Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die franzSfische Internationale gab dem Antimilitarismus sofort einen antipatriotischen Unterton. Im Januar 1906 Doch solcher vorsichtigen Zurückhaltung konnte es in Frankreich nicht ge¬ Der Kommissionsberatung lagen u. a. drei französische Vorschläge zugrunde. Die franzSfische Internationale gab dem Antimilitarismus sofort einen antipatriotischen Unterton. Im Januar 1906 Doch solcher vorsichtigen Zurückhaltung konnte es in Frankreich nicht ge¬ Der Kommissionsberatung lagen u. a. drei französische Vorschläge zugrunde. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329941"/> <fw type="header" place="top"> Die franzSfische Internationale</fw><lb/> <p xml:id="ID_922" prev="#ID_921"> gab dem Antimilitarismus sofort einen antipatriotischen Unterton. Im Januar 1906<lb/> erhielt Griffuelhes vom Vorstand der Gewerkvereine den Auftrag, sich mit der<lb/> deutschen Gewerkschastskommission zu verständigen, um in Paris und Berlin<lb/> gleichzeitig eine große Kundgebung gegen den Krieg zu veranstalten. Von ihr,<lb/> sowie von Bebel persönlich erhielt er die Antwort, daß die deutschen Gewerk¬<lb/> schaften nur im Verein mit der sozialistischen Partei beider Länder eine Kund¬<lb/> gebung beschließen würden. Dieser Bescheid wird dem Gewerkschaftskongreß zu<lb/> Amiens überbracht. In ihm findet die Anschauung, daß dem Kriege der<lb/> revolutionäre Widerstand des Proletariats entgegengebracht werden müsse, eine<lb/> Mehrheit. Der Minderheit erscheint dieser Beschluß zu rücksichtslos; sie stellte<lb/> sich als Reformpartei auf den linken Flügel der Gewerkler und beschränkte sich<lb/> künftighin als reformistischer Syndikalismus darauf, die Aufrechterhaltung des<lb/> Friedens zu wünschen, ohne patriotisch oder staatsfreundlich zu sein. Die<lb/> Arbeiter haben nach ihm das Recht, in ihren nationalen und internationalen<lb/> Kongressen gegen den Krieg zu protestieren; denn mehr als jeder andere habe<lb/> der Arbeiter ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens. Aber er<lb/> verurteilt nur die Rolle des Militärs in den wirtschaftlichen Konflikten und will<lb/> nicht die Verteidigungswaffe der Nation zerstören. Er läßt sich ferner von der<lb/> Erwägung leiten, daß höchstwahrscheinlich der Generalstreik nicht in ganz Europa<lb/> zu gleicher Zeit ausbrechen würde und dann der militärisch starke, kapitalistische<lb/> Staat das Volk ohne Waffen vernichten könne.</p><lb/> <p xml:id="ID_923"> Doch solcher vorsichtigen Zurückhaltung konnte es in Frankreich nicht ge¬<lb/> lingen, viel Anhänger zu werben. Weit mehr Erfolg hatte der revolutionäre<lb/> Syndikalismus, als dessen Wortführer Gustav Heros seit Tanger auftrat. Sein Lo--<lb/> sungsruf ist: Nieder mit der Republik! Er steckt die Trikolore symbolisch in den Mist¬<lb/> haufen und erklärt rundweg, im Kriegsfalle werde man nicht mittun. Zuerst große<lb/> Entrüstung bei den Sozialisten. Sie hält jedoch nicht lange an. Schon bald darauf,<lb/> nämlich auf dem Kongreß zu Nancy, rücken die verschiedenen Sozialistenführer<lb/> wieder näher an ihn heran. Er bildete den Auftakt zu dem internationalen<lb/> Sozialistenkongreß zu Stuttgart im Jahre 1907, auf welchem die Stellung,<lb/> nähme zum Kriege grundsätzlich erörtert wurde und der revolutionäre Syndikalismus<lb/> als Sieger dastand.</p><lb/> <p xml:id="ID_924" next="#ID_925"> Der Kommissionsberatung lagen u. a. drei französische Vorschläge zugrunde.<lb/> Heros forderte: „Jede Kriegserklärung, von welcher Seite sie auch kommen<lb/> mag, mit dem Militärstretk und dem Aufstand zu beantworten." Der Antrag<lb/> der französischen Mehrheit (Jaurös-Vaillant) bezeichnete als Mittel der Kriegs-<lb/> Verhütung „parlamentarische Intervention, öffentliche Agitation, Massenstreik und<lb/> Aufstand". Er unterscheidet sich also nur dadurch von Heros, daß er den<lb/> Generalstreik als äußerstes und letztes Mittel ansteht. Der internationale Ge¬<lb/> danke war damit in seiner revolutionären Form auf dem Umwege über den<lb/> Anarchismus und die Gewerkvereine wieder in den Sozialismus eingedrungen,<lb/> und selbst der Marxist Vaillant neigte sich ihm zu. Der Nevolutionismus, wie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0273]
Die franzSfische Internationale
gab dem Antimilitarismus sofort einen antipatriotischen Unterton. Im Januar 1906
erhielt Griffuelhes vom Vorstand der Gewerkvereine den Auftrag, sich mit der
deutschen Gewerkschastskommission zu verständigen, um in Paris und Berlin
gleichzeitig eine große Kundgebung gegen den Krieg zu veranstalten. Von ihr,
sowie von Bebel persönlich erhielt er die Antwort, daß die deutschen Gewerk¬
schaften nur im Verein mit der sozialistischen Partei beider Länder eine Kund¬
gebung beschließen würden. Dieser Bescheid wird dem Gewerkschaftskongreß zu
Amiens überbracht. In ihm findet die Anschauung, daß dem Kriege der
revolutionäre Widerstand des Proletariats entgegengebracht werden müsse, eine
Mehrheit. Der Minderheit erscheint dieser Beschluß zu rücksichtslos; sie stellte
sich als Reformpartei auf den linken Flügel der Gewerkler und beschränkte sich
künftighin als reformistischer Syndikalismus darauf, die Aufrechterhaltung des
Friedens zu wünschen, ohne patriotisch oder staatsfreundlich zu sein. Die
Arbeiter haben nach ihm das Recht, in ihren nationalen und internationalen
Kongressen gegen den Krieg zu protestieren; denn mehr als jeder andere habe
der Arbeiter ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens. Aber er
verurteilt nur die Rolle des Militärs in den wirtschaftlichen Konflikten und will
nicht die Verteidigungswaffe der Nation zerstören. Er läßt sich ferner von der
Erwägung leiten, daß höchstwahrscheinlich der Generalstreik nicht in ganz Europa
zu gleicher Zeit ausbrechen würde und dann der militärisch starke, kapitalistische
Staat das Volk ohne Waffen vernichten könne.
Doch solcher vorsichtigen Zurückhaltung konnte es in Frankreich nicht ge¬
lingen, viel Anhänger zu werben. Weit mehr Erfolg hatte der revolutionäre
Syndikalismus, als dessen Wortführer Gustav Heros seit Tanger auftrat. Sein Lo--
sungsruf ist: Nieder mit der Republik! Er steckt die Trikolore symbolisch in den Mist¬
haufen und erklärt rundweg, im Kriegsfalle werde man nicht mittun. Zuerst große
Entrüstung bei den Sozialisten. Sie hält jedoch nicht lange an. Schon bald darauf,
nämlich auf dem Kongreß zu Nancy, rücken die verschiedenen Sozialistenführer
wieder näher an ihn heran. Er bildete den Auftakt zu dem internationalen
Sozialistenkongreß zu Stuttgart im Jahre 1907, auf welchem die Stellung,
nähme zum Kriege grundsätzlich erörtert wurde und der revolutionäre Syndikalismus
als Sieger dastand.
Der Kommissionsberatung lagen u. a. drei französische Vorschläge zugrunde.
Heros forderte: „Jede Kriegserklärung, von welcher Seite sie auch kommen
mag, mit dem Militärstretk und dem Aufstand zu beantworten." Der Antrag
der französischen Mehrheit (Jaurös-Vaillant) bezeichnete als Mittel der Kriegs-
Verhütung „parlamentarische Intervention, öffentliche Agitation, Massenstreik und
Aufstand". Er unterscheidet sich also nur dadurch von Heros, daß er den
Generalstreik als äußerstes und letztes Mittel ansteht. Der internationale Ge¬
danke war damit in seiner revolutionären Form auf dem Umwege über den
Anarchismus und die Gewerkvereine wieder in den Sozialismus eingedrungen,
und selbst der Marxist Vaillant neigte sich ihm zu. Der Nevolutionismus, wie
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