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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der geschlossene Handelsstaat Lichtes

sein. Alle anderen Schiffe sollten, um mit den blockierten Häfen Handel treiben
zu können, erst in einen englischen Hafen einlaufen und dort eine Abgabe von
25 vom Hundert entrichten. Demgegenüber erklärte Napoleon in dem Dekrete
vom 17. Dezember 1807 von Mailand jedes Schiff, das sich zu dieser englischen
Forderung verstehen würde, für denationalisiert und für gute Prise. Der
Anzeigende sollte ein Drittel des erbeuteten Gutes erhalten.

Das Kontinentalsystem umfaßte anfangs nur Frankreich, Holland, Italien
und den Rheinbund. Durch den Tilstter Frieden vom 7. und 9. Juli 1807
traten Preußen und Rußland, durch die Allianz von Fontainebleau vom 31. De¬
zember 1807 Dänemark mit Norwegen, seit dem 8. Januar 1808 Spanien
und seit dem 18. Februar 1808 auch Österreich bei. So war denn schließlich
beinahe das ganze Festland von Europa mit Ausnahme der Türkei und Por¬
tugals im Kontinentalsystem geeint.

Betrachtet man die unter der unmittelbaren oder mittelbaren Herrschaft
Napoleons stehenden Staaten als ein einheitliches großes Staatensystem, so war
dessen Abschluß vom Auslandshandel durch die beiderseitigen feindlichen Ma߬
regeln und Gegenmaßregeln ziemlich erreicht. Und groß genug war dieses
Gebiet, um in voller Selbstgenügsamkeit alle wesentlichen Güter des Wirtschafts¬
lebens in sich selbst zu erzeugen. Freilich war es kein Einheitsstaat, sondern
nur ein Staatensystem, dessen einzelne Glieder, noch durch wirtschaftliche und
finanzielle Maßregeln voneinander geschieden, weiter untereinander im Handels¬
verkehr standen. Es war also zwar nach der einen Seite der geschlossene
Handelsstaat, nach der anderen aber wieder nicht. Das ganze Kontinentalsystem
wirkte mehr negativ abwehrend als positiv schöpferisch.

Eine geniale Idee des Kampfes gegen Englands See- und Handelsherr¬
schaft lag ihm zu Grunde. Überhaupt haben wir Napoleon trotz aller unaus¬
rottbaren Feindschaft erst in neuerer Zeit richtiger würdigen lernen, wie seine
ganze Politik von der Gegnerschaft Englands beherrscht wurde. Aber um die
englische Handelsherrschaft zu brechen, genügte nicht der Ausschluß englischer
Waren, das europäische Festland hätte auch zu einem einheitlichen Handels-
gebiete verschmolzen werden müssen. Und dazu kam es nicht.

Die geknechteten Völker betrachteten das ihnen aufgezwungene Kontinental¬
system mit Widerwillen, die Regierungen führten es nicht streng durch. Über
seinen eigenen Bruder, König Ludwig von Holland, hatte sich Napoleon zu
beklagen. Der Schleichhandel nahm daher derart überHand, daß ihn Napoleon
sogar 1810 gegen Licenzen gestatten mußte wie umgekehrt die Ausfuhr fran¬
zösischer Waren nach England.

Gewiß entwickelten sich manche Gewerbe unter der schützenden Hand des
Kontinentalsystems. Ja man suchte auch Ersatz zu finden für die nur noch
schwer erreichbaren Kolonialwaren. Das wichtigste Ergebnis nach dieser Richtung
war das Aufkommen des Rübenzuckers an Stelle des bisher allein herrschenden
Rohrzuckers.


Der geschlossene Handelsstaat Lichtes

sein. Alle anderen Schiffe sollten, um mit den blockierten Häfen Handel treiben
zu können, erst in einen englischen Hafen einlaufen und dort eine Abgabe von
25 vom Hundert entrichten. Demgegenüber erklärte Napoleon in dem Dekrete
vom 17. Dezember 1807 von Mailand jedes Schiff, das sich zu dieser englischen
Forderung verstehen würde, für denationalisiert und für gute Prise. Der
Anzeigende sollte ein Drittel des erbeuteten Gutes erhalten.

Das Kontinentalsystem umfaßte anfangs nur Frankreich, Holland, Italien
und den Rheinbund. Durch den Tilstter Frieden vom 7. und 9. Juli 1807
traten Preußen und Rußland, durch die Allianz von Fontainebleau vom 31. De¬
zember 1807 Dänemark mit Norwegen, seit dem 8. Januar 1808 Spanien
und seit dem 18. Februar 1808 auch Österreich bei. So war denn schließlich
beinahe das ganze Festland von Europa mit Ausnahme der Türkei und Por¬
tugals im Kontinentalsystem geeint.

Betrachtet man die unter der unmittelbaren oder mittelbaren Herrschaft
Napoleons stehenden Staaten als ein einheitliches großes Staatensystem, so war
dessen Abschluß vom Auslandshandel durch die beiderseitigen feindlichen Ma߬
regeln und Gegenmaßregeln ziemlich erreicht. Und groß genug war dieses
Gebiet, um in voller Selbstgenügsamkeit alle wesentlichen Güter des Wirtschafts¬
lebens in sich selbst zu erzeugen. Freilich war es kein Einheitsstaat, sondern
nur ein Staatensystem, dessen einzelne Glieder, noch durch wirtschaftliche und
finanzielle Maßregeln voneinander geschieden, weiter untereinander im Handels¬
verkehr standen. Es war also zwar nach der einen Seite der geschlossene
Handelsstaat, nach der anderen aber wieder nicht. Das ganze Kontinentalsystem
wirkte mehr negativ abwehrend als positiv schöpferisch.

Eine geniale Idee des Kampfes gegen Englands See- und Handelsherr¬
schaft lag ihm zu Grunde. Überhaupt haben wir Napoleon trotz aller unaus¬
rottbaren Feindschaft erst in neuerer Zeit richtiger würdigen lernen, wie seine
ganze Politik von der Gegnerschaft Englands beherrscht wurde. Aber um die
englische Handelsherrschaft zu brechen, genügte nicht der Ausschluß englischer
Waren, das europäische Festland hätte auch zu einem einheitlichen Handels-
gebiete verschmolzen werden müssen. Und dazu kam es nicht.

Die geknechteten Völker betrachteten das ihnen aufgezwungene Kontinental¬
system mit Widerwillen, die Regierungen führten es nicht streng durch. Über
seinen eigenen Bruder, König Ludwig von Holland, hatte sich Napoleon zu
beklagen. Der Schleichhandel nahm daher derart überHand, daß ihn Napoleon
sogar 1810 gegen Licenzen gestatten mußte wie umgekehrt die Ausfuhr fran¬
zösischer Waren nach England.

Gewiß entwickelten sich manche Gewerbe unter der schützenden Hand des
Kontinentalsystems. Ja man suchte auch Ersatz zu finden für die nur noch
schwer erreichbaren Kolonialwaren. Das wichtigste Ergebnis nach dieser Richtung
war das Aufkommen des Rübenzuckers an Stelle des bisher allein herrschenden
Rohrzuckers.


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[0346] Der geschlossene Handelsstaat Lichtes sein. Alle anderen Schiffe sollten, um mit den blockierten Häfen Handel treiben zu können, erst in einen englischen Hafen einlaufen und dort eine Abgabe von 25 vom Hundert entrichten. Demgegenüber erklärte Napoleon in dem Dekrete vom 17. Dezember 1807 von Mailand jedes Schiff, das sich zu dieser englischen Forderung verstehen würde, für denationalisiert und für gute Prise. Der Anzeigende sollte ein Drittel des erbeuteten Gutes erhalten. Das Kontinentalsystem umfaßte anfangs nur Frankreich, Holland, Italien und den Rheinbund. Durch den Tilstter Frieden vom 7. und 9. Juli 1807 traten Preußen und Rußland, durch die Allianz von Fontainebleau vom 31. De¬ zember 1807 Dänemark mit Norwegen, seit dem 8. Januar 1808 Spanien und seit dem 18. Februar 1808 auch Österreich bei. So war denn schließlich beinahe das ganze Festland von Europa mit Ausnahme der Türkei und Por¬ tugals im Kontinentalsystem geeint. Betrachtet man die unter der unmittelbaren oder mittelbaren Herrschaft Napoleons stehenden Staaten als ein einheitliches großes Staatensystem, so war dessen Abschluß vom Auslandshandel durch die beiderseitigen feindlichen Ma߬ regeln und Gegenmaßregeln ziemlich erreicht. Und groß genug war dieses Gebiet, um in voller Selbstgenügsamkeit alle wesentlichen Güter des Wirtschafts¬ lebens in sich selbst zu erzeugen. Freilich war es kein Einheitsstaat, sondern nur ein Staatensystem, dessen einzelne Glieder, noch durch wirtschaftliche und finanzielle Maßregeln voneinander geschieden, weiter untereinander im Handels¬ verkehr standen. Es war also zwar nach der einen Seite der geschlossene Handelsstaat, nach der anderen aber wieder nicht. Das ganze Kontinentalsystem wirkte mehr negativ abwehrend als positiv schöpferisch. Eine geniale Idee des Kampfes gegen Englands See- und Handelsherr¬ schaft lag ihm zu Grunde. Überhaupt haben wir Napoleon trotz aller unaus¬ rottbaren Feindschaft erst in neuerer Zeit richtiger würdigen lernen, wie seine ganze Politik von der Gegnerschaft Englands beherrscht wurde. Aber um die englische Handelsherrschaft zu brechen, genügte nicht der Ausschluß englischer Waren, das europäische Festland hätte auch zu einem einheitlichen Handels- gebiete verschmolzen werden müssen. Und dazu kam es nicht. Die geknechteten Völker betrachteten das ihnen aufgezwungene Kontinental¬ system mit Widerwillen, die Regierungen führten es nicht streng durch. Über seinen eigenen Bruder, König Ludwig von Holland, hatte sich Napoleon zu beklagen. Der Schleichhandel nahm daher derart überHand, daß ihn Napoleon sogar 1810 gegen Licenzen gestatten mußte wie umgekehrt die Ausfuhr fran¬ zösischer Waren nach England. Gewiß entwickelten sich manche Gewerbe unter der schützenden Hand des Kontinentalsystems. Ja man suchte auch Ersatz zu finden für die nur noch schwer erreichbaren Kolonialwaren. Das wichtigste Ergebnis nach dieser Richtung war das Aufkommen des Rübenzuckers an Stelle des bisher allein herrschenden Rohrzuckers.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/346>, abgerufen am 15.01.2025.