Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

werden könne, mit diesem Torso des ursprünglichen Versicherers das Vertrags¬
verhältnis fortzusetzen. Das Oberlandesgericht Darmstadt hat aber einen
Versicherungsvertrag für rechtsbeständig erklärt, weil die Zahlung der Prämien
und der Versicherungssumme weder gegen das deutsche noch gegen das englische
Zahlungsverbot verstoße und eine Gefährdung der Sicherheit nicht eingetreten
sei, da die Gesellschaft in Deutschland ein Vermögen von über 3 Millionen Mark
besitze, 2 und ^4 Millionen Mark Sicherheit geleistet habe und eine deutsche
Gesellschaft mit einem Vermögen von 54 Millionen den deutschen Versicherungs-
bestand in Rückendeckung genommen und außerdem den einzelnen Versicherten
gegenüber die selbstschuldnersche Bürgschaft übernommen habe.

Vereinzelt steht eine vom Landgericht Braunschweig vertretene Ansicht da,
die von einem juristischen Schriftsteller als etwas kühn und mindestens nicht
unanfechtbar bezeichnet ist. Die Gesellschaft hatte auf Zahlung von Prämien
geklagt und war damit abgewiesen, was ungefähr folgendermaßen begründet
ist: "Die deutsche Zweigniederlassung ist begründet, damit die englische Gesell¬
schaft aus deutschen Einnahmen wirtschaftliche Vorteile zieht. Fließen der
Zweigniederlassung auch nach dem Kriegsausbruch deutsche Gelder zu, so
werden für die englische Gesellschaft die Vorteile größer oder die ihr aus dem
Kriegsausbruch bezüglich des deutschen Geschäfts entstandenen Nachteile
geringer. Durch den Krieg ist das deutsche Vaterlandsgefühl stark geweckt,
und es gilt ganz allgemein, wie tagtäglich in der Tagespresse und in zahl¬
losen Veröffentlichungen als Niederschlag der öffentlichen Meinung zu lesen ist,
als nicht dem heutigen deutschen Volksempfinden entsprechend, einer englischen
Gesellschaft mit deutschem Gelde irgendwelche Vorteile zu verschaffen. Das
entspricht der zelligen deutschen Verkehrsauffassung. Nun ist es zwar richtig
daß der einzelne für Maßnahmen des Staates nicht verantwortlich zu machen
ist. Der einzelne ist und bleibt aber doch Mitglied seines Volkes und muß
es sich gefallen lassen, von einem Vorwurf mitgetroffen zu werden, der mit
Grund seinem Volke gemacht wird, und hier wird mit Fug und Recht gegen
das englische Volk der Vorwurf erhoben, durch völkerrechtswidrige wirtschaft¬
liche und kriegerische Maßnahmen das Leben des deutschen Volkes vernichtend
treffen zu wollen. Daher ist keinem deutschen Versicherten nach der jetzt
herrschenden Verkehrsanschauung mit Rücksicht auf die Vertragstreue zuzumuten,
den Versicherungsvertrag mit der Gesellschaft seit Kriegsausbruch fortzusetzen,
eben weil sie eine englische Versicherungsgesellschaft ist." Es ist fraglich, ob
das Gericht gegen eine französische oder russische Gesellschaft ebenso entschiede" Hütte.

Den Gipfelpunkt der Unparteilichkeit stellt em Urteil des Hanseatischen
Oberlanoesgerichts dar. Nach Z 259 der Zivilprozeßordnung kann auf künftige
Leistung geklagt werden, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt
ist, daß der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde. Auf
Grund dieser Vorschrift klagte ein deutscher Versicherter gegen seine englische
Gesellschaft auf künftige Zahlung der Versicherungssumme, das Gericht hielt


Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

werden könne, mit diesem Torso des ursprünglichen Versicherers das Vertrags¬
verhältnis fortzusetzen. Das Oberlandesgericht Darmstadt hat aber einen
Versicherungsvertrag für rechtsbeständig erklärt, weil die Zahlung der Prämien
und der Versicherungssumme weder gegen das deutsche noch gegen das englische
Zahlungsverbot verstoße und eine Gefährdung der Sicherheit nicht eingetreten
sei, da die Gesellschaft in Deutschland ein Vermögen von über 3 Millionen Mark
besitze, 2 und ^4 Millionen Mark Sicherheit geleistet habe und eine deutsche
Gesellschaft mit einem Vermögen von 54 Millionen den deutschen Versicherungs-
bestand in Rückendeckung genommen und außerdem den einzelnen Versicherten
gegenüber die selbstschuldnersche Bürgschaft übernommen habe.

Vereinzelt steht eine vom Landgericht Braunschweig vertretene Ansicht da,
die von einem juristischen Schriftsteller als etwas kühn und mindestens nicht
unanfechtbar bezeichnet ist. Die Gesellschaft hatte auf Zahlung von Prämien
geklagt und war damit abgewiesen, was ungefähr folgendermaßen begründet
ist: „Die deutsche Zweigniederlassung ist begründet, damit die englische Gesell¬
schaft aus deutschen Einnahmen wirtschaftliche Vorteile zieht. Fließen der
Zweigniederlassung auch nach dem Kriegsausbruch deutsche Gelder zu, so
werden für die englische Gesellschaft die Vorteile größer oder die ihr aus dem
Kriegsausbruch bezüglich des deutschen Geschäfts entstandenen Nachteile
geringer. Durch den Krieg ist das deutsche Vaterlandsgefühl stark geweckt,
und es gilt ganz allgemein, wie tagtäglich in der Tagespresse und in zahl¬
losen Veröffentlichungen als Niederschlag der öffentlichen Meinung zu lesen ist,
als nicht dem heutigen deutschen Volksempfinden entsprechend, einer englischen
Gesellschaft mit deutschem Gelde irgendwelche Vorteile zu verschaffen. Das
entspricht der zelligen deutschen Verkehrsauffassung. Nun ist es zwar richtig
daß der einzelne für Maßnahmen des Staates nicht verantwortlich zu machen
ist. Der einzelne ist und bleibt aber doch Mitglied seines Volkes und muß
es sich gefallen lassen, von einem Vorwurf mitgetroffen zu werden, der mit
Grund seinem Volke gemacht wird, und hier wird mit Fug und Recht gegen
das englische Volk der Vorwurf erhoben, durch völkerrechtswidrige wirtschaft¬
liche und kriegerische Maßnahmen das Leben des deutschen Volkes vernichtend
treffen zu wollen. Daher ist keinem deutschen Versicherten nach der jetzt
herrschenden Verkehrsanschauung mit Rücksicht auf die Vertragstreue zuzumuten,
den Versicherungsvertrag mit der Gesellschaft seit Kriegsausbruch fortzusetzen,
eben weil sie eine englische Versicherungsgesellschaft ist." Es ist fraglich, ob
das Gericht gegen eine französische oder russische Gesellschaft ebenso entschiede» Hütte.

Den Gipfelpunkt der Unparteilichkeit stellt em Urteil des Hanseatischen
Oberlanoesgerichts dar. Nach Z 259 der Zivilprozeßordnung kann auf künftige
Leistung geklagt werden, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt
ist, daß der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde. Auf
Grund dieser Vorschrift klagte ein deutscher Versicherter gegen seine englische
Gesellschaft auf künftige Zahlung der Versicherungssumme, das Gericht hielt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330290"/>
          <fw type="header" place="top"> Unsere Gerichte und das feindliche Ausland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_635" prev="#ID_634"> werden könne, mit diesem Torso des ursprünglichen Versicherers das Vertrags¬<lb/>
verhältnis fortzusetzen. Das Oberlandesgericht Darmstadt hat aber einen<lb/>
Versicherungsvertrag für rechtsbeständig erklärt, weil die Zahlung der Prämien<lb/>
und der Versicherungssumme weder gegen das deutsche noch gegen das englische<lb/>
Zahlungsverbot verstoße und eine Gefährdung der Sicherheit nicht eingetreten<lb/>
sei, da die Gesellschaft in Deutschland ein Vermögen von über 3 Millionen Mark<lb/>
besitze, 2 und ^4 Millionen Mark Sicherheit geleistet habe und eine deutsche<lb/>
Gesellschaft mit einem Vermögen von 54 Millionen den deutschen Versicherungs-<lb/>
bestand in Rückendeckung genommen und außerdem den einzelnen Versicherten<lb/>
gegenüber die selbstschuldnersche Bürgschaft übernommen habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_636"> Vereinzelt steht eine vom Landgericht Braunschweig vertretene Ansicht da,<lb/>
die von einem juristischen Schriftsteller als etwas kühn und mindestens nicht<lb/>
unanfechtbar bezeichnet ist. Die Gesellschaft hatte auf Zahlung von Prämien<lb/>
geklagt und war damit abgewiesen, was ungefähr folgendermaßen begründet<lb/>
ist: &#x201E;Die deutsche Zweigniederlassung ist begründet, damit die englische Gesell¬<lb/>
schaft aus deutschen Einnahmen wirtschaftliche Vorteile zieht. Fließen der<lb/>
Zweigniederlassung auch nach dem Kriegsausbruch deutsche Gelder zu, so<lb/>
werden für die englische Gesellschaft die Vorteile größer oder die ihr aus dem<lb/>
Kriegsausbruch bezüglich des deutschen Geschäfts entstandenen Nachteile<lb/>
geringer. Durch den Krieg ist das deutsche Vaterlandsgefühl stark geweckt,<lb/>
und es gilt ganz allgemein, wie tagtäglich in der Tagespresse und in zahl¬<lb/>
losen Veröffentlichungen als Niederschlag der öffentlichen Meinung zu lesen ist,<lb/>
als nicht dem heutigen deutschen Volksempfinden entsprechend, einer englischen<lb/>
Gesellschaft mit deutschem Gelde irgendwelche Vorteile zu verschaffen. Das<lb/>
entspricht der zelligen deutschen Verkehrsauffassung. Nun ist es zwar richtig<lb/>
daß der einzelne für Maßnahmen des Staates nicht verantwortlich zu machen<lb/>
ist. Der einzelne ist und bleibt aber doch Mitglied seines Volkes und muß<lb/>
es sich gefallen lassen, von einem Vorwurf mitgetroffen zu werden, der mit<lb/>
Grund seinem Volke gemacht wird, und hier wird mit Fug und Recht gegen<lb/>
das englische Volk der Vorwurf erhoben, durch völkerrechtswidrige wirtschaft¬<lb/>
liche und kriegerische Maßnahmen das Leben des deutschen Volkes vernichtend<lb/>
treffen zu wollen. Daher ist keinem deutschen Versicherten nach der jetzt<lb/>
herrschenden Verkehrsanschauung mit Rücksicht auf die Vertragstreue zuzumuten,<lb/>
den Versicherungsvertrag mit der Gesellschaft seit Kriegsausbruch fortzusetzen,<lb/>
eben weil sie eine englische Versicherungsgesellschaft ist." Es ist fraglich, ob<lb/>
das Gericht gegen eine französische oder russische Gesellschaft ebenso entschiede» Hütte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_637" next="#ID_638"> Den Gipfelpunkt der Unparteilichkeit stellt em Urteil des Hanseatischen<lb/>
Oberlanoesgerichts dar. Nach Z 259 der Zivilprozeßordnung kann auf künftige<lb/>
Leistung geklagt werden, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt<lb/>
ist, daß der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde. Auf<lb/>
Grund dieser Vorschrift klagte ein deutscher Versicherter gegen seine englische<lb/>
Gesellschaft auf künftige Zahlung der Versicherungssumme, das Gericht hielt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Unsere Gerichte und das feindliche Ausland werden könne, mit diesem Torso des ursprünglichen Versicherers das Vertrags¬ verhältnis fortzusetzen. Das Oberlandesgericht Darmstadt hat aber einen Versicherungsvertrag für rechtsbeständig erklärt, weil die Zahlung der Prämien und der Versicherungssumme weder gegen das deutsche noch gegen das englische Zahlungsverbot verstoße und eine Gefährdung der Sicherheit nicht eingetreten sei, da die Gesellschaft in Deutschland ein Vermögen von über 3 Millionen Mark besitze, 2 und ^4 Millionen Mark Sicherheit geleistet habe und eine deutsche Gesellschaft mit einem Vermögen von 54 Millionen den deutschen Versicherungs- bestand in Rückendeckung genommen und außerdem den einzelnen Versicherten gegenüber die selbstschuldnersche Bürgschaft übernommen habe. Vereinzelt steht eine vom Landgericht Braunschweig vertretene Ansicht da, die von einem juristischen Schriftsteller als etwas kühn und mindestens nicht unanfechtbar bezeichnet ist. Die Gesellschaft hatte auf Zahlung von Prämien geklagt und war damit abgewiesen, was ungefähr folgendermaßen begründet ist: „Die deutsche Zweigniederlassung ist begründet, damit die englische Gesell¬ schaft aus deutschen Einnahmen wirtschaftliche Vorteile zieht. Fließen der Zweigniederlassung auch nach dem Kriegsausbruch deutsche Gelder zu, so werden für die englische Gesellschaft die Vorteile größer oder die ihr aus dem Kriegsausbruch bezüglich des deutschen Geschäfts entstandenen Nachteile geringer. Durch den Krieg ist das deutsche Vaterlandsgefühl stark geweckt, und es gilt ganz allgemein, wie tagtäglich in der Tagespresse und in zahl¬ losen Veröffentlichungen als Niederschlag der öffentlichen Meinung zu lesen ist, als nicht dem heutigen deutschen Volksempfinden entsprechend, einer englischen Gesellschaft mit deutschem Gelde irgendwelche Vorteile zu verschaffen. Das entspricht der zelligen deutschen Verkehrsauffassung. Nun ist es zwar richtig daß der einzelne für Maßnahmen des Staates nicht verantwortlich zu machen ist. Der einzelne ist und bleibt aber doch Mitglied seines Volkes und muß es sich gefallen lassen, von einem Vorwurf mitgetroffen zu werden, der mit Grund seinem Volke gemacht wird, und hier wird mit Fug und Recht gegen das englische Volk der Vorwurf erhoben, durch völkerrechtswidrige wirtschaft¬ liche und kriegerische Maßnahmen das Leben des deutschen Volkes vernichtend treffen zu wollen. Daher ist keinem deutschen Versicherten nach der jetzt herrschenden Verkehrsanschauung mit Rücksicht auf die Vertragstreue zuzumuten, den Versicherungsvertrag mit der Gesellschaft seit Kriegsausbruch fortzusetzen, eben weil sie eine englische Versicherungsgesellschaft ist." Es ist fraglich, ob das Gericht gegen eine französische oder russische Gesellschaft ebenso entschiede» Hütte. Den Gipfelpunkt der Unparteilichkeit stellt em Urteil des Hanseatischen Oberlanoesgerichts dar. Nach Z 259 der Zivilprozeßordnung kann auf künftige Leistung geklagt werden, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, daß der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde. Auf Grund dieser Vorschrift klagte ein deutscher Versicherter gegen seine englische Gesellschaft auf künftige Zahlung der Versicherungssumme, das Gericht hielt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/190>, abgerufen am 22.12.2024.