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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Naumann oder Bartsch?

schweige das unentwickeltere Donaureich. Noch ist das Eigenbrödlertum auch
bei uns eine Macht; man hat nicht umsonst Vereinigungen gegründet, um
ihm, dessen Aufleben nach dem Kriege man mit Sicherheit voraussieht, wenig¬
stens die Spitzen gegen die Notwendigkeiten des Staates abzubrechen.

Der Ruck nach vorwärts, den wir nach Naumann und Bartsch auf dem
Wege nach dem sozialen Kapitalismus gemacht haben, hat seine Triebkraft nicht
einer im deutschen Volke überhaupt liegenden Tendenz entlehnt, sondern er ist
das Ergebnis einer Eigenschaft unseres Volkes, die jetzt im Kriege ihre schönste
Blüte zeigt und uns mit dem Bewußtsein erfüllt, einem jungen Volke an>
zugehören, ich meine die Fähigkeit der Anpassung. Aber das Volk, das heute
unter dem Druck der Verhältnisse alle zentrifugalen Individualismen aus¬
gelöscht hat, um in einer reinen Flamme aufzulodern, wird nach dem Kriege
wieder sein buntes Farbenspiel verschiedenster Wesensarten und Strebungen
aufweisen, und auch der Einzige wird sein Recht finden; auch stillere Naturen
werden nach Bartschs Wunsch "das wunderbare Wachsen ihrer Seele belauschen
und künden dürfen", ohne von der militaristischen und der wirtschaftlichen For¬
derung des Tages gestört zu werden.

Mag dann mancher deutsche Stamm sich mehr Gleichförmigkeit bewahren,
mehr von seiner Triebhaftigkeit einbüßen, dafür mag die Ursprünglichkeit an
anderer Stelle um so frischer ins Kraut schießen. Und von Osterreich wird
man noch viel erwarten dürfen. Auch dort wird langsam aber sicher der Grad
wirtschaftlicher Anspannung erreicht werden, der die Existenz des großen Volkes
verbürgt -- eine Existenz ohne den Zwang für Hunderttausende, im Ausland
ihr Brot zu suchen. Aber ein Volk, das soviel Triebhaftes, Chaotisches in
sich trägt, wie die Völker unseres Nachbarstaates, kann nicht von heute auf
morgen in einen mitteleuropäischen Mechanismus gleichförmiger Teile eingereiht
werden. Und das ist gut so, denn im Chaos, in der Dumpfheit junger Völker
liegen die Keime zu allem Wertvollen auf Erden.

So wird die werdende mitteleuropäische Kultureinheit auf die Donauvölker
rechnen müssen. Aber man wird nicht von einer gegenseitigen Ergänzung des
Nordens und des Südens reden dürfen, wenn man mehr darunter versteht als
Toleranz der fremden Wesensart. "Das ernstere Volk wird das Staatsleben
kraftvoll und sicher machen; das triebhaftere aber wird den Glanz kummerloser
Schönheit darüberlegen" (Bartsch)*). "Wir haben mehr Pferdekräfte und ihr
mehr Melodie. Laßt uns zusammengießen, was wir beide vermögen" (Nau¬
mann). Das klingt recht schön, ist aber doch keine innere Vereinigung im
gleichen Subjekt, sondern nur eine Mischung wie von Öl und Wasser. In
viel höherem Maße wie der Eintritt in die mitteleuropäische Wirtschaft für den
Süddeutschen wäre der Übergang zu süddeutscher Lebens" und Kunstauffassung



*) Ähnlich äußert sich Hans Schrote-Fiechtl, Der deutsche Bruder und Osterreich (Heft 10
der Flugschriften für Österreich-Ungarns Erwachen, Warnsdorf i. B. 1916), S. 41.
Naumann oder Bartsch?

schweige das unentwickeltere Donaureich. Noch ist das Eigenbrödlertum auch
bei uns eine Macht; man hat nicht umsonst Vereinigungen gegründet, um
ihm, dessen Aufleben nach dem Kriege man mit Sicherheit voraussieht, wenig¬
stens die Spitzen gegen die Notwendigkeiten des Staates abzubrechen.

Der Ruck nach vorwärts, den wir nach Naumann und Bartsch auf dem
Wege nach dem sozialen Kapitalismus gemacht haben, hat seine Triebkraft nicht
einer im deutschen Volke überhaupt liegenden Tendenz entlehnt, sondern er ist
das Ergebnis einer Eigenschaft unseres Volkes, die jetzt im Kriege ihre schönste
Blüte zeigt und uns mit dem Bewußtsein erfüllt, einem jungen Volke an>
zugehören, ich meine die Fähigkeit der Anpassung. Aber das Volk, das heute
unter dem Druck der Verhältnisse alle zentrifugalen Individualismen aus¬
gelöscht hat, um in einer reinen Flamme aufzulodern, wird nach dem Kriege
wieder sein buntes Farbenspiel verschiedenster Wesensarten und Strebungen
aufweisen, und auch der Einzige wird sein Recht finden; auch stillere Naturen
werden nach Bartschs Wunsch „das wunderbare Wachsen ihrer Seele belauschen
und künden dürfen", ohne von der militaristischen und der wirtschaftlichen For¬
derung des Tages gestört zu werden.

Mag dann mancher deutsche Stamm sich mehr Gleichförmigkeit bewahren,
mehr von seiner Triebhaftigkeit einbüßen, dafür mag die Ursprünglichkeit an
anderer Stelle um so frischer ins Kraut schießen. Und von Osterreich wird
man noch viel erwarten dürfen. Auch dort wird langsam aber sicher der Grad
wirtschaftlicher Anspannung erreicht werden, der die Existenz des großen Volkes
verbürgt — eine Existenz ohne den Zwang für Hunderttausende, im Ausland
ihr Brot zu suchen. Aber ein Volk, das soviel Triebhaftes, Chaotisches in
sich trägt, wie die Völker unseres Nachbarstaates, kann nicht von heute auf
morgen in einen mitteleuropäischen Mechanismus gleichförmiger Teile eingereiht
werden. Und das ist gut so, denn im Chaos, in der Dumpfheit junger Völker
liegen die Keime zu allem Wertvollen auf Erden.

So wird die werdende mitteleuropäische Kultureinheit auf die Donauvölker
rechnen müssen. Aber man wird nicht von einer gegenseitigen Ergänzung des
Nordens und des Südens reden dürfen, wenn man mehr darunter versteht als
Toleranz der fremden Wesensart. „Das ernstere Volk wird das Staatsleben
kraftvoll und sicher machen; das triebhaftere aber wird den Glanz kummerloser
Schönheit darüberlegen" (Bartsch)*). „Wir haben mehr Pferdekräfte und ihr
mehr Melodie. Laßt uns zusammengießen, was wir beide vermögen" (Nau¬
mann). Das klingt recht schön, ist aber doch keine innere Vereinigung im
gleichen Subjekt, sondern nur eine Mischung wie von Öl und Wasser. In
viel höherem Maße wie der Eintritt in die mitteleuropäische Wirtschaft für den
Süddeutschen wäre der Übergang zu süddeutscher Lebens» und Kunstauffassung



*) Ähnlich äußert sich Hans Schrote-Fiechtl, Der deutsche Bruder und Osterreich (Heft 10
der Flugschriften für Österreich-Ungarns Erwachen, Warnsdorf i. B. 1916), S. 41.
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[0370] Naumann oder Bartsch? schweige das unentwickeltere Donaureich. Noch ist das Eigenbrödlertum auch bei uns eine Macht; man hat nicht umsonst Vereinigungen gegründet, um ihm, dessen Aufleben nach dem Kriege man mit Sicherheit voraussieht, wenig¬ stens die Spitzen gegen die Notwendigkeiten des Staates abzubrechen. Der Ruck nach vorwärts, den wir nach Naumann und Bartsch auf dem Wege nach dem sozialen Kapitalismus gemacht haben, hat seine Triebkraft nicht einer im deutschen Volke überhaupt liegenden Tendenz entlehnt, sondern er ist das Ergebnis einer Eigenschaft unseres Volkes, die jetzt im Kriege ihre schönste Blüte zeigt und uns mit dem Bewußtsein erfüllt, einem jungen Volke an> zugehören, ich meine die Fähigkeit der Anpassung. Aber das Volk, das heute unter dem Druck der Verhältnisse alle zentrifugalen Individualismen aus¬ gelöscht hat, um in einer reinen Flamme aufzulodern, wird nach dem Kriege wieder sein buntes Farbenspiel verschiedenster Wesensarten und Strebungen aufweisen, und auch der Einzige wird sein Recht finden; auch stillere Naturen werden nach Bartschs Wunsch „das wunderbare Wachsen ihrer Seele belauschen und künden dürfen", ohne von der militaristischen und der wirtschaftlichen For¬ derung des Tages gestört zu werden. Mag dann mancher deutsche Stamm sich mehr Gleichförmigkeit bewahren, mehr von seiner Triebhaftigkeit einbüßen, dafür mag die Ursprünglichkeit an anderer Stelle um so frischer ins Kraut schießen. Und von Osterreich wird man noch viel erwarten dürfen. Auch dort wird langsam aber sicher der Grad wirtschaftlicher Anspannung erreicht werden, der die Existenz des großen Volkes verbürgt — eine Existenz ohne den Zwang für Hunderttausende, im Ausland ihr Brot zu suchen. Aber ein Volk, das soviel Triebhaftes, Chaotisches in sich trägt, wie die Völker unseres Nachbarstaates, kann nicht von heute auf morgen in einen mitteleuropäischen Mechanismus gleichförmiger Teile eingereiht werden. Und das ist gut so, denn im Chaos, in der Dumpfheit junger Völker liegen die Keime zu allem Wertvollen auf Erden. So wird die werdende mitteleuropäische Kultureinheit auf die Donauvölker rechnen müssen. Aber man wird nicht von einer gegenseitigen Ergänzung des Nordens und des Südens reden dürfen, wenn man mehr darunter versteht als Toleranz der fremden Wesensart. „Das ernstere Volk wird das Staatsleben kraftvoll und sicher machen; das triebhaftere aber wird den Glanz kummerloser Schönheit darüberlegen" (Bartsch)*). „Wir haben mehr Pferdekräfte und ihr mehr Melodie. Laßt uns zusammengießen, was wir beide vermögen" (Nau¬ mann). Das klingt recht schön, ist aber doch keine innere Vereinigung im gleichen Subjekt, sondern nur eine Mischung wie von Öl und Wasser. In viel höherem Maße wie der Eintritt in die mitteleuropäische Wirtschaft für den Süddeutschen wäre der Übergang zu süddeutscher Lebens» und Kunstauffassung *) Ähnlich äußert sich Hans Schrote-Fiechtl, Der deutsche Bruder und Osterreich (Heft 10 der Flugschriften für Österreich-Ungarns Erwachen, Warnsdorf i. B. 1916), S. 41.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/370>, abgerufen am 15.01.2025.