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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

jedoch die Vorschrift nicht für anwendbar. Zwar war das Gericht der Ansicht,
daß das englische Zahlungsverbot bei uns keine Wirksamkeit hat und die
Gesellschaft nicht auf Grund dieses Verbots die Zahlung verweigern darf.
Die Vorschrift ist jedoch nicht anwendbar, da man nicht sagen kann, die
Gesellschaft entziehe sich der Zahlungspflicht, denn ihr droht schwere Strafe,
wenn sie nach Deutschland zahlt, sie hat es also nicht verschuldet, wenn sie
die Zahlung unterläßt; der allgemeine Hinweis, daß die Engländer sich nach
dem Kriegsbeginn "ihres Rechtsgefühls entäußert hätten", reicht zur Verurtei¬
lung nicht aus. Die Klage ist jedoch gemäß § 257 für begründet erachtet,
weil die Versicherungssumme bereits vertragsmäßig am 3. März 1916 zu
zahlen war und noch die letzte Prämie ausstand. Den Betrag der letzten
Prämie durfte die Gesellschaft trotz unseres Zahlungsverbots gegen England
abziehen, weil die Pflicht des Versicherten zur Zahlung der Prämie nicht
aufgehoben war und es zur Zeit der Urteilsfällung (Anfang November 1915)
noch dahinstarb, ob dos Zahlungsverbot noch am I.März 1916 in Kraft sein werde.

In andern Entscheidungen werden Fälle behandelt, wo Firmen sich da¬
gegen wehrten, daß öffentlich behauptet war, sie hingen mit dem feindlichen
Auslande in irgendeiner Weise zusammen. So hatte im August 1914 ein
Vertreter einer deutschen Versicherungsgesellschaft an eine große Anzahl von
Kaufleuten seines Wohnsitzes ein Rundschreiben versendet, in welchem er die
Empfänger aufforderte, ihre mit englischen Feuerversicherungsgesellschaften ab¬
geschlossenen Verträge sofort durch neue zu ersetzen und sich dazu seiner
Gesellschaft zu bedienen; unter Hinweis auf die gegen den deutschen Handel
und gegen alles Deutsche sich richtende Verrufserklärung der englischen Regierung
dürfte nunmehr ein jeder von der Wertlosigkeit der mit englischen Gesellschaften
geschlossenen Versicherungsverträge überzeugt sein. Gegen ihn erhoben einige
Agenten englischer Feueroersicherungsgesellschaften Klage auf Unterlassung solcher
Behauptungen, denn für die zu zahlenden Versicherungssummen ständen sowohl
die in Deutschland einlaufenden Prämien als auch die von den Gesellschaften
beim Kaiserlichen Aufsichtsamt hinterlegten Sicherheiten zur Verfügung, auch
würden im Notfalle die englischen Gesellschaften von ihrer Regierung die
Erlaubnis erhalten, die erforderlichen Summe nach Deutschland zu überweisen;
im September 1914 hätten übrigens jdeutsche Gesellschaften die Bürgschaft für
die Verpflichtungen der englischen Verhinderer übernommen, und die englischen
Versicherungsscheine würden von der Reichsbank als genügende Sicherheiten
angenommen. Die Klage ist in allen Rechtszügen abgewiesen. Allerdings
werden die deutschen Vertreter der englischen Gesellschaften ihr Bestes tun.
und das Kaiserliche Aufsichtsamt wird sie in ihrem Bestreben unterstützen.
Dies wird jedoch versagen, wenn große, die Sicherheit voll beanspruchende
Schäden vorkommen; bei ungünstiger Gestaltung der Dinge wird die glatte
Erfüllung des Versicherungsanspruchs völlig in Frage gestellt. Im geschäft¬
lichen Sinne ist eine derartige Versicherung mit Recht als wertlos zu be-


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Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

jedoch die Vorschrift nicht für anwendbar. Zwar war das Gericht der Ansicht,
daß das englische Zahlungsverbot bei uns keine Wirksamkeit hat und die
Gesellschaft nicht auf Grund dieses Verbots die Zahlung verweigern darf.
Die Vorschrift ist jedoch nicht anwendbar, da man nicht sagen kann, die
Gesellschaft entziehe sich der Zahlungspflicht, denn ihr droht schwere Strafe,
wenn sie nach Deutschland zahlt, sie hat es also nicht verschuldet, wenn sie
die Zahlung unterläßt; der allgemeine Hinweis, daß die Engländer sich nach
dem Kriegsbeginn „ihres Rechtsgefühls entäußert hätten", reicht zur Verurtei¬
lung nicht aus. Die Klage ist jedoch gemäß § 257 für begründet erachtet,
weil die Versicherungssumme bereits vertragsmäßig am 3. März 1916 zu
zahlen war und noch die letzte Prämie ausstand. Den Betrag der letzten
Prämie durfte die Gesellschaft trotz unseres Zahlungsverbots gegen England
abziehen, weil die Pflicht des Versicherten zur Zahlung der Prämie nicht
aufgehoben war und es zur Zeit der Urteilsfällung (Anfang November 1915)
noch dahinstarb, ob dos Zahlungsverbot noch am I.März 1916 in Kraft sein werde.

In andern Entscheidungen werden Fälle behandelt, wo Firmen sich da¬
gegen wehrten, daß öffentlich behauptet war, sie hingen mit dem feindlichen
Auslande in irgendeiner Weise zusammen. So hatte im August 1914 ein
Vertreter einer deutschen Versicherungsgesellschaft an eine große Anzahl von
Kaufleuten seines Wohnsitzes ein Rundschreiben versendet, in welchem er die
Empfänger aufforderte, ihre mit englischen Feuerversicherungsgesellschaften ab¬
geschlossenen Verträge sofort durch neue zu ersetzen und sich dazu seiner
Gesellschaft zu bedienen; unter Hinweis auf die gegen den deutschen Handel
und gegen alles Deutsche sich richtende Verrufserklärung der englischen Regierung
dürfte nunmehr ein jeder von der Wertlosigkeit der mit englischen Gesellschaften
geschlossenen Versicherungsverträge überzeugt sein. Gegen ihn erhoben einige
Agenten englischer Feueroersicherungsgesellschaften Klage auf Unterlassung solcher
Behauptungen, denn für die zu zahlenden Versicherungssummen ständen sowohl
die in Deutschland einlaufenden Prämien als auch die von den Gesellschaften
beim Kaiserlichen Aufsichtsamt hinterlegten Sicherheiten zur Verfügung, auch
würden im Notfalle die englischen Gesellschaften von ihrer Regierung die
Erlaubnis erhalten, die erforderlichen Summe nach Deutschland zu überweisen;
im September 1914 hätten übrigens jdeutsche Gesellschaften die Bürgschaft für
die Verpflichtungen der englischen Verhinderer übernommen, und die englischen
Versicherungsscheine würden von der Reichsbank als genügende Sicherheiten
angenommen. Die Klage ist in allen Rechtszügen abgewiesen. Allerdings
werden die deutschen Vertreter der englischen Gesellschaften ihr Bestes tun.
und das Kaiserliche Aufsichtsamt wird sie in ihrem Bestreben unterstützen.
Dies wird jedoch versagen, wenn große, die Sicherheit voll beanspruchende
Schäden vorkommen; bei ungünstiger Gestaltung der Dinge wird die glatte
Erfüllung des Versicherungsanspruchs völlig in Frage gestellt. Im geschäft¬
lichen Sinne ist eine derartige Versicherung mit Recht als wertlos zu be-


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[0191] Unsere Gerichte und das feindliche Ausland jedoch die Vorschrift nicht für anwendbar. Zwar war das Gericht der Ansicht, daß das englische Zahlungsverbot bei uns keine Wirksamkeit hat und die Gesellschaft nicht auf Grund dieses Verbots die Zahlung verweigern darf. Die Vorschrift ist jedoch nicht anwendbar, da man nicht sagen kann, die Gesellschaft entziehe sich der Zahlungspflicht, denn ihr droht schwere Strafe, wenn sie nach Deutschland zahlt, sie hat es also nicht verschuldet, wenn sie die Zahlung unterläßt; der allgemeine Hinweis, daß die Engländer sich nach dem Kriegsbeginn „ihres Rechtsgefühls entäußert hätten", reicht zur Verurtei¬ lung nicht aus. Die Klage ist jedoch gemäß § 257 für begründet erachtet, weil die Versicherungssumme bereits vertragsmäßig am 3. März 1916 zu zahlen war und noch die letzte Prämie ausstand. Den Betrag der letzten Prämie durfte die Gesellschaft trotz unseres Zahlungsverbots gegen England abziehen, weil die Pflicht des Versicherten zur Zahlung der Prämie nicht aufgehoben war und es zur Zeit der Urteilsfällung (Anfang November 1915) noch dahinstarb, ob dos Zahlungsverbot noch am I.März 1916 in Kraft sein werde. In andern Entscheidungen werden Fälle behandelt, wo Firmen sich da¬ gegen wehrten, daß öffentlich behauptet war, sie hingen mit dem feindlichen Auslande in irgendeiner Weise zusammen. So hatte im August 1914 ein Vertreter einer deutschen Versicherungsgesellschaft an eine große Anzahl von Kaufleuten seines Wohnsitzes ein Rundschreiben versendet, in welchem er die Empfänger aufforderte, ihre mit englischen Feuerversicherungsgesellschaften ab¬ geschlossenen Verträge sofort durch neue zu ersetzen und sich dazu seiner Gesellschaft zu bedienen; unter Hinweis auf die gegen den deutschen Handel und gegen alles Deutsche sich richtende Verrufserklärung der englischen Regierung dürfte nunmehr ein jeder von der Wertlosigkeit der mit englischen Gesellschaften geschlossenen Versicherungsverträge überzeugt sein. Gegen ihn erhoben einige Agenten englischer Feueroersicherungsgesellschaften Klage auf Unterlassung solcher Behauptungen, denn für die zu zahlenden Versicherungssummen ständen sowohl die in Deutschland einlaufenden Prämien als auch die von den Gesellschaften beim Kaiserlichen Aufsichtsamt hinterlegten Sicherheiten zur Verfügung, auch würden im Notfalle die englischen Gesellschaften von ihrer Regierung die Erlaubnis erhalten, die erforderlichen Summe nach Deutschland zu überweisen; im September 1914 hätten übrigens jdeutsche Gesellschaften die Bürgschaft für die Verpflichtungen der englischen Verhinderer übernommen, und die englischen Versicherungsscheine würden von der Reichsbank als genügende Sicherheiten angenommen. Die Klage ist in allen Rechtszügen abgewiesen. Allerdings werden die deutschen Vertreter der englischen Gesellschaften ihr Bestes tun. und das Kaiserliche Aufsichtsamt wird sie in ihrem Bestreben unterstützen. Dies wird jedoch versagen, wenn große, die Sicherheit voll beanspruchende Schäden vorkommen; bei ungünstiger Gestaltung der Dinge wird die glatte Erfüllung des Versicherungsanspruchs völlig in Frage gestellt. Im geschäft¬ lichen Sinne ist eine derartige Versicherung mit Recht als wertlos zu be- 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/191>, abgerufen am 01.09.2024.