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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Vie französische Internationale

Sombart den Glauben an die Kraft der Revolution genannt hat, ist ein Rassen¬
erbe der Franzosen. Er taucht immer wieder auf und verbindet sich mit den
verschiedensten Parteien (selbst die Neuroyalisten haben mit ihm gespielt). Die
französische Minderheit endlich befürwortete Vorbeugungsmaßregeln: Verkürzung
der Militärdienstzeit, Verweigerung aller Kredite für Heer, Marine, Kolonien.
Heros verstieg sich zu der Behauptung, daß seine Agitation "den größten, durch¬
schlagendsten, großartigsten Erfolg in Frankreich" hätte. "Der französische
Generalstab ist durch uns moralisch entwaffnet, er weiß, daß der Krieg den
Aufstand des Proletariats bedeutet." Er sah schon im Geiste die Deutschen in
ihrem "Kadavergehorsam" ihre Bajonette auf die Brust der französischen Pro¬
letarier setzen, die die Barrikaden mit der roten Fahne verteidigten. Jaurös
und Vaillant leugneten vergebens, die Nationen, "diese notwendigen Elemente
menschlicher Entwicklung", zu zertrümmern. Vollmar zog in einer sachlichen,
leise spöttischen Rede ihre Abhängigkeit von Heros ans Licht, und Adler sprach
von "dekorativer Politik". Den deutschen Standpunkt erklärte Bebel mit den
Worten: "Wir können also nichts tun als aufklären und Licht in die Köpfe
bringen, agitieren und organisieren." Schließlich einigte man sich wie immer
im Ausgleich auf einen Beschluß, der zwar jedem die Pflicht gab, gegen den
Krieg anzukämpfen, die Mittel aber völlig in seinem Belieben ließ.

Gelegenheit, die revolutionäre Eigenart ihres sozialistischen Widerstandes
durch die Tat zu bekräftigen, wurden den Franzosen im Jahre 1913 gegeben,
als das Gesetz über die dreijährige Dienstzeit vor die Kammer kam. Und tat¬
sächlich wurde eine Reihe der vorgeschlagenen Mittel, von der Kundgebung bis
zur Meuterei, angewandt. Öffentliche Protestoersammlungen wurden veranstaltet,
die antimilitaristische Schrift "l.e sou cku, 3oläat" in die Kasernen geschmuggelt
und die "Arbeiter in Uniform" tüchtig bearbeitet. Die Regierung, die die
Disziplin gefährdet sah, verhaftete eine ganze Anzahl von Agitatoren und nahm
Haussuchungen vor. Sie konnte aber nicht verheimlichen, daß inzwischen zahl¬
reiche Fälle von Meuterei und Auflehnung im Heere vorgekommen waren.
Trotzdem darf man in diesen Vorgängen nicht etwa die Erfüllung der revolu¬
tionären Versprechen sehen. Die Soldaten meuterten nicht etwa aus Abneigung
gegen den Krieg, sondern weil sie sich in der Erwartung getäuscht sahen, bald
aus dem militärischen Zwang entlassen zu sein, und weil die wirtschaftliche
Lage der Verheirateten während der Dienstjahre vom Staate keineswegs sicher¬
gestellt war. Am 19. Juli wurde das Gesetz von der Kammer mit 353 gegen
204 Stimmen, also mit ansehnlicher Mehrheit, angenommen, nachdem die Re¬
gierung noch den Widerspenstigen den Köder der Einkommenssteuer hingeworfen
hatte. Der Erfolg der Agitation war gleich null. Der Antimilitarismus hatte
nicht hindern können, daß die Rüstung verstärkt und beschleunigt wurde und
der Krieg in immer gefährlichere Nähe rückte. Und Heros hatte 1907 Barri¬
kaden gesehen. "Dekorative Politik".

Trotz dieses offenbaren Versagens der revolutionären Aktion, nahmen frau-


Vie französische Internationale

Sombart den Glauben an die Kraft der Revolution genannt hat, ist ein Rassen¬
erbe der Franzosen. Er taucht immer wieder auf und verbindet sich mit den
verschiedensten Parteien (selbst die Neuroyalisten haben mit ihm gespielt). Die
französische Minderheit endlich befürwortete Vorbeugungsmaßregeln: Verkürzung
der Militärdienstzeit, Verweigerung aller Kredite für Heer, Marine, Kolonien.
Heros verstieg sich zu der Behauptung, daß seine Agitation „den größten, durch¬
schlagendsten, großartigsten Erfolg in Frankreich" hätte. „Der französische
Generalstab ist durch uns moralisch entwaffnet, er weiß, daß der Krieg den
Aufstand des Proletariats bedeutet." Er sah schon im Geiste die Deutschen in
ihrem „Kadavergehorsam" ihre Bajonette auf die Brust der französischen Pro¬
letarier setzen, die die Barrikaden mit der roten Fahne verteidigten. Jaurös
und Vaillant leugneten vergebens, die Nationen, „diese notwendigen Elemente
menschlicher Entwicklung", zu zertrümmern. Vollmar zog in einer sachlichen,
leise spöttischen Rede ihre Abhängigkeit von Heros ans Licht, und Adler sprach
von „dekorativer Politik". Den deutschen Standpunkt erklärte Bebel mit den
Worten: „Wir können also nichts tun als aufklären und Licht in die Köpfe
bringen, agitieren und organisieren." Schließlich einigte man sich wie immer
im Ausgleich auf einen Beschluß, der zwar jedem die Pflicht gab, gegen den
Krieg anzukämpfen, die Mittel aber völlig in seinem Belieben ließ.

Gelegenheit, die revolutionäre Eigenart ihres sozialistischen Widerstandes
durch die Tat zu bekräftigen, wurden den Franzosen im Jahre 1913 gegeben,
als das Gesetz über die dreijährige Dienstzeit vor die Kammer kam. Und tat¬
sächlich wurde eine Reihe der vorgeschlagenen Mittel, von der Kundgebung bis
zur Meuterei, angewandt. Öffentliche Protestoersammlungen wurden veranstaltet,
die antimilitaristische Schrift „l.e sou cku, 3oläat" in die Kasernen geschmuggelt
und die „Arbeiter in Uniform" tüchtig bearbeitet. Die Regierung, die die
Disziplin gefährdet sah, verhaftete eine ganze Anzahl von Agitatoren und nahm
Haussuchungen vor. Sie konnte aber nicht verheimlichen, daß inzwischen zahl¬
reiche Fälle von Meuterei und Auflehnung im Heere vorgekommen waren.
Trotzdem darf man in diesen Vorgängen nicht etwa die Erfüllung der revolu¬
tionären Versprechen sehen. Die Soldaten meuterten nicht etwa aus Abneigung
gegen den Krieg, sondern weil sie sich in der Erwartung getäuscht sahen, bald
aus dem militärischen Zwang entlassen zu sein, und weil die wirtschaftliche
Lage der Verheirateten während der Dienstjahre vom Staate keineswegs sicher¬
gestellt war. Am 19. Juli wurde das Gesetz von der Kammer mit 353 gegen
204 Stimmen, also mit ansehnlicher Mehrheit, angenommen, nachdem die Re¬
gierung noch den Widerspenstigen den Köder der Einkommenssteuer hingeworfen
hatte. Der Erfolg der Agitation war gleich null. Der Antimilitarismus hatte
nicht hindern können, daß die Rüstung verstärkt und beschleunigt wurde und
der Krieg in immer gefährlichere Nähe rückte. Und Heros hatte 1907 Barri¬
kaden gesehen. „Dekorative Politik".

Trotz dieses offenbaren Versagens der revolutionären Aktion, nahmen frau-


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[0274] Vie französische Internationale Sombart den Glauben an die Kraft der Revolution genannt hat, ist ein Rassen¬ erbe der Franzosen. Er taucht immer wieder auf und verbindet sich mit den verschiedensten Parteien (selbst die Neuroyalisten haben mit ihm gespielt). Die französische Minderheit endlich befürwortete Vorbeugungsmaßregeln: Verkürzung der Militärdienstzeit, Verweigerung aller Kredite für Heer, Marine, Kolonien. Heros verstieg sich zu der Behauptung, daß seine Agitation „den größten, durch¬ schlagendsten, großartigsten Erfolg in Frankreich" hätte. „Der französische Generalstab ist durch uns moralisch entwaffnet, er weiß, daß der Krieg den Aufstand des Proletariats bedeutet." Er sah schon im Geiste die Deutschen in ihrem „Kadavergehorsam" ihre Bajonette auf die Brust der französischen Pro¬ letarier setzen, die die Barrikaden mit der roten Fahne verteidigten. Jaurös und Vaillant leugneten vergebens, die Nationen, „diese notwendigen Elemente menschlicher Entwicklung", zu zertrümmern. Vollmar zog in einer sachlichen, leise spöttischen Rede ihre Abhängigkeit von Heros ans Licht, und Adler sprach von „dekorativer Politik". Den deutschen Standpunkt erklärte Bebel mit den Worten: „Wir können also nichts tun als aufklären und Licht in die Köpfe bringen, agitieren und organisieren." Schließlich einigte man sich wie immer im Ausgleich auf einen Beschluß, der zwar jedem die Pflicht gab, gegen den Krieg anzukämpfen, die Mittel aber völlig in seinem Belieben ließ. Gelegenheit, die revolutionäre Eigenart ihres sozialistischen Widerstandes durch die Tat zu bekräftigen, wurden den Franzosen im Jahre 1913 gegeben, als das Gesetz über die dreijährige Dienstzeit vor die Kammer kam. Und tat¬ sächlich wurde eine Reihe der vorgeschlagenen Mittel, von der Kundgebung bis zur Meuterei, angewandt. Öffentliche Protestoersammlungen wurden veranstaltet, die antimilitaristische Schrift „l.e sou cku, 3oläat" in die Kasernen geschmuggelt und die „Arbeiter in Uniform" tüchtig bearbeitet. Die Regierung, die die Disziplin gefährdet sah, verhaftete eine ganze Anzahl von Agitatoren und nahm Haussuchungen vor. Sie konnte aber nicht verheimlichen, daß inzwischen zahl¬ reiche Fälle von Meuterei und Auflehnung im Heere vorgekommen waren. Trotzdem darf man in diesen Vorgängen nicht etwa die Erfüllung der revolu¬ tionären Versprechen sehen. Die Soldaten meuterten nicht etwa aus Abneigung gegen den Krieg, sondern weil sie sich in der Erwartung getäuscht sahen, bald aus dem militärischen Zwang entlassen zu sein, und weil die wirtschaftliche Lage der Verheirateten während der Dienstjahre vom Staate keineswegs sicher¬ gestellt war. Am 19. Juli wurde das Gesetz von der Kammer mit 353 gegen 204 Stimmen, also mit ansehnlicher Mehrheit, angenommen, nachdem die Re¬ gierung noch den Widerspenstigen den Köder der Einkommenssteuer hingeworfen hatte. Der Erfolg der Agitation war gleich null. Der Antimilitarismus hatte nicht hindern können, daß die Rüstung verstärkt und beschleunigt wurde und der Krieg in immer gefährlichere Nähe rückte. Und Heros hatte 1907 Barri¬ kaden gesehen. „Dekorative Politik". Trotz dieses offenbaren Versagens der revolutionären Aktion, nahmen frau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/274>, abgerufen am 15.01.2025.