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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Bismcirck und die italienische Politik

scher Seite, Konspirationen unterschieben wollen. Er äußerte sich zu solchen
Auslassungen: "Mag sein. Will man es so nennen, nun gut: wir haben
uns in Friedrichsruh verschworen, aber verschworen für den Frieden, und
daher können alle, die dieses hehre Gut lieben, an dieser Verschwörung teil¬
nehmen .......Wir haben Europa einen Dienst erwiesen. Unser Bündnis
hat daher als Zweck die Vorbeugung, nicht aber die Heraus¬
forderung, die Ordnung, nicht die Zerstörung."

Die Freundschaft und das gegenseitige Vertrauen dieser beiden genialen
Staatsmänner der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war an dem
Feuer des täglichen Kampfes zusammengeschweißt. In jenen Jahren vertraute
die verantwortliche italienische Politik bedingungslos auf Deutschland; denn
Crispi war der festen Überzeugung, daß dessen Politik zum Frieden neigte.
"Deutschland, welches in Betreff Italien sicher war, unterstützte dessen Ansehen
und Interesse, wo es auch war, noch über den Wortlaut des Bündnisvertrages
hinaus." (Crispi: Memoiren S. 397).

Mit dem Rücktritt Crispis legte die italienische Politik mehr und mehr
jene kräftige aktive Mittelmeerpolitik "aä acta", die Crispi betrieb und
forderte, die einzig und allein den Interessen der Großmacht Italien ent¬
spricht, und die von Deutschland wie von Österreich-Ungarn nicht nur ge¬
billigt, sondern allezeit aufs kräftigste unterstützt wurde, und ersetzte diese durch
eine von einem großen Teil der Presse propagierte Wiederaufnahme der "Mare-
Nostro"-Politik, deren einseitige und selbstische Ausstrahlung mit Natur¬
notwendigkeit den alten Gegensatz zur Habsburgischen Monarchie entfachen
mußte, und die in letzter Hinsicht die fortwährenden "Extratouren" des italieni¬
schen Bundesgenossen bedingte.

Crispi ist der ideale Typus des national-italienischen Realpolitikers mit
zukunftstragendem weltpolitischen Weitblick, der auch nach Abschluß des Drei¬
bundes nichts unversucht ließ. Italien an andere Mächte zu fesseln. Solcher
Art erfolgte schon bald nach dem Anschluß an den Dreibund die Schwenkung
zu England. Crispi hat damit die Grundlage für die "Extratouren" des
italienischen Verbündeten geschaffen; Bismarck hatte, angesichts der damaligen
Konstellation der großen Mächte, die italienisch-englische Annäherung gefördert
nus der einzigen Erwägung heraus, auch England an den Dreibund heran¬
zuziehen. Sein Einfluß, den er auf die gesamte italienische Politik auszuüben
vermochte, war eben ungleich größer und tiefgehender, als dies bei unseren
auswärtigen Diplomaten, die dem großen Kanzler folgten, der Fall war.
Jedenfalls: Crispi war als Leiter der verantwortlichen Politik von dem
aufrichtigen Wunsch beseelt, mit den Verbündeten im Einverständnis zu
handeln. Und dieser Wunsch ging ihm über alle Verpflichtungen irgend¬
welcher anderer Abmachungen. Crispis Nachfolgern fehlt -- und das tritt
besonders im Laufe des letzten Jahrzehnts immer deutlicher hervor -- mehr
oder weniger gerade jenes vorurteilslose und klarsichtige Einfühlungsvermögen


Bismcirck und die italienische Politik

scher Seite, Konspirationen unterschieben wollen. Er äußerte sich zu solchen
Auslassungen: „Mag sein. Will man es so nennen, nun gut: wir haben
uns in Friedrichsruh verschworen, aber verschworen für den Frieden, und
daher können alle, die dieses hehre Gut lieben, an dieser Verschwörung teil¬
nehmen .......Wir haben Europa einen Dienst erwiesen. Unser Bündnis
hat daher als Zweck die Vorbeugung, nicht aber die Heraus¬
forderung, die Ordnung, nicht die Zerstörung."

Die Freundschaft und das gegenseitige Vertrauen dieser beiden genialen
Staatsmänner der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war an dem
Feuer des täglichen Kampfes zusammengeschweißt. In jenen Jahren vertraute
die verantwortliche italienische Politik bedingungslos auf Deutschland; denn
Crispi war der festen Überzeugung, daß dessen Politik zum Frieden neigte.
„Deutschland, welches in Betreff Italien sicher war, unterstützte dessen Ansehen
und Interesse, wo es auch war, noch über den Wortlaut des Bündnisvertrages
hinaus." (Crispi: Memoiren S. 397).

Mit dem Rücktritt Crispis legte die italienische Politik mehr und mehr
jene kräftige aktive Mittelmeerpolitik „aä acta", die Crispi betrieb und
forderte, die einzig und allein den Interessen der Großmacht Italien ent¬
spricht, und die von Deutschland wie von Österreich-Ungarn nicht nur ge¬
billigt, sondern allezeit aufs kräftigste unterstützt wurde, und ersetzte diese durch
eine von einem großen Teil der Presse propagierte Wiederaufnahme der „Mare-
Nostro"-Politik, deren einseitige und selbstische Ausstrahlung mit Natur¬
notwendigkeit den alten Gegensatz zur Habsburgischen Monarchie entfachen
mußte, und die in letzter Hinsicht die fortwährenden „Extratouren" des italieni¬
schen Bundesgenossen bedingte.

Crispi ist der ideale Typus des national-italienischen Realpolitikers mit
zukunftstragendem weltpolitischen Weitblick, der auch nach Abschluß des Drei¬
bundes nichts unversucht ließ. Italien an andere Mächte zu fesseln. Solcher
Art erfolgte schon bald nach dem Anschluß an den Dreibund die Schwenkung
zu England. Crispi hat damit die Grundlage für die „Extratouren" des
italienischen Verbündeten geschaffen; Bismarck hatte, angesichts der damaligen
Konstellation der großen Mächte, die italienisch-englische Annäherung gefördert
nus der einzigen Erwägung heraus, auch England an den Dreibund heran¬
zuziehen. Sein Einfluß, den er auf die gesamte italienische Politik auszuüben
vermochte, war eben ungleich größer und tiefgehender, als dies bei unseren
auswärtigen Diplomaten, die dem großen Kanzler folgten, der Fall war.
Jedenfalls: Crispi war als Leiter der verantwortlichen Politik von dem
aufrichtigen Wunsch beseelt, mit den Verbündeten im Einverständnis zu
handeln. Und dieser Wunsch ging ihm über alle Verpflichtungen irgend¬
welcher anderer Abmachungen. Crispis Nachfolgern fehlt — und das tritt
besonders im Laufe des letzten Jahrzehnts immer deutlicher hervor — mehr
oder weniger gerade jenes vorurteilslose und klarsichtige Einfühlungsvermögen


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[0210] Bismcirck und die italienische Politik scher Seite, Konspirationen unterschieben wollen. Er äußerte sich zu solchen Auslassungen: „Mag sein. Will man es so nennen, nun gut: wir haben uns in Friedrichsruh verschworen, aber verschworen für den Frieden, und daher können alle, die dieses hehre Gut lieben, an dieser Verschwörung teil¬ nehmen .......Wir haben Europa einen Dienst erwiesen. Unser Bündnis hat daher als Zweck die Vorbeugung, nicht aber die Heraus¬ forderung, die Ordnung, nicht die Zerstörung." Die Freundschaft und das gegenseitige Vertrauen dieser beiden genialen Staatsmänner der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war an dem Feuer des täglichen Kampfes zusammengeschweißt. In jenen Jahren vertraute die verantwortliche italienische Politik bedingungslos auf Deutschland; denn Crispi war der festen Überzeugung, daß dessen Politik zum Frieden neigte. „Deutschland, welches in Betreff Italien sicher war, unterstützte dessen Ansehen und Interesse, wo es auch war, noch über den Wortlaut des Bündnisvertrages hinaus." (Crispi: Memoiren S. 397). Mit dem Rücktritt Crispis legte die italienische Politik mehr und mehr jene kräftige aktive Mittelmeerpolitik „aä acta", die Crispi betrieb und forderte, die einzig und allein den Interessen der Großmacht Italien ent¬ spricht, und die von Deutschland wie von Österreich-Ungarn nicht nur ge¬ billigt, sondern allezeit aufs kräftigste unterstützt wurde, und ersetzte diese durch eine von einem großen Teil der Presse propagierte Wiederaufnahme der „Mare- Nostro"-Politik, deren einseitige und selbstische Ausstrahlung mit Natur¬ notwendigkeit den alten Gegensatz zur Habsburgischen Monarchie entfachen mußte, und die in letzter Hinsicht die fortwährenden „Extratouren" des italieni¬ schen Bundesgenossen bedingte. Crispi ist der ideale Typus des national-italienischen Realpolitikers mit zukunftstragendem weltpolitischen Weitblick, der auch nach Abschluß des Drei¬ bundes nichts unversucht ließ. Italien an andere Mächte zu fesseln. Solcher Art erfolgte schon bald nach dem Anschluß an den Dreibund die Schwenkung zu England. Crispi hat damit die Grundlage für die „Extratouren" des italienischen Verbündeten geschaffen; Bismarck hatte, angesichts der damaligen Konstellation der großen Mächte, die italienisch-englische Annäherung gefördert nus der einzigen Erwägung heraus, auch England an den Dreibund heran¬ zuziehen. Sein Einfluß, den er auf die gesamte italienische Politik auszuüben vermochte, war eben ungleich größer und tiefgehender, als dies bei unseren auswärtigen Diplomaten, die dem großen Kanzler folgten, der Fall war. Jedenfalls: Crispi war als Leiter der verantwortlichen Politik von dem aufrichtigen Wunsch beseelt, mit den Verbündeten im Einverständnis zu handeln. Und dieser Wunsch ging ihm über alle Verpflichtungen irgend¬ welcher anderer Abmachungen. Crispis Nachfolgern fehlt — und das tritt besonders im Laufe des letzten Jahrzehnts immer deutlicher hervor — mehr oder weniger gerade jenes vorurteilslose und klarsichtige Einfühlungsvermögen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/210>, abgerufen am 27.07.2024.