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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Türkische Znkmiftscmfgaben

heimische Scholle mit Pflug und Hacke zu bearbeiten, um so mehr, als auch
das Heer und die Beamtenschaft sehr viele Kräfte beanspruchen.

Wenn man ein stattliches Haus bauen will, muß man zuerst für ein
tüchtiges Fundament sorgen. Die Grundlage des türkischen Reiches ist aber die
anatolische Bauernschaft muhamedanischen Glaubens, die durch die Blutopfer
der letzten Kriege sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Wie auch
immer die politische Lage sich in Zukunft gestalten möge, in letzter Linie steht
und fällt das Kalifenreich doch mit seinem Heere, dem die anatolische Bauern¬
schaft den Hauptstamm der Rekruten liefern muß. Wenn es uns gelingt, die
Lücken in diesem Stande auszufüllen und ihn durch eine zweckmäßige, den ört¬
lichen Verhältnissen angepaßte Volksschulbildung soweit zu fördern, daß er aus
zwölf bis fünfzehn Millionen arbeitsamer und vaterlandsliebender Menschen
besteht, so ist damit das osmanische Reich auf einen Felsen gegründet, der
manchen Stürmen zu trotzen vermag. Gerade bei solchen Völkern, die, wie die
Türken, auf verhältnismäßig einfacher Kulturstufe verharren, kann alle Kultur¬
arbeit nur dann segensreich wirken, wenn man von unten zu bauen beginnt
und keine Türmchen und Erker plant, ehe man für wirkliche Wohnräume gesorgt
hat. Jene Leute, welche alle möglichen Hochschulen für osmanische Knaben
gründen möchten, solange noch fruchtbare Gebiete Kleinasiens des Pflügers
bedürfen, und solange noch ganze Dorfschaften auf einer Bildungsstufe zurück¬
bleiben, die sie jeder wirtschaftlichen Ausbeutung schutzlos preisgibt, gleichen
Heeresschöpfern, welche alle möglichen Sondertruppen ausbilden, ehe sie für ein
tüchtiges Fußvolk gesorgt haben. In mancher Hinsicht ist es zu bedauern, daß
sich die höheren Bildungsanstalten der Türkei so sehr in der Hauptstadt
zusammendrängen. Dadurch wird es nur erschwert, die Zöglinge von Handels¬
und anderen Fachschulen dort unterzubringen, wo sie am nötigsten wären und
am ehesten etwas vor sich bringen könnten, nämlich in aufstrebenden Land¬
städten, die von osmanischen Bauernlande umgeben sind. Wir dürfen dabei
nicht vergessen, daß die Söhne Konstantinopels sich nur ungern von ihrer
Vaterstadt trennen, wo nach solchen Jünglingen vorläufig noch leine rechte
Nachfrage ist.

Auch an dieser Stelle möchte ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, zu
wie brauchbaren Staatsbürgern die osmanischen Kriegswaisen der letzten Kriege
heranwachsen könnten, wenn sie in geeigneten Waisenhäusern zu Landjckul-
lehrern, mittleren Beamten, schlichten Landärzten u. a. in. erzogen würden,
Müßte es doch seltsam zugehen, wenn es nicht gelingen sollte, aus diesen
Knaben hartgewohnte, anspruchslose Menschen zu machen, denen ihre Ämter
mit ganz anderen Erwartungen anvertraut werden könnten als der haupt¬
städtischen Jugend, die sich nach altem Brauch mehr auf Freunde und Ver¬
wandte als auf die eigene Tüchtigkeit zu verlassen pflegt. Vielleicht komme-?
dann bald Zeiten, wo man häufiger als heutzutage in dem Konak des ent¬
legenen Städtchens Beamte findet, die sich ihrer Stelle freuen und nicht


Türkische Znkmiftscmfgaben

heimische Scholle mit Pflug und Hacke zu bearbeiten, um so mehr, als auch
das Heer und die Beamtenschaft sehr viele Kräfte beanspruchen.

Wenn man ein stattliches Haus bauen will, muß man zuerst für ein
tüchtiges Fundament sorgen. Die Grundlage des türkischen Reiches ist aber die
anatolische Bauernschaft muhamedanischen Glaubens, die durch die Blutopfer
der letzten Kriege sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Wie auch
immer die politische Lage sich in Zukunft gestalten möge, in letzter Linie steht
und fällt das Kalifenreich doch mit seinem Heere, dem die anatolische Bauern¬
schaft den Hauptstamm der Rekruten liefern muß. Wenn es uns gelingt, die
Lücken in diesem Stande auszufüllen und ihn durch eine zweckmäßige, den ört¬
lichen Verhältnissen angepaßte Volksschulbildung soweit zu fördern, daß er aus
zwölf bis fünfzehn Millionen arbeitsamer und vaterlandsliebender Menschen
besteht, so ist damit das osmanische Reich auf einen Felsen gegründet, der
manchen Stürmen zu trotzen vermag. Gerade bei solchen Völkern, die, wie die
Türken, auf verhältnismäßig einfacher Kulturstufe verharren, kann alle Kultur¬
arbeit nur dann segensreich wirken, wenn man von unten zu bauen beginnt
und keine Türmchen und Erker plant, ehe man für wirkliche Wohnräume gesorgt
hat. Jene Leute, welche alle möglichen Hochschulen für osmanische Knaben
gründen möchten, solange noch fruchtbare Gebiete Kleinasiens des Pflügers
bedürfen, und solange noch ganze Dorfschaften auf einer Bildungsstufe zurück¬
bleiben, die sie jeder wirtschaftlichen Ausbeutung schutzlos preisgibt, gleichen
Heeresschöpfern, welche alle möglichen Sondertruppen ausbilden, ehe sie für ein
tüchtiges Fußvolk gesorgt haben. In mancher Hinsicht ist es zu bedauern, daß
sich die höheren Bildungsanstalten der Türkei so sehr in der Hauptstadt
zusammendrängen. Dadurch wird es nur erschwert, die Zöglinge von Handels¬
und anderen Fachschulen dort unterzubringen, wo sie am nötigsten wären und
am ehesten etwas vor sich bringen könnten, nämlich in aufstrebenden Land¬
städten, die von osmanischen Bauernlande umgeben sind. Wir dürfen dabei
nicht vergessen, daß die Söhne Konstantinopels sich nur ungern von ihrer
Vaterstadt trennen, wo nach solchen Jünglingen vorläufig noch leine rechte
Nachfrage ist.

Auch an dieser Stelle möchte ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, zu
wie brauchbaren Staatsbürgern die osmanischen Kriegswaisen der letzten Kriege
heranwachsen könnten, wenn sie in geeigneten Waisenhäusern zu Landjckul-
lehrern, mittleren Beamten, schlichten Landärzten u. a. in. erzogen würden,
Müßte es doch seltsam zugehen, wenn es nicht gelingen sollte, aus diesen
Knaben hartgewohnte, anspruchslose Menschen zu machen, denen ihre Ämter
mit ganz anderen Erwartungen anvertraut werden könnten als der haupt¬
städtischen Jugend, die sich nach altem Brauch mehr auf Freunde und Ver¬
wandte als auf die eigene Tüchtigkeit zu verlassen pflegt. Vielleicht komme-?
dann bald Zeiten, wo man häufiger als heutzutage in dem Konak des ent¬
legenen Städtchens Beamte findet, die sich ihrer Stelle freuen und nicht


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[0144] Türkische Znkmiftscmfgaben heimische Scholle mit Pflug und Hacke zu bearbeiten, um so mehr, als auch das Heer und die Beamtenschaft sehr viele Kräfte beanspruchen. Wenn man ein stattliches Haus bauen will, muß man zuerst für ein tüchtiges Fundament sorgen. Die Grundlage des türkischen Reiches ist aber die anatolische Bauernschaft muhamedanischen Glaubens, die durch die Blutopfer der letzten Kriege sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Wie auch immer die politische Lage sich in Zukunft gestalten möge, in letzter Linie steht und fällt das Kalifenreich doch mit seinem Heere, dem die anatolische Bauern¬ schaft den Hauptstamm der Rekruten liefern muß. Wenn es uns gelingt, die Lücken in diesem Stande auszufüllen und ihn durch eine zweckmäßige, den ört¬ lichen Verhältnissen angepaßte Volksschulbildung soweit zu fördern, daß er aus zwölf bis fünfzehn Millionen arbeitsamer und vaterlandsliebender Menschen besteht, so ist damit das osmanische Reich auf einen Felsen gegründet, der manchen Stürmen zu trotzen vermag. Gerade bei solchen Völkern, die, wie die Türken, auf verhältnismäßig einfacher Kulturstufe verharren, kann alle Kultur¬ arbeit nur dann segensreich wirken, wenn man von unten zu bauen beginnt und keine Türmchen und Erker plant, ehe man für wirkliche Wohnräume gesorgt hat. Jene Leute, welche alle möglichen Hochschulen für osmanische Knaben gründen möchten, solange noch fruchtbare Gebiete Kleinasiens des Pflügers bedürfen, und solange noch ganze Dorfschaften auf einer Bildungsstufe zurück¬ bleiben, die sie jeder wirtschaftlichen Ausbeutung schutzlos preisgibt, gleichen Heeresschöpfern, welche alle möglichen Sondertruppen ausbilden, ehe sie für ein tüchtiges Fußvolk gesorgt haben. In mancher Hinsicht ist es zu bedauern, daß sich die höheren Bildungsanstalten der Türkei so sehr in der Hauptstadt zusammendrängen. Dadurch wird es nur erschwert, die Zöglinge von Handels¬ und anderen Fachschulen dort unterzubringen, wo sie am nötigsten wären und am ehesten etwas vor sich bringen könnten, nämlich in aufstrebenden Land¬ städten, die von osmanischen Bauernlande umgeben sind. Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß die Söhne Konstantinopels sich nur ungern von ihrer Vaterstadt trennen, wo nach solchen Jünglingen vorläufig noch leine rechte Nachfrage ist. Auch an dieser Stelle möchte ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, zu wie brauchbaren Staatsbürgern die osmanischen Kriegswaisen der letzten Kriege heranwachsen könnten, wenn sie in geeigneten Waisenhäusern zu Landjckul- lehrern, mittleren Beamten, schlichten Landärzten u. a. in. erzogen würden, Müßte es doch seltsam zugehen, wenn es nicht gelingen sollte, aus diesen Knaben hartgewohnte, anspruchslose Menschen zu machen, denen ihre Ämter mit ganz anderen Erwartungen anvertraut werden könnten als der haupt¬ städtischen Jugend, die sich nach altem Brauch mehr auf Freunde und Ver¬ wandte als auf die eigene Tüchtigkeit zu verlassen pflegt. Vielleicht komme-? dann bald Zeiten, wo man häufiger als heutzutage in dem Konak des ent¬ legenen Städtchens Beamte findet, die sich ihrer Stelle freuen und nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/144>, abgerufen am 28.07.2024.