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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Bulgarien nach fünfzig Jahren

Die Sonne begann zu sinken, und man schlug den Heimweg durch die
Gassen des Ortes ein. Kürzer war dieser Weg wohl; denn der alte Palazzo.
in dem man seine Winterresidenz aufgeschlagen hatte, lag auf der nächsten
kleineren Anhöhe jenseits des Ortes, kürzer, aber unsagbar finster, unsagbar
elend in seinem Schmutz und seiner Verkommenheit. Das freundliche Hin und
Her der Unterhaltung erstarb denn auch, schweigend und eilig, um nicht zu
frieren, durchmaß man dieses italienische Schattenreich.

Signora Povoli stand unter dem Eingangsportal ihrer stolzen Behausung
und blickte ihren Gästen verheißungsvoll entgegen. Neben ihrer Gestalt befand
fich ein großer Tisch, auf dem sich ein kleines Gebirge von PoMckchen.
Päckchen. Kistchen und Briefen aus verschiedenen Landen angekommen, getürmt
hatte. Es machte ihr ein besonderes Vergnügen, diese Grüße und Gaben aus
der Heimat den einzelnen Adressaten zu überreichen, und sie fügte jeder
Sendung ein zierlich umbundenes Päckchen ihres Hauses, eine Probe ihres
Christfestgebäcks hinzu, jeden in seiner Sprache grüßend mit dem in seinem
Lande üblichen Festgruß. Das hatte sie fleißig gelernt in, Laufe der langen
Jahre mit ihren wiederkehrenden Weihnachtsfesten; und ihr freundlich erregtes
Antlitz mit dem blinkenden Fettglanz auf den roten Wangen erreichte seinen
Höhepunkt an Ausdrucksfähigkeit bei dem frohen, bewundernden Ausrufen
jedes der Heimkömmlinge, der die weite Halle betrat. Tannengrün und weiße
Lilien schmückten Wände, Decke und alles, was solchem Schmuck eine Flache
bot. selbst die in der Mitte der Eingangshalle herabhängende und jetzt in der
anbrechenden Dämmerung schon brennende Lampe schwebte im süß mystischen Grün.

Tannengrün I Warum wieder gerade der deutsche Weihnachtsschmuck in
diesem großen italienischen Palazzo. der Gäste aus aller Herren Ländern be¬
herbergte, warum nicht die Stechpalme mit den glutroten Beeren und dem
Mistelzweig? Es waren auch Dänen im Haus, die sollten ihre Lilien haben,
aber die Grundlage bildete doch unsere liebe deutsche Weihnachtstanne.

Verschiedenen der Hausbewohner gingen diese Gedanken durch den Kopf
"och. als sie den großen Saal betraten, den Sammelort für diesen Christabend.
Und da stand als leuchtender Pol in der Mitte wieder eine große brennende
deutsche Weihnachtstanne, daneben auf weiß gedeckter Tafel, schön geordnet,
dieselben noch uneröffneten Postpackete aus der Heimat, die Jeder, sich gern
den Gesetzen der Festordnerin fügend, an diese wieder abgeliefert hatte. Zu¬
stand in ihrem einfachen weißen Kleid neben dem Baum am Tische, eme
liebliche Abgesandte des Christkindes und ließ es bescheiden lächelnd geschehen,
daß ihr die bulgarische Freundin ein hübsch gebundenes Kränzlein von Tannen-
grün in die Locken drückte. ' .

"Stille Nacht, heilige Nacht", stimmte die Musik vom Harmomum her
an. Der deutsche Gerichtsrat saß am Harmonium, und die zahlreichen Gaste
des Hauses hörten die deutschen Lieder stehend an. Sie dachten nicht mehr
daran, was dies alles für eine Bedeutung habe, was nun folgte; sie sahen


Bulgarien nach fünfzig Jahren

Die Sonne begann zu sinken, und man schlug den Heimweg durch die
Gassen des Ortes ein. Kürzer war dieser Weg wohl; denn der alte Palazzo.
in dem man seine Winterresidenz aufgeschlagen hatte, lag auf der nächsten
kleineren Anhöhe jenseits des Ortes, kürzer, aber unsagbar finster, unsagbar
elend in seinem Schmutz und seiner Verkommenheit. Das freundliche Hin und
Her der Unterhaltung erstarb denn auch, schweigend und eilig, um nicht zu
frieren, durchmaß man dieses italienische Schattenreich.

Signora Povoli stand unter dem Eingangsportal ihrer stolzen Behausung
und blickte ihren Gästen verheißungsvoll entgegen. Neben ihrer Gestalt befand
fich ein großer Tisch, auf dem sich ein kleines Gebirge von PoMckchen.
Päckchen. Kistchen und Briefen aus verschiedenen Landen angekommen, getürmt
hatte. Es machte ihr ein besonderes Vergnügen, diese Grüße und Gaben aus
der Heimat den einzelnen Adressaten zu überreichen, und sie fügte jeder
Sendung ein zierlich umbundenes Päckchen ihres Hauses, eine Probe ihres
Christfestgebäcks hinzu, jeden in seiner Sprache grüßend mit dem in seinem
Lande üblichen Festgruß. Das hatte sie fleißig gelernt in, Laufe der langen
Jahre mit ihren wiederkehrenden Weihnachtsfesten; und ihr freundlich erregtes
Antlitz mit dem blinkenden Fettglanz auf den roten Wangen erreichte seinen
Höhepunkt an Ausdrucksfähigkeit bei dem frohen, bewundernden Ausrufen
jedes der Heimkömmlinge, der die weite Halle betrat. Tannengrün und weiße
Lilien schmückten Wände, Decke und alles, was solchem Schmuck eine Flache
bot. selbst die in der Mitte der Eingangshalle herabhängende und jetzt in der
anbrechenden Dämmerung schon brennende Lampe schwebte im süß mystischen Grün.

Tannengrün I Warum wieder gerade der deutsche Weihnachtsschmuck in
diesem großen italienischen Palazzo. der Gäste aus aller Herren Ländern be¬
herbergte, warum nicht die Stechpalme mit den glutroten Beeren und dem
Mistelzweig? Es waren auch Dänen im Haus, die sollten ihre Lilien haben,
aber die Grundlage bildete doch unsere liebe deutsche Weihnachtstanne.

Verschiedenen der Hausbewohner gingen diese Gedanken durch den Kopf
«och. als sie den großen Saal betraten, den Sammelort für diesen Christabend.
Und da stand als leuchtender Pol in der Mitte wieder eine große brennende
deutsche Weihnachtstanne, daneben auf weiß gedeckter Tafel, schön geordnet,
dieselben noch uneröffneten Postpackete aus der Heimat, die Jeder, sich gern
den Gesetzen der Festordnerin fügend, an diese wieder abgeliefert hatte. Zu¬
stand in ihrem einfachen weißen Kleid neben dem Baum am Tische, eme
liebliche Abgesandte des Christkindes und ließ es bescheiden lächelnd geschehen,
daß ihr die bulgarische Freundin ein hübsch gebundenes Kränzlein von Tannen-
grün in die Locken drückte. ' .

„Stille Nacht, heilige Nacht", stimmte die Musik vom Harmomum her
an. Der deutsche Gerichtsrat saß am Harmonium, und die zahlreichen Gaste
des Hauses hörten die deutschen Lieder stehend an. Sie dachten nicht mehr
daran, was dies alles für eine Bedeutung habe, was nun folgte; sie sahen


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[0383] Bulgarien nach fünfzig Jahren Die Sonne begann zu sinken, und man schlug den Heimweg durch die Gassen des Ortes ein. Kürzer war dieser Weg wohl; denn der alte Palazzo. in dem man seine Winterresidenz aufgeschlagen hatte, lag auf der nächsten kleineren Anhöhe jenseits des Ortes, kürzer, aber unsagbar finster, unsagbar elend in seinem Schmutz und seiner Verkommenheit. Das freundliche Hin und Her der Unterhaltung erstarb denn auch, schweigend und eilig, um nicht zu frieren, durchmaß man dieses italienische Schattenreich. Signora Povoli stand unter dem Eingangsportal ihrer stolzen Behausung und blickte ihren Gästen verheißungsvoll entgegen. Neben ihrer Gestalt befand fich ein großer Tisch, auf dem sich ein kleines Gebirge von PoMckchen. Päckchen. Kistchen und Briefen aus verschiedenen Landen angekommen, getürmt hatte. Es machte ihr ein besonderes Vergnügen, diese Grüße und Gaben aus der Heimat den einzelnen Adressaten zu überreichen, und sie fügte jeder Sendung ein zierlich umbundenes Päckchen ihres Hauses, eine Probe ihres Christfestgebäcks hinzu, jeden in seiner Sprache grüßend mit dem in seinem Lande üblichen Festgruß. Das hatte sie fleißig gelernt in, Laufe der langen Jahre mit ihren wiederkehrenden Weihnachtsfesten; und ihr freundlich erregtes Antlitz mit dem blinkenden Fettglanz auf den roten Wangen erreichte seinen Höhepunkt an Ausdrucksfähigkeit bei dem frohen, bewundernden Ausrufen jedes der Heimkömmlinge, der die weite Halle betrat. Tannengrün und weiße Lilien schmückten Wände, Decke und alles, was solchem Schmuck eine Flache bot. selbst die in der Mitte der Eingangshalle herabhängende und jetzt in der anbrechenden Dämmerung schon brennende Lampe schwebte im süß mystischen Grün. Tannengrün I Warum wieder gerade der deutsche Weihnachtsschmuck in diesem großen italienischen Palazzo. der Gäste aus aller Herren Ländern be¬ herbergte, warum nicht die Stechpalme mit den glutroten Beeren und dem Mistelzweig? Es waren auch Dänen im Haus, die sollten ihre Lilien haben, aber die Grundlage bildete doch unsere liebe deutsche Weihnachtstanne. Verschiedenen der Hausbewohner gingen diese Gedanken durch den Kopf «och. als sie den großen Saal betraten, den Sammelort für diesen Christabend. Und da stand als leuchtender Pol in der Mitte wieder eine große brennende deutsche Weihnachtstanne, daneben auf weiß gedeckter Tafel, schön geordnet, dieselben noch uneröffneten Postpackete aus der Heimat, die Jeder, sich gern den Gesetzen der Festordnerin fügend, an diese wieder abgeliefert hatte. Zu¬ stand in ihrem einfachen weißen Kleid neben dem Baum am Tische, eme liebliche Abgesandte des Christkindes und ließ es bescheiden lächelnd geschehen, daß ihr die bulgarische Freundin ein hübsch gebundenes Kränzlein von Tannen- grün in die Locken drückte. ' . „Stille Nacht, heilige Nacht", stimmte die Musik vom Harmomum her an. Der deutsche Gerichtsrat saß am Harmonium, und die zahlreichen Gaste des Hauses hörten die deutschen Lieder stehend an. Sie dachten nicht mehr daran, was dies alles für eine Bedeutung habe, was nun folgte; sie sahen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/383>, abgerufen am 22.07.2024.