Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Naumann oder Bartsch?

finden wir nach wie vor in Weimar und in München. Möge uns doch dieser
Zustand erhalten bleiben! Wenn unser Volk einmal wirklich die Naumannsche
mitteleuropäische Nichts-als-Wirtschaftsseele in sich fühlen sollte -- um wieviel
ärmer wären wir dann, um wieviel ärmer die Welt!

Wie steht es also mit dem seelenverändernden Entschluß zum Eintritt in
die mitteleuropäische Wirtschaft? Nur wer die ganze Seele dem Geschäft hingibt,
hat sie verloren. Es scheint, daß der norddeutsche geneigter ist, sich ganz an
das Objekt aufzugeben, rückhaltlos alle Reserven des Gemütes zu mobilisieren,
sich in der Hingabe an das Ziel seiner selbst zu entäußern, als der Süddeutsche
und der Österreicher. In dieser Eigenschaft liegt seine Stärke und seine
Schwäche. Wir danken ihm den harten straffen Staatssinn, das Ideal
der unerbittlichen Pflichterfüllung; von Norddeutschland ist unsere Wirt¬
schaftsorganisation ausgegangen, und aus dem norddeutschen Haß gegen alle
Halbheiten verstehen wir es, wenn jetzt auch das Evangelium der neuen Arbeits¬
gemeinschaft über Mitteleuropa mit solcher Unerbittlichkeit propagiert wird. Aber
man kann nicht ganz Mitteleuropa mit norddeutschen Geist erfüllen. Naumann
selbst lenkt unseren Blick auf die Süddeutschen. Sie sind mit dem Norden
wirtschaftlich zusammengewachsen, die Industrie ist vorwärts gekommen, der
Bauer auch. Aber hat der Süddeutsche seine Seele verändert? Man muß
Süddeutschland wenig kennen, wenn man dort als einzigen Unterschied gegen¬
über dem Norden den stärkeren politischen und gesellschaftlichen Liberalismus
findet. Die Wirtschaft hat sich mit den Methoden Norddeutschlands durch-
drungen, aber sie haben ihr die bayerische, die schwäbische, die fränkische Wesensart,
die sich darin äußert, wie der Mensch dem Leben gegenübersteht, nicht entreißen
können. Der Süddeutsche war unbefangen genug, den Fortschritt der wirt¬
schaftlichen Methode als das zu begreifen, was er ist, als eine Waffe, mit der
man sich besser als vorher durchs Leben schlagen kann. Eine Waffe führt man
in der Faust, aber man läßt ihr keine Herrschaft über sich. Mindestens waren
es nur wenige, die ihr Inneres ganz dem neuen Wirtschaftsprinzip darbrachten.

Aber daß eine Gefahr selbst hierin liegt, für weichere Naturen besonders,
deren es in Süddeutschland und Österreich vielleicht mehr gibt, als im Norden
und Nordosten, die Gefahr, unter die Räder dieses Fortschrittes zu kommen
und da, wo der norddeutsche bewußt über die Verhältnisse herrscht, zum Be¬
herrschten zu werden, -- das darf doch nicht verkannt werden. Und diese
Gefahr ist Rudolf Hans Bartsch, dem österreichischen Dichter und Offizier, schwer
aufs Herz gefallen, als er im vorigen Jahre Deutschland besuchte. Er glaubte
ganz Deutschland dieser Gefahr schon erlegen oder doch nahe daran -- er war
nicht im Süden --, und er möchte sie von seinem geliebten Österreich ab¬
wenden, auch wenn die enge Verknüpfung der beiden Reiche, die er von Herzen
wünscht, zustande kommt.

Bartsch ist voll staunender Bewunderung für das, was Deutschland in
dieser schwersten aller Krisen leistet. Ein Bienenstaat, ein Ameisenvolk, bet dem


Naumann oder Bartsch?

finden wir nach wie vor in Weimar und in München. Möge uns doch dieser
Zustand erhalten bleiben! Wenn unser Volk einmal wirklich die Naumannsche
mitteleuropäische Nichts-als-Wirtschaftsseele in sich fühlen sollte — um wieviel
ärmer wären wir dann, um wieviel ärmer die Welt!

Wie steht es also mit dem seelenverändernden Entschluß zum Eintritt in
die mitteleuropäische Wirtschaft? Nur wer die ganze Seele dem Geschäft hingibt,
hat sie verloren. Es scheint, daß der norddeutsche geneigter ist, sich ganz an
das Objekt aufzugeben, rückhaltlos alle Reserven des Gemütes zu mobilisieren,
sich in der Hingabe an das Ziel seiner selbst zu entäußern, als der Süddeutsche
und der Österreicher. In dieser Eigenschaft liegt seine Stärke und seine
Schwäche. Wir danken ihm den harten straffen Staatssinn, das Ideal
der unerbittlichen Pflichterfüllung; von Norddeutschland ist unsere Wirt¬
schaftsorganisation ausgegangen, und aus dem norddeutschen Haß gegen alle
Halbheiten verstehen wir es, wenn jetzt auch das Evangelium der neuen Arbeits¬
gemeinschaft über Mitteleuropa mit solcher Unerbittlichkeit propagiert wird. Aber
man kann nicht ganz Mitteleuropa mit norddeutschen Geist erfüllen. Naumann
selbst lenkt unseren Blick auf die Süddeutschen. Sie sind mit dem Norden
wirtschaftlich zusammengewachsen, die Industrie ist vorwärts gekommen, der
Bauer auch. Aber hat der Süddeutsche seine Seele verändert? Man muß
Süddeutschland wenig kennen, wenn man dort als einzigen Unterschied gegen¬
über dem Norden den stärkeren politischen und gesellschaftlichen Liberalismus
findet. Die Wirtschaft hat sich mit den Methoden Norddeutschlands durch-
drungen, aber sie haben ihr die bayerische, die schwäbische, die fränkische Wesensart,
die sich darin äußert, wie der Mensch dem Leben gegenübersteht, nicht entreißen
können. Der Süddeutsche war unbefangen genug, den Fortschritt der wirt¬
schaftlichen Methode als das zu begreifen, was er ist, als eine Waffe, mit der
man sich besser als vorher durchs Leben schlagen kann. Eine Waffe führt man
in der Faust, aber man läßt ihr keine Herrschaft über sich. Mindestens waren
es nur wenige, die ihr Inneres ganz dem neuen Wirtschaftsprinzip darbrachten.

Aber daß eine Gefahr selbst hierin liegt, für weichere Naturen besonders,
deren es in Süddeutschland und Österreich vielleicht mehr gibt, als im Norden
und Nordosten, die Gefahr, unter die Räder dieses Fortschrittes zu kommen
und da, wo der norddeutsche bewußt über die Verhältnisse herrscht, zum Be¬
herrschten zu werden, — das darf doch nicht verkannt werden. Und diese
Gefahr ist Rudolf Hans Bartsch, dem österreichischen Dichter und Offizier, schwer
aufs Herz gefallen, als er im vorigen Jahre Deutschland besuchte. Er glaubte
ganz Deutschland dieser Gefahr schon erlegen oder doch nahe daran — er war
nicht im Süden —, und er möchte sie von seinem geliebten Österreich ab¬
wenden, auch wenn die enge Verknüpfung der beiden Reiche, die er von Herzen
wünscht, zustande kommt.

Bartsch ist voll staunender Bewunderung für das, was Deutschland in
dieser schwersten aller Krisen leistet. Ein Bienenstaat, ein Ameisenvolk, bet dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330036"/>
          <fw type="header" place="top"> Naumann oder Bartsch?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1240" prev="#ID_1239"> finden wir nach wie vor in Weimar und in München. Möge uns doch dieser<lb/>
Zustand erhalten bleiben! Wenn unser Volk einmal wirklich die Naumannsche<lb/>
mitteleuropäische Nichts-als-Wirtschaftsseele in sich fühlen sollte &#x2014; um wieviel<lb/>
ärmer wären wir dann, um wieviel ärmer die Welt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1241"> Wie steht es also mit dem seelenverändernden Entschluß zum Eintritt in<lb/>
die mitteleuropäische Wirtschaft? Nur wer die ganze Seele dem Geschäft hingibt,<lb/>
hat sie verloren. Es scheint, daß der norddeutsche geneigter ist, sich ganz an<lb/>
das Objekt aufzugeben, rückhaltlos alle Reserven des Gemütes zu mobilisieren,<lb/>
sich in der Hingabe an das Ziel seiner selbst zu entäußern, als der Süddeutsche<lb/>
und der Österreicher. In dieser Eigenschaft liegt seine Stärke und seine<lb/>
Schwäche. Wir danken ihm den harten straffen Staatssinn, das Ideal<lb/>
der unerbittlichen Pflichterfüllung; von Norddeutschland ist unsere Wirt¬<lb/>
schaftsorganisation ausgegangen, und aus dem norddeutschen Haß gegen alle<lb/>
Halbheiten verstehen wir es, wenn jetzt auch das Evangelium der neuen Arbeits¬<lb/>
gemeinschaft über Mitteleuropa mit solcher Unerbittlichkeit propagiert wird. Aber<lb/>
man kann nicht ganz Mitteleuropa mit norddeutschen Geist erfüllen. Naumann<lb/>
selbst lenkt unseren Blick auf die Süddeutschen. Sie sind mit dem Norden<lb/>
wirtschaftlich zusammengewachsen, die Industrie ist vorwärts gekommen, der<lb/>
Bauer auch. Aber hat der Süddeutsche seine Seele verändert? Man muß<lb/>
Süddeutschland wenig kennen, wenn man dort als einzigen Unterschied gegen¬<lb/>
über dem Norden den stärkeren politischen und gesellschaftlichen Liberalismus<lb/>
findet. Die Wirtschaft hat sich mit den Methoden Norddeutschlands durch-<lb/>
drungen, aber sie haben ihr die bayerische, die schwäbische, die fränkische Wesensart,<lb/>
die sich darin äußert, wie der Mensch dem Leben gegenübersteht, nicht entreißen<lb/>
können. Der Süddeutsche war unbefangen genug, den Fortschritt der wirt¬<lb/>
schaftlichen Methode als das zu begreifen, was er ist, als eine Waffe, mit der<lb/>
man sich besser als vorher durchs Leben schlagen kann. Eine Waffe führt man<lb/>
in der Faust, aber man läßt ihr keine Herrschaft über sich. Mindestens waren<lb/>
es nur wenige, die ihr Inneres ganz dem neuen Wirtschaftsprinzip darbrachten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1242"> Aber daß eine Gefahr selbst hierin liegt, für weichere Naturen besonders,<lb/>
deren es in Süddeutschland und Österreich vielleicht mehr gibt, als im Norden<lb/>
und Nordosten, die Gefahr, unter die Räder dieses Fortschrittes zu kommen<lb/>
und da, wo der norddeutsche bewußt über die Verhältnisse herrscht, zum Be¬<lb/>
herrschten zu werden, &#x2014; das darf doch nicht verkannt werden. Und diese<lb/>
Gefahr ist Rudolf Hans Bartsch, dem österreichischen Dichter und Offizier, schwer<lb/>
aufs Herz gefallen, als er im vorigen Jahre Deutschland besuchte. Er glaubte<lb/>
ganz Deutschland dieser Gefahr schon erlegen oder doch nahe daran &#x2014; er war<lb/>
nicht im Süden &#x2014;, und er möchte sie von seinem geliebten Österreich ab¬<lb/>
wenden, auch wenn die enge Verknüpfung der beiden Reiche, die er von Herzen<lb/>
wünscht, zustande kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1243" next="#ID_1244"> Bartsch ist voll staunender Bewunderung für das, was Deutschland in<lb/>
dieser schwersten aller Krisen leistet. Ein Bienenstaat, ein Ameisenvolk, bet dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] Naumann oder Bartsch? finden wir nach wie vor in Weimar und in München. Möge uns doch dieser Zustand erhalten bleiben! Wenn unser Volk einmal wirklich die Naumannsche mitteleuropäische Nichts-als-Wirtschaftsseele in sich fühlen sollte — um wieviel ärmer wären wir dann, um wieviel ärmer die Welt! Wie steht es also mit dem seelenverändernden Entschluß zum Eintritt in die mitteleuropäische Wirtschaft? Nur wer die ganze Seele dem Geschäft hingibt, hat sie verloren. Es scheint, daß der norddeutsche geneigter ist, sich ganz an das Objekt aufzugeben, rückhaltlos alle Reserven des Gemütes zu mobilisieren, sich in der Hingabe an das Ziel seiner selbst zu entäußern, als der Süddeutsche und der Österreicher. In dieser Eigenschaft liegt seine Stärke und seine Schwäche. Wir danken ihm den harten straffen Staatssinn, das Ideal der unerbittlichen Pflichterfüllung; von Norddeutschland ist unsere Wirt¬ schaftsorganisation ausgegangen, und aus dem norddeutschen Haß gegen alle Halbheiten verstehen wir es, wenn jetzt auch das Evangelium der neuen Arbeits¬ gemeinschaft über Mitteleuropa mit solcher Unerbittlichkeit propagiert wird. Aber man kann nicht ganz Mitteleuropa mit norddeutschen Geist erfüllen. Naumann selbst lenkt unseren Blick auf die Süddeutschen. Sie sind mit dem Norden wirtschaftlich zusammengewachsen, die Industrie ist vorwärts gekommen, der Bauer auch. Aber hat der Süddeutsche seine Seele verändert? Man muß Süddeutschland wenig kennen, wenn man dort als einzigen Unterschied gegen¬ über dem Norden den stärkeren politischen und gesellschaftlichen Liberalismus findet. Die Wirtschaft hat sich mit den Methoden Norddeutschlands durch- drungen, aber sie haben ihr die bayerische, die schwäbische, die fränkische Wesensart, die sich darin äußert, wie der Mensch dem Leben gegenübersteht, nicht entreißen können. Der Süddeutsche war unbefangen genug, den Fortschritt der wirt¬ schaftlichen Methode als das zu begreifen, was er ist, als eine Waffe, mit der man sich besser als vorher durchs Leben schlagen kann. Eine Waffe führt man in der Faust, aber man läßt ihr keine Herrschaft über sich. Mindestens waren es nur wenige, die ihr Inneres ganz dem neuen Wirtschaftsprinzip darbrachten. Aber daß eine Gefahr selbst hierin liegt, für weichere Naturen besonders, deren es in Süddeutschland und Österreich vielleicht mehr gibt, als im Norden und Nordosten, die Gefahr, unter die Räder dieses Fortschrittes zu kommen und da, wo der norddeutsche bewußt über die Verhältnisse herrscht, zum Be¬ herrschten zu werden, — das darf doch nicht verkannt werden. Und diese Gefahr ist Rudolf Hans Bartsch, dem österreichischen Dichter und Offizier, schwer aufs Herz gefallen, als er im vorigen Jahre Deutschland besuchte. Er glaubte ganz Deutschland dieser Gefahr schon erlegen oder doch nahe daran — er war nicht im Süden —, und er möchte sie von seinem geliebten Österreich ab¬ wenden, auch wenn die enge Verknüpfung der beiden Reiche, die er von Herzen wünscht, zustande kommt. Bartsch ist voll staunender Bewunderung für das, was Deutschland in dieser schwersten aller Krisen leistet. Ein Bienenstaat, ein Ameisenvolk, bet dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/368>, abgerufen am 15.01.2025.