Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Grientxolitik Friedrichs des Großen Falle. Das erste war der Tod der Zarin Elisabeth 1762 und als dessen Wollen wir die inneren Gründe verstehen, die den von Friedrich mit Zeitgenossen schildern ihn als unhöflichen, unbändigen Mann, ohne ge¬ Die Grientxolitik Friedrichs des Großen Falle. Das erste war der Tod der Zarin Elisabeth 1762 und als dessen Wollen wir die inneren Gründe verstehen, die den von Friedrich mit Zeitgenossen schildern ihn als unhöflichen, unbändigen Mann, ohne ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330046"/> <fw type="header" place="top"> Die Grientxolitik Friedrichs des Großen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1277" prev="#ID_1276"> Falle. Das erste war der Tod der Zarin Elisabeth 1762 und als dessen<lb/> Folge die bekannte Schwenkung der russischen Regierung zu Preußen. Natür¬<lb/> lich verfolgte man in Konstantinopel die Annäherung Peters des Dritten an<lb/> Friedrich mit wachsender Unruhe und Mißtrauen. Dennoch wäre damals die<lb/> Allianz zum Abschluß gekommen, denn Friedrich erlangte von Peter dem Dritten<lb/> die von der Türkei erforderte Zusicherung, „daß er die Operationen von Türken<lb/> und Tataren in Ungarn nicht stören wolle". Aber ehe die Verhandlungen zu<lb/> Ende waren (Rexin hatte ihren Abschluß durch allerhand Ungeschicklichkeiten<lb/> verzögert) wurde Zar Peter der Dritte ermordet, und mit seiner Nachfolgerin<lb/> Katharina der Zweiten kam eine Negierung ans Ruder, die Preußen weniger<lb/> günstig gesinnt war. Griff sie auch nicht mehr selber in den Krieg ein, so<lb/> brachte sie es doch mit Hilfe der übrigen preußenfeindlichen Mächte fertig,<lb/> in Konstantinopel gegen Friedrich zu Hetzen und das Ründnisprojekt zu hinter¬<lb/> treiben. Die Folge dieser Umtriebe war, daß in einer feierlichen Sitzung des<lb/> Divans am 17. Oktober 1762 der preußische Allianzantrag definitiv abgelehnt<lb/> wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1278"> Wollen wir die inneren Gründe verstehen, die den von Friedrich mit<lb/> solcher Liebe und Zähigkeit gepflegten Plan zum Scheitern brachten, so müssen<lb/> wir tiefer suchen. An der Spitze der türkischen Regierung stand damals<lb/> Sultan Mustapha der Dritte, ein Mann voller Mut und Unternehmungslust,<lb/> von strengen Sitten und gutem Charakter, großzügig und begabt, eine Persön¬<lb/> lichkeit, die wohl imstande gewesen wäre, mit Preußens Hilfe den Türkenstaat<lb/> auf seine alte Ruhmeshöhe zu führen. Ihm zur Seite aber stand, ihn völlig<lb/> durch seine geistige Überlegenheit beherrschend, sein Großvezier Raghib Mohamed<lb/> Pascha, „der letzte große Vezier des osmanischen Reiches", wie man ihn wohl<lb/> genannt hat. Er war Dichter und Historiker, ein Gelehrter, der „Tag und<lb/> Nacht am Schreibtisch saß", dabei doch Staatsmann genug, um für Reformen<lb/> in den Finanzen und für die Hebung der türkischen Wehrkraft energisch ein¬<lb/> zutreten. Aber er war durchweg Pazifist; er hatte den Grundsatz aufgestellt:<lb/> „daß dem alternden Reiche der Friede am zuträglichsten sei", daß es in einem<lb/> Kriege alles zu verlieren und nichts zu gewinnen habe. Zudem hielt er das<lb/> kleine entfernte Preußen nicht für fähig, die Türkei gegen die Riesenkoalition<lb/> von Frankreich, Osterreich und Rußland tatkräftig zu unterstützen. So geschah<lb/> es, daß Raghib, oft im Gegensatz zu seinem Herrn, schlau und geschickt die<lb/> Verhandlungen dilatorisch betrieb, bald bestimmte Zusicherungen gab, bald<lb/> abwartete, bald wieder neue Bedingungen stellte. Dazu kam Friedrichs<lb/> wechselndes Kriegsglück, das ein Eingreifen der Türkei nicht immer ratsam<lb/> erscheinen ließ, dazu kam auch die angeborene Abneigung der Mohamedaner,<lb/> ein Bündnis mit christlichen Mächten zu schließen. Nicht zuletzt aber war<lb/> Friedrichs Gesandter, Rexin, seiner schwierigen Aufgabe durchaus nicht gewachsen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1279" next="#ID_1280"> Zeitgenossen schildern ihn als unhöflichen, unbändigen Mann, ohne ge¬<lb/> rechtes Urteil und ohne kühlen Blick, rasch vertraut mit Menschen aller Art</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0378]
Die Grientxolitik Friedrichs des Großen
Falle. Das erste war der Tod der Zarin Elisabeth 1762 und als dessen
Folge die bekannte Schwenkung der russischen Regierung zu Preußen. Natür¬
lich verfolgte man in Konstantinopel die Annäherung Peters des Dritten an
Friedrich mit wachsender Unruhe und Mißtrauen. Dennoch wäre damals die
Allianz zum Abschluß gekommen, denn Friedrich erlangte von Peter dem Dritten
die von der Türkei erforderte Zusicherung, „daß er die Operationen von Türken
und Tataren in Ungarn nicht stören wolle". Aber ehe die Verhandlungen zu
Ende waren (Rexin hatte ihren Abschluß durch allerhand Ungeschicklichkeiten
verzögert) wurde Zar Peter der Dritte ermordet, und mit seiner Nachfolgerin
Katharina der Zweiten kam eine Negierung ans Ruder, die Preußen weniger
günstig gesinnt war. Griff sie auch nicht mehr selber in den Krieg ein, so
brachte sie es doch mit Hilfe der übrigen preußenfeindlichen Mächte fertig,
in Konstantinopel gegen Friedrich zu Hetzen und das Ründnisprojekt zu hinter¬
treiben. Die Folge dieser Umtriebe war, daß in einer feierlichen Sitzung des
Divans am 17. Oktober 1762 der preußische Allianzantrag definitiv abgelehnt
wurde.
Wollen wir die inneren Gründe verstehen, die den von Friedrich mit
solcher Liebe und Zähigkeit gepflegten Plan zum Scheitern brachten, so müssen
wir tiefer suchen. An der Spitze der türkischen Regierung stand damals
Sultan Mustapha der Dritte, ein Mann voller Mut und Unternehmungslust,
von strengen Sitten und gutem Charakter, großzügig und begabt, eine Persön¬
lichkeit, die wohl imstande gewesen wäre, mit Preußens Hilfe den Türkenstaat
auf seine alte Ruhmeshöhe zu führen. Ihm zur Seite aber stand, ihn völlig
durch seine geistige Überlegenheit beherrschend, sein Großvezier Raghib Mohamed
Pascha, „der letzte große Vezier des osmanischen Reiches", wie man ihn wohl
genannt hat. Er war Dichter und Historiker, ein Gelehrter, der „Tag und
Nacht am Schreibtisch saß", dabei doch Staatsmann genug, um für Reformen
in den Finanzen und für die Hebung der türkischen Wehrkraft energisch ein¬
zutreten. Aber er war durchweg Pazifist; er hatte den Grundsatz aufgestellt:
„daß dem alternden Reiche der Friede am zuträglichsten sei", daß es in einem
Kriege alles zu verlieren und nichts zu gewinnen habe. Zudem hielt er das
kleine entfernte Preußen nicht für fähig, die Türkei gegen die Riesenkoalition
von Frankreich, Osterreich und Rußland tatkräftig zu unterstützen. So geschah
es, daß Raghib, oft im Gegensatz zu seinem Herrn, schlau und geschickt die
Verhandlungen dilatorisch betrieb, bald bestimmte Zusicherungen gab, bald
abwartete, bald wieder neue Bedingungen stellte. Dazu kam Friedrichs
wechselndes Kriegsglück, das ein Eingreifen der Türkei nicht immer ratsam
erscheinen ließ, dazu kam auch die angeborene Abneigung der Mohamedaner,
ein Bündnis mit christlichen Mächten zu schließen. Nicht zuletzt aber war
Friedrichs Gesandter, Rexin, seiner schwierigen Aufgabe durchaus nicht gewachsen.
Zeitgenossen schildern ihn als unhöflichen, unbändigen Mann, ohne ge¬
rechtes Urteil und ohne kühlen Blick, rasch vertraut mit Menschen aller Art
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |