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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Rönig Nikola von Montenegro und seine Politik

So kam das Jahr 1866 heran. Als der Krieg Italiens und Preußens
gegen Österreich unvermeidlich erschien, trat die italienische Regierung mit Nikola
in Unterhandlungen. Sie schlug ihm eine gemeinsame Eroberung der Bocche
ti Cattaro vor: zu Land durch die Montenegriner, zur See durch die italienische
Flotte. Zu diesem Zwecke zog auch schon Italien in Taranto die Flotte und
in Barletta eine kleine Landungstruppe zusammen. Als man in Wien davon
Wind bekam, beeilte man sich, den Kreishauptmann von Kotor ("Cattaro"),
Koportschitsch, nach Cetinje zu senden, um den Fürsten zur Neutralität zu be¬
wegen. Die Verhandlungen wurden seitens Montenegros im Mai 1866 vom
Großherzog Mirko (Vater des Fürsten Nikola) und Nikolas Geheimschreiber
Jovan Sundetschitsch geführt. Man einigte sich schließlich dahin, daß Fürst
Nikola versprach, nicht nur neutral zu bleiben, sondern sogar im Falle eines
Angriffs der Italiener auf die Bocche diese zu verteidigen, wogegen Österreich
sich verpflichtete, für "ewige" Zeiten ein Jahrgeld von 20000 Gulden zu zahlen
und alle nwntenegrinischen Flüchtlinge -- namentlich die Verwandten des Fürsten
-- aus Dalmatien, wo sie gegen Nikola Ränke schmiedeten, zu entfernen. Als
dies in Italien bekannt wurde, verzichtete man auf den Angriff gegen die
Bocche und richtete ihn lieber gegen Lissa.

Das erste selbständige politische Auftreten des Fürsten war also ein wirklich
kluges und der Vorteil, den er aus dem freundschaftlichen Verhältnisse zu Öster¬
reich zog, hätte ihn darüber belehren können, daß es für Montenegro besser war,
das naheliegende Gute zu erfassen, statt in die Ferne (nach Moskau) zu
schweifen. Aber leider überwog später seine Habsucht und er hielt sich an den,
der ihm besser zahlte. Und das war leider Rußland!

Im Jahre 1869 trat abermals eine kitzliche Frage an Nikola heran: die
Bocchesen hatten die Waffen ergriffen, um ihre vertragsmäßigen Vorrechte zu ver¬
teidigen, die von der Wiener Regierung unter Berufung auf die verfassungs¬
mäßig gleichen Pflichten aller Untertanen aufgehoben worden waren. Nach
dem Wortlaut des Vertrags, durch den Montenegro die von ihm eroberte
Bocche 1814 freiwillig und ohne Entschädigung an Österreich abgetreten hatte,
hieß es aber ausdrücklich, daß im Falle der Aufhebung der Vorrechte der
Bocchesen, diese wieder an Montenegro zu fallen hätten. Nikola hätte also
jetzt Gelegenheit gehabt, diese Vertragsbestimmungen geltend zu machen. Daß
er es nicht tat, war die Folge eines Winkes aus Se. Petersburg, daß jetzt nicht
die Zeit sei, einen großen Krieg zu entfesseln. Denn es war anzunehmen, daß
Österreich die Bocche nicht freiwillig herausgeben würde und an Gewalt war
nur dann zu denken, wenn Rußland helfend zur Seite stand. Gortschakow
wollte aber damals keinen Krieg. So ging also die Gefahr vorüber, um so
mehr, als Osterreich ohnehin nach zweimonatlichen fruchtlosen Kämpfen mit den
Bocchesen den Frieden von Knezlac schloß, in welchem die Vorrechte der Bocchesen
weiter anerkannt blieben.

Das gute Verhältnis des Fürsten zu Österreich war aber den Russen ein


Rönig Nikola von Montenegro und seine Politik

So kam das Jahr 1866 heran. Als der Krieg Italiens und Preußens
gegen Österreich unvermeidlich erschien, trat die italienische Regierung mit Nikola
in Unterhandlungen. Sie schlug ihm eine gemeinsame Eroberung der Bocche
ti Cattaro vor: zu Land durch die Montenegriner, zur See durch die italienische
Flotte. Zu diesem Zwecke zog auch schon Italien in Taranto die Flotte und
in Barletta eine kleine Landungstruppe zusammen. Als man in Wien davon
Wind bekam, beeilte man sich, den Kreishauptmann von Kotor („Cattaro"),
Koportschitsch, nach Cetinje zu senden, um den Fürsten zur Neutralität zu be¬
wegen. Die Verhandlungen wurden seitens Montenegros im Mai 1866 vom
Großherzog Mirko (Vater des Fürsten Nikola) und Nikolas Geheimschreiber
Jovan Sundetschitsch geführt. Man einigte sich schließlich dahin, daß Fürst
Nikola versprach, nicht nur neutral zu bleiben, sondern sogar im Falle eines
Angriffs der Italiener auf die Bocche diese zu verteidigen, wogegen Österreich
sich verpflichtete, für „ewige" Zeiten ein Jahrgeld von 20000 Gulden zu zahlen
und alle nwntenegrinischen Flüchtlinge — namentlich die Verwandten des Fürsten
— aus Dalmatien, wo sie gegen Nikola Ränke schmiedeten, zu entfernen. Als
dies in Italien bekannt wurde, verzichtete man auf den Angriff gegen die
Bocche und richtete ihn lieber gegen Lissa.

Das erste selbständige politische Auftreten des Fürsten war also ein wirklich
kluges und der Vorteil, den er aus dem freundschaftlichen Verhältnisse zu Öster¬
reich zog, hätte ihn darüber belehren können, daß es für Montenegro besser war,
das naheliegende Gute zu erfassen, statt in die Ferne (nach Moskau) zu
schweifen. Aber leider überwog später seine Habsucht und er hielt sich an den,
der ihm besser zahlte. Und das war leider Rußland!

Im Jahre 1869 trat abermals eine kitzliche Frage an Nikola heran: die
Bocchesen hatten die Waffen ergriffen, um ihre vertragsmäßigen Vorrechte zu ver¬
teidigen, die von der Wiener Regierung unter Berufung auf die verfassungs¬
mäßig gleichen Pflichten aller Untertanen aufgehoben worden waren. Nach
dem Wortlaut des Vertrags, durch den Montenegro die von ihm eroberte
Bocche 1814 freiwillig und ohne Entschädigung an Österreich abgetreten hatte,
hieß es aber ausdrücklich, daß im Falle der Aufhebung der Vorrechte der
Bocchesen, diese wieder an Montenegro zu fallen hätten. Nikola hätte also
jetzt Gelegenheit gehabt, diese Vertragsbestimmungen geltend zu machen. Daß
er es nicht tat, war die Folge eines Winkes aus Se. Petersburg, daß jetzt nicht
die Zeit sei, einen großen Krieg zu entfesseln. Denn es war anzunehmen, daß
Österreich die Bocche nicht freiwillig herausgeben würde und an Gewalt war
nur dann zu denken, wenn Rußland helfend zur Seite stand. Gortschakow
wollte aber damals keinen Krieg. So ging also die Gefahr vorüber, um so
mehr, als Osterreich ohnehin nach zweimonatlichen fruchtlosen Kämpfen mit den
Bocchesen den Frieden von Knezlac schloß, in welchem die Vorrechte der Bocchesen
weiter anerkannt blieben.

Das gute Verhältnis des Fürsten zu Österreich war aber den Russen ein


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[0194] Rönig Nikola von Montenegro und seine Politik So kam das Jahr 1866 heran. Als der Krieg Italiens und Preußens gegen Österreich unvermeidlich erschien, trat die italienische Regierung mit Nikola in Unterhandlungen. Sie schlug ihm eine gemeinsame Eroberung der Bocche ti Cattaro vor: zu Land durch die Montenegriner, zur See durch die italienische Flotte. Zu diesem Zwecke zog auch schon Italien in Taranto die Flotte und in Barletta eine kleine Landungstruppe zusammen. Als man in Wien davon Wind bekam, beeilte man sich, den Kreishauptmann von Kotor („Cattaro"), Koportschitsch, nach Cetinje zu senden, um den Fürsten zur Neutralität zu be¬ wegen. Die Verhandlungen wurden seitens Montenegros im Mai 1866 vom Großherzog Mirko (Vater des Fürsten Nikola) und Nikolas Geheimschreiber Jovan Sundetschitsch geführt. Man einigte sich schließlich dahin, daß Fürst Nikola versprach, nicht nur neutral zu bleiben, sondern sogar im Falle eines Angriffs der Italiener auf die Bocche diese zu verteidigen, wogegen Österreich sich verpflichtete, für „ewige" Zeiten ein Jahrgeld von 20000 Gulden zu zahlen und alle nwntenegrinischen Flüchtlinge — namentlich die Verwandten des Fürsten — aus Dalmatien, wo sie gegen Nikola Ränke schmiedeten, zu entfernen. Als dies in Italien bekannt wurde, verzichtete man auf den Angriff gegen die Bocche und richtete ihn lieber gegen Lissa. Das erste selbständige politische Auftreten des Fürsten war also ein wirklich kluges und der Vorteil, den er aus dem freundschaftlichen Verhältnisse zu Öster¬ reich zog, hätte ihn darüber belehren können, daß es für Montenegro besser war, das naheliegende Gute zu erfassen, statt in die Ferne (nach Moskau) zu schweifen. Aber leider überwog später seine Habsucht und er hielt sich an den, der ihm besser zahlte. Und das war leider Rußland! Im Jahre 1869 trat abermals eine kitzliche Frage an Nikola heran: die Bocchesen hatten die Waffen ergriffen, um ihre vertragsmäßigen Vorrechte zu ver¬ teidigen, die von der Wiener Regierung unter Berufung auf die verfassungs¬ mäßig gleichen Pflichten aller Untertanen aufgehoben worden waren. Nach dem Wortlaut des Vertrags, durch den Montenegro die von ihm eroberte Bocche 1814 freiwillig und ohne Entschädigung an Österreich abgetreten hatte, hieß es aber ausdrücklich, daß im Falle der Aufhebung der Vorrechte der Bocchesen, diese wieder an Montenegro zu fallen hätten. Nikola hätte also jetzt Gelegenheit gehabt, diese Vertragsbestimmungen geltend zu machen. Daß er es nicht tat, war die Folge eines Winkes aus Se. Petersburg, daß jetzt nicht die Zeit sei, einen großen Krieg zu entfesseln. Denn es war anzunehmen, daß Österreich die Bocche nicht freiwillig herausgeben würde und an Gewalt war nur dann zu denken, wenn Rußland helfend zur Seite stand. Gortschakow wollte aber damals keinen Krieg. So ging also die Gefahr vorüber, um so mehr, als Osterreich ohnehin nach zweimonatlichen fruchtlosen Kämpfen mit den Bocchesen den Frieden von Knezlac schloß, in welchem die Vorrechte der Bocchesen weiter anerkannt blieben. Das gute Verhältnis des Fürsten zu Österreich war aber den Russen ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/194>, abgerufen am 15.01.2025.