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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

nicht daran gedacht werden, daß Gesellschaften, denen Engländer als Teilhaber
angehören, in Deutschland, wo die englischen Kriegsgesichtspnnkte allgemein
bekannt sind. Geschäfte machen. Das ist trotz aller Nachsicht und Langmut des
deutschen Volkes nicht zu erwarten. Keinesfalls können sich die Gemeinde- und
sonstigen Verwaltungsbehörden, die bisher die hauptsächlichsten Kunden der
Gesellschaft waren, über die in allen Volkskreisen herrschende Stimmung hinweg¬
setzen. Zwei Gemeindeverwaltungen hatten schon erklärt, daß sie der Gesellschaft
so lange keine Aufträge geben würden, als ihr ein Engländer angehöre. Zwar
hat der Ingenieur seine englische Staatsangehörigkeit nicht verschuldet, das ist
jedoch für das Vorliegen eines wichtigen Grundes unerheblich. Übrigens hat
er das Gedeihen der Gesellschaft erheblich gefährdet; er hat sich nicht auf die
Fürsorge für die durch den Kriegsausbruch in Bedrängnis geratenen Eng¬
länderinnen beschränkt, was ihm in Deutschland niemand zum Vorwurf machen
würde, sondern sich offen auf die Seite Englands gestellt und dadurch bei vielen
Deutschen Ärgernis erregt.

Eine ganze Reihe von Entscheidungen ist über die Frage ergangen, ob
um deutscher Versicherter von dem mit einer englischen Versicherungsgesellschaft
geschlossenen Vertrage zurücktreten kann. Diese Frage ist von manchen Gerichten
deshalb bejaht worden, weil die englische Verordnung vom 9. September 1914
die Zahlung von Geldbeträgen an einen Feind oder zu dessen Vorteil verboten
hat und dadurch dem deutschen Versicherten die Erlangung der Versicherungs¬
summe erschwert oder unmöglich gemacht ist; dies gilt auch dann, wenn die
englische Gesellschaft in Deutschland einen erheblichen Betrag zur Erfüllung
ihrer Verpflichtungen festgelegt oder ihre Geschäfte auf deutsche Neichsangehörige
übertragen hat, denn beim Abschlüsse des Vertrages konnte der deutsche Ver¬
sicherte damit rechnen, daß die Gesellschaft mit ihrem ganzen zum größten
Teil in England befindlichen Vermögen für ihre Verbindlichkeiten haftet, die
Lage des Versicherten hat sich also erheblich verschlechtert, wozu noch kommt,
daß nach den gesetzlichen Vorschriften dem Gläubiger nicht ohne seine Ein¬
willigung ein anderer Schuldner an die Stelle seines früheren gesetzt werden
darf. Gegen diesen Standpunkt sind von juristischen Schriftstellern Bedenken
dahin erhoben worden, daß durch eine Vermögensverschlechterung noch nicht
der Rücktritt vom Vertrage gerechtfertigt werde. Eine Entscheidung des Reichs¬
gerichts ist nicht bekannt geworden, mehrere Oberlandesgerichte haben jedoch
den Rücktritt zugelassen. In einem Falle betrug das Vermögen der
englischen Feuerversicherungsgesellschast 135 Millionen Mark, die von ihr für
Deutschland geleistete Sicherheit 1700000 Mark. Das Oberlandesgericht Kiel führt
aus, der Versicherte könne sich jetzt nur an einen bescheidenen Bruchteil des Ge¬
sellschaftsvermögens halten, der übrigens durch ein einziges großes Feuer
vollständig aufgezehrt werden könne; dadurch sei die ganze Grundlage des
Vertragsverhältnisses derart erschüttert und verändert, daß dem Versicherungs¬
nehmer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht wohl zugemutet


Grsnzbote" II i"1K 12
Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

nicht daran gedacht werden, daß Gesellschaften, denen Engländer als Teilhaber
angehören, in Deutschland, wo die englischen Kriegsgesichtspnnkte allgemein
bekannt sind. Geschäfte machen. Das ist trotz aller Nachsicht und Langmut des
deutschen Volkes nicht zu erwarten. Keinesfalls können sich die Gemeinde- und
sonstigen Verwaltungsbehörden, die bisher die hauptsächlichsten Kunden der
Gesellschaft waren, über die in allen Volkskreisen herrschende Stimmung hinweg¬
setzen. Zwei Gemeindeverwaltungen hatten schon erklärt, daß sie der Gesellschaft
so lange keine Aufträge geben würden, als ihr ein Engländer angehöre. Zwar
hat der Ingenieur seine englische Staatsangehörigkeit nicht verschuldet, das ist
jedoch für das Vorliegen eines wichtigen Grundes unerheblich. Übrigens hat
er das Gedeihen der Gesellschaft erheblich gefährdet; er hat sich nicht auf die
Fürsorge für die durch den Kriegsausbruch in Bedrängnis geratenen Eng¬
länderinnen beschränkt, was ihm in Deutschland niemand zum Vorwurf machen
würde, sondern sich offen auf die Seite Englands gestellt und dadurch bei vielen
Deutschen Ärgernis erregt.

Eine ganze Reihe von Entscheidungen ist über die Frage ergangen, ob
um deutscher Versicherter von dem mit einer englischen Versicherungsgesellschaft
geschlossenen Vertrage zurücktreten kann. Diese Frage ist von manchen Gerichten
deshalb bejaht worden, weil die englische Verordnung vom 9. September 1914
die Zahlung von Geldbeträgen an einen Feind oder zu dessen Vorteil verboten
hat und dadurch dem deutschen Versicherten die Erlangung der Versicherungs¬
summe erschwert oder unmöglich gemacht ist; dies gilt auch dann, wenn die
englische Gesellschaft in Deutschland einen erheblichen Betrag zur Erfüllung
ihrer Verpflichtungen festgelegt oder ihre Geschäfte auf deutsche Neichsangehörige
übertragen hat, denn beim Abschlüsse des Vertrages konnte der deutsche Ver¬
sicherte damit rechnen, daß die Gesellschaft mit ihrem ganzen zum größten
Teil in England befindlichen Vermögen für ihre Verbindlichkeiten haftet, die
Lage des Versicherten hat sich also erheblich verschlechtert, wozu noch kommt,
daß nach den gesetzlichen Vorschriften dem Gläubiger nicht ohne seine Ein¬
willigung ein anderer Schuldner an die Stelle seines früheren gesetzt werden
darf. Gegen diesen Standpunkt sind von juristischen Schriftstellern Bedenken
dahin erhoben worden, daß durch eine Vermögensverschlechterung noch nicht
der Rücktritt vom Vertrage gerechtfertigt werde. Eine Entscheidung des Reichs¬
gerichts ist nicht bekannt geworden, mehrere Oberlandesgerichte haben jedoch
den Rücktritt zugelassen. In einem Falle betrug das Vermögen der
englischen Feuerversicherungsgesellschast 135 Millionen Mark, die von ihr für
Deutschland geleistete Sicherheit 1700000 Mark. Das Oberlandesgericht Kiel führt
aus, der Versicherte könne sich jetzt nur an einen bescheidenen Bruchteil des Ge¬
sellschaftsvermögens halten, der übrigens durch ein einziges großes Feuer
vollständig aufgezehrt werden könne; dadurch sei die ganze Grundlage des
Vertragsverhältnisses derart erschüttert und verändert, daß dem Versicherungs¬
nehmer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht wohl zugemutet


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[0189] Unsere Gerichte und das feindliche Ausland nicht daran gedacht werden, daß Gesellschaften, denen Engländer als Teilhaber angehören, in Deutschland, wo die englischen Kriegsgesichtspnnkte allgemein bekannt sind. Geschäfte machen. Das ist trotz aller Nachsicht und Langmut des deutschen Volkes nicht zu erwarten. Keinesfalls können sich die Gemeinde- und sonstigen Verwaltungsbehörden, die bisher die hauptsächlichsten Kunden der Gesellschaft waren, über die in allen Volkskreisen herrschende Stimmung hinweg¬ setzen. Zwei Gemeindeverwaltungen hatten schon erklärt, daß sie der Gesellschaft so lange keine Aufträge geben würden, als ihr ein Engländer angehöre. Zwar hat der Ingenieur seine englische Staatsangehörigkeit nicht verschuldet, das ist jedoch für das Vorliegen eines wichtigen Grundes unerheblich. Übrigens hat er das Gedeihen der Gesellschaft erheblich gefährdet; er hat sich nicht auf die Fürsorge für die durch den Kriegsausbruch in Bedrängnis geratenen Eng¬ länderinnen beschränkt, was ihm in Deutschland niemand zum Vorwurf machen würde, sondern sich offen auf die Seite Englands gestellt und dadurch bei vielen Deutschen Ärgernis erregt. Eine ganze Reihe von Entscheidungen ist über die Frage ergangen, ob um deutscher Versicherter von dem mit einer englischen Versicherungsgesellschaft geschlossenen Vertrage zurücktreten kann. Diese Frage ist von manchen Gerichten deshalb bejaht worden, weil die englische Verordnung vom 9. September 1914 die Zahlung von Geldbeträgen an einen Feind oder zu dessen Vorteil verboten hat und dadurch dem deutschen Versicherten die Erlangung der Versicherungs¬ summe erschwert oder unmöglich gemacht ist; dies gilt auch dann, wenn die englische Gesellschaft in Deutschland einen erheblichen Betrag zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen festgelegt oder ihre Geschäfte auf deutsche Neichsangehörige übertragen hat, denn beim Abschlüsse des Vertrages konnte der deutsche Ver¬ sicherte damit rechnen, daß die Gesellschaft mit ihrem ganzen zum größten Teil in England befindlichen Vermögen für ihre Verbindlichkeiten haftet, die Lage des Versicherten hat sich also erheblich verschlechtert, wozu noch kommt, daß nach den gesetzlichen Vorschriften dem Gläubiger nicht ohne seine Ein¬ willigung ein anderer Schuldner an die Stelle seines früheren gesetzt werden darf. Gegen diesen Standpunkt sind von juristischen Schriftstellern Bedenken dahin erhoben worden, daß durch eine Vermögensverschlechterung noch nicht der Rücktritt vom Vertrage gerechtfertigt werde. Eine Entscheidung des Reichs¬ gerichts ist nicht bekannt geworden, mehrere Oberlandesgerichte haben jedoch den Rücktritt zugelassen. In einem Falle betrug das Vermögen der englischen Feuerversicherungsgesellschast 135 Millionen Mark, die von ihr für Deutschland geleistete Sicherheit 1700000 Mark. Das Oberlandesgericht Kiel führt aus, der Versicherte könne sich jetzt nur an einen bescheidenen Bruchteil des Ge¬ sellschaftsvermögens halten, der übrigens durch ein einziges großes Feuer vollständig aufgezehrt werden könne; dadurch sei die ganze Grundlage des Vertragsverhältnisses derart erschüttert und verändert, daß dem Versicherungs¬ nehmer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht wohl zugemutet Grsnzbote« II i»1K 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/189>, abgerufen am 01.09.2024.