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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Türkische Zukunftsaufgaben

bildet. Solchen Entwürfen und Plänen ein grundsätzliches, unwiderrufliches
Ende zu bereiten, liegt nicht im Bereiche der Möglichkeit, dagegen können wir
ganz gut eine politische Lage schaffen, die jene unruhigen Geister zwingt,
ihre Pläne im eigensten Interesse vorläufig auf unbestimmte Zeit zu vertagen.

Dieses Ziel haben wir in dem Augenblick erreicht, in dem sie zu der Über¬
zeugung gelangen, das osmcunsche Reich besitze soviel Lebenskraft, daß sein
Bestand auf lange hinaus gewährleistet ist. Es fragt sich nun, ob die Türke"
allein oder mit fremder Hilfe in der Lage sind, einen solchen Zustand der
Dinge herbeizuführen. Selbstverständlich darf diese fremde Hilfe nicht derart
geleistet werden, wie die Engländer dermalen den Ägyptern beisprangen. Aus
solche Weise kann man wohl unter gewissen Voraussetzungen eine ertragreiche
Kolonie schaffen, aber niemals einen bereits geschwächten Staatskörper mit der
Lebenskraft erfüllen, deren er zu selbständigem Dasein bedarf. Daß aber die
Besorgnis, die ganze Türkei könnte zu den Mittelmächten in ein ähnliches
Verhältnis geraten wie Ägypten zu Großbritannien, ganz grundlos ist, sollte
sich eigentlich jeder Osmane selbst sagen. Bei der geographischen Lage
Ägyptens, das entweder an die Wüste oder an das Meer grenzt, durften die
Briten darauf rechnen, im Notfalle selber das Nilland mit verhältnismäßig
geringen Machtmitteln verteidigen zu können, während die Türkei als zukunfts¬
reiches Glied des mitteleuropäischen Wirtschaftsoerbandes eigentlich nur dann
in Frage kommt, wenn sie ihre Grenzen mit eigenen Waffen zu schützen
vermag.

Besitzt nun die Türkei genug kriegstüchtige Söhne, um im Notfall einen
russischen Vormarsch in Kleinasien aufzuhalten und gleichzeitig feindlichen
Landungen an ihrer schier endlosen Meeresküste erfolgreich entgegenzutreten,
und vermag sie den zum Unterhalt solcher Streitkräfte erforderlichen Geldbedarf
aus eigenen Mitteln zu schreiten? -- Ich glaube, daß man diese Fragen be¬
dingungsweise, aber nur bedingungsweise bejahen darf, nämlich in dem Falle,
wenn es der planvollen Arbeit europäischer Beamter gelingt, den anatolischen
Bauernstand so weit zu heben, daß mit einem gleichmäßigen Wachstum seines
Wohlstandes ebenso gerechnet werden darf, wie mit einer fortschreitenden
Steigerung seiner Kopfzahl. Trotzdem auch die Türken unberechenbaren
Stimmungen sehr zugänglich sind, dürften die Ereignisse des letzten Weltkrieges
doch gerade ihre besten Köpfe darüber belehrt haben, wie wenig eine starke,
wehrfähige Türkei in die Pläne der Ententemächte hineinpaßt, und wie gut sie
sich andererseits mit den politischen Hoffnungen der Zentralmächte verträgt. Die
Erfolge, welche sich Rußland, England und Frankreich von ihrer orientalische"
Politik versprechen, haben die Aufteilung des osmanischen Reiches zur uner¬
läßlichen Voraussetzung, wenn nicht dem Wortlaute, so doch der Sache nach,
während die Erwartungen, mit denen die Zentralmächte das türkische Bündnis
geschlossen haben, sich nur dann verwirklichen lassen, wenn der Kauf t"
Zukunft über ein fleißiges Volk und ein schlagfertiges Heer verfügt.


Türkische Zukunftsaufgaben

bildet. Solchen Entwürfen und Plänen ein grundsätzliches, unwiderrufliches
Ende zu bereiten, liegt nicht im Bereiche der Möglichkeit, dagegen können wir
ganz gut eine politische Lage schaffen, die jene unruhigen Geister zwingt,
ihre Pläne im eigensten Interesse vorläufig auf unbestimmte Zeit zu vertagen.

Dieses Ziel haben wir in dem Augenblick erreicht, in dem sie zu der Über¬
zeugung gelangen, das osmcunsche Reich besitze soviel Lebenskraft, daß sein
Bestand auf lange hinaus gewährleistet ist. Es fragt sich nun, ob die Türke«
allein oder mit fremder Hilfe in der Lage sind, einen solchen Zustand der
Dinge herbeizuführen. Selbstverständlich darf diese fremde Hilfe nicht derart
geleistet werden, wie die Engländer dermalen den Ägyptern beisprangen. Aus
solche Weise kann man wohl unter gewissen Voraussetzungen eine ertragreiche
Kolonie schaffen, aber niemals einen bereits geschwächten Staatskörper mit der
Lebenskraft erfüllen, deren er zu selbständigem Dasein bedarf. Daß aber die
Besorgnis, die ganze Türkei könnte zu den Mittelmächten in ein ähnliches
Verhältnis geraten wie Ägypten zu Großbritannien, ganz grundlos ist, sollte
sich eigentlich jeder Osmane selbst sagen. Bei der geographischen Lage
Ägyptens, das entweder an die Wüste oder an das Meer grenzt, durften die
Briten darauf rechnen, im Notfalle selber das Nilland mit verhältnismäßig
geringen Machtmitteln verteidigen zu können, während die Türkei als zukunfts¬
reiches Glied des mitteleuropäischen Wirtschaftsoerbandes eigentlich nur dann
in Frage kommt, wenn sie ihre Grenzen mit eigenen Waffen zu schützen
vermag.

Besitzt nun die Türkei genug kriegstüchtige Söhne, um im Notfall einen
russischen Vormarsch in Kleinasien aufzuhalten und gleichzeitig feindlichen
Landungen an ihrer schier endlosen Meeresküste erfolgreich entgegenzutreten,
und vermag sie den zum Unterhalt solcher Streitkräfte erforderlichen Geldbedarf
aus eigenen Mitteln zu schreiten? — Ich glaube, daß man diese Fragen be¬
dingungsweise, aber nur bedingungsweise bejahen darf, nämlich in dem Falle,
wenn es der planvollen Arbeit europäischer Beamter gelingt, den anatolischen
Bauernstand so weit zu heben, daß mit einem gleichmäßigen Wachstum seines
Wohlstandes ebenso gerechnet werden darf, wie mit einer fortschreitenden
Steigerung seiner Kopfzahl. Trotzdem auch die Türken unberechenbaren
Stimmungen sehr zugänglich sind, dürften die Ereignisse des letzten Weltkrieges
doch gerade ihre besten Köpfe darüber belehrt haben, wie wenig eine starke,
wehrfähige Türkei in die Pläne der Ententemächte hineinpaßt, und wie gut sie
sich andererseits mit den politischen Hoffnungen der Zentralmächte verträgt. Die
Erfolge, welche sich Rußland, England und Frankreich von ihrer orientalische»
Politik versprechen, haben die Aufteilung des osmanischen Reiches zur uner¬
läßlichen Voraussetzung, wenn nicht dem Wortlaute, so doch der Sache nach,
während die Erwartungen, mit denen die Zentralmächte das türkische Bündnis
geschlossen haben, sich nur dann verwirklichen lassen, wenn der Kauf t«
Zukunft über ein fleißiges Volk und ein schlagfertiges Heer verfügt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/142>, abgerufen am 27.07.2024.