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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der geschlossene Handelsstaat Lichtes

Wegen der ihm anhaftenden Unvollkommenheiten hat sich das Kontinental¬
system aber doch im allgemeinen als ein Fehlschlag erwiesen. Mit dem Sturze
des Gewaltherrschers brach es auch in seinen letzten Resten zusammen.

Ein Jahrhundert ist seitdem vergangen. Die Geschichte wird von dem
feindlichen Zusammenstoße der Mitte Europas mit Ost und West und mit Eng¬
land beherrscht. Und die Gedanken Fichtes, die für ihre Zeit nur als eine
Verirrung philosophischer Phantasie erscheinen konnten, klingen uns so aus der
Gegenwart entsprungen, daß sie, in deren leichtere und flüssigere Sprache über¬
setzt, den wirtschaftlichen Bedürfnissen Deutschlands im Weltkriege entsprechen.

Freilich der Ausgangspunkt der Wirklichkeit ist ein anderer als der der
Philosophie. Nicht das Bestreben, den rein vernunftmäßigen Staat zu ver¬
wirklichen, hat uns zum geschlossenen Handelsstaate gemacht, sondern die bittere
Not des äußeren Zwanges. Von Ost und West, vom Süden und vom großen
Weltmeere abgesperrt, bleibt uns keine andere Möglichkeit, als unsere wirtschaft¬
lichen Bedürfnisse gemeinsam mit unseren Verbündeten in uns selbst zu be¬
friedigen. Doch wenn alles Wirkliche vernünftig ist, so entspricht eben die durch
die äußeren Umstände gebotene Wirtschaftsordnung auch der Vernunft, und wir
dürfen ohne Bedenken den bestehenden Zustand als vernunftgemäßen betrachten.
Die Verschiedenheit des Ausgangspunktes ist also nur eine scheinbare.

Erheblicher ist eine andere Abweichung. Für den Vernunftstaat Fichtes
gab es keine Zugeständnisse, es hieß biegen oder brechen. Denn entweder war
etwas vernunftgemäß oder war es nicht. Der realpolitische Sinn der Gegen¬
wart, an Bismarckscher Staatskunst geschult, weiß, daß das politische Leben sich
in einer Kette von Kompromissen abspielt. So durchbrechen wir denn den ge¬
schlossenen Handelsstaat, soweit uns irgend noch ein Weltverkehr möglich ist.
Ja die Niederwerfung Serbiens ist nicht nur aus militärischen, sondern auch
aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt, um der von oller Seiten belagerten Festung
wenigstens eine freie Aussallspforte zu verschaffen.

Aber der Hauptsache nach sind Deutschlands Landwirtschaft, Handel und
Gewerbe auf sich selbst angewiesen. Deutschland befriedigt im wesentlichen alle
wirtschaftlichen Bedürfnisse in sich selbst und hat damit jene Selbstgenügsamkeit,
die als das Ideal des Philosophen erschien.

Der Welthandel ist so gut wie aufgehoben. Manche ausländische Ware,
die bisher gang und gäbe war, ist bereits von der Bildfläche verschwunden.
Warum soll man z. B. nicht ohne Bananen leben können? Andere werden
folgen. Und in wie viel reicherem Maße hat unsere Chemie und Technik für
Rohstoffe, die uns das Ausland versagt, Ersatz zu schaffen gewußt.

Die Folgen für den Geldverkehr sind fast genau die von Fichte vorher¬
gesagter gewesen, wenn man berücksichtigt, daß das Silber heute keinen inter¬
nationalen Kurs mehr hat, sondern nur noch Scheidemünze ist. Wie der Staat
nach Abschneidung des Auslandsverkehrs nach Fichtes Worten zu Geld machen
kann, schlechthin was er will, wenn er es nur vor Nachahmung schützt und selbst


Der geschlossene Handelsstaat Lichtes

Wegen der ihm anhaftenden Unvollkommenheiten hat sich das Kontinental¬
system aber doch im allgemeinen als ein Fehlschlag erwiesen. Mit dem Sturze
des Gewaltherrschers brach es auch in seinen letzten Resten zusammen.

Ein Jahrhundert ist seitdem vergangen. Die Geschichte wird von dem
feindlichen Zusammenstoße der Mitte Europas mit Ost und West und mit Eng¬
land beherrscht. Und die Gedanken Fichtes, die für ihre Zeit nur als eine
Verirrung philosophischer Phantasie erscheinen konnten, klingen uns so aus der
Gegenwart entsprungen, daß sie, in deren leichtere und flüssigere Sprache über¬
setzt, den wirtschaftlichen Bedürfnissen Deutschlands im Weltkriege entsprechen.

Freilich der Ausgangspunkt der Wirklichkeit ist ein anderer als der der
Philosophie. Nicht das Bestreben, den rein vernunftmäßigen Staat zu ver¬
wirklichen, hat uns zum geschlossenen Handelsstaate gemacht, sondern die bittere
Not des äußeren Zwanges. Von Ost und West, vom Süden und vom großen
Weltmeere abgesperrt, bleibt uns keine andere Möglichkeit, als unsere wirtschaft¬
lichen Bedürfnisse gemeinsam mit unseren Verbündeten in uns selbst zu be¬
friedigen. Doch wenn alles Wirkliche vernünftig ist, so entspricht eben die durch
die äußeren Umstände gebotene Wirtschaftsordnung auch der Vernunft, und wir
dürfen ohne Bedenken den bestehenden Zustand als vernunftgemäßen betrachten.
Die Verschiedenheit des Ausgangspunktes ist also nur eine scheinbare.

Erheblicher ist eine andere Abweichung. Für den Vernunftstaat Fichtes
gab es keine Zugeständnisse, es hieß biegen oder brechen. Denn entweder war
etwas vernunftgemäß oder war es nicht. Der realpolitische Sinn der Gegen¬
wart, an Bismarckscher Staatskunst geschult, weiß, daß das politische Leben sich
in einer Kette von Kompromissen abspielt. So durchbrechen wir denn den ge¬
schlossenen Handelsstaat, soweit uns irgend noch ein Weltverkehr möglich ist.
Ja die Niederwerfung Serbiens ist nicht nur aus militärischen, sondern auch
aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt, um der von oller Seiten belagerten Festung
wenigstens eine freie Aussallspforte zu verschaffen.

Aber der Hauptsache nach sind Deutschlands Landwirtschaft, Handel und
Gewerbe auf sich selbst angewiesen. Deutschland befriedigt im wesentlichen alle
wirtschaftlichen Bedürfnisse in sich selbst und hat damit jene Selbstgenügsamkeit,
die als das Ideal des Philosophen erschien.

Der Welthandel ist so gut wie aufgehoben. Manche ausländische Ware,
die bisher gang und gäbe war, ist bereits von der Bildfläche verschwunden.
Warum soll man z. B. nicht ohne Bananen leben können? Andere werden
folgen. Und in wie viel reicherem Maße hat unsere Chemie und Technik für
Rohstoffe, die uns das Ausland versagt, Ersatz zu schaffen gewußt.

Die Folgen für den Geldverkehr sind fast genau die von Fichte vorher¬
gesagter gewesen, wenn man berücksichtigt, daß das Silber heute keinen inter¬
nationalen Kurs mehr hat, sondern nur noch Scheidemünze ist. Wie der Staat
nach Abschneidung des Auslandsverkehrs nach Fichtes Worten zu Geld machen
kann, schlechthin was er will, wenn er es nur vor Nachahmung schützt und selbst


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[0347] Der geschlossene Handelsstaat Lichtes Wegen der ihm anhaftenden Unvollkommenheiten hat sich das Kontinental¬ system aber doch im allgemeinen als ein Fehlschlag erwiesen. Mit dem Sturze des Gewaltherrschers brach es auch in seinen letzten Resten zusammen. Ein Jahrhundert ist seitdem vergangen. Die Geschichte wird von dem feindlichen Zusammenstoße der Mitte Europas mit Ost und West und mit Eng¬ land beherrscht. Und die Gedanken Fichtes, die für ihre Zeit nur als eine Verirrung philosophischer Phantasie erscheinen konnten, klingen uns so aus der Gegenwart entsprungen, daß sie, in deren leichtere und flüssigere Sprache über¬ setzt, den wirtschaftlichen Bedürfnissen Deutschlands im Weltkriege entsprechen. Freilich der Ausgangspunkt der Wirklichkeit ist ein anderer als der der Philosophie. Nicht das Bestreben, den rein vernunftmäßigen Staat zu ver¬ wirklichen, hat uns zum geschlossenen Handelsstaate gemacht, sondern die bittere Not des äußeren Zwanges. Von Ost und West, vom Süden und vom großen Weltmeere abgesperrt, bleibt uns keine andere Möglichkeit, als unsere wirtschaft¬ lichen Bedürfnisse gemeinsam mit unseren Verbündeten in uns selbst zu be¬ friedigen. Doch wenn alles Wirkliche vernünftig ist, so entspricht eben die durch die äußeren Umstände gebotene Wirtschaftsordnung auch der Vernunft, und wir dürfen ohne Bedenken den bestehenden Zustand als vernunftgemäßen betrachten. Die Verschiedenheit des Ausgangspunktes ist also nur eine scheinbare. Erheblicher ist eine andere Abweichung. Für den Vernunftstaat Fichtes gab es keine Zugeständnisse, es hieß biegen oder brechen. Denn entweder war etwas vernunftgemäß oder war es nicht. Der realpolitische Sinn der Gegen¬ wart, an Bismarckscher Staatskunst geschult, weiß, daß das politische Leben sich in einer Kette von Kompromissen abspielt. So durchbrechen wir denn den ge¬ schlossenen Handelsstaat, soweit uns irgend noch ein Weltverkehr möglich ist. Ja die Niederwerfung Serbiens ist nicht nur aus militärischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt, um der von oller Seiten belagerten Festung wenigstens eine freie Aussallspforte zu verschaffen. Aber der Hauptsache nach sind Deutschlands Landwirtschaft, Handel und Gewerbe auf sich selbst angewiesen. Deutschland befriedigt im wesentlichen alle wirtschaftlichen Bedürfnisse in sich selbst und hat damit jene Selbstgenügsamkeit, die als das Ideal des Philosophen erschien. Der Welthandel ist so gut wie aufgehoben. Manche ausländische Ware, die bisher gang und gäbe war, ist bereits von der Bildfläche verschwunden. Warum soll man z. B. nicht ohne Bananen leben können? Andere werden folgen. Und in wie viel reicherem Maße hat unsere Chemie und Technik für Rohstoffe, die uns das Ausland versagt, Ersatz zu schaffen gewußt. Die Folgen für den Geldverkehr sind fast genau die von Fichte vorher¬ gesagter gewesen, wenn man berücksichtigt, daß das Silber heute keinen inter¬ nationalen Kurs mehr hat, sondern nur noch Scheidemünze ist. Wie der Staat nach Abschneidung des Auslandsverkehrs nach Fichtes Worten zu Geld machen kann, schlechthin was er will, wenn er es nur vor Nachahmung schützt und selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/347>, abgerufen am 15.01.2025.