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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Zum Kriegsausbruch

Rußland hoffen, daß England mitging, so war die Lage eben hoffnungslos
von Uranfang an -- und so war es in der Tat.

Grey hat den Konferenzvorschlag gemacht, auf den von der Entente soviel
herumgeritten wird, um aus der Nichtannahme dieses Vorschlages Deutschlands
Kriegswillen zu konstruieren. Er wußte dabei genau, daß Deutschland in dieser
Frage, wo es für Österreich-Ungarn um Sein oder Nichtsein ging, seinem
Bundesgenossen niemals zumuten konnte, auf eine Konferenz zu gehen. Zorn,
der doch gewiß ein begeisterter Anhänger der Schiedsgerichtsidee ist, sagt darüber
in seiner im März 1915 erschienenen Abhandlung: "Wer trägt die Schuld"
folgendes:

"Wahrlich, -- wenn einmal in der Weltgeschichte die Ehre eines Staates,
die in den Haager Verhandlungen so eingehend erörterte nonneur national in
Frage stand, die unbedingt und ausnahmslos das Schiedsgericht, d. i. die
Mitwirkung dritter Mächte für Erledigung des Streitfalles, als eine Verpflich¬
tung ausschließt, so war das hier der Fall. Sowohl auf der ersten wie auf
der zweiten Friedenskonferenz war unter allen Staaten ohne Ausnahme der
Grundsatz anerkannt worden, daß in Fragen der staatlichen Ehre, der nonneur
national jeder Staat allein souveräner Richter sein müsse, und daß ein Staat
niemals verpflichtet sein könne, Fragen der nationalen Ehre zur Entscheidung
dem Urteil dritter Staaten in irgendwelcher Form, insbesondere derjenigen des
Schiedsgerichts, zu unterbreiten. ... Wo aber wäre je in der ganzen Welt¬
geschichte ein internationaler Streitfall zu finden, in dem die Ehre eines Staates
in höherem Grade auf dem Spiele stand, als in dem Mordfall von Serajewo,
und noch dazu die Ehre einer altberühmten historischen Großmacht gegenüber
einem in der Geschichte aufs schwerste mit Mordtaten belasteten Staate?"

Grey wußte aber ferner genau, daß selbst wenn Deutschland und Österreich-
Ungarn sich auf die Konferenzidee eingelassen hätte, so wie sie der englische
Minister wollte, Österreich-Ungarns gerechte Ansprüche Serbien gegenüber in
einem solchen Aeropag unbedingt zur Nicherfüllung verurteilt gewesen wären.

Was England über die serbische Frage dachte, ergibt sich daraus, daß
Nicolson, einer unserer schlimmsten Gegner, der mit dem serbischen Gesandten
in London die Verhandlungen führte, ruhig und ohne zu widersprechen,
dessen Mitteilung anhörte, Serbien werde auf keinen Fall "gewisse politische
Ideale" aufgeben. Welches diese politischen Ideale waren, wissen wir. ES
war die Zertrümmerung Österreichs mit Rußlands Hilfe und die Einverleibung
von Dalmatien, Bosnien, Herzegowina, Jstrien und des Karstgebiets in das
größere Königreich Serbien.

Über Frankreichs Haltung brauchen wir kein Wort zu verlieren. Rüchel
betont, daß das französisch-russische Bündnis rein defensiven Charakter hatte
und daß daher bei einem Angriff Rußlands auf Österreich-Ungarn der nasus
foeäeris für Frankreich nicht vorlag. Trotzdem hatte der britische Botschafter
in Petersburg aus den Worten des französischen Botschafters Palöologne schon


Zum Kriegsausbruch

Rußland hoffen, daß England mitging, so war die Lage eben hoffnungslos
von Uranfang an — und so war es in der Tat.

Grey hat den Konferenzvorschlag gemacht, auf den von der Entente soviel
herumgeritten wird, um aus der Nichtannahme dieses Vorschlages Deutschlands
Kriegswillen zu konstruieren. Er wußte dabei genau, daß Deutschland in dieser
Frage, wo es für Österreich-Ungarn um Sein oder Nichtsein ging, seinem
Bundesgenossen niemals zumuten konnte, auf eine Konferenz zu gehen. Zorn,
der doch gewiß ein begeisterter Anhänger der Schiedsgerichtsidee ist, sagt darüber
in seiner im März 1915 erschienenen Abhandlung: „Wer trägt die Schuld"
folgendes:

„Wahrlich, — wenn einmal in der Weltgeschichte die Ehre eines Staates,
die in den Haager Verhandlungen so eingehend erörterte nonneur national in
Frage stand, die unbedingt und ausnahmslos das Schiedsgericht, d. i. die
Mitwirkung dritter Mächte für Erledigung des Streitfalles, als eine Verpflich¬
tung ausschließt, so war das hier der Fall. Sowohl auf der ersten wie auf
der zweiten Friedenskonferenz war unter allen Staaten ohne Ausnahme der
Grundsatz anerkannt worden, daß in Fragen der staatlichen Ehre, der nonneur
national jeder Staat allein souveräner Richter sein müsse, und daß ein Staat
niemals verpflichtet sein könne, Fragen der nationalen Ehre zur Entscheidung
dem Urteil dritter Staaten in irgendwelcher Form, insbesondere derjenigen des
Schiedsgerichts, zu unterbreiten. ... Wo aber wäre je in der ganzen Welt¬
geschichte ein internationaler Streitfall zu finden, in dem die Ehre eines Staates
in höherem Grade auf dem Spiele stand, als in dem Mordfall von Serajewo,
und noch dazu die Ehre einer altberühmten historischen Großmacht gegenüber
einem in der Geschichte aufs schwerste mit Mordtaten belasteten Staate?"

Grey wußte aber ferner genau, daß selbst wenn Deutschland und Österreich-
Ungarn sich auf die Konferenzidee eingelassen hätte, so wie sie der englische
Minister wollte, Österreich-Ungarns gerechte Ansprüche Serbien gegenüber in
einem solchen Aeropag unbedingt zur Nicherfüllung verurteilt gewesen wären.

Was England über die serbische Frage dachte, ergibt sich daraus, daß
Nicolson, einer unserer schlimmsten Gegner, der mit dem serbischen Gesandten
in London die Verhandlungen führte, ruhig und ohne zu widersprechen,
dessen Mitteilung anhörte, Serbien werde auf keinen Fall „gewisse politische
Ideale" aufgeben. Welches diese politischen Ideale waren, wissen wir. ES
war die Zertrümmerung Österreichs mit Rußlands Hilfe und die Einverleibung
von Dalmatien, Bosnien, Herzegowina, Jstrien und des Karstgebiets in das
größere Königreich Serbien.

Über Frankreichs Haltung brauchen wir kein Wort zu verlieren. Rüchel
betont, daß das französisch-russische Bündnis rein defensiven Charakter hatte
und daß daher bei einem Angriff Rußlands auf Österreich-Ungarn der nasus
foeäeris für Frankreich nicht vorlag. Trotzdem hatte der britische Botschafter
in Petersburg aus den Worten des französischen Botschafters Palöologne schon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/18>, abgerufen am 27.07.2024.