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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

freilich auch zustimmend aussprechen, denn
auch dazu müßte ich die Beweise nachprüfen
können. So bleibt mir denn zur Zeit nichts
weiter, als auf Eelbos in jedem Sinne be¬
achtenswerte Schrift nachdrücklich aufmerksam
zu machen und zu hoffen, daß unsere Shake¬
speare-Gelehrten sich auf das Gewissenhafteste
der- gründlichen Arbeit annehmen, entweder
um Eelbos Beweis anzuerkennen oder um
einen sachlichen Gegenbeweis zu liefern.

Hanns Martin Elster
Politik
B. L. Freiherr v. Mackay: Die mo¬
derne Diplomatie. Verlag von Rütten und
Loening in Frankfurt a. M. Preis in Papp¬
band 2,80 M.

Der als Schriftsteller bestens bekannte
Verfasser zeigt in dieser Arbeit die Ent¬
wicklung der Diplomatie bis auf den heutigen
Tag, die beruflichen Anforderungen, die heut¬
zutage an die Diplomatie gestellt werden,
ihre großen und ihre kleinen Aufgaben.

Zunächst gibt der Verfasser in ganz kurzen
Zügen einen Abriß der Geschichte der Dip¬
lomatie. Wenn auch nicht mit Bestimmtheit
festzustellen ist, wann eine ständige Diplomatie
zuerst ins Leben getreten ist, so ist doch zwei¬
fellos, daß Venedig "die Hochschule ihrer
Ausbildung und ihrer prakliichen Erfahrung,
die Pflanzstätte ihrer Charakterbildung und
Machtgewinnung" gewesen ist.

Alsdann entwirft Mackay ein anschauliches
und treffendes Bild des "vielberedeten und
-befehdeten" Staatsmannes Macchiavelli, der
"Tausende in seinen Bann gezwungen: zum
Bösen, die ihn mißverstanden oder mi߬
verstehen wollten, zum Guten, die den Stahl¬
quell seiner Lehre zu finden wußten". Auch
ein kurzer Blick auf die Politik unseres großen
Kanzlers lehre, "wieviel. Schlacken macchia-
vellistischer Politik -- im wohlverstandenen
Sinne -- dem Erzguß BiSmarckscher Diplo¬
matie anhaften".

Äußerst interessant und scharf zeichnet der
Verfasser das Charakterbild der Drahtzieher
der Tripleentente, des englischen Ministers
und Testamentsvollstreckers Eduards VII.,
Edward Grey, deS französischen Chauvinisten
Delcassös und der Zarin-Mutter von Nutz¬

[Spaltenumbruch]

land, deren jahrelange gemeinsame Arbeit
und Mühen ihre Früchte gezeitigt hat in dem
die ganze Welt in Brand setzenden Weltkriege.
Wenn wir auch den Ausführungen des Ver¬
fassers über Zusammensetzung, Ausbildung
und Taktik des diplomatischen Korps nicht in
allen Punkten zuzustimmen vermögen, so hat
er doch zweifellos Recht, daß sehr viel den
Diplomaten zu Unrecht in die Schuhe ge¬
schoben wird, wofür niemand verantwortlich
zu machen ist; denn, wie Mackay richtig aus¬
führt: "es gibt eben in der Geschichte der
Staaten und Völker Wendungen und Ka¬
tastrophenbildungen, die mit der Gesetzmäßig¬
keit elementarer Naturereignisse eintreten und
gegen deren Übergewalt die Diplomatenkunst
letzten Endes ohnmächtig ist". Der Haupt¬
fehler, den man unseren Diplomaten ge¬
gebenenfalls vorwerfen könnte, ist "die
deutsche Grundanständigkeit, Ehrlichkeit, Recht¬
lichkeit der Gesinnung, die nicht Betrug und
Spitzbüberei vermutet, wo äußerliche Wohl¬
anständigkeit das Gegenteil erwarten läßt".
So ehrenwert und schön diese Eigenschaften
sein mögen, so darf man doch nie vergessen,
daß eS in der Politik für viele keine mo¬
ralischen Werte gibt, und "daß daher inner¬
halb des Verkehrs der Nationen, auch der
äußerlich höchstgesitteten, mit jeder abgefeimten
Hinterlist und Tücke in jedem Augenblick und
auf jedem Schleichpfad gerechnet werden muß"-

Theodor Bitterauf: Die deutsche Politik
und die Entstehung des Krieges. C. K.
Becksche Verlagsbuchhandlung in München.

"DaS komplizierte Spiel der Kräfte, die
in dem größten aller Kriege nach einem Aus¬
gleich ringen, sührt bis zur Gründung des
Deutschen Reiches zurück". Dieser Tatsache
eingedenk, beschäftigt sich der Verfasser in der
ersten Hälfte seines Buches mit der Politischen
Weltkonstellation in den letzten 44 Jahren.
Er bietet hier einen interessanten Abriß der
auswärtigen Politik Bismarcks und schildert
die Gründung deS Dreibundes, demgegenüber
sich im Laufe des letzten Jahrzehnts des
19. Jahrhunderts Rußland und Frankreich
zum Zweibunde vereinigten, dem dann etwa
zehn Jahre später England beitrat; dieses
Dreigestirn nahm dann den weniger fest er¬
scheinenden Ausdruck "Lntente coräisle" an.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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freilich auch zustimmend aussprechen, denn
auch dazu müßte ich die Beweise nachprüfen
können. So bleibt mir denn zur Zeit nichts
weiter, als auf Eelbos in jedem Sinne be¬
achtenswerte Schrift nachdrücklich aufmerksam
zu machen und zu hoffen, daß unsere Shake¬
speare-Gelehrten sich auf das Gewissenhafteste
der- gründlichen Arbeit annehmen, entweder
um Eelbos Beweis anzuerkennen oder um
einen sachlichen Gegenbeweis zu liefern.

Hanns Martin Elster
Politik
B. L. Freiherr v. Mackay: Die mo¬
derne Diplomatie. Verlag von Rütten und
Loening in Frankfurt a. M. Preis in Papp¬
band 2,80 M.

Der als Schriftsteller bestens bekannte
Verfasser zeigt in dieser Arbeit die Ent¬
wicklung der Diplomatie bis auf den heutigen
Tag, die beruflichen Anforderungen, die heut¬
zutage an die Diplomatie gestellt werden,
ihre großen und ihre kleinen Aufgaben.

Zunächst gibt der Verfasser in ganz kurzen
Zügen einen Abriß der Geschichte der Dip¬
lomatie. Wenn auch nicht mit Bestimmtheit
festzustellen ist, wann eine ständige Diplomatie
zuerst ins Leben getreten ist, so ist doch zwei¬
fellos, daß Venedig „die Hochschule ihrer
Ausbildung und ihrer prakliichen Erfahrung,
die Pflanzstätte ihrer Charakterbildung und
Machtgewinnung" gewesen ist.

Alsdann entwirft Mackay ein anschauliches
und treffendes Bild des „vielberedeten und
-befehdeten" Staatsmannes Macchiavelli, der
„Tausende in seinen Bann gezwungen: zum
Bösen, die ihn mißverstanden oder mi߬
verstehen wollten, zum Guten, die den Stahl¬
quell seiner Lehre zu finden wußten". Auch
ein kurzer Blick auf die Politik unseres großen
Kanzlers lehre, „wieviel. Schlacken macchia-
vellistischer Politik — im wohlverstandenen
Sinne — dem Erzguß BiSmarckscher Diplo¬
matie anhaften".

Äußerst interessant und scharf zeichnet der
Verfasser das Charakterbild der Drahtzieher
der Tripleentente, des englischen Ministers
und Testamentsvollstreckers Eduards VII.,
Edward Grey, deS französischen Chauvinisten
Delcassös und der Zarin-Mutter von Nutz¬

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land, deren jahrelange gemeinsame Arbeit
und Mühen ihre Früchte gezeitigt hat in dem
die ganze Welt in Brand setzenden Weltkriege.
Wenn wir auch den Ausführungen des Ver¬
fassers über Zusammensetzung, Ausbildung
und Taktik des diplomatischen Korps nicht in
allen Punkten zuzustimmen vermögen, so hat
er doch zweifellos Recht, daß sehr viel den
Diplomaten zu Unrecht in die Schuhe ge¬
schoben wird, wofür niemand verantwortlich
zu machen ist; denn, wie Mackay richtig aus¬
führt: „es gibt eben in der Geschichte der
Staaten und Völker Wendungen und Ka¬
tastrophenbildungen, die mit der Gesetzmäßig¬
keit elementarer Naturereignisse eintreten und
gegen deren Übergewalt die Diplomatenkunst
letzten Endes ohnmächtig ist". Der Haupt¬
fehler, den man unseren Diplomaten ge¬
gebenenfalls vorwerfen könnte, ist „die
deutsche Grundanständigkeit, Ehrlichkeit, Recht¬
lichkeit der Gesinnung, die nicht Betrug und
Spitzbüberei vermutet, wo äußerliche Wohl¬
anständigkeit das Gegenteil erwarten läßt".
So ehrenwert und schön diese Eigenschaften
sein mögen, so darf man doch nie vergessen,
daß eS in der Politik für viele keine mo¬
ralischen Werte gibt, und „daß daher inner¬
halb des Verkehrs der Nationen, auch der
äußerlich höchstgesitteten, mit jeder abgefeimten
Hinterlist und Tücke in jedem Augenblick und
auf jedem Schleichpfad gerechnet werden muß"-

Theodor Bitterauf: Die deutsche Politik
und die Entstehung des Krieges. C. K.
Becksche Verlagsbuchhandlung in München.

„DaS komplizierte Spiel der Kräfte, die
in dem größten aller Kriege nach einem Aus¬
gleich ringen, sührt bis zur Gründung des
Deutschen Reiches zurück". Dieser Tatsache
eingedenk, beschäftigt sich der Verfasser in der
ersten Hälfte seines Buches mit der Politischen
Weltkonstellation in den letzten 44 Jahren.
Er bietet hier einen interessanten Abriß der
auswärtigen Politik Bismarcks und schildert
die Gründung deS Dreibundes, demgegenüber
sich im Laufe des letzten Jahrzehnts des
19. Jahrhunderts Rußland und Frankreich
zum Zweibunde vereinigten, dem dann etwa
zehn Jahre später England beitrat; dieses
Dreigestirn nahm dann den weniger fest er¬
scheinenden Ausdruck „Lntente coräisle" an.

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[0139] Maßgebliches und Unmaßgebliches freilich auch zustimmend aussprechen, denn auch dazu müßte ich die Beweise nachprüfen können. So bleibt mir denn zur Zeit nichts weiter, als auf Eelbos in jedem Sinne be¬ achtenswerte Schrift nachdrücklich aufmerksam zu machen und zu hoffen, daß unsere Shake¬ speare-Gelehrten sich auf das Gewissenhafteste der- gründlichen Arbeit annehmen, entweder um Eelbos Beweis anzuerkennen oder um einen sachlichen Gegenbeweis zu liefern. Hanns Martin Elster Politik B. L. Freiherr v. Mackay: Die mo¬ derne Diplomatie. Verlag von Rütten und Loening in Frankfurt a. M. Preis in Papp¬ band 2,80 M. Der als Schriftsteller bestens bekannte Verfasser zeigt in dieser Arbeit die Ent¬ wicklung der Diplomatie bis auf den heutigen Tag, die beruflichen Anforderungen, die heut¬ zutage an die Diplomatie gestellt werden, ihre großen und ihre kleinen Aufgaben. Zunächst gibt der Verfasser in ganz kurzen Zügen einen Abriß der Geschichte der Dip¬ lomatie. Wenn auch nicht mit Bestimmtheit festzustellen ist, wann eine ständige Diplomatie zuerst ins Leben getreten ist, so ist doch zwei¬ fellos, daß Venedig „die Hochschule ihrer Ausbildung und ihrer prakliichen Erfahrung, die Pflanzstätte ihrer Charakterbildung und Machtgewinnung" gewesen ist. Alsdann entwirft Mackay ein anschauliches und treffendes Bild des „vielberedeten und -befehdeten" Staatsmannes Macchiavelli, der „Tausende in seinen Bann gezwungen: zum Bösen, die ihn mißverstanden oder mi߬ verstehen wollten, zum Guten, die den Stahl¬ quell seiner Lehre zu finden wußten". Auch ein kurzer Blick auf die Politik unseres großen Kanzlers lehre, „wieviel. Schlacken macchia- vellistischer Politik — im wohlverstandenen Sinne — dem Erzguß BiSmarckscher Diplo¬ matie anhaften". Äußerst interessant und scharf zeichnet der Verfasser das Charakterbild der Drahtzieher der Tripleentente, des englischen Ministers und Testamentsvollstreckers Eduards VII., Edward Grey, deS französischen Chauvinisten Delcassös und der Zarin-Mutter von Nutz¬ land, deren jahrelange gemeinsame Arbeit und Mühen ihre Früchte gezeitigt hat in dem die ganze Welt in Brand setzenden Weltkriege. Wenn wir auch den Ausführungen des Ver¬ fassers über Zusammensetzung, Ausbildung und Taktik des diplomatischen Korps nicht in allen Punkten zuzustimmen vermögen, so hat er doch zweifellos Recht, daß sehr viel den Diplomaten zu Unrecht in die Schuhe ge¬ schoben wird, wofür niemand verantwortlich zu machen ist; denn, wie Mackay richtig aus¬ führt: „es gibt eben in der Geschichte der Staaten und Völker Wendungen und Ka¬ tastrophenbildungen, die mit der Gesetzmäßig¬ keit elementarer Naturereignisse eintreten und gegen deren Übergewalt die Diplomatenkunst letzten Endes ohnmächtig ist". Der Haupt¬ fehler, den man unseren Diplomaten ge¬ gebenenfalls vorwerfen könnte, ist „die deutsche Grundanständigkeit, Ehrlichkeit, Recht¬ lichkeit der Gesinnung, die nicht Betrug und Spitzbüberei vermutet, wo äußerliche Wohl¬ anständigkeit das Gegenteil erwarten läßt". So ehrenwert und schön diese Eigenschaften sein mögen, so darf man doch nie vergessen, daß eS in der Politik für viele keine mo¬ ralischen Werte gibt, und „daß daher inner¬ halb des Verkehrs der Nationen, auch der äußerlich höchstgesitteten, mit jeder abgefeimten Hinterlist und Tücke in jedem Augenblick und auf jedem Schleichpfad gerechnet werden muß"- Theodor Bitterauf: Die deutsche Politik und die Entstehung des Krieges. C. K. Becksche Verlagsbuchhandlung in München. „DaS komplizierte Spiel der Kräfte, die in dem größten aller Kriege nach einem Aus¬ gleich ringen, sührt bis zur Gründung des Deutschen Reiches zurück". Dieser Tatsache eingedenk, beschäftigt sich der Verfasser in der ersten Hälfte seines Buches mit der Politischen Weltkonstellation in den letzten 44 Jahren. Er bietet hier einen interessanten Abriß der auswärtigen Politik Bismarcks und schildert die Gründung deS Dreibundes, demgegenüber sich im Laufe des letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts Rußland und Frankreich zum Zweibunde vereinigten, dem dann etwa zehn Jahre später England beitrat; dieses Dreigestirn nahm dann den weniger fest er¬ scheinenden Ausdruck „Lntente coräisle" an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/139>, abgerufen am 01.09.2024.