Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die französische Internationale der nationalen Eigenart fest, forderte aber die Herstellung internationaler Be¬ Die Gewerkvereine, die zuerst in Anlehnung an die praktisch ausgebauten Im Jahre 1905 droht plötzlich eine europäische Verwicklung, hervorgerufen Die französische Internationale der nationalen Eigenart fest, forderte aber die Herstellung internationaler Be¬ Die Gewerkvereine, die zuerst in Anlehnung an die praktisch ausgebauten Im Jahre 1905 droht plötzlich eine europäische Verwicklung, hervorgerufen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329940"/> <fw type="header" place="top"> Die französische Internationale</fw><lb/> <p xml:id="ID_919" prev="#ID_918"> der nationalen Eigenart fest, forderte aber die Herstellung internationaler Be¬<lb/> ziehungen (Korrespondenzen, Erkennungsmarken usw.). In Anwendung kam<lb/> diese Forderung gleich im nächsten Jahr bei Einführung der Maifeier, die ja<lb/> einen Weltfeiertag bedeuten sollte. Auch die Kriegsfrage kam auf dem inter¬<lb/> nationalen Sozialistenkongreß zu Brüssel (1891) wieder zur Erörterung. Sie<lb/> wurde hier in marxistischen Sinne durch einen Beschluß gelöst, den Vaillant,<lb/> der „deutscheste unter den Franzosen" (Bebel) und Liebknecht beantragt hatten:<lb/> alle Arbeiter sollen in ständiger Agitation gegen alle Kriegswünsche protestieren;<lb/> um den Krieg abzuwenden, ist die internationale Organisation des Sozialismus<lb/> zu beschleunigen; der Sozialismus wälzt im Kriegsfalle die Verantwortung auf<lb/> die leitenden Klassen ab. Die Betonung der natürlichen Entwicklung, die sich<lb/> in dieser Resolution ausspricht, ist durchaus deutsch. Und so behielt der inter¬<lb/> nationale Gedanke dank dem steigenden deutschen Einfluß immer noch einen<lb/> platonischen Charakter. Nirgends war ausgesprochen, daß die Enteignung der<lb/> Produktionsmittel die gewaltsame Zerstörung der bestehenden Staatengebilde<lb/> bedingen würde. Man dachte sich für den zukünftigen Arbeitsstaat eine sich<lb/> infolge der Lohnregelung von selbst ergebende allgemeine Harmonie. Der<lb/> Sozialismus war zwar international und revolutionär, aber doch nicht aus¬<lb/> gesprochen antinational. Diese anarchistische Zuspitzung erhielt er erst in Frank¬<lb/> reich und zwar durch die Entwicklung der französischen Gewerkschaften.</p><lb/> <p xml:id="ID_920"> Die Gewerkvereine, die zuerst in Anlehnung an die praktisch ausgebauten<lb/> englischen Trade Unions sich sachlichen Berufsfragen zugewandt hatten, wurden<lb/> in den achtziger Jahren beim Siegeszuge des Marxismus in Frankreich von<lb/> kollektivistischen Ideen überflutet. Erst nach Hinzutritt der rein beruflich und<lb/> wirtschaftlich organisierten Arbeitsbörsen (1895). die bald die Führung über¬<lb/> nahmen, kann man wieder von einer eigentümlichen gewerkschaftlichen Richtung<lb/> in Frankreich sprechen. Zu dieser Richtung verhalfen den Gewerklern Elemente,<lb/> die sich anfangs ganz unpolitisch gebärdeten: die Anarchisten, die umso bereit¬<lb/> williger aufgenommen wurden, je mehr sich die sozialistische Partei mit der<lb/> demokratischen Republik und dem Parlamentarismus befreundete. Diese gaben<lb/> ihnen den eigentümlichen revolutionären Charakter, den die französischen Syndikate<lb/> bis zum Ausbruch des gegenwärtigen Krieges bewahrt haben. Schon auf dem<lb/> ersten gemeinsamen Kongreß zu Algier (1902) wird die antimilitaristische Pro¬<lb/> paganda gefordert. Der Antimilitarismus der Gewerkvereine war ursprünglich<lb/> in Erinnerung an sozialistische Ideen entstanden, die von ihnen nur schärfer<lb/> ausgedrückt wurden. Das Heer galt als die Waffe jener kapitalistischen gesell¬<lb/> schaftlichen Ordnung, die das Eigentum schützt und deshalb vom klassenbewußten<lb/> Proletariat bekämpft werden muß. Diesen Widerstand gegen die staatauflösenden<lb/> Bestrebungen setzte es besonders kräftig dem neuen, revolutionären Ausdrucks¬<lb/> mittel der Gewerkvereine, dem Streik, entgegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_921" next="#ID_922"> Im Jahre 1905 droht plötzlich eine europäische Verwicklung, hervorgerufen<lb/> durch das selbstherrliche Auftreten Frankreichs in Marokko. Die Kriegsmöglichkeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0272]
Die französische Internationale
der nationalen Eigenart fest, forderte aber die Herstellung internationaler Be¬
ziehungen (Korrespondenzen, Erkennungsmarken usw.). In Anwendung kam
diese Forderung gleich im nächsten Jahr bei Einführung der Maifeier, die ja
einen Weltfeiertag bedeuten sollte. Auch die Kriegsfrage kam auf dem inter¬
nationalen Sozialistenkongreß zu Brüssel (1891) wieder zur Erörterung. Sie
wurde hier in marxistischen Sinne durch einen Beschluß gelöst, den Vaillant,
der „deutscheste unter den Franzosen" (Bebel) und Liebknecht beantragt hatten:
alle Arbeiter sollen in ständiger Agitation gegen alle Kriegswünsche protestieren;
um den Krieg abzuwenden, ist die internationale Organisation des Sozialismus
zu beschleunigen; der Sozialismus wälzt im Kriegsfalle die Verantwortung auf
die leitenden Klassen ab. Die Betonung der natürlichen Entwicklung, die sich
in dieser Resolution ausspricht, ist durchaus deutsch. Und so behielt der inter¬
nationale Gedanke dank dem steigenden deutschen Einfluß immer noch einen
platonischen Charakter. Nirgends war ausgesprochen, daß die Enteignung der
Produktionsmittel die gewaltsame Zerstörung der bestehenden Staatengebilde
bedingen würde. Man dachte sich für den zukünftigen Arbeitsstaat eine sich
infolge der Lohnregelung von selbst ergebende allgemeine Harmonie. Der
Sozialismus war zwar international und revolutionär, aber doch nicht aus¬
gesprochen antinational. Diese anarchistische Zuspitzung erhielt er erst in Frank¬
reich und zwar durch die Entwicklung der französischen Gewerkschaften.
Die Gewerkvereine, die zuerst in Anlehnung an die praktisch ausgebauten
englischen Trade Unions sich sachlichen Berufsfragen zugewandt hatten, wurden
in den achtziger Jahren beim Siegeszuge des Marxismus in Frankreich von
kollektivistischen Ideen überflutet. Erst nach Hinzutritt der rein beruflich und
wirtschaftlich organisierten Arbeitsbörsen (1895). die bald die Führung über¬
nahmen, kann man wieder von einer eigentümlichen gewerkschaftlichen Richtung
in Frankreich sprechen. Zu dieser Richtung verhalfen den Gewerklern Elemente,
die sich anfangs ganz unpolitisch gebärdeten: die Anarchisten, die umso bereit¬
williger aufgenommen wurden, je mehr sich die sozialistische Partei mit der
demokratischen Republik und dem Parlamentarismus befreundete. Diese gaben
ihnen den eigentümlichen revolutionären Charakter, den die französischen Syndikate
bis zum Ausbruch des gegenwärtigen Krieges bewahrt haben. Schon auf dem
ersten gemeinsamen Kongreß zu Algier (1902) wird die antimilitaristische Pro¬
paganda gefordert. Der Antimilitarismus der Gewerkvereine war ursprünglich
in Erinnerung an sozialistische Ideen entstanden, die von ihnen nur schärfer
ausgedrückt wurden. Das Heer galt als die Waffe jener kapitalistischen gesell¬
schaftlichen Ordnung, die das Eigentum schützt und deshalb vom klassenbewußten
Proletariat bekämpft werden muß. Diesen Widerstand gegen die staatauflösenden
Bestrebungen setzte es besonders kräftig dem neuen, revolutionären Ausdrucks¬
mittel der Gewerkvereine, dem Streik, entgegen.
Im Jahre 1905 droht plötzlich eine europäische Verwicklung, hervorgerufen
durch das selbstherrliche Auftreten Frankreichs in Marokko. Die Kriegsmöglichkeit
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