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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der Wiederaufbau Ostpreußens

2. Ein Zuschlag bis zur Hälfte der durch baupolizeiliche Anforderungen --
also im weiteren Sinne wohl auch solche ästhetischer Natur -- bewirkten Mehr-
kosten als Vorentschädigung.

Darüber hinaus sieht aber diese Verordnung eine sehr wichtige Maßnahme
sozialpolitischer Art vor in der Gewährung eines Staatsdarlehns in einer
Höhe, die dem Unterschiede zwischen dem Betrage für das vernichtete Gebäude --
nach dem Zeitwerte vom Juli 1914 -- und dem Betrage des unter Berück¬
sichtigung vorgenannter Zuschlage ermittelten Schadens entspricht. Das Staats-
darlehn wird zinsfrei gewährt. Es ist nach 5 Freijahren zu tilgen und wird
kundbar bei wirtschaftlich ungerechtfertigten Besitzwechsel. Das Darlehn kann
sogar unter der Voraussetzung dauernden Besitzes, z. B. im Erbgang, mit
Frist von 5 zu 5 Jahren teilweise oder ganz erlassen werden. Also eine
kolonisatorische Maßnahme von weittragender Bedeutung, die auch außerhalb
Preußens Nachahmung finden sollte, z. B. bei Beleihung von Kleinwohnungs¬
bauten aus Staatsmitteln. Die Gewährung des Darlehns ist an Sicher¬
stellung durch Eintragung in das Grundbuch oder Einräumung des Vorrangs
vor anderen Hypotheken gebunden.

Noch ein weiterer Punkt wird in dieser vielseitig anregenden Verordnung
geregelt, das ist die Sicherung des Einflusses der Bezirksarchitekten auf die
architektonische und wirtschaftliche Durchbildung der Gebäude, da die Darlehns-
hingabe von dem Votum der Bezirksarchitekten abhängig gemacht ist. Somit
bedeutet diese Maßnahme eine beträchtliche Stärkung des Einflusses der Bezirks¬
architekten nach der künstlerischen Beratung hin und demzufolge ein vorzüg¬
liches Mittel, um durch die Gewährung von Beihilfen einen kulturellen Neben-
zweck zu erreichen, der. wenn auch jetzt vielleicht noch als gelinder Zwang
empfunden, späterhin der Ausbreitung eines gesunden Kunstempfindens, in
weite Volksschichten dienlich sein muß. Gerade durch den Einfluß, den die
Bezirksarchitekten auch in bezug auf die Höhe der Entschädigung haben, wird
ihr Anteil an der Durchführung ihrer sachlichen, gereiften Wünsche gehoben.

Der Gedanke des Staatsdarlehns berührt sich eng mit der Frage der
Neuordnung des Immobiliarkredits. Es ist in der Kriegshilfskommission be¬
schlossen worden, das sogenannte Besttzfestigungsgesetz, das bislang nur für
kleinere, nationalgefährdete Gebiete galt, auf die ganze Provinz auszudehnen,
da mit der Umwandlung kündbarer Privathypotheken in unkündbare Amor¬
tisationshypotheken des Staates oder der Landschaft die Entwicklung des
Wiederaufbaues fruchtbarer gestaltet werden kann. Das Bauen wird dadurch
der Willkür des einzelnen immer mehr entzogen und der Einfluß des Staates
bei der das Allgemeininteresse berührenden Frage der Wohnungserstellung
erweitert. Auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Maßnahmen
sind einleuchtend; denn durch Gewährung billigen Staatskredits -- der nach den
bisherigen Erfahrungen schon äußerst rege in Anspruch genommen ist, obwohl
feine Inanspruchnahme verschiedene bindende Verpflichtungen einschließt -- wird


Der Wiederaufbau Ostpreußens

2. Ein Zuschlag bis zur Hälfte der durch baupolizeiliche Anforderungen —
also im weiteren Sinne wohl auch solche ästhetischer Natur — bewirkten Mehr-
kosten als Vorentschädigung.

Darüber hinaus sieht aber diese Verordnung eine sehr wichtige Maßnahme
sozialpolitischer Art vor in der Gewährung eines Staatsdarlehns in einer
Höhe, die dem Unterschiede zwischen dem Betrage für das vernichtete Gebäude —
nach dem Zeitwerte vom Juli 1914 — und dem Betrage des unter Berück¬
sichtigung vorgenannter Zuschlage ermittelten Schadens entspricht. Das Staats-
darlehn wird zinsfrei gewährt. Es ist nach 5 Freijahren zu tilgen und wird
kundbar bei wirtschaftlich ungerechtfertigten Besitzwechsel. Das Darlehn kann
sogar unter der Voraussetzung dauernden Besitzes, z. B. im Erbgang, mit
Frist von 5 zu 5 Jahren teilweise oder ganz erlassen werden. Also eine
kolonisatorische Maßnahme von weittragender Bedeutung, die auch außerhalb
Preußens Nachahmung finden sollte, z. B. bei Beleihung von Kleinwohnungs¬
bauten aus Staatsmitteln. Die Gewährung des Darlehns ist an Sicher¬
stellung durch Eintragung in das Grundbuch oder Einräumung des Vorrangs
vor anderen Hypotheken gebunden.

Noch ein weiterer Punkt wird in dieser vielseitig anregenden Verordnung
geregelt, das ist die Sicherung des Einflusses der Bezirksarchitekten auf die
architektonische und wirtschaftliche Durchbildung der Gebäude, da die Darlehns-
hingabe von dem Votum der Bezirksarchitekten abhängig gemacht ist. Somit
bedeutet diese Maßnahme eine beträchtliche Stärkung des Einflusses der Bezirks¬
architekten nach der künstlerischen Beratung hin und demzufolge ein vorzüg¬
liches Mittel, um durch die Gewährung von Beihilfen einen kulturellen Neben-
zweck zu erreichen, der. wenn auch jetzt vielleicht noch als gelinder Zwang
empfunden, späterhin der Ausbreitung eines gesunden Kunstempfindens, in
weite Volksschichten dienlich sein muß. Gerade durch den Einfluß, den die
Bezirksarchitekten auch in bezug auf die Höhe der Entschädigung haben, wird
ihr Anteil an der Durchführung ihrer sachlichen, gereiften Wünsche gehoben.

Der Gedanke des Staatsdarlehns berührt sich eng mit der Frage der
Neuordnung des Immobiliarkredits. Es ist in der Kriegshilfskommission be¬
schlossen worden, das sogenannte Besttzfestigungsgesetz, das bislang nur für
kleinere, nationalgefährdete Gebiete galt, auf die ganze Provinz auszudehnen,
da mit der Umwandlung kündbarer Privathypotheken in unkündbare Amor¬
tisationshypotheken des Staates oder der Landschaft die Entwicklung des
Wiederaufbaues fruchtbarer gestaltet werden kann. Das Bauen wird dadurch
der Willkür des einzelnen immer mehr entzogen und der Einfluß des Staates
bei der das Allgemeininteresse berührenden Frage der Wohnungserstellung
erweitert. Auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Maßnahmen
sind einleuchtend; denn durch Gewährung billigen Staatskredits — der nach den
bisherigen Erfahrungen schon äußerst rege in Anspruch genommen ist, obwohl
feine Inanspruchnahme verschiedene bindende Verpflichtungen einschließt — wird


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[0409] Der Wiederaufbau Ostpreußens 2. Ein Zuschlag bis zur Hälfte der durch baupolizeiliche Anforderungen — also im weiteren Sinne wohl auch solche ästhetischer Natur — bewirkten Mehr- kosten als Vorentschädigung. Darüber hinaus sieht aber diese Verordnung eine sehr wichtige Maßnahme sozialpolitischer Art vor in der Gewährung eines Staatsdarlehns in einer Höhe, die dem Unterschiede zwischen dem Betrage für das vernichtete Gebäude — nach dem Zeitwerte vom Juli 1914 — und dem Betrage des unter Berück¬ sichtigung vorgenannter Zuschlage ermittelten Schadens entspricht. Das Staats- darlehn wird zinsfrei gewährt. Es ist nach 5 Freijahren zu tilgen und wird kundbar bei wirtschaftlich ungerechtfertigten Besitzwechsel. Das Darlehn kann sogar unter der Voraussetzung dauernden Besitzes, z. B. im Erbgang, mit Frist von 5 zu 5 Jahren teilweise oder ganz erlassen werden. Also eine kolonisatorische Maßnahme von weittragender Bedeutung, die auch außerhalb Preußens Nachahmung finden sollte, z. B. bei Beleihung von Kleinwohnungs¬ bauten aus Staatsmitteln. Die Gewährung des Darlehns ist an Sicher¬ stellung durch Eintragung in das Grundbuch oder Einräumung des Vorrangs vor anderen Hypotheken gebunden. Noch ein weiterer Punkt wird in dieser vielseitig anregenden Verordnung geregelt, das ist die Sicherung des Einflusses der Bezirksarchitekten auf die architektonische und wirtschaftliche Durchbildung der Gebäude, da die Darlehns- hingabe von dem Votum der Bezirksarchitekten abhängig gemacht ist. Somit bedeutet diese Maßnahme eine beträchtliche Stärkung des Einflusses der Bezirks¬ architekten nach der künstlerischen Beratung hin und demzufolge ein vorzüg¬ liches Mittel, um durch die Gewährung von Beihilfen einen kulturellen Neben- zweck zu erreichen, der. wenn auch jetzt vielleicht noch als gelinder Zwang empfunden, späterhin der Ausbreitung eines gesunden Kunstempfindens, in weite Volksschichten dienlich sein muß. Gerade durch den Einfluß, den die Bezirksarchitekten auch in bezug auf die Höhe der Entschädigung haben, wird ihr Anteil an der Durchführung ihrer sachlichen, gereiften Wünsche gehoben. Der Gedanke des Staatsdarlehns berührt sich eng mit der Frage der Neuordnung des Immobiliarkredits. Es ist in der Kriegshilfskommission be¬ schlossen worden, das sogenannte Besttzfestigungsgesetz, das bislang nur für kleinere, nationalgefährdete Gebiete galt, auf die ganze Provinz auszudehnen, da mit der Umwandlung kündbarer Privathypotheken in unkündbare Amor¬ tisationshypotheken des Staates oder der Landschaft die Entwicklung des Wiederaufbaues fruchtbarer gestaltet werden kann. Das Bauen wird dadurch der Willkür des einzelnen immer mehr entzogen und der Einfluß des Staates bei der das Allgemeininteresse berührenden Frage der Wohnungserstellung erweitert. Auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Maßnahmen sind einleuchtend; denn durch Gewährung billigen Staatskredits — der nach den bisherigen Erfahrungen schon äußerst rege in Anspruch genommen ist, obwohl feine Inanspruchnahme verschiedene bindende Verpflichtungen einschließt — wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/409>, abgerufen am 15.01.2025.