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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Zum Kriegsausbruch

Mäßigung werde raten können, so erklärte er. als der österreichisch-ungarische
Botschafter ihm einen Bericht überreichen wollte, "worin das Verhalten Serbiens
gegen Österreich-Ungarn geschildert und die Notwendigkeit des österreichischen
Vorgehens dargelegt war, er sei "nicht gesonnen, eine Betrachtung über die
zwischen Österreich. Ungarn und Serbien schwebende Frage anzustellen" (Rüchel
S. 10). Grey erklärte ferner schon am 24. Juli dem deutschen Botschafter,
daß er sich "Rußland gegenüber hilflos" fühle. "Und" -- ich zitiere Rüchel --
"damit in Rußland keinerlei Zweifel mehr über Englands Haltung bestehe,
erklärte Grey am 27. Juli dem russischen Botschafter, Grafen Benckendorff.
England werde nicht in jedem Falle unbeteiligt bleiben, diese Meinung werde
durch die Tatsache widerlegt, daß die erste britische Flottendivision, welche zu¬
fällig in Portland vereinigt sei, den Befehl erhalten habe, nicht zu den Manövern
auszulaufen (muß heißen nach den Manövern nicht auseinander zu gehen), also
sich bereit zu halten . . . Sofort wiegelte er aber wieder ab, indem er bei"
fügte, diese Maßregel dürfe nur so ausgelegt werden, daß England keine anderen
als diplomatische Schritte unternehmen werde. Diese Mitteilung war für
Rußland sehr kostbar und man verstand sie an der Newa trotz ihrer Zwei¬
deutigkeit."

Rüchel hebt ferner richtig hervor, daß gleichzeitig Grey Rußland warnte,
über die wahren Absichten Englands der deutschen Regierung nichts mitzuteilen
und "im Interesse des Friedens" den Mobilmachungsbefehl so lange als möglich
hinauszuschieben. "Auch diese Sprache", sagt Rüchel, "verstanden die Russen
und leugneten ihre am 25. Juli beschlossene Teilmobilisation den Deutschen
gegenüber zweimal unter Ehrenwort am 27. und am 29. Juli. Unmittelbar
nach der zweiten Ableugnung gaben sie dieselben öffentlich bekannt."

Rüchel wird sicherlich nicht leugnen, daß es bei einer solchen Lage der
Dinge für die deutsche Diplomatie unmöglich war. einen Gegensatz zwischen
Rußland und England, der in der Tat nicht vorhanden war. auszunutzen und
zu vertiefen. England hatte ja seit 1907 nur auf den Augenblick gelauert, wo
Rußland gegen die Mittelmächte in einer Frage engagiert war, die es unter
allen Umständen durchsetzen wollte. Und solche Frage war nach der Russen
Ansicht die serbische. Da jeder der unmittelbar beteiligten Staaten, von Ur¬
anfang der Krise an, an seinem Standpunkt festhielt, so hätte England nur
dann den Frieden der Welt retten können, wenn es sich nach beiden Seiten
vollkommen freigehalten und den ehrlichen Makler gespielt hätte. Bei den
Energien, die hier gegeneinander in Bewegung gesetzt wurden, mußte eine
solche Vermittlung nach beiden Seiten hin unbeirrt und mit festem Willen durch¬
geführt werden. Dazu reichte es nicht bei Grey. Genau so zweideutig, wie
seine Abmachungen mit Frankreich, seine Erklärungen über diese Abmachungen
im Parlament und gegenüber dem deutschen Botschafter gewesen waren, genau
so zweideutig war seine Politik in den ersten drei Tagen der Krise. Und
gerade auf die Eindeutigkeit dieser Politik kam viel, ja alles an. Konnte


Zum Kriegsausbruch

Mäßigung werde raten können, so erklärte er. als der österreichisch-ungarische
Botschafter ihm einen Bericht überreichen wollte, „worin das Verhalten Serbiens
gegen Österreich-Ungarn geschildert und die Notwendigkeit des österreichischen
Vorgehens dargelegt war, er sei „nicht gesonnen, eine Betrachtung über die
zwischen Österreich. Ungarn und Serbien schwebende Frage anzustellen" (Rüchel
S. 10). Grey erklärte ferner schon am 24. Juli dem deutschen Botschafter,
daß er sich „Rußland gegenüber hilflos" fühle. „Und" — ich zitiere Rüchel —
„damit in Rußland keinerlei Zweifel mehr über Englands Haltung bestehe,
erklärte Grey am 27. Juli dem russischen Botschafter, Grafen Benckendorff.
England werde nicht in jedem Falle unbeteiligt bleiben, diese Meinung werde
durch die Tatsache widerlegt, daß die erste britische Flottendivision, welche zu¬
fällig in Portland vereinigt sei, den Befehl erhalten habe, nicht zu den Manövern
auszulaufen (muß heißen nach den Manövern nicht auseinander zu gehen), also
sich bereit zu halten . . . Sofort wiegelte er aber wieder ab, indem er bei«
fügte, diese Maßregel dürfe nur so ausgelegt werden, daß England keine anderen
als diplomatische Schritte unternehmen werde. Diese Mitteilung war für
Rußland sehr kostbar und man verstand sie an der Newa trotz ihrer Zwei¬
deutigkeit."

Rüchel hebt ferner richtig hervor, daß gleichzeitig Grey Rußland warnte,
über die wahren Absichten Englands der deutschen Regierung nichts mitzuteilen
und „im Interesse des Friedens" den Mobilmachungsbefehl so lange als möglich
hinauszuschieben. „Auch diese Sprache", sagt Rüchel, „verstanden die Russen
und leugneten ihre am 25. Juli beschlossene Teilmobilisation den Deutschen
gegenüber zweimal unter Ehrenwort am 27. und am 29. Juli. Unmittelbar
nach der zweiten Ableugnung gaben sie dieselben öffentlich bekannt."

Rüchel wird sicherlich nicht leugnen, daß es bei einer solchen Lage der
Dinge für die deutsche Diplomatie unmöglich war. einen Gegensatz zwischen
Rußland und England, der in der Tat nicht vorhanden war. auszunutzen und
zu vertiefen. England hatte ja seit 1907 nur auf den Augenblick gelauert, wo
Rußland gegen die Mittelmächte in einer Frage engagiert war, die es unter
allen Umständen durchsetzen wollte. Und solche Frage war nach der Russen
Ansicht die serbische. Da jeder der unmittelbar beteiligten Staaten, von Ur¬
anfang der Krise an, an seinem Standpunkt festhielt, so hätte England nur
dann den Frieden der Welt retten können, wenn es sich nach beiden Seiten
vollkommen freigehalten und den ehrlichen Makler gespielt hätte. Bei den
Energien, die hier gegeneinander in Bewegung gesetzt wurden, mußte eine
solche Vermittlung nach beiden Seiten hin unbeirrt und mit festem Willen durch¬
geführt werden. Dazu reichte es nicht bei Grey. Genau so zweideutig, wie
seine Abmachungen mit Frankreich, seine Erklärungen über diese Abmachungen
im Parlament und gegenüber dem deutschen Botschafter gewesen waren, genau
so zweideutig war seine Politik in den ersten drei Tagen der Krise. Und
gerade auf die Eindeutigkeit dieser Politik kam viel, ja alles an. Konnte


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[0017] Zum Kriegsausbruch Mäßigung werde raten können, so erklärte er. als der österreichisch-ungarische Botschafter ihm einen Bericht überreichen wollte, „worin das Verhalten Serbiens gegen Österreich-Ungarn geschildert und die Notwendigkeit des österreichischen Vorgehens dargelegt war, er sei „nicht gesonnen, eine Betrachtung über die zwischen Österreich. Ungarn und Serbien schwebende Frage anzustellen" (Rüchel S. 10). Grey erklärte ferner schon am 24. Juli dem deutschen Botschafter, daß er sich „Rußland gegenüber hilflos" fühle. „Und" — ich zitiere Rüchel — „damit in Rußland keinerlei Zweifel mehr über Englands Haltung bestehe, erklärte Grey am 27. Juli dem russischen Botschafter, Grafen Benckendorff. England werde nicht in jedem Falle unbeteiligt bleiben, diese Meinung werde durch die Tatsache widerlegt, daß die erste britische Flottendivision, welche zu¬ fällig in Portland vereinigt sei, den Befehl erhalten habe, nicht zu den Manövern auszulaufen (muß heißen nach den Manövern nicht auseinander zu gehen), also sich bereit zu halten . . . Sofort wiegelte er aber wieder ab, indem er bei« fügte, diese Maßregel dürfe nur so ausgelegt werden, daß England keine anderen als diplomatische Schritte unternehmen werde. Diese Mitteilung war für Rußland sehr kostbar und man verstand sie an der Newa trotz ihrer Zwei¬ deutigkeit." Rüchel hebt ferner richtig hervor, daß gleichzeitig Grey Rußland warnte, über die wahren Absichten Englands der deutschen Regierung nichts mitzuteilen und „im Interesse des Friedens" den Mobilmachungsbefehl so lange als möglich hinauszuschieben. „Auch diese Sprache", sagt Rüchel, „verstanden die Russen und leugneten ihre am 25. Juli beschlossene Teilmobilisation den Deutschen gegenüber zweimal unter Ehrenwort am 27. und am 29. Juli. Unmittelbar nach der zweiten Ableugnung gaben sie dieselben öffentlich bekannt." Rüchel wird sicherlich nicht leugnen, daß es bei einer solchen Lage der Dinge für die deutsche Diplomatie unmöglich war. einen Gegensatz zwischen Rußland und England, der in der Tat nicht vorhanden war. auszunutzen und zu vertiefen. England hatte ja seit 1907 nur auf den Augenblick gelauert, wo Rußland gegen die Mittelmächte in einer Frage engagiert war, die es unter allen Umständen durchsetzen wollte. Und solche Frage war nach der Russen Ansicht die serbische. Da jeder der unmittelbar beteiligten Staaten, von Ur¬ anfang der Krise an, an seinem Standpunkt festhielt, so hätte England nur dann den Frieden der Welt retten können, wenn es sich nach beiden Seiten vollkommen freigehalten und den ehrlichen Makler gespielt hätte. Bei den Energien, die hier gegeneinander in Bewegung gesetzt wurden, mußte eine solche Vermittlung nach beiden Seiten hin unbeirrt und mit festem Willen durch¬ geführt werden. Dazu reichte es nicht bei Grey. Genau so zweideutig, wie seine Abmachungen mit Frankreich, seine Erklärungen über diese Abmachungen im Parlament und gegenüber dem deutschen Botschafter gewesen waren, genau so zweideutig war seine Politik in den ersten drei Tagen der Krise. Und gerade auf die Eindeutigkeit dieser Politik kam viel, ja alles an. Konnte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/17>, abgerufen am 27.07.2024.