Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Naumann oder Bartsch? und entwickelter sein Innenleben ist. um so mehr sich von der Erdenschwere Inwieweit das Denken, Fühlen, Tun eines Volkes oder eines Individuums Nun kann ja nicht geleugnet werden -- und Naumann hat das sehr ein¬ Nach Naumann erscheint dieser neue Mensch den Jndividualistenvölkern 23*
Naumann oder Bartsch? und entwickelter sein Innenleben ist. um so mehr sich von der Erdenschwere Inwieweit das Denken, Fühlen, Tun eines Volkes oder eines Individuums Nun kann ja nicht geleugnet werden — und Naumann hat das sehr ein¬ Nach Naumann erscheint dieser neue Mensch den Jndividualistenvölkern 23*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330035"/> <fw type="header" place="top"> Naumann oder Bartsch?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1236" prev="#ID_1235"> und entwickelter sein Innenleben ist. um so mehr sich von der Erdenschwere<lb/> des Bloßwirtschaftlichen lösen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1237"> Inwieweit das Denken, Fühlen, Tun eines Volkes oder eines Individuums<lb/> auf das Wirtschaftliche abzustimmen ist, kann nicht nach einem absoluten Matz¬<lb/> stab, sondern nur nach dem der Zweckmäßigkeit bemessen werden. Das Absolute<lb/> ist der Zweck, die Erhaltung des Volkes, seine gesunde Weiterentwicklung als<lb/> eines physischen und geistigen Lebewesens. So wenig es gesund wäre, geistige<lb/> Werte (einer Minderheit) zu fördern, während die Menge des Volkes physisch<lb/> verkommt, so wenig geht es an, das ganze Volk oder seine Mehrheit in eine<lb/> blinde Hetzjagd nach wirtschaftlichen Werten fortzureißen, weil hiermit die Seele<lb/> des Volkes verkümmern oder doch verflachen müßte. Schon in dem Deutschland<lb/> vor dem Kriege haben sich die materiellen Werte in einer Weise in den Vorder¬<lb/> grund gedrängt, wie es unseres Volkes nicht mehr würdig war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1238"> Nun kann ja nicht geleugnet werden — und Naumann hat das sehr ein¬<lb/> leuchtend dargestellt — daß wir kraft unserer organisatorischen Begabung und<lb/> Erziehung einen neuen Typus des Wirtschaftsvolkes darzustellen im Begriff<lb/> sind, einen Typus, der den rein kapitalistischen Völkern überlegen ist, wenn<lb/> er sich dauernd halten läßt. Aber indem Naumann so den Sieg über den<lb/> kapitalistischen Individualismus verkündet — was nebenbei zeigt, wie weit<lb/> heutige liberale Politiker vom alten liberalen Gedanken entfernt sind — scheint<lb/> es ihm selbstverständlich, daß auch der Individualismus als Seelenzustand<lb/> etwas ist, das im neuen Wirtschaftsvolk verschwinden muß. Er sieht zwar,<lb/> daß der Erfolg der heutigen Zeit das (allerdings sehr mittelbare) Ergebnis<lb/> individualistischer Höchstleistungen derer war, die man als „Philosophen erster<lb/> Größe unter uns aufsteigen sah." Aber heute hat der Geist sich einzuordnen,<lb/> die disziplinierte Seele ist Trumpf. Denken ohne Verwirklichungszweck ist Rück¬<lb/> ständigkeit. „Unsere technischen und landwirtschaftlichen Hochschulen sind deutsche<lb/> Denkeranstalten mit Verwirllichungszwecken, heute fast charakteristischer sür unsere<lb/> nationale Art als die alten bewährten Universitäten." Mein Gott, wie weit<lb/> haben wir es schon gebracht! Hier spukt bereits das Ostwaldsche reine Utilitätsideal.</p><lb/> <p xml:id="ID_1239" next="#ID_1240"> Nach Naumann erscheint dieser neue Mensch den Jndividualistenvölkern<lb/> »teils als Rückfall in vergangene gebundene Zeiten und teils als künstliche<lb/> Zwangskonstruktion, die das Menschentum verleugnet und vergewaltigt". Sie<lb/> hätten so unrecht nicht, wenn es diesen Menschen wirklich gäbe; aber die Sache<lb/> beruht auf jenem Sehfehler: der Deutsche ist inwendig bis jetzt noch reich genug,<lb/> um zwar zur Erhaltung seiner physischen Existenz ein Wirtschaftsmensch zu<lb/> werden, aber daneben und dahinter doch auch noch ein Seelenmensch zu bleiben.<lb/> Das Ausland hat uns vorgeworfen, wir hätten Weimar verlassen und seien<lb/> ganz nach Potsdam übergesiedelt; den Behauptungen Naumanns darf man<lb/> entgegenhalten, daß wir noch beweglicher in unseren Wohnsitzen sind: wir<lb/> arbeiten zwar und handeln in Hamburg, Berlin und Essen, aber wir sind alle<lb/> selbstverständlich auch in Potsdam zu Hause, und die Heimat unserer Seelen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 23*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0367]
Naumann oder Bartsch?
und entwickelter sein Innenleben ist. um so mehr sich von der Erdenschwere
des Bloßwirtschaftlichen lösen.
Inwieweit das Denken, Fühlen, Tun eines Volkes oder eines Individuums
auf das Wirtschaftliche abzustimmen ist, kann nicht nach einem absoluten Matz¬
stab, sondern nur nach dem der Zweckmäßigkeit bemessen werden. Das Absolute
ist der Zweck, die Erhaltung des Volkes, seine gesunde Weiterentwicklung als
eines physischen und geistigen Lebewesens. So wenig es gesund wäre, geistige
Werte (einer Minderheit) zu fördern, während die Menge des Volkes physisch
verkommt, so wenig geht es an, das ganze Volk oder seine Mehrheit in eine
blinde Hetzjagd nach wirtschaftlichen Werten fortzureißen, weil hiermit die Seele
des Volkes verkümmern oder doch verflachen müßte. Schon in dem Deutschland
vor dem Kriege haben sich die materiellen Werte in einer Weise in den Vorder¬
grund gedrängt, wie es unseres Volkes nicht mehr würdig war.
Nun kann ja nicht geleugnet werden — und Naumann hat das sehr ein¬
leuchtend dargestellt — daß wir kraft unserer organisatorischen Begabung und
Erziehung einen neuen Typus des Wirtschaftsvolkes darzustellen im Begriff
sind, einen Typus, der den rein kapitalistischen Völkern überlegen ist, wenn
er sich dauernd halten läßt. Aber indem Naumann so den Sieg über den
kapitalistischen Individualismus verkündet — was nebenbei zeigt, wie weit
heutige liberale Politiker vom alten liberalen Gedanken entfernt sind — scheint
es ihm selbstverständlich, daß auch der Individualismus als Seelenzustand
etwas ist, das im neuen Wirtschaftsvolk verschwinden muß. Er sieht zwar,
daß der Erfolg der heutigen Zeit das (allerdings sehr mittelbare) Ergebnis
individualistischer Höchstleistungen derer war, die man als „Philosophen erster
Größe unter uns aufsteigen sah." Aber heute hat der Geist sich einzuordnen,
die disziplinierte Seele ist Trumpf. Denken ohne Verwirklichungszweck ist Rück¬
ständigkeit. „Unsere technischen und landwirtschaftlichen Hochschulen sind deutsche
Denkeranstalten mit Verwirllichungszwecken, heute fast charakteristischer sür unsere
nationale Art als die alten bewährten Universitäten." Mein Gott, wie weit
haben wir es schon gebracht! Hier spukt bereits das Ostwaldsche reine Utilitätsideal.
Nach Naumann erscheint dieser neue Mensch den Jndividualistenvölkern
»teils als Rückfall in vergangene gebundene Zeiten und teils als künstliche
Zwangskonstruktion, die das Menschentum verleugnet und vergewaltigt". Sie
hätten so unrecht nicht, wenn es diesen Menschen wirklich gäbe; aber die Sache
beruht auf jenem Sehfehler: der Deutsche ist inwendig bis jetzt noch reich genug,
um zwar zur Erhaltung seiner physischen Existenz ein Wirtschaftsmensch zu
werden, aber daneben und dahinter doch auch noch ein Seelenmensch zu bleiben.
Das Ausland hat uns vorgeworfen, wir hätten Weimar verlassen und seien
ganz nach Potsdam übergesiedelt; den Behauptungen Naumanns darf man
entgegenhalten, daß wir noch beweglicher in unseren Wohnsitzen sind: wir
arbeiten zwar und handeln in Hamburg, Berlin und Essen, aber wir sind alle
selbstverständlich auch in Potsdam zu Hause, und die Heimat unserer Seelen
23*
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |