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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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König Nikola von Montenegro und seine Politik

Dorn im Auge und anfangs der siebziger Jahde trat eine Spannung zwischen
Se. Petersburg und Cetinje ein, die so arg wurde, daß Nikola, als er behufs
Aussöhnung persönlich zum Zaren kommen wollte und deshalb anfrug, ob fein
Besuch willkommen wäre, die kühle Antwort erhielt: "Jeder mit einem regel¬
rechten Paß versehene anständige Mensch darf nach Rußland kommen".

In jene Zeit dürfte es fallen, daß Nikola der österreichischen Regierung
den Vorschlag machte, sie möge ihm die Bocche abtreten, wogegen er sich an¬
heischig mache, in der Herzegowina einen solchen Aufstand hervorzurufen, daß
er Österreich Gelegenheit biete, Bosnien und die Herzegowina zu besetzen. Ich
glaube nämlich, daß dieser Vorschlag es war, der die erwähnte Verstimmung
zwischen Rußland und Montenegro bewirkt hatte, trotzdem Österreich auf den
Vorschlag nicht eingegangen war. Aber schon der Vorschlag an sich wirft auf
den Fürsten Nikola ein eigentümliches Licht. Für ein Linsengericht wäre er
sofort bereit gewesen, alle von ihm sonst so hochgepriesenen Ziele preiszugeben.
So benahm er sich übrigens immer!

Das sehnsüchtigste nächste Ziel der Montenegriner war die Erwerbung
eines Hafens gewesen, der ihnen ungehinderte Verbindung mit der Außenwelt
ermöglicht hätte. Nikola hatte deshalb schon 1866 mit der Pforte Unter¬
handlungen angeknüpft (wahrscheinlich während des österreichischen Krieges, um
einer Einsprache seitens Österreichs vorzubeugen), die tatsächlich dazu führten, daß
die Pforte den kleinen an Österreich stoßenden Hafen Spitsch an Montenegro
abtrat. Da legten sich aber England und Frankreich ins Mittel, welche -- in
Unkenntnis der wirklichen Beschaffenheit dieses "Hafens", der höchstens für
Fischerbarken geeignet ist -- dagegen Einsprache erhoben, weil sie fürchteten, der
Hafen könnte dann -- russische Flottenstation werden! Um also wenigstens
auf Umwegen mit der Außenwelt in Verbindung zu treten, ließ Nikola einen
Dampfer am Scutari°See bauen und dafür einen Landeplatz in Rijeka an¬
legen. Es war allerdings nur eine Art Dampfbarkasse von höchstens 20 Tonnen,
aber dafür konnte sie durch die Bojana bis zum Meer fahren. Als sie dies
aber versuchte und dabei natürlich durch türkisches Gebiet fahren mußte, legten
die Türken Verwahrung gegen den Gebrauch der montenegrinischen Flagge ein,
die bisher unbekannt gewesen sei. Aber Nikola verstand es so geschickt zu ver¬
handeln, daß er die Anerkennung seiner Flagge durchsetzte. Er erreichte dies
dadurch, daß er den Türken Freundschaft heuchelte, indem er ihnen vorspiegelte,
daß nur seine Untertanen so unruhige Köpfe seien, er aber verstehe es, sie im
Zaum zu halten, und wenn die Türkei ihm kleine Gefälligkeiten erweisen wollte,
so verpflichte er sich, die Montenegriner stets zurückzuhalten. Dieses Spiel konnte
er dank der türkischen Leichtgläubigkeit bis zu seiner Kriegserklärung fortsetzen!
Wie wenig gewissenhaft er sich dabei der Türkei gegenüber benahm, zeigt
folgender Vorfall: in den sechziger Jahren hatte Nikola die auf türkischem
Gebiet liegenden, aber strittigen Weideplätze von Velje Brdo für eine Million
Piaster an die Türkei verkauft. Weil dies in Montenegro böses Blut machte


König Nikola von Montenegro und seine Politik

Dorn im Auge und anfangs der siebziger Jahde trat eine Spannung zwischen
Se. Petersburg und Cetinje ein, die so arg wurde, daß Nikola, als er behufs
Aussöhnung persönlich zum Zaren kommen wollte und deshalb anfrug, ob fein
Besuch willkommen wäre, die kühle Antwort erhielt: „Jeder mit einem regel¬
rechten Paß versehene anständige Mensch darf nach Rußland kommen".

In jene Zeit dürfte es fallen, daß Nikola der österreichischen Regierung
den Vorschlag machte, sie möge ihm die Bocche abtreten, wogegen er sich an¬
heischig mache, in der Herzegowina einen solchen Aufstand hervorzurufen, daß
er Österreich Gelegenheit biete, Bosnien und die Herzegowina zu besetzen. Ich
glaube nämlich, daß dieser Vorschlag es war, der die erwähnte Verstimmung
zwischen Rußland und Montenegro bewirkt hatte, trotzdem Österreich auf den
Vorschlag nicht eingegangen war. Aber schon der Vorschlag an sich wirft auf
den Fürsten Nikola ein eigentümliches Licht. Für ein Linsengericht wäre er
sofort bereit gewesen, alle von ihm sonst so hochgepriesenen Ziele preiszugeben.
So benahm er sich übrigens immer!

Das sehnsüchtigste nächste Ziel der Montenegriner war die Erwerbung
eines Hafens gewesen, der ihnen ungehinderte Verbindung mit der Außenwelt
ermöglicht hätte. Nikola hatte deshalb schon 1866 mit der Pforte Unter¬
handlungen angeknüpft (wahrscheinlich während des österreichischen Krieges, um
einer Einsprache seitens Österreichs vorzubeugen), die tatsächlich dazu führten, daß
die Pforte den kleinen an Österreich stoßenden Hafen Spitsch an Montenegro
abtrat. Da legten sich aber England und Frankreich ins Mittel, welche — in
Unkenntnis der wirklichen Beschaffenheit dieses „Hafens", der höchstens für
Fischerbarken geeignet ist — dagegen Einsprache erhoben, weil sie fürchteten, der
Hafen könnte dann — russische Flottenstation werden! Um also wenigstens
auf Umwegen mit der Außenwelt in Verbindung zu treten, ließ Nikola einen
Dampfer am Scutari°See bauen und dafür einen Landeplatz in Rijeka an¬
legen. Es war allerdings nur eine Art Dampfbarkasse von höchstens 20 Tonnen,
aber dafür konnte sie durch die Bojana bis zum Meer fahren. Als sie dies
aber versuchte und dabei natürlich durch türkisches Gebiet fahren mußte, legten
die Türken Verwahrung gegen den Gebrauch der montenegrinischen Flagge ein,
die bisher unbekannt gewesen sei. Aber Nikola verstand es so geschickt zu ver¬
handeln, daß er die Anerkennung seiner Flagge durchsetzte. Er erreichte dies
dadurch, daß er den Türken Freundschaft heuchelte, indem er ihnen vorspiegelte,
daß nur seine Untertanen so unruhige Köpfe seien, er aber verstehe es, sie im
Zaum zu halten, und wenn die Türkei ihm kleine Gefälligkeiten erweisen wollte,
so verpflichte er sich, die Montenegriner stets zurückzuhalten. Dieses Spiel konnte
er dank der türkischen Leichtgläubigkeit bis zu seiner Kriegserklärung fortsetzen!
Wie wenig gewissenhaft er sich dabei der Türkei gegenüber benahm, zeigt
folgender Vorfall: in den sechziger Jahren hatte Nikola die auf türkischem
Gebiet liegenden, aber strittigen Weideplätze von Velje Brdo für eine Million
Piaster an die Türkei verkauft. Weil dies in Montenegro böses Blut machte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/195>, abgerufen am 15.01.2025.