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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Aus Lmanuel Geibels Schülerzeit

Mit mehreren Freunden bildete er von Obersekunda ab einen von ihm
geleiteten "Poetischen Verein" zu gegenseitiger Förderung. Übrigens schenkten
die Lehrer, nach Classens Aussage, seinem Dichten absichtlich keine besondere
Beachtung, wohl um keine Selbstüberschätzung bei ihm aufkommen zu lassen
Aber der selbst dichterisch beanlagte Direktor Jacob hat -- in vertrauter Aus¬
sprache mit einem von Geibels Mitschülern, der ja wohl nachher etwas über¬
trieben haben mag -- ihm eine Herrschaft über die Sprache nachgerühmt, wie
sie sich bei keinem anderen Dichter, selbst bei Goethe nicht, finde. Daß er trotz¬
dem bescheiden blieb, zeigt eine Stelle in seinem deutschen Prüfungsaufsatz; fast
jeder junge Mensch, sagt er da, habe eine Lebensperiode, in der er seine Gefühle
im lyrischen Gedichte ergieße, aber töricht sei es, ihn deshalb schon Dichter zu
heißen*).

Früh erkannte man gerade das sangbare seiner Gedichte. Sein Lehrer
Professor Karl Mosche hat schon damals zwölf seiner Lieder verlöre, bald
darauf vertonte C. G. Reisiger einige und die hochtalentvolle Johanna Mathieux,
geborene Mockel, die später Gottfried Kinkels wackere erste Gattin wurde, hat
Dutzende von Liedern von ihm in Musik gesetzt. Die beiden erstgenannten
haben sie auch herausgegeben. Reizvoll war es auch, ihn selbst mit klangvoll
tiefer Stimme seine Gedichte vortragen zu hören, obwohl er etwas träumerisch¬
eintönig las.

Sein ganzes langes sehnlicher ist Geibel und ebenso seinen Kameraden**)
immer eine erfreuliche Erinnerung geblieben.

Mitgegeben hat ihm die Schule eine dauernde, durch den Aufenthalt in
Griechenland 1338 bis 1840 gesteigerte Liebe zu den formschönen, maßvollen
Gebilden des antiken Geistes sowie eine Fähigkeit des Nachempfindens und
Übertragens der Gedanken, die er in der Folge zur vollendeten Meisterschaft
der Übersetzungskunst in sich weiterentwickelt hat. Neben den klassischen
Sprachen war es seit seiner Schulzeit die Geschichte, der er besonders eifrig zu¬
gewandt blieb.





") Siehe auch Geh. W. IV. S, 170.
*") Unter diesen hat K. Litzmann in seinem Lebensbild Geibels, 1887, hübsch von dieser
Zeit erzählt.
""") G.W. II, S. 261; über Erziehun ^urch Vater und Mutter, auch die seinige
das. S. 249.
Aus Lmanuel Geibels Schülerzeit

Mit mehreren Freunden bildete er von Obersekunda ab einen von ihm
geleiteten „Poetischen Verein" zu gegenseitiger Förderung. Übrigens schenkten
die Lehrer, nach Classens Aussage, seinem Dichten absichtlich keine besondere
Beachtung, wohl um keine Selbstüberschätzung bei ihm aufkommen zu lassen
Aber der selbst dichterisch beanlagte Direktor Jacob hat — in vertrauter Aus¬
sprache mit einem von Geibels Mitschülern, der ja wohl nachher etwas über¬
trieben haben mag — ihm eine Herrschaft über die Sprache nachgerühmt, wie
sie sich bei keinem anderen Dichter, selbst bei Goethe nicht, finde. Daß er trotz¬
dem bescheiden blieb, zeigt eine Stelle in seinem deutschen Prüfungsaufsatz; fast
jeder junge Mensch, sagt er da, habe eine Lebensperiode, in der er seine Gefühle
im lyrischen Gedichte ergieße, aber töricht sei es, ihn deshalb schon Dichter zu
heißen*).

Früh erkannte man gerade das sangbare seiner Gedichte. Sein Lehrer
Professor Karl Mosche hat schon damals zwölf seiner Lieder verlöre, bald
darauf vertonte C. G. Reisiger einige und die hochtalentvolle Johanna Mathieux,
geborene Mockel, die später Gottfried Kinkels wackere erste Gattin wurde, hat
Dutzende von Liedern von ihm in Musik gesetzt. Die beiden erstgenannten
haben sie auch herausgegeben. Reizvoll war es auch, ihn selbst mit klangvoll
tiefer Stimme seine Gedichte vortragen zu hören, obwohl er etwas träumerisch¬
eintönig las.

Sein ganzes langes sehnlicher ist Geibel und ebenso seinen Kameraden**)
immer eine erfreuliche Erinnerung geblieben.

Mitgegeben hat ihm die Schule eine dauernde, durch den Aufenthalt in
Griechenland 1338 bis 1840 gesteigerte Liebe zu den formschönen, maßvollen
Gebilden des antiken Geistes sowie eine Fähigkeit des Nachempfindens und
Übertragens der Gedanken, die er in der Folge zur vollendeten Meisterschaft
der Übersetzungskunst in sich weiterentwickelt hat. Neben den klassischen
Sprachen war es seit seiner Schulzeit die Geschichte, der er besonders eifrig zu¬
gewandt blieb.





") Siehe auch Geh. W. IV. S, 170.
*") Unter diesen hat K. Litzmann in seinem Lebensbild Geibels, 1887, hübsch von dieser
Zeit erzählt.
""") G.W. II, S. 261; über Erziehun ^urch Vater und Mutter, auch die seinige
das. S. 249.
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[0060] Aus Lmanuel Geibels Schülerzeit Mit mehreren Freunden bildete er von Obersekunda ab einen von ihm geleiteten „Poetischen Verein" zu gegenseitiger Förderung. Übrigens schenkten die Lehrer, nach Classens Aussage, seinem Dichten absichtlich keine besondere Beachtung, wohl um keine Selbstüberschätzung bei ihm aufkommen zu lassen Aber der selbst dichterisch beanlagte Direktor Jacob hat — in vertrauter Aus¬ sprache mit einem von Geibels Mitschülern, der ja wohl nachher etwas über¬ trieben haben mag — ihm eine Herrschaft über die Sprache nachgerühmt, wie sie sich bei keinem anderen Dichter, selbst bei Goethe nicht, finde. Daß er trotz¬ dem bescheiden blieb, zeigt eine Stelle in seinem deutschen Prüfungsaufsatz; fast jeder junge Mensch, sagt er da, habe eine Lebensperiode, in der er seine Gefühle im lyrischen Gedichte ergieße, aber töricht sei es, ihn deshalb schon Dichter zu heißen*). Früh erkannte man gerade das sangbare seiner Gedichte. Sein Lehrer Professor Karl Mosche hat schon damals zwölf seiner Lieder verlöre, bald darauf vertonte C. G. Reisiger einige und die hochtalentvolle Johanna Mathieux, geborene Mockel, die später Gottfried Kinkels wackere erste Gattin wurde, hat Dutzende von Liedern von ihm in Musik gesetzt. Die beiden erstgenannten haben sie auch herausgegeben. Reizvoll war es auch, ihn selbst mit klangvoll tiefer Stimme seine Gedichte vortragen zu hören, obwohl er etwas träumerisch¬ eintönig las. Sein ganzes langes sehnlicher ist Geibel und ebenso seinen Kameraden**) immer eine erfreuliche Erinnerung geblieben. Mitgegeben hat ihm die Schule eine dauernde, durch den Aufenthalt in Griechenland 1338 bis 1840 gesteigerte Liebe zu den formschönen, maßvollen Gebilden des antiken Geistes sowie eine Fähigkeit des Nachempfindens und Übertragens der Gedanken, die er in der Folge zur vollendeten Meisterschaft der Übersetzungskunst in sich weiterentwickelt hat. Neben den klassischen Sprachen war es seit seiner Schulzeit die Geschichte, der er besonders eifrig zu¬ gewandt blieb. ") Siehe auch Geh. W. IV. S, 170. *") Unter diesen hat K. Litzmann in seinem Lebensbild Geibels, 1887, hübsch von dieser Zeit erzählt. """) G.W. II, S. 261; über Erziehun ^urch Vater und Mutter, auch die seinige das. S. 249.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/60>, abgerufen am 23.07.2024.