Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Das Nationalitätsprinzip und der Krieg Der Panslawismus rechtfertigt die Einverleibung der Ukrainer und Polens in Unter dieser Devise begann mit Rußlands Segen der erste Balkankrieg Doch der Balkanbund sollte in dem ersten Balkankriegc gegen die Türkei Der Weltkrieg begann auf der ganzen Linie mit dem Programm des Am besten hätte man diese Aufgabe im eigenen Hause erfüllen können, Nußland wollte gegen Deutschland und Österreich das Nationalitätsprinzip Das Nationalitätsprinzip und der Krieg Der Panslawismus rechtfertigt die Einverleibung der Ukrainer und Polens in Unter dieser Devise begann mit Rußlands Segen der erste Balkankrieg Doch der Balkanbund sollte in dem ersten Balkankriegc gegen die Türkei Der Weltkrieg begann auf der ganzen Linie mit dem Programm des Am besten hätte man diese Aufgabe im eigenen Hause erfüllen können, Nußland wollte gegen Deutschland und Österreich das Nationalitätsprinzip <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329908"/> <fw type="header" place="top"> Das Nationalitätsprinzip und der Krieg</fw><lb/> <p xml:id="ID_779" prev="#ID_778"> Der Panslawismus rechtfertigt die Einverleibung der Ukrainer und Polens in<lb/> Rußland und gibt dem russischen Zaren die Schutzherrschaft über die Balkan¬<lb/> slawen. Und wo, wie gegenüber Griechen und Rumänen, der Panslawismus<lb/> nicht ausreicht, muß die Glaubensgemeinschaft der Orthodoxie nachhelfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_780"> Unter dieser Devise begann mit Rußlands Segen der erste Balkankrieg<lb/> zur Befreiung der Balkanvölker von türkischer Herrschaft. Nur die letzte Frucht<lb/> zu pflücken, die Türken aus Konstantinopel zu verjagen, hatte Rußland sich<lb/> selbst vorbehalten. Freilich war auch hier das Nationalitätsprinzip nicht Selbst¬<lb/> zweck, Rußland teilte das Schicksal Napoleons des Dritten, es mußte bald ein¬<lb/> dämmend wirken. Bulgarien als mächtiger Slawenstaat vor den Toren<lb/> Konstantinopels wäre der beste Schutz der Türkei gegen Rußland gewesen.<lb/> Bulgarien mußte also auf Kosten des Nationalitätsprinzips möglichst geschwächt<lb/> werden. So begann der zweite Balkankrieg der bisherigen Verbündeten gegen<lb/> Bulgarien. Freilich eins reinliche Scheidung nach der Volks- oder Sprach¬<lb/> grenze ist in dem Völkergewirr der Balkanhalbinsel ein Ding der Unmög¬<lb/> lichkeit. Aber daß die große Masse der makedonischer Bulgaren an Serbien<lb/> überantwortet wurde, lag einzig daran, daß dieses der willfähigere russische<lb/> Vasall war.</p><lb/> <p xml:id="ID_781"> Doch der Balkanbund sollte in dem ersten Balkankriegc gegen die Türkei<lb/> nur die Probe bestehen. Als Hauptaufgabe für später war ihm im Bunde<lb/> mit Nußland die Zertrümmerung des Nationalitätenstaates Österreich gestellt —<lb/> wiederum im Namen des Nationalitätsprinzips. Nur schade, daß durch den<lb/> zweiten Balkankrieg gegen Bulgarien das Werkzeug zerbrochen war, ehe man<lb/> es zu seinem Hauptzwecke gebrauchen konnte, und alle Versuche, es wieder zu¬<lb/> sammenzuleimen, an der bulgarisch-serbischen Feindschaft scheiterten. So mußte<lb/> man sich denn mit Serben und Montenegrinern allein begnügen und daneben<lb/> auf andere mächtige Bundesgenossen verlassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_782"> Der Weltkrieg begann auf der ganzen Linie mit dem Programm des<lb/> Nationalitätsprinzips der Befreiung der kleinen unterdrückten Völker.</p><lb/> <p xml:id="ID_783"> Am besten hätte man diese Aufgabe im eigenen Hause erfüllen können,<lb/> ohne dazu des Krieges zu bedürfen. Irland, Indien und die Buren boten für<lb/> England, Finnland, Polen und Ukraine für Rußland, Makedonien für Serbien<lb/> reichliche Gelegenheit. Doch auch hier galt das Wort: der brave Mann denkt<lb/> ein sich selbst zuletzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_784" next="#ID_785"> Nußland wollte gegen Deutschland und Österreich das Nationalitätsprinzip<lb/> zur Geltung bringen. Zu dem Zwecke war die Wiederherstellung Polens unter<lb/> russischer Leitung ins Auge gefaßt. Daraufhin konnte man die halbpolnischen<lb/> Landesteile Preußens und Westgalizien beanspruchen, während Ostgalizien als<lb/> von Ruthenen bewohnt unmittelbar für Rußland bestimmt war. Auch hier<lb/> mußte der Panslawismus wieder dazu herhalten, das Unzureichende des Nationali¬<lb/> tätsprinzipes zu verdecken. Die Ukrainer gab man sür Russen aus, und die<lb/> Polen waren Slawen. So konnte man beider Gebiet beanspruchen. Daß in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
Das Nationalitätsprinzip und der Krieg
Der Panslawismus rechtfertigt die Einverleibung der Ukrainer und Polens in
Rußland und gibt dem russischen Zaren die Schutzherrschaft über die Balkan¬
slawen. Und wo, wie gegenüber Griechen und Rumänen, der Panslawismus
nicht ausreicht, muß die Glaubensgemeinschaft der Orthodoxie nachhelfen.
Unter dieser Devise begann mit Rußlands Segen der erste Balkankrieg
zur Befreiung der Balkanvölker von türkischer Herrschaft. Nur die letzte Frucht
zu pflücken, die Türken aus Konstantinopel zu verjagen, hatte Rußland sich
selbst vorbehalten. Freilich war auch hier das Nationalitätsprinzip nicht Selbst¬
zweck, Rußland teilte das Schicksal Napoleons des Dritten, es mußte bald ein¬
dämmend wirken. Bulgarien als mächtiger Slawenstaat vor den Toren
Konstantinopels wäre der beste Schutz der Türkei gegen Rußland gewesen.
Bulgarien mußte also auf Kosten des Nationalitätsprinzips möglichst geschwächt
werden. So begann der zweite Balkankrieg der bisherigen Verbündeten gegen
Bulgarien. Freilich eins reinliche Scheidung nach der Volks- oder Sprach¬
grenze ist in dem Völkergewirr der Balkanhalbinsel ein Ding der Unmög¬
lichkeit. Aber daß die große Masse der makedonischer Bulgaren an Serbien
überantwortet wurde, lag einzig daran, daß dieses der willfähigere russische
Vasall war.
Doch der Balkanbund sollte in dem ersten Balkankriegc gegen die Türkei
nur die Probe bestehen. Als Hauptaufgabe für später war ihm im Bunde
mit Nußland die Zertrümmerung des Nationalitätenstaates Österreich gestellt —
wiederum im Namen des Nationalitätsprinzips. Nur schade, daß durch den
zweiten Balkankrieg gegen Bulgarien das Werkzeug zerbrochen war, ehe man
es zu seinem Hauptzwecke gebrauchen konnte, und alle Versuche, es wieder zu¬
sammenzuleimen, an der bulgarisch-serbischen Feindschaft scheiterten. So mußte
man sich denn mit Serben und Montenegrinern allein begnügen und daneben
auf andere mächtige Bundesgenossen verlassen.
Der Weltkrieg begann auf der ganzen Linie mit dem Programm des
Nationalitätsprinzips der Befreiung der kleinen unterdrückten Völker.
Am besten hätte man diese Aufgabe im eigenen Hause erfüllen können,
ohne dazu des Krieges zu bedürfen. Irland, Indien und die Buren boten für
England, Finnland, Polen und Ukraine für Rußland, Makedonien für Serbien
reichliche Gelegenheit. Doch auch hier galt das Wort: der brave Mann denkt
ein sich selbst zuletzt.
Nußland wollte gegen Deutschland und Österreich das Nationalitätsprinzip
zur Geltung bringen. Zu dem Zwecke war die Wiederherstellung Polens unter
russischer Leitung ins Auge gefaßt. Daraufhin konnte man die halbpolnischen
Landesteile Preußens und Westgalizien beanspruchen, während Ostgalizien als
von Ruthenen bewohnt unmittelbar für Rußland bestimmt war. Auch hier
mußte der Panslawismus wieder dazu herhalten, das Unzureichende des Nationali¬
tätsprinzipes zu verdecken. Die Ukrainer gab man sür Russen aus, und die
Polen waren Slawen. So konnte man beider Gebiet beanspruchen. Daß in
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