Seiten sollen 160 000 oder gar
300 000 Mann gefallen sein, und aus einem vom Blut der Gefallenen hochange-
schwollenen Bach hätten die verwundeten und erschöpften Krieger ihren Durst gelöscht.
Mit angeblich 200 000 Franken erschien Chlodwigs Enkel Theudebert 539 in
Italien, um den erfolglosen Versuch zu machen, Justinians siegreichen Heer¬
führer Belisar von Ravenna abzuwehren; nach der Behauptung fränkischer
Gesandter wären es sogar 500 000 streitbare Männer gewesen. Als das erste
Kreuzheer von Konstantinopel an die asiatische Küste übersetzte, wurden, wie
berichtet wird, 300 000 auserlesene Streiter zu Fuß und 100 000 wohlgerüstete
Reiter gezählt; mit Hinzurechnung der Weiber und Kinder. Mönche und
Knechte habe die Gesamtzahl gegen 600 000 Menschen betragen; nach einer
anderen Quelle belief sich allein die Zahl der streitbaren Männer auf 600 000.
Die ruhmredige Überlieferung der Normannen beziffert das angelsächsische Heer,
mit dessen Niederlage bei Hastings 1066 der ritterliche König Harald Thron
und Leben einbüßte, auf 1 200 000 Streiter; es soll so zahlreich gewesen sein,
daß es die Flüsse, die es überschritt, austrank, also ähnlich den Scharen der
Ungarn, die bekanntlich geprahlt haben sollen, ihre Rosse würden die deutschen
Seen und Flüsse austrinken und die Städte zerstampfen, und wenn nicht ent¬
weder die Erde sie verschlinge oder der einstürzende Himmel sie begrabe, so
könne sie niemand besiegen. Die Menge der Mongolen war den Zeitgenossen


Ueber Heercszahlen alter mit neuer Zeit

gleichzeitig (279 v. Chr.) nach Griechenland vordrang, größer, schwerlich aber
doppelt so groß. Diesen Schwarm nun beziffert die spätere Überlieferung auf
mehr als 170 000, wovon über 20 000 Mann beritten gewesen wären und je
zwei ankämpfende Sklaven bei sich gehabt hätten.

Ebenso oder noch stärker wird die Größe wandernder Volksheere sehr oft
übertrieben. Nach Plutarch bestand der Zug der Cimbern und Teutonen aus
300 000 streitbaren Männern in Waffen, und die Masse der Weiber und
Kinder soll noch viel größer gewesen sein. Die Zahl der Goten, die 267 n. Chr.
weite Strecken Griechenlands verheerten und Athen eroberten, wurde auf
320 000 Bewaffnete angegeben. Auf 200 000 kriegsfühige Männer schätzte ein
Schriftsteller der Zeit das Gotenheer Frithigerns, gegen welchen 378 bei
Adrianopel der oströmische Kaiser Valens Schlacht und Leben verlor; nach
einem anderen Bericht wären es mit Weibern und Kindern und dem Troß
gegen eine Million Menschen gewesen, die zwei Jahre vorher über die Donau
gekommen wären. Die bunt zusammengewürfelten Germanenscharen, die 404
nach Italien zogen und zum großen Teil im nächsten Jahre mit ihrem Führer
Radageis dem Verweser des weströmischen Reiches, dem Wandalen Stilicho,
auf den lieblichen Abhängen zwischen Fiesole und Florenz erlagen, waren nach
einem Gewährsmann 200 000, nach dem anderen 400 000 Mann stark.

Indessen, die Germanenheere der Völkerwanderungszeit bilden keine
Besonderheit. Attilas Heer, das im Jahre 451 in der Völkerschlacht auf den
catalaunischen Feldern sieglos blieb, war nach einer Nachricht 600 000, nach
einer anderen 700 000 Mann stark; auf beiden Seiten sollen 160 000 oder gar
300 000 Mann gefallen sein, und aus einem vom Blut der Gefallenen hochange-
schwollenen Bach hätten die verwundeten und erschöpften Krieger ihren Durst gelöscht.
Mit angeblich 200 000 Franken erschien Chlodwigs Enkel Theudebert 539 in
Italien, um den erfolglosen Versuch zu machen, Justinians siegreichen Heer¬
führer Belisar von Ravenna abzuwehren; nach der Behauptung fränkischer
Gesandter wären es sogar 500 000 streitbare Männer gewesen. Als das erste
Kreuzheer von Konstantinopel an die asiatische Küste übersetzte, wurden, wie
berichtet wird, 300 000 auserlesene Streiter zu Fuß und 100 000 wohlgerüstete
Reiter gezählt; mit Hinzurechnung der Weiber und Kinder. Mönche und
Knechte habe die Gesamtzahl gegen 600 000 Menschen betragen; nach einer
anderen Quelle belief sich allein die Zahl der streitbaren Männer auf 600 000.
Die ruhmredige Überlieferung der Normannen beziffert das angelsächsische Heer,
mit dessen Niederlage bei Hastings 1066 der ritterliche König Harald Thron
und Leben einbüßte, auf 1 200 000 Streiter; es soll so zahlreich gewesen sein,
daß es die Flüsse, die es überschritt, austrank, also ähnlich den Scharen der
Ungarn, die bekanntlich geprahlt haben sollen, ihre Rosse würden die deutschen
Seen und Flüsse austrinken und die Städte zerstampfen, und wenn nicht ent¬
weder die Erde sie verschlinge oder der einstürzende Himmel sie begrabe, so
könne sie niemand besiegen. Die Menge der Mongolen war den Zeitgenossen


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[0224] Ueber Heercszahlen alter mit neuer Zeit gleichzeitig (279 v. Chr.) nach Griechenland vordrang, größer, schwerlich aber doppelt so groß. Diesen Schwarm nun beziffert die spätere Überlieferung auf mehr als 170 000, wovon über 20 000 Mann beritten gewesen wären und je zwei ankämpfende Sklaven bei sich gehabt hätten. Ebenso oder noch stärker wird die Größe wandernder Volksheere sehr oft übertrieben. Nach Plutarch bestand der Zug der Cimbern und Teutonen aus 300 000 streitbaren Männern in Waffen, und die Masse der Weiber und Kinder soll noch viel größer gewesen sein. Die Zahl der Goten, die 267 n. Chr. weite Strecken Griechenlands verheerten und Athen eroberten, wurde auf 320 000 Bewaffnete angegeben. Auf 200 000 kriegsfühige Männer schätzte ein Schriftsteller der Zeit das Gotenheer Frithigerns, gegen welchen 378 bei Adrianopel der oströmische Kaiser Valens Schlacht und Leben verlor; nach einem anderen Bericht wären es mit Weibern und Kindern und dem Troß gegen eine Million Menschen gewesen, die zwei Jahre vorher über die Donau gekommen wären. Die bunt zusammengewürfelten Germanenscharen, die 404 nach Italien zogen und zum großen Teil im nächsten Jahre mit ihrem Führer Radageis dem Verweser des weströmischen Reiches, dem Wandalen Stilicho, auf den lieblichen Abhängen zwischen Fiesole und Florenz erlagen, waren nach einem Gewährsmann 200 000, nach dem anderen 400 000 Mann stark. Indessen, die Germanenheere der Völkerwanderungszeit bilden keine Besonderheit. Attilas Heer, das im Jahre 451 in der Völkerschlacht auf den catalaunischen Feldern sieglos blieb, war nach einer Nachricht 600 000, nach einer anderen 700 000 Mann stark; auf beiden Seiten sollen 160 000 oder gar 300 000 Mann gefallen sein, und aus einem vom Blut der Gefallenen hochange- schwollenen Bach hätten die verwundeten und erschöpften Krieger ihren Durst gelöscht. Mit angeblich 200 000 Franken erschien Chlodwigs Enkel Theudebert 539 in Italien, um den erfolglosen Versuch zu machen, Justinians siegreichen Heer¬ führer Belisar von Ravenna abzuwehren; nach der Behauptung fränkischer Gesandter wären es sogar 500 000 streitbare Männer gewesen. Als das erste Kreuzheer von Konstantinopel an die asiatische Küste übersetzte, wurden, wie berichtet wird, 300 000 auserlesene Streiter zu Fuß und 100 000 wohlgerüstete Reiter gezählt; mit Hinzurechnung der Weiber und Kinder. Mönche und Knechte habe die Gesamtzahl gegen 600 000 Menschen betragen; nach einer anderen Quelle belief sich allein die Zahl der streitbaren Männer auf 600 000. Die ruhmredige Überlieferung der Normannen beziffert das angelsächsische Heer, mit dessen Niederlage bei Hastings 1066 der ritterliche König Harald Thron und Leben einbüßte, auf 1 200 000 Streiter; es soll so zahlreich gewesen sein, daß es die Flüsse, die es überschritt, austrank, also ähnlich den Scharen der Ungarn, die bekanntlich geprahlt haben sollen, ihre Rosse würden die deutschen Seen und Flüsse austrinken und die Städte zerstampfen, und wenn nicht ent¬ weder die Erde sie verschlinge oder der einstürzende Himmel sie begrabe, so könne sie niemand besiegen. Die Menge der Mongolen war den Zeitgenossen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/224>, abgerufen am 22.12.2024.