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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Türkische Zukuustsaufgabon

Darm, daß wir die Osmanen auf jede Weise fördern müssen, sind sich
unsere Landsleute schon längst einig; nur fehlt mitunter die rechte Klarheit
darüber, wie das erreicht werden kann. Sicherlich wäre es herrlich, wenn man
den osmanischen Bevölkerungsanteil der Türkei in den Stand setzen könnte,
allen Anforderungen, welche Ackerbau, Handel und Industrie an die Einwohner
des Reiches stellen, aus eigenen Kräften zu genügen. Wie die Dinge aber
liegen, baut der Mann, welcher sich mit solchen Hoffnungen trägt, nur Luft¬
schlösser. Infolge einer wirtschaftlichen Entwicklung, die Jahrhunderte dauerte,
sind den Armeniern und Griechen die meisten städtischen Gewerbe zugefallen,
und diesem Umstände verdanken sie so treffliche Anlagen für die herkömmlichen
Berufe ihrer Volksgenossen, daß der Osmane nur in Ausnahmefällen dazu
geeignet wäre, an ihre Stelle zu treten. Außerdem wird durch diesen Sach¬
verhalt der Bestand des Reiches nicht gefährdet. Auch unter den mächtigsten
Sultanen war der Armenier der Geldmann, der Grieche der Händler der Türkei,
die trotzdem eine Welt in Schach zu halten vermochte. Würde man aber den
Angehörigen dieser Nationen den Betrieb ihrer Gewerbe zugunsten der Osmanen
durch allerlei bevormundende Maßregeln erschweren, so dürfte man sie nur
den Feinden der Türkei in die Arme führen und den Bau untergraben,
den man doch stützen wollte. Wie bei jedem Händlervolke, hängt auch bei den
Armeniern die politische Stellungnahme zum großen Teil von wirtschaftlichen
Rücksichten ab. Wenn sie eingesehen haben, daß die Engländer nicht imstande
sind, ihre völkischen Hoffnungen zu erfüllen, jeder Weltkrieg dagegen Handel
und Wandel auf Jahre hinaus lahmlegt, so werden sie vermutlich zu der Er¬
kenntnis kommen, daß sich auch unter dem Halbmonde ganz gut wohnen läßt,
um so mehr als gerade durch die planvolle wirtschaftliche Erschließung Klein¬
asiens alle satrapenhafte Selbstherrlichkeit und eigensüchtige Mißwirtschaft der
Provinzialbeamten am wirksamsten erschwert wird. Wozu also fleißige Staats¬
bürger vor den Kopf stoßen, die an vielen Stellen nützliche Arbeit geleistet
haben, wenn es möglich ist, sie durch geeignete Maßnahmen derart in den
Bann des Staates zu zwingen, daß sie nur von dessen Förderung eigene wirt¬
schaftliche Fortschritte erwarten dürfen?

Vorläufig gilt es vor allem, in der Türkei jedem Osmanen den Platz
anzuweisen, den er am besten ausfüllt. Ernstliche Versuche, durch osmanischen
Wettbewerb die Armenier und Griechen im Großhandel entschieden zurück¬
zudrängen, wären erst dann berechtigt, wenn die anatolische Landwirtschaft über
das genügende Menschenmaterial verfügte. Davon ist man aber vorläufig noch
weit entfernt. Landfremde Reisende, denen man in der Hauptstadt allerlei
Musterknaben vorstellt, verfallen leicht in den Irrtum, daß sie diese Verhältnisse
uach Ausnahmen und nicht nach der Regel beurteilen. Der Umstand, daß auf
irgendeiner Handelsschule dreißig, vierzig Moslim eine gute Vorbildung sür den
Handelsstand empfangen haben, vermag nichts daran zu ändern, daß es noch
>ur Menschenalter die Hauptaufgabe der anatolischen Türken bleiben wird, die


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Türkische Zukuustsaufgabon

Darm, daß wir die Osmanen auf jede Weise fördern müssen, sind sich
unsere Landsleute schon längst einig; nur fehlt mitunter die rechte Klarheit
darüber, wie das erreicht werden kann. Sicherlich wäre es herrlich, wenn man
den osmanischen Bevölkerungsanteil der Türkei in den Stand setzen könnte,
allen Anforderungen, welche Ackerbau, Handel und Industrie an die Einwohner
des Reiches stellen, aus eigenen Kräften zu genügen. Wie die Dinge aber
liegen, baut der Mann, welcher sich mit solchen Hoffnungen trägt, nur Luft¬
schlösser. Infolge einer wirtschaftlichen Entwicklung, die Jahrhunderte dauerte,
sind den Armeniern und Griechen die meisten städtischen Gewerbe zugefallen,
und diesem Umstände verdanken sie so treffliche Anlagen für die herkömmlichen
Berufe ihrer Volksgenossen, daß der Osmane nur in Ausnahmefällen dazu
geeignet wäre, an ihre Stelle zu treten. Außerdem wird durch diesen Sach¬
verhalt der Bestand des Reiches nicht gefährdet. Auch unter den mächtigsten
Sultanen war der Armenier der Geldmann, der Grieche der Händler der Türkei,
die trotzdem eine Welt in Schach zu halten vermochte. Würde man aber den
Angehörigen dieser Nationen den Betrieb ihrer Gewerbe zugunsten der Osmanen
durch allerlei bevormundende Maßregeln erschweren, so dürfte man sie nur
den Feinden der Türkei in die Arme führen und den Bau untergraben,
den man doch stützen wollte. Wie bei jedem Händlervolke, hängt auch bei den
Armeniern die politische Stellungnahme zum großen Teil von wirtschaftlichen
Rücksichten ab. Wenn sie eingesehen haben, daß die Engländer nicht imstande
sind, ihre völkischen Hoffnungen zu erfüllen, jeder Weltkrieg dagegen Handel
und Wandel auf Jahre hinaus lahmlegt, so werden sie vermutlich zu der Er¬
kenntnis kommen, daß sich auch unter dem Halbmonde ganz gut wohnen läßt,
um so mehr als gerade durch die planvolle wirtschaftliche Erschließung Klein¬
asiens alle satrapenhafte Selbstherrlichkeit und eigensüchtige Mißwirtschaft der
Provinzialbeamten am wirksamsten erschwert wird. Wozu also fleißige Staats¬
bürger vor den Kopf stoßen, die an vielen Stellen nützliche Arbeit geleistet
haben, wenn es möglich ist, sie durch geeignete Maßnahmen derart in den
Bann des Staates zu zwingen, daß sie nur von dessen Förderung eigene wirt¬
schaftliche Fortschritte erwarten dürfen?

Vorläufig gilt es vor allem, in der Türkei jedem Osmanen den Platz
anzuweisen, den er am besten ausfüllt. Ernstliche Versuche, durch osmanischen
Wettbewerb die Armenier und Griechen im Großhandel entschieden zurück¬
zudrängen, wären erst dann berechtigt, wenn die anatolische Landwirtschaft über
das genügende Menschenmaterial verfügte. Davon ist man aber vorläufig noch
weit entfernt. Landfremde Reisende, denen man in der Hauptstadt allerlei
Musterknaben vorstellt, verfallen leicht in den Irrtum, daß sie diese Verhältnisse
uach Ausnahmen und nicht nach der Regel beurteilen. Der Umstand, daß auf
irgendeiner Handelsschule dreißig, vierzig Moslim eine gute Vorbildung sür den
Handelsstand empfangen haben, vermag nichts daran zu ändern, daß es noch
>ur Menschenalter die Hauptaufgabe der anatolischen Türken bleiben wird, die


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[0143] Türkische Zukuustsaufgabon Darm, daß wir die Osmanen auf jede Weise fördern müssen, sind sich unsere Landsleute schon längst einig; nur fehlt mitunter die rechte Klarheit darüber, wie das erreicht werden kann. Sicherlich wäre es herrlich, wenn man den osmanischen Bevölkerungsanteil der Türkei in den Stand setzen könnte, allen Anforderungen, welche Ackerbau, Handel und Industrie an die Einwohner des Reiches stellen, aus eigenen Kräften zu genügen. Wie die Dinge aber liegen, baut der Mann, welcher sich mit solchen Hoffnungen trägt, nur Luft¬ schlösser. Infolge einer wirtschaftlichen Entwicklung, die Jahrhunderte dauerte, sind den Armeniern und Griechen die meisten städtischen Gewerbe zugefallen, und diesem Umstände verdanken sie so treffliche Anlagen für die herkömmlichen Berufe ihrer Volksgenossen, daß der Osmane nur in Ausnahmefällen dazu geeignet wäre, an ihre Stelle zu treten. Außerdem wird durch diesen Sach¬ verhalt der Bestand des Reiches nicht gefährdet. Auch unter den mächtigsten Sultanen war der Armenier der Geldmann, der Grieche der Händler der Türkei, die trotzdem eine Welt in Schach zu halten vermochte. Würde man aber den Angehörigen dieser Nationen den Betrieb ihrer Gewerbe zugunsten der Osmanen durch allerlei bevormundende Maßregeln erschweren, so dürfte man sie nur den Feinden der Türkei in die Arme führen und den Bau untergraben, den man doch stützen wollte. Wie bei jedem Händlervolke, hängt auch bei den Armeniern die politische Stellungnahme zum großen Teil von wirtschaftlichen Rücksichten ab. Wenn sie eingesehen haben, daß die Engländer nicht imstande sind, ihre völkischen Hoffnungen zu erfüllen, jeder Weltkrieg dagegen Handel und Wandel auf Jahre hinaus lahmlegt, so werden sie vermutlich zu der Er¬ kenntnis kommen, daß sich auch unter dem Halbmonde ganz gut wohnen läßt, um so mehr als gerade durch die planvolle wirtschaftliche Erschließung Klein¬ asiens alle satrapenhafte Selbstherrlichkeit und eigensüchtige Mißwirtschaft der Provinzialbeamten am wirksamsten erschwert wird. Wozu also fleißige Staats¬ bürger vor den Kopf stoßen, die an vielen Stellen nützliche Arbeit geleistet haben, wenn es möglich ist, sie durch geeignete Maßnahmen derart in den Bann des Staates zu zwingen, daß sie nur von dessen Förderung eigene wirt¬ schaftliche Fortschritte erwarten dürfen? Vorläufig gilt es vor allem, in der Türkei jedem Osmanen den Platz anzuweisen, den er am besten ausfüllt. Ernstliche Versuche, durch osmanischen Wettbewerb die Armenier und Griechen im Großhandel entschieden zurück¬ zudrängen, wären erst dann berechtigt, wenn die anatolische Landwirtschaft über das genügende Menschenmaterial verfügte. Davon ist man aber vorläufig noch weit entfernt. Landfremde Reisende, denen man in der Hauptstadt allerlei Musterknaben vorstellt, verfallen leicht in den Irrtum, daß sie diese Verhältnisse uach Ausnahmen und nicht nach der Regel beurteilen. Der Umstand, daß auf irgendeiner Handelsschule dreißig, vierzig Moslim eine gute Vorbildung sür den Handelsstand empfangen haben, vermag nichts daran zu ändern, daß es noch >ur Menschenalter die Hauptaufgabe der anatolischen Türken bleiben wird, die 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/143>, abgerufen am 28.07.2024.