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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Johann Adam Lramb als Imperialist

Cramb aber benutzt in seinem übrigens erfolgreichen Streben nach An¬
schaulichkeit noch eine besondere historische Gegenüberstellung, um den grund¬
sätzlichen und wesenhaften Unterschied zwischen dem modernen englischen und
speziell dem alten spanischen Imperialismus recht sinnfällig hervortreten zu
lassen. Ein bedeutungsvolles Symbol für den altspanischen Imperialismus und
sein Scheitern ist ihm der Zug Aldas in die Niederlande: äußerlich glanzvoll,
militärisch über jedem Zweifel erhaben, aber doch nur dem Ziele der Folter¬
kammer zustrebend. Man blicke, sagt der Verfasser, von diesem Zuge Aldas
auf den Vormarsch der Engländer across elf veielt ok ^kriea, d. h. über die
blutgetränkten Steppen, Felder und Kopjes Südafrikas. Gegen eine solche
Parallele zwischen Alba und Kitchener hätte auch ein Deutscher nichts ein¬
zuwenden. Er würde freilich sagen: Kitchener war schlimmer als Alba. Denn
der Spanier handelte wenigstens nach einer aufrichtigen religiös-absolutistischen
Überzeugung. Tief unter diesem ehernen Grundsatzmenschen der älteren Zeit
steht der moderne Opportunist Kitchener mit den Greueln seiner Konzentrations¬
lager. Cramb aber beschwört den Schatten der Schergen Aldas nur herauf,
um eine wirkungsvolle dunkle Folie zu haben sür den idealistischen Glanz der
südafrikanischen Armee Englands. Zu welchem Zwecke ist sie ausgezogen?
"Um die Gottheit im Herzen der Menschen zu befreien, damit fortan das Leben
des Menschen frei sei." Ihre Parole lautet: "Gott hat alle Völker der Erde
aus demselben Blute geschaffen." --




Der englische Imperialismus als geistige Bewegung ist in seinen Anfängen
eine Reaktion gegen den schrankenlosen Individualismus des Manchestertums
und besonders gegen die extrem individualistische Staatsauffassung des englischen
Liberalismus Vulgaris der Jahrhundertmitte. Carlyle wird nicht müde, mit
überlegenen Waffen diesen geistesarmen und blutleeren Individualismus anzu¬
greifen. Auch Cramb verwirft die individualistische zugunsten der "organischen"
Staatsauffassung. Der Staat ist für ihn alles eher als eine äußerliche Sum¬
mierung von Individuen. Wie das Ganze mehr ist als seine Teile und der
Organismus mehr als seine Organe, so ist auch der Staat grundsätzlich etwas
anderes als das Individuum. Das Leben des Staates ist besonderen Gesetzen
unterworfen, die dunkler und geheimnisvoller sind als die, denen seine Glieder
folgen. Wie bei Carlyle, so ist auch bei Cramb der Staat in ein mystisches,
aber um so heiligeres Dunkel gehüllt. Diese Imperialisten legen dem Staate
als einer einzigartigen, unvergleichbaren Größe wieder eine ganz andere Würde
bei als die Individualisten, die ihn abwechselnd nur als Feind des einzelnen
verschrieen oder als Ausbeutungsgegenstand mißbrauchten.

Und doch unterliegen Staat und Individuum auch wieder ein und demselben
Gesetze. Für beide gibt es nämlich keinen besseren Erzieher als das Unglück.
Beide werden -- das Gesetz der alten Tragödie -- durch Not und Leiden ge-


Johann Adam Lramb als Imperialist

Cramb aber benutzt in seinem übrigens erfolgreichen Streben nach An¬
schaulichkeit noch eine besondere historische Gegenüberstellung, um den grund¬
sätzlichen und wesenhaften Unterschied zwischen dem modernen englischen und
speziell dem alten spanischen Imperialismus recht sinnfällig hervortreten zu
lassen. Ein bedeutungsvolles Symbol für den altspanischen Imperialismus und
sein Scheitern ist ihm der Zug Aldas in die Niederlande: äußerlich glanzvoll,
militärisch über jedem Zweifel erhaben, aber doch nur dem Ziele der Folter¬
kammer zustrebend. Man blicke, sagt der Verfasser, von diesem Zuge Aldas
auf den Vormarsch der Engländer across elf veielt ok ^kriea, d. h. über die
blutgetränkten Steppen, Felder und Kopjes Südafrikas. Gegen eine solche
Parallele zwischen Alba und Kitchener hätte auch ein Deutscher nichts ein¬
zuwenden. Er würde freilich sagen: Kitchener war schlimmer als Alba. Denn
der Spanier handelte wenigstens nach einer aufrichtigen religiös-absolutistischen
Überzeugung. Tief unter diesem ehernen Grundsatzmenschen der älteren Zeit
steht der moderne Opportunist Kitchener mit den Greueln seiner Konzentrations¬
lager. Cramb aber beschwört den Schatten der Schergen Aldas nur herauf,
um eine wirkungsvolle dunkle Folie zu haben sür den idealistischen Glanz der
südafrikanischen Armee Englands. Zu welchem Zwecke ist sie ausgezogen?
„Um die Gottheit im Herzen der Menschen zu befreien, damit fortan das Leben
des Menschen frei sei." Ihre Parole lautet: „Gott hat alle Völker der Erde
aus demselben Blute geschaffen." —




Der englische Imperialismus als geistige Bewegung ist in seinen Anfängen
eine Reaktion gegen den schrankenlosen Individualismus des Manchestertums
und besonders gegen die extrem individualistische Staatsauffassung des englischen
Liberalismus Vulgaris der Jahrhundertmitte. Carlyle wird nicht müde, mit
überlegenen Waffen diesen geistesarmen und blutleeren Individualismus anzu¬
greifen. Auch Cramb verwirft die individualistische zugunsten der „organischen"
Staatsauffassung. Der Staat ist für ihn alles eher als eine äußerliche Sum¬
mierung von Individuen. Wie das Ganze mehr ist als seine Teile und der
Organismus mehr als seine Organe, so ist auch der Staat grundsätzlich etwas
anderes als das Individuum. Das Leben des Staates ist besonderen Gesetzen
unterworfen, die dunkler und geheimnisvoller sind als die, denen seine Glieder
folgen. Wie bei Carlyle, so ist auch bei Cramb der Staat in ein mystisches,
aber um so heiligeres Dunkel gehüllt. Diese Imperialisten legen dem Staate
als einer einzigartigen, unvergleichbaren Größe wieder eine ganz andere Würde
bei als die Individualisten, die ihn abwechselnd nur als Feind des einzelnen
verschrieen oder als Ausbeutungsgegenstand mißbrauchten.

Und doch unterliegen Staat und Individuum auch wieder ein und demselben
Gesetze. Für beide gibt es nämlich keinen besseren Erzieher als das Unglück.
Beide werden — das Gesetz der alten Tragödie — durch Not und Leiden ge-


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[0198] Johann Adam Lramb als Imperialist Cramb aber benutzt in seinem übrigens erfolgreichen Streben nach An¬ schaulichkeit noch eine besondere historische Gegenüberstellung, um den grund¬ sätzlichen und wesenhaften Unterschied zwischen dem modernen englischen und speziell dem alten spanischen Imperialismus recht sinnfällig hervortreten zu lassen. Ein bedeutungsvolles Symbol für den altspanischen Imperialismus und sein Scheitern ist ihm der Zug Aldas in die Niederlande: äußerlich glanzvoll, militärisch über jedem Zweifel erhaben, aber doch nur dem Ziele der Folter¬ kammer zustrebend. Man blicke, sagt der Verfasser, von diesem Zuge Aldas auf den Vormarsch der Engländer across elf veielt ok ^kriea, d. h. über die blutgetränkten Steppen, Felder und Kopjes Südafrikas. Gegen eine solche Parallele zwischen Alba und Kitchener hätte auch ein Deutscher nichts ein¬ zuwenden. Er würde freilich sagen: Kitchener war schlimmer als Alba. Denn der Spanier handelte wenigstens nach einer aufrichtigen religiös-absolutistischen Überzeugung. Tief unter diesem ehernen Grundsatzmenschen der älteren Zeit steht der moderne Opportunist Kitchener mit den Greueln seiner Konzentrations¬ lager. Cramb aber beschwört den Schatten der Schergen Aldas nur herauf, um eine wirkungsvolle dunkle Folie zu haben sür den idealistischen Glanz der südafrikanischen Armee Englands. Zu welchem Zwecke ist sie ausgezogen? „Um die Gottheit im Herzen der Menschen zu befreien, damit fortan das Leben des Menschen frei sei." Ihre Parole lautet: „Gott hat alle Völker der Erde aus demselben Blute geschaffen." — Der englische Imperialismus als geistige Bewegung ist in seinen Anfängen eine Reaktion gegen den schrankenlosen Individualismus des Manchestertums und besonders gegen die extrem individualistische Staatsauffassung des englischen Liberalismus Vulgaris der Jahrhundertmitte. Carlyle wird nicht müde, mit überlegenen Waffen diesen geistesarmen und blutleeren Individualismus anzu¬ greifen. Auch Cramb verwirft die individualistische zugunsten der „organischen" Staatsauffassung. Der Staat ist für ihn alles eher als eine äußerliche Sum¬ mierung von Individuen. Wie das Ganze mehr ist als seine Teile und der Organismus mehr als seine Organe, so ist auch der Staat grundsätzlich etwas anderes als das Individuum. Das Leben des Staates ist besonderen Gesetzen unterworfen, die dunkler und geheimnisvoller sind als die, denen seine Glieder folgen. Wie bei Carlyle, so ist auch bei Cramb der Staat in ein mystisches, aber um so heiligeres Dunkel gehüllt. Diese Imperialisten legen dem Staate als einer einzigartigen, unvergleichbaren Größe wieder eine ganz andere Würde bei als die Individualisten, die ihn abwechselnd nur als Feind des einzelnen verschrieen oder als Ausbeutungsgegenstand mißbrauchten. Und doch unterliegen Staat und Individuum auch wieder ein und demselben Gesetze. Für beide gibt es nämlich keinen besseren Erzieher als das Unglück. Beide werden — das Gesetz der alten Tragödie — durch Not und Leiden ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/198>, abgerufen am 28.07.2024.