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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Albaniens Enttäuschung und Erwartung

was immer Essads Schuld oder Unschuld war -- die Art, wie man ihn un¬
schädlich machen wollte, war die Manier von Sozial-Tiefstehenden und politi¬
schen Toren. --

Die holländischen Offiziere, oder doch der tatkräftigste unter ihnen, Major
Stuos, als Holländer demokratisch gesinnt, war durch ein Verhängnis unter
den Einfluß dieser Leute geraten, die sich stolz Nationalisten nannten. Vielleicht
weil er durch fast tägliche Kompetenzstreitigkeiten mit Essad verärgert, in seinem
Ehrgeiz verletzt, in seiner ehrlichen Arbeitslust gehemmt war. Er war Stadt¬
kommandant. Die Nationalisten und ihre Meinungen hatten keine Macht, aber
er hatte sie. Er mit ihnen eines Sinnes, wurde bei seiner Energie zu einer
wirklichen Gefahr.

Ohne den sogenannten Epirotenaufstand wären trotzdem alle diese ungünstigen
Umstände vorläufig verhältnismäßig unschädlich geblieben, ja hätten möglicher¬
weise garnicht zur Katastrophe geführt, indem sie langsam beseitigt worden
wären, sobald der Fürst sich selbst zurechtgefunden hätte. Auf die Länge hätten
sich die wertvolleren Elemente von selbst gegen die wertlosen in Geltung gebracht
und die Fremden, auch die Holländer, hätten sich eingearbeitet und Land und
Leute richtig einzuschätzen gelernt.

So aber blieb niemand Zeit und Gelegenheit, sich zu orientieren und ein¬
geflüsterte Irrtümer durch eigene Erfahrung zu verbessern.

Bekanntlich mußte auf den Beschluß der Großmächte Griechenland Süd¬
albanien räumen. Es gab -- von seinem Standpunkt nur zu begreiflich --
dem Druck hauptsächlich Italiens so spät als möglich nach, als Fürst Wilhelm
bereits im Lande war, hatte also reichlich Zeit, einen inoffiziellen Widerstand
gegen die Londoner Beschlüsse zu organisieren, den es offiziell nicht zu leisten
wagte. Die regulären Truppen wurden ausgelöst, die Soldaten traten aus dem
Heeresverbande aus und bildeten "epirotische" Banden. Noch zur Zeit der
offiziellen Besetzung waren alle bewußt albanisch-nationalen Elemente -- über
tausend Personen -- durch Todesurteile und ähnliche Machenschaften aus den
strittigen Gegenden entfernt worden, sodaß die Bevölkerung, ihrer Führer
beraubt, sich nicht auf gleiche Weise organisieren konnte und darum dann später
gegen die "Epirotenbanden" machtlos war. Aber die griechische Grenze wurden
die Epiroten mit Nahrungsmitteln, Waffen, Geschützen durch einen regel¬
mäßigen Autodienst versehen, während die eingesessene albanische Bevölkerung
ohne Hilfsmittel blieb.

Etwa zehn Tage schon nach der offiziellen Räumung Südalbaniens durch
die griechischen Truppen griffen die Banden unter Zographos (des späteren
Ministers) Leitung die Dörfer der albanischen Laberie, d. h. der Gegend zwischen
Delpino und Valona an, ja marschierten in großer Zahl sogar gegen Koritza.

Die albanische Bevölkerung setzte sich zwar stellenweise sogar mit äußerster
Tapferkeit zur Wehr, aber die Gendarmerie unter ihren noch nicht eingelebten
Führern versagte der Übermacht gegenüber, und es erwies sich schon sehr bald


Albaniens Enttäuschung und Erwartung

was immer Essads Schuld oder Unschuld war — die Art, wie man ihn un¬
schädlich machen wollte, war die Manier von Sozial-Tiefstehenden und politi¬
schen Toren. —

Die holländischen Offiziere, oder doch der tatkräftigste unter ihnen, Major
Stuos, als Holländer demokratisch gesinnt, war durch ein Verhängnis unter
den Einfluß dieser Leute geraten, die sich stolz Nationalisten nannten. Vielleicht
weil er durch fast tägliche Kompetenzstreitigkeiten mit Essad verärgert, in seinem
Ehrgeiz verletzt, in seiner ehrlichen Arbeitslust gehemmt war. Er war Stadt¬
kommandant. Die Nationalisten und ihre Meinungen hatten keine Macht, aber
er hatte sie. Er mit ihnen eines Sinnes, wurde bei seiner Energie zu einer
wirklichen Gefahr.

Ohne den sogenannten Epirotenaufstand wären trotzdem alle diese ungünstigen
Umstände vorläufig verhältnismäßig unschädlich geblieben, ja hätten möglicher¬
weise garnicht zur Katastrophe geführt, indem sie langsam beseitigt worden
wären, sobald der Fürst sich selbst zurechtgefunden hätte. Auf die Länge hätten
sich die wertvolleren Elemente von selbst gegen die wertlosen in Geltung gebracht
und die Fremden, auch die Holländer, hätten sich eingearbeitet und Land und
Leute richtig einzuschätzen gelernt.

So aber blieb niemand Zeit und Gelegenheit, sich zu orientieren und ein¬
geflüsterte Irrtümer durch eigene Erfahrung zu verbessern.

Bekanntlich mußte auf den Beschluß der Großmächte Griechenland Süd¬
albanien räumen. Es gab — von seinem Standpunkt nur zu begreiflich —
dem Druck hauptsächlich Italiens so spät als möglich nach, als Fürst Wilhelm
bereits im Lande war, hatte also reichlich Zeit, einen inoffiziellen Widerstand
gegen die Londoner Beschlüsse zu organisieren, den es offiziell nicht zu leisten
wagte. Die regulären Truppen wurden ausgelöst, die Soldaten traten aus dem
Heeresverbande aus und bildeten „epirotische" Banden. Noch zur Zeit der
offiziellen Besetzung waren alle bewußt albanisch-nationalen Elemente — über
tausend Personen — durch Todesurteile und ähnliche Machenschaften aus den
strittigen Gegenden entfernt worden, sodaß die Bevölkerung, ihrer Führer
beraubt, sich nicht auf gleiche Weise organisieren konnte und darum dann später
gegen die „Epirotenbanden" machtlos war. Aber die griechische Grenze wurden
die Epiroten mit Nahrungsmitteln, Waffen, Geschützen durch einen regel¬
mäßigen Autodienst versehen, während die eingesessene albanische Bevölkerung
ohne Hilfsmittel blieb.

Etwa zehn Tage schon nach der offiziellen Räumung Südalbaniens durch
die griechischen Truppen griffen die Banden unter Zographos (des späteren
Ministers) Leitung die Dörfer der albanischen Laberie, d. h. der Gegend zwischen
Delpino und Valona an, ja marschierten in großer Zahl sogar gegen Koritza.

Die albanische Bevölkerung setzte sich zwar stellenweise sogar mit äußerster
Tapferkeit zur Wehr, aber die Gendarmerie unter ihren noch nicht eingelebten
Führern versagte der Übermacht gegenüber, und es erwies sich schon sehr bald


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[0119] Albaniens Enttäuschung und Erwartung was immer Essads Schuld oder Unschuld war — die Art, wie man ihn un¬ schädlich machen wollte, war die Manier von Sozial-Tiefstehenden und politi¬ schen Toren. — Die holländischen Offiziere, oder doch der tatkräftigste unter ihnen, Major Stuos, als Holländer demokratisch gesinnt, war durch ein Verhängnis unter den Einfluß dieser Leute geraten, die sich stolz Nationalisten nannten. Vielleicht weil er durch fast tägliche Kompetenzstreitigkeiten mit Essad verärgert, in seinem Ehrgeiz verletzt, in seiner ehrlichen Arbeitslust gehemmt war. Er war Stadt¬ kommandant. Die Nationalisten und ihre Meinungen hatten keine Macht, aber er hatte sie. Er mit ihnen eines Sinnes, wurde bei seiner Energie zu einer wirklichen Gefahr. Ohne den sogenannten Epirotenaufstand wären trotzdem alle diese ungünstigen Umstände vorläufig verhältnismäßig unschädlich geblieben, ja hätten möglicher¬ weise garnicht zur Katastrophe geführt, indem sie langsam beseitigt worden wären, sobald der Fürst sich selbst zurechtgefunden hätte. Auf die Länge hätten sich die wertvolleren Elemente von selbst gegen die wertlosen in Geltung gebracht und die Fremden, auch die Holländer, hätten sich eingearbeitet und Land und Leute richtig einzuschätzen gelernt. So aber blieb niemand Zeit und Gelegenheit, sich zu orientieren und ein¬ geflüsterte Irrtümer durch eigene Erfahrung zu verbessern. Bekanntlich mußte auf den Beschluß der Großmächte Griechenland Süd¬ albanien räumen. Es gab — von seinem Standpunkt nur zu begreiflich — dem Druck hauptsächlich Italiens so spät als möglich nach, als Fürst Wilhelm bereits im Lande war, hatte also reichlich Zeit, einen inoffiziellen Widerstand gegen die Londoner Beschlüsse zu organisieren, den es offiziell nicht zu leisten wagte. Die regulären Truppen wurden ausgelöst, die Soldaten traten aus dem Heeresverbande aus und bildeten „epirotische" Banden. Noch zur Zeit der offiziellen Besetzung waren alle bewußt albanisch-nationalen Elemente — über tausend Personen — durch Todesurteile und ähnliche Machenschaften aus den strittigen Gegenden entfernt worden, sodaß die Bevölkerung, ihrer Führer beraubt, sich nicht auf gleiche Weise organisieren konnte und darum dann später gegen die „Epirotenbanden" machtlos war. Aber die griechische Grenze wurden die Epiroten mit Nahrungsmitteln, Waffen, Geschützen durch einen regel¬ mäßigen Autodienst versehen, während die eingesessene albanische Bevölkerung ohne Hilfsmittel blieb. Etwa zehn Tage schon nach der offiziellen Räumung Südalbaniens durch die griechischen Truppen griffen die Banden unter Zographos (des späteren Ministers) Leitung die Dörfer der albanischen Laberie, d. h. der Gegend zwischen Delpino und Valona an, ja marschierten in großer Zahl sogar gegen Koritza. Die albanische Bevölkerung setzte sich zwar stellenweise sogar mit äußerster Tapferkeit zur Wehr, aber die Gendarmerie unter ihren noch nicht eingelebten Führern versagte der Übermacht gegenüber, und es erwies sich schon sehr bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/119>, abgerufen am 01.09.2024.