Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

aber eine Bestimmung, sodaß daraus der Wille des Gesetzgebers zu ent¬
nehmen ist, hier solle Vergeltung nicht geübt werden. Dieser Ansicht ist auch
die Mehrzahl der anderen Schriftsteller, die sich mit der Frage beschäftigen,
und auch die beiden anderen oben angeführten Gerichtsentscheidungen stehen
auf diesem Standpunkt, indem sie besondere Umstände anführen, welche die
Entlassung als berechtigt darstellen. Die bloße fremde Staatsangehörigkeit wird
nicht einmal dann genügen, wenn der Dienstherr mit Heereslieferungen betraut
ist, vielmehr muß eine durch Tatsachen gerechtfertigte Besorgnis vorliegen, daß
der Angestellte Verrat üben kann.

Ähnlich ist die Rechtslage bei Gesellschaftsverträgen. Es sind zwei gericht¬
liche Entscheidungen hierüber bekannt geworden, die eine betrifft eine offene
Handelsgesellschaft, die andere eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Bei
beiden Arten von Gesellschaften schreibt das Gesetz (Z 133 des Handelsgesetz-
buchs, H 61 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom
30. Mai 1898) vor, daß durch gerichtliches Urteil die Auflösung ausgesprochen
werden kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die offene Handelsgesell¬
schaft hatte ihren Sitz in Hamburg und betrieb Reederei und Schiffsmakler-
geschüfte. Sie bestand aus einem Deutschen und zwei in England ansässigen
Engländern. Der Deutsche klagte auf Ausschließung der beiden Engländer und
Auflösung der Gesellschaft. Das Landgericht und das Hanseatische Oberlandes¬
gericht wiesen die Klage auf Ausschließung ab und gaben nur der auf Auflösung
statt. Zu letzterer lag ein wichtiger Grund vor, denn durch die Kriegsverhältnisse
waren die wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft nicht nur erschüttert,
sondern sie hatten auch eine tiefgreifende Umgestaltung erfahren; die Teil¬
haberschaft der beiden Engländer mußte dem Deutschen die Fortführung des
Geschäfts in so hohem Grade erschweren, daß ihm die Fortsetzung der Gesell¬
schaft nicht zuzumuten war. Wenn nun auch die Auflösung vorhandene Werte
vernichtete, so mußte doch die Ausschließung der Engländer dem Deutschen
Beziehungen in die Hand geben, die die Engländer sich würden erhalten können,
zumal sie an den Vorgängen nicht schuldig waren, die zur Auflösung der Gesell¬
schaft führten.

Die Gesellschaft in. b. H. befaßte sich in Dresden mit der Herstellung und
dem Verleihen von Straßenwalzen und Aufreißern. Sie bestand seit 1907,
Gesellschafter waren ein Deutscher und ein englischer Ingenieur, der beim Aus¬
bruche des Krieges nach Ruhleben gebracht wurde. Der Deutsche erhob Klage
auf Auflösung der Gesellschaft und drang damit durch. Das Oberlandesgericht
Dresden führt in seiner Entscheidung etwa folgendes aus: Die englische Staats¬
angehörigkeit des Ingenieurs mußte auf die Verhältnisse der Gesellschaft höchst
nachteilig wirken und ihr ferneres Gedeihen aufs äußerste gefährden, da der
Krieg für England ein Handelskrieg und das Mittel war, den geschäftlichen
Wettbewerb Deutschlands im Welthandel niederzuringen und die deutschen
Geschäfte von dem Welthandel auszuschließen. Für längere Zeit kann deshalb


Unsere Gerichte und das feindliche Ausland

aber eine Bestimmung, sodaß daraus der Wille des Gesetzgebers zu ent¬
nehmen ist, hier solle Vergeltung nicht geübt werden. Dieser Ansicht ist auch
die Mehrzahl der anderen Schriftsteller, die sich mit der Frage beschäftigen,
und auch die beiden anderen oben angeführten Gerichtsentscheidungen stehen
auf diesem Standpunkt, indem sie besondere Umstände anführen, welche die
Entlassung als berechtigt darstellen. Die bloße fremde Staatsangehörigkeit wird
nicht einmal dann genügen, wenn der Dienstherr mit Heereslieferungen betraut
ist, vielmehr muß eine durch Tatsachen gerechtfertigte Besorgnis vorliegen, daß
der Angestellte Verrat üben kann.

Ähnlich ist die Rechtslage bei Gesellschaftsverträgen. Es sind zwei gericht¬
liche Entscheidungen hierüber bekannt geworden, die eine betrifft eine offene
Handelsgesellschaft, die andere eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Bei
beiden Arten von Gesellschaften schreibt das Gesetz (Z 133 des Handelsgesetz-
buchs, H 61 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom
30. Mai 1898) vor, daß durch gerichtliches Urteil die Auflösung ausgesprochen
werden kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die offene Handelsgesell¬
schaft hatte ihren Sitz in Hamburg und betrieb Reederei und Schiffsmakler-
geschüfte. Sie bestand aus einem Deutschen und zwei in England ansässigen
Engländern. Der Deutsche klagte auf Ausschließung der beiden Engländer und
Auflösung der Gesellschaft. Das Landgericht und das Hanseatische Oberlandes¬
gericht wiesen die Klage auf Ausschließung ab und gaben nur der auf Auflösung
statt. Zu letzterer lag ein wichtiger Grund vor, denn durch die Kriegsverhältnisse
waren die wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft nicht nur erschüttert,
sondern sie hatten auch eine tiefgreifende Umgestaltung erfahren; die Teil¬
haberschaft der beiden Engländer mußte dem Deutschen die Fortführung des
Geschäfts in so hohem Grade erschweren, daß ihm die Fortsetzung der Gesell¬
schaft nicht zuzumuten war. Wenn nun auch die Auflösung vorhandene Werte
vernichtete, so mußte doch die Ausschließung der Engländer dem Deutschen
Beziehungen in die Hand geben, die die Engländer sich würden erhalten können,
zumal sie an den Vorgängen nicht schuldig waren, die zur Auflösung der Gesell¬
schaft führten.

Die Gesellschaft in. b. H. befaßte sich in Dresden mit der Herstellung und
dem Verleihen von Straßenwalzen und Aufreißern. Sie bestand seit 1907,
Gesellschafter waren ein Deutscher und ein englischer Ingenieur, der beim Aus¬
bruche des Krieges nach Ruhleben gebracht wurde. Der Deutsche erhob Klage
auf Auflösung der Gesellschaft und drang damit durch. Das Oberlandesgericht
Dresden führt in seiner Entscheidung etwa folgendes aus: Die englische Staats¬
angehörigkeit des Ingenieurs mußte auf die Verhältnisse der Gesellschaft höchst
nachteilig wirken und ihr ferneres Gedeihen aufs äußerste gefährden, da der
Krieg für England ein Handelskrieg und das Mittel war, den geschäftlichen
Wettbewerb Deutschlands im Welthandel niederzuringen und die deutschen
Geschäfte von dem Welthandel auszuschließen. Für längere Zeit kann deshalb


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330288"/>
          <fw type="header" place="top"> Unsere Gerichte und das feindliche Ausland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_630" prev="#ID_629"> aber eine Bestimmung, sodaß daraus der Wille des Gesetzgebers zu ent¬<lb/>
nehmen ist, hier solle Vergeltung nicht geübt werden. Dieser Ansicht ist auch<lb/>
die Mehrzahl der anderen Schriftsteller, die sich mit der Frage beschäftigen,<lb/>
und auch die beiden anderen oben angeführten Gerichtsentscheidungen stehen<lb/>
auf diesem Standpunkt, indem sie besondere Umstände anführen, welche die<lb/>
Entlassung als berechtigt darstellen. Die bloße fremde Staatsangehörigkeit wird<lb/>
nicht einmal dann genügen, wenn der Dienstherr mit Heereslieferungen betraut<lb/>
ist, vielmehr muß eine durch Tatsachen gerechtfertigte Besorgnis vorliegen, daß<lb/>
der Angestellte Verrat üben kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_631"> Ähnlich ist die Rechtslage bei Gesellschaftsverträgen. Es sind zwei gericht¬<lb/>
liche Entscheidungen hierüber bekannt geworden, die eine betrifft eine offene<lb/>
Handelsgesellschaft, die andere eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Bei<lb/>
beiden Arten von Gesellschaften schreibt das Gesetz (Z 133 des Handelsgesetz-<lb/>
buchs, H 61 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom<lb/>
30. Mai 1898) vor, daß durch gerichtliches Urteil die Auflösung ausgesprochen<lb/>
werden kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die offene Handelsgesell¬<lb/>
schaft hatte ihren Sitz in Hamburg und betrieb Reederei und Schiffsmakler-<lb/>
geschüfte. Sie bestand aus einem Deutschen und zwei in England ansässigen<lb/>
Engländern. Der Deutsche klagte auf Ausschließung der beiden Engländer und<lb/>
Auflösung der Gesellschaft. Das Landgericht und das Hanseatische Oberlandes¬<lb/>
gericht wiesen die Klage auf Ausschließung ab und gaben nur der auf Auflösung<lb/>
statt. Zu letzterer lag ein wichtiger Grund vor, denn durch die Kriegsverhältnisse<lb/>
waren die wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft nicht nur erschüttert,<lb/>
sondern sie hatten auch eine tiefgreifende Umgestaltung erfahren; die Teil¬<lb/>
haberschaft der beiden Engländer mußte dem Deutschen die Fortführung des<lb/>
Geschäfts in so hohem Grade erschweren, daß ihm die Fortsetzung der Gesell¬<lb/>
schaft nicht zuzumuten war. Wenn nun auch die Auflösung vorhandene Werte<lb/>
vernichtete, so mußte doch die Ausschließung der Engländer dem Deutschen<lb/>
Beziehungen in die Hand geben, die die Engländer sich würden erhalten können,<lb/>
zumal sie an den Vorgängen nicht schuldig waren, die zur Auflösung der Gesell¬<lb/>
schaft führten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_632" next="#ID_633"> Die Gesellschaft in. b. H. befaßte sich in Dresden mit der Herstellung und<lb/>
dem Verleihen von Straßenwalzen und Aufreißern. Sie bestand seit 1907,<lb/>
Gesellschafter waren ein Deutscher und ein englischer Ingenieur, der beim Aus¬<lb/>
bruche des Krieges nach Ruhleben gebracht wurde. Der Deutsche erhob Klage<lb/>
auf Auflösung der Gesellschaft und drang damit durch. Das Oberlandesgericht<lb/>
Dresden führt in seiner Entscheidung etwa folgendes aus: Die englische Staats¬<lb/>
angehörigkeit des Ingenieurs mußte auf die Verhältnisse der Gesellschaft höchst<lb/>
nachteilig wirken und ihr ferneres Gedeihen aufs äußerste gefährden, da der<lb/>
Krieg für England ein Handelskrieg und das Mittel war, den geschäftlichen<lb/>
Wettbewerb Deutschlands im Welthandel niederzuringen und die deutschen<lb/>
Geschäfte von dem Welthandel auszuschließen. Für längere Zeit kann deshalb</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] Unsere Gerichte und das feindliche Ausland aber eine Bestimmung, sodaß daraus der Wille des Gesetzgebers zu ent¬ nehmen ist, hier solle Vergeltung nicht geübt werden. Dieser Ansicht ist auch die Mehrzahl der anderen Schriftsteller, die sich mit der Frage beschäftigen, und auch die beiden anderen oben angeführten Gerichtsentscheidungen stehen auf diesem Standpunkt, indem sie besondere Umstände anführen, welche die Entlassung als berechtigt darstellen. Die bloße fremde Staatsangehörigkeit wird nicht einmal dann genügen, wenn der Dienstherr mit Heereslieferungen betraut ist, vielmehr muß eine durch Tatsachen gerechtfertigte Besorgnis vorliegen, daß der Angestellte Verrat üben kann. Ähnlich ist die Rechtslage bei Gesellschaftsverträgen. Es sind zwei gericht¬ liche Entscheidungen hierüber bekannt geworden, die eine betrifft eine offene Handelsgesellschaft, die andere eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Bei beiden Arten von Gesellschaften schreibt das Gesetz (Z 133 des Handelsgesetz- buchs, H 61 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 30. Mai 1898) vor, daß durch gerichtliches Urteil die Auflösung ausgesprochen werden kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die offene Handelsgesell¬ schaft hatte ihren Sitz in Hamburg und betrieb Reederei und Schiffsmakler- geschüfte. Sie bestand aus einem Deutschen und zwei in England ansässigen Engländern. Der Deutsche klagte auf Ausschließung der beiden Engländer und Auflösung der Gesellschaft. Das Landgericht und das Hanseatische Oberlandes¬ gericht wiesen die Klage auf Ausschließung ab und gaben nur der auf Auflösung statt. Zu letzterer lag ein wichtiger Grund vor, denn durch die Kriegsverhältnisse waren die wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft nicht nur erschüttert, sondern sie hatten auch eine tiefgreifende Umgestaltung erfahren; die Teil¬ haberschaft der beiden Engländer mußte dem Deutschen die Fortführung des Geschäfts in so hohem Grade erschweren, daß ihm die Fortsetzung der Gesell¬ schaft nicht zuzumuten war. Wenn nun auch die Auflösung vorhandene Werte vernichtete, so mußte doch die Ausschließung der Engländer dem Deutschen Beziehungen in die Hand geben, die die Engländer sich würden erhalten können, zumal sie an den Vorgängen nicht schuldig waren, die zur Auflösung der Gesell¬ schaft führten. Die Gesellschaft in. b. H. befaßte sich in Dresden mit der Herstellung und dem Verleihen von Straßenwalzen und Aufreißern. Sie bestand seit 1907, Gesellschafter waren ein Deutscher und ein englischer Ingenieur, der beim Aus¬ bruche des Krieges nach Ruhleben gebracht wurde. Der Deutsche erhob Klage auf Auflösung der Gesellschaft und drang damit durch. Das Oberlandesgericht Dresden führt in seiner Entscheidung etwa folgendes aus: Die englische Staats¬ angehörigkeit des Ingenieurs mußte auf die Verhältnisse der Gesellschaft höchst nachteilig wirken und ihr ferneres Gedeihen aufs äußerste gefährden, da der Krieg für England ein Handelskrieg und das Mittel war, den geschäftlichen Wettbewerb Deutschlands im Welthandel niederzuringen und die deutschen Geschäfte von dem Welthandel auszuschließen. Für längere Zeit kann deshalb

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/188>, abgerufen am 01.09.2024.