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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Albaniens Enttäuschung und Erwartung
Freiin Marie AmeUe von Godin von (Schluß)

In Albanien existiert heute außer der wirklich europäisch gebildeten,
intellektuellen Oberschicht, die sich infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse fast
ausschließlich aus dem Adel rekrutiert, -- außer dem Volk und seinen un¬
gebildeten, sei es adligen, sei es unadligen Führern (der wackere Beiram Sur,
der vorzügliche Jssa Bolletin entstammen dem Bauernstand), eine Mittelklasse,
die vielfach im Ausland sich eine gewisse Halbbildung, namentlich aber, da sie
fast ausnahmslos in Amerika erwerbstätig war, einen für albanische Verhältnisse
heute, wo anstelle der (in Mittel- und Südalbanien) feudalen Organisation noch
keine staatlich straffe treten konnte, höchst ungeeigneten Demokratismus angeeignet
haben, eine Abneigung gegen die Besitzenden und Angestammt-Einflußreichen,
die in vielen Fällen zum urteilslosen Haß ausgeartet ist. Schlimmer noch sind
die kleinen Händler, die Winkeladvokaten und Zwischenträger, welche zur Zeit
des alten Regime im Lande blieben, in den Städten aber mit der in der
Staatsverwaltung herrschenden Korruption bekannt wurden, und, um zu Gewinn
zu kommen, sich ihr angepaßt, ja sie gemeistert haben. Sie wurden für jeden
fremden Umtrieb käuflich, sie begeifern, was reicher, mächtiger und klüger ist,
obschon sie fast in allen Fällen von den verlästerten Großen lebten und leben.

Zugegeben, daß ein Teil des albanischen Adels und Großgrundbesitzes,
d. h. jene Familien, die durch Jahrhunderte Regieruugslehen mit großen
Machtbefugnissen inne hatten, seinen Reichtum und seine Macht mißbrauchte,
deshalb bleibt es aber nichtsdestoweniger unbestreitbar, daß es dieser Adel war,
der seine Söhne in Wien und Brüssel, in Rom und Athen studieren ließ, sodaß
diese Söhne dann die albanische Nationalbewegung mit den größten persönlichen
Opfern geschaffen und gefördert haben, obschon sie wußten, daß sie dadurch die
goldenen Sinekuren ihrer Väter in Stambul zerstörten und der eigenen Zukunft
jede Aussicht auf Glanz und Üppigkeit nahmen.

Die Bauern (Erbpächter) freilich, von ihren Gutsherren durchweg gut
behandelt, sind heute den Großen noch ergeben, der eben geschilderte Mittelstand
aber bekämpft sie auf jede Weise.

Ich habe diese Verhältnisse deshalb ausführlicher erwähnt, weil nur sie
das unglaublich plumpe und törichte Vorgehen gegen Essad erklären können;




Albaniens Enttäuschung und Erwartung
Freiin Marie AmeUe von Godin von (Schluß)

In Albanien existiert heute außer der wirklich europäisch gebildeten,
intellektuellen Oberschicht, die sich infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse fast
ausschließlich aus dem Adel rekrutiert, — außer dem Volk und seinen un¬
gebildeten, sei es adligen, sei es unadligen Führern (der wackere Beiram Sur,
der vorzügliche Jssa Bolletin entstammen dem Bauernstand), eine Mittelklasse,
die vielfach im Ausland sich eine gewisse Halbbildung, namentlich aber, da sie
fast ausnahmslos in Amerika erwerbstätig war, einen für albanische Verhältnisse
heute, wo anstelle der (in Mittel- und Südalbanien) feudalen Organisation noch
keine staatlich straffe treten konnte, höchst ungeeigneten Demokratismus angeeignet
haben, eine Abneigung gegen die Besitzenden und Angestammt-Einflußreichen,
die in vielen Fällen zum urteilslosen Haß ausgeartet ist. Schlimmer noch sind
die kleinen Händler, die Winkeladvokaten und Zwischenträger, welche zur Zeit
des alten Regime im Lande blieben, in den Städten aber mit der in der
Staatsverwaltung herrschenden Korruption bekannt wurden, und, um zu Gewinn
zu kommen, sich ihr angepaßt, ja sie gemeistert haben. Sie wurden für jeden
fremden Umtrieb käuflich, sie begeifern, was reicher, mächtiger und klüger ist,
obschon sie fast in allen Fällen von den verlästerten Großen lebten und leben.

Zugegeben, daß ein Teil des albanischen Adels und Großgrundbesitzes,
d. h. jene Familien, die durch Jahrhunderte Regieruugslehen mit großen
Machtbefugnissen inne hatten, seinen Reichtum und seine Macht mißbrauchte,
deshalb bleibt es aber nichtsdestoweniger unbestreitbar, daß es dieser Adel war,
der seine Söhne in Wien und Brüssel, in Rom und Athen studieren ließ, sodaß
diese Söhne dann die albanische Nationalbewegung mit den größten persönlichen
Opfern geschaffen und gefördert haben, obschon sie wußten, daß sie dadurch die
goldenen Sinekuren ihrer Väter in Stambul zerstörten und der eigenen Zukunft
jede Aussicht auf Glanz und Üppigkeit nahmen.

Die Bauern (Erbpächter) freilich, von ihren Gutsherren durchweg gut
behandelt, sind heute den Großen noch ergeben, der eben geschilderte Mittelstand
aber bekämpft sie auf jede Weise.

Ich habe diese Verhältnisse deshalb ausführlicher erwähnt, weil nur sie
das unglaublich plumpe und törichte Vorgehen gegen Essad erklären können;


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[0118] [Abbildung] Albaniens Enttäuschung und Erwartung Freiin Marie AmeUe von Godin von (Schluß) In Albanien existiert heute außer der wirklich europäisch gebildeten, intellektuellen Oberschicht, die sich infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse fast ausschließlich aus dem Adel rekrutiert, — außer dem Volk und seinen un¬ gebildeten, sei es adligen, sei es unadligen Führern (der wackere Beiram Sur, der vorzügliche Jssa Bolletin entstammen dem Bauernstand), eine Mittelklasse, die vielfach im Ausland sich eine gewisse Halbbildung, namentlich aber, da sie fast ausnahmslos in Amerika erwerbstätig war, einen für albanische Verhältnisse heute, wo anstelle der (in Mittel- und Südalbanien) feudalen Organisation noch keine staatlich straffe treten konnte, höchst ungeeigneten Demokratismus angeeignet haben, eine Abneigung gegen die Besitzenden und Angestammt-Einflußreichen, die in vielen Fällen zum urteilslosen Haß ausgeartet ist. Schlimmer noch sind die kleinen Händler, die Winkeladvokaten und Zwischenträger, welche zur Zeit des alten Regime im Lande blieben, in den Städten aber mit der in der Staatsverwaltung herrschenden Korruption bekannt wurden, und, um zu Gewinn zu kommen, sich ihr angepaßt, ja sie gemeistert haben. Sie wurden für jeden fremden Umtrieb käuflich, sie begeifern, was reicher, mächtiger und klüger ist, obschon sie fast in allen Fällen von den verlästerten Großen lebten und leben. Zugegeben, daß ein Teil des albanischen Adels und Großgrundbesitzes, d. h. jene Familien, die durch Jahrhunderte Regieruugslehen mit großen Machtbefugnissen inne hatten, seinen Reichtum und seine Macht mißbrauchte, deshalb bleibt es aber nichtsdestoweniger unbestreitbar, daß es dieser Adel war, der seine Söhne in Wien und Brüssel, in Rom und Athen studieren ließ, sodaß diese Söhne dann die albanische Nationalbewegung mit den größten persönlichen Opfern geschaffen und gefördert haben, obschon sie wußten, daß sie dadurch die goldenen Sinekuren ihrer Väter in Stambul zerstörten und der eigenen Zukunft jede Aussicht auf Glanz und Üppigkeit nahmen. Die Bauern (Erbpächter) freilich, von ihren Gutsherren durchweg gut behandelt, sind heute den Großen noch ergeben, der eben geschilderte Mittelstand aber bekämpft sie auf jede Weise. Ich habe diese Verhältnisse deshalb ausführlicher erwähnt, weil nur sie das unglaublich plumpe und törichte Vorgehen gegen Essad erklären können;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/118>, abgerufen am 01.09.2024.