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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Bulgarien nach fünfzig Zähren

bulgarische?" setzte er hinzu mit einer kleinen Neigung des Hauptes zu seinem
Mchbar, "warum nicht bulgarische?"

"Wenn Sie die Frage so stellen. Herr Gerichtsrat," sagte Doktor Stanew,
"dann muß ich erwidern, vielleicht ist die Zeit nicht allzu fern, wo deutsche
Weisen auch bulgarische Weisen sein werden."

"Wir danken für den liebenswürdigen Scherz," erwiderte der alte Herr,
"oder wollen Sie künftige Zeiten, eine Verbrüderung der Menschheit oder so
etwas voraussagen?"

Der Bulgare blieb ernst. "Nicht eine Prophetie", rief er, "ein Wille ist
das, und jeder meiner Volksgenossen teilt ihn, ein Wille zur Kultur, zum
Aufschwung!"

"Wovon wird gesprochen?" sagten die fragenden Augen der jungen
Gatten des Bulgaren. Sie hatte den Arm in den ihrer Nachbarin Grete
geschlungen und hing mit den Blicken an den Zügen ihres Gatten. Dieser
antwortete einige kurze Sätze in seiner Landessprache und setzte mit leisem
Vorwurf, langsam und deutlich sprechend auf deutsch hinzu: "Auf diese Weise
wirst du nicht weiter kommen, man muß eine Sprache mit allen Sinnen lernen,
zumal wenn man sie stündlich so rein erklingen hört, wie du gegenwärtig. . ."

"Ihre liebe Frau lernt anders, dünkt mich, als ihr Philologen es auf¬
faßt." warf mit freundlichem Lächeln das junge Mädchen ein und legte leicht
den Arm um Frau Stanew, "sie lernt mit dem Herzen. Auf diesem Gebiete
gibt es zwischen uns nie ein Mißverstehen, da ist sie so gut eine Deutsche, wie
ich eine Bulgarin, da gibt es keine Landesgrenzen." Die Betreffende schien
wirklich verstanden zu haben, mit dankbarem Lächeln drückte sie der Sprecherin
die Hand und sagte: "Recht so . . . doch sieh, was tun sie da?"

Man war im Weitergehen vor Zanardellis Villa angekommen. Dort
hatte sich, den Weg versperrend, eine große Menschenmenge angesammelt. Man
schrie, man lärmte, man gestikulierte und hatte Lust daran.

"Zanardelli, Eviva Zanardelli!"

Mit rauschendem Klang fiel die Musik ein. Dann bestieg einer aus der
Menge das Dach des kleinen Schilderhauses und hielt mit weithinschallender
Stimme eine Rede, vom Volke mit Zurufen und Gestikulationen begleitet.
"Ist es--Revolution? Oder ist es--Krieg?"

Frau Stanew tat den Ausruf mit schreckhaft erstaunten Mienen.

"Komödie!" erklärte ihr Gatte. "Es ist alles Theater bet diesem Volk.
Mit edlem Feuer preisen sie die Freiheit, während das Volk in Knechtschaft
schmachtet. Ihr Mund prahlt mit dem Heroismus, aber die Feigheit ist ihre
Begleiterin auf dem Kriegszug! Von welchen Vorzügen redeten sie nicht, ohne
sie zu besitzen!"

"Nun, nun, ist die Schönheit nichts wert?" fragte lachend der Gerichtsrat.

"Sie ist nichts wert, solange sie das wahre Wesen der Dinge mit dem
Schein verhüllt!"


Bulgarien nach fünfzig Zähren

bulgarische?" setzte er hinzu mit einer kleinen Neigung des Hauptes zu seinem
Mchbar, „warum nicht bulgarische?"

„Wenn Sie die Frage so stellen. Herr Gerichtsrat," sagte Doktor Stanew,
„dann muß ich erwidern, vielleicht ist die Zeit nicht allzu fern, wo deutsche
Weisen auch bulgarische Weisen sein werden."

„Wir danken für den liebenswürdigen Scherz," erwiderte der alte Herr,
„oder wollen Sie künftige Zeiten, eine Verbrüderung der Menschheit oder so
etwas voraussagen?"

Der Bulgare blieb ernst. „Nicht eine Prophetie", rief er, „ein Wille ist
das, und jeder meiner Volksgenossen teilt ihn, ein Wille zur Kultur, zum
Aufschwung!"

„Wovon wird gesprochen?" sagten die fragenden Augen der jungen
Gatten des Bulgaren. Sie hatte den Arm in den ihrer Nachbarin Grete
geschlungen und hing mit den Blicken an den Zügen ihres Gatten. Dieser
antwortete einige kurze Sätze in seiner Landessprache und setzte mit leisem
Vorwurf, langsam und deutlich sprechend auf deutsch hinzu: „Auf diese Weise
wirst du nicht weiter kommen, man muß eine Sprache mit allen Sinnen lernen,
zumal wenn man sie stündlich so rein erklingen hört, wie du gegenwärtig. . ."

„Ihre liebe Frau lernt anders, dünkt mich, als ihr Philologen es auf¬
faßt." warf mit freundlichem Lächeln das junge Mädchen ein und legte leicht
den Arm um Frau Stanew, „sie lernt mit dem Herzen. Auf diesem Gebiete
gibt es zwischen uns nie ein Mißverstehen, da ist sie so gut eine Deutsche, wie
ich eine Bulgarin, da gibt es keine Landesgrenzen." Die Betreffende schien
wirklich verstanden zu haben, mit dankbarem Lächeln drückte sie der Sprecherin
die Hand und sagte: „Recht so . . . doch sieh, was tun sie da?"

Man war im Weitergehen vor Zanardellis Villa angekommen. Dort
hatte sich, den Weg versperrend, eine große Menschenmenge angesammelt. Man
schrie, man lärmte, man gestikulierte und hatte Lust daran.

„Zanardelli, Eviva Zanardelli!"

Mit rauschendem Klang fiel die Musik ein. Dann bestieg einer aus der
Menge das Dach des kleinen Schilderhauses und hielt mit weithinschallender
Stimme eine Rede, vom Volke mit Zurufen und Gestikulationen begleitet.
„Ist es--Revolution? Oder ist es--Krieg?"

Frau Stanew tat den Ausruf mit schreckhaft erstaunten Mienen.

„Komödie!" erklärte ihr Gatte. „Es ist alles Theater bet diesem Volk.
Mit edlem Feuer preisen sie die Freiheit, während das Volk in Knechtschaft
schmachtet. Ihr Mund prahlt mit dem Heroismus, aber die Feigheit ist ihre
Begleiterin auf dem Kriegszug! Von welchen Vorzügen redeten sie nicht, ohne
sie zu besitzen!"

„Nun, nun, ist die Schönheit nichts wert?" fragte lachend der Gerichtsrat.

„Sie ist nichts wert, solange sie das wahre Wesen der Dinge mit dem
Schein verhüllt!"


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[0382] Bulgarien nach fünfzig Zähren bulgarische?" setzte er hinzu mit einer kleinen Neigung des Hauptes zu seinem Mchbar, „warum nicht bulgarische?" „Wenn Sie die Frage so stellen. Herr Gerichtsrat," sagte Doktor Stanew, „dann muß ich erwidern, vielleicht ist die Zeit nicht allzu fern, wo deutsche Weisen auch bulgarische Weisen sein werden." „Wir danken für den liebenswürdigen Scherz," erwiderte der alte Herr, „oder wollen Sie künftige Zeiten, eine Verbrüderung der Menschheit oder so etwas voraussagen?" Der Bulgare blieb ernst. „Nicht eine Prophetie", rief er, „ein Wille ist das, und jeder meiner Volksgenossen teilt ihn, ein Wille zur Kultur, zum Aufschwung!" „Wovon wird gesprochen?" sagten die fragenden Augen der jungen Gatten des Bulgaren. Sie hatte den Arm in den ihrer Nachbarin Grete geschlungen und hing mit den Blicken an den Zügen ihres Gatten. Dieser antwortete einige kurze Sätze in seiner Landessprache und setzte mit leisem Vorwurf, langsam und deutlich sprechend auf deutsch hinzu: „Auf diese Weise wirst du nicht weiter kommen, man muß eine Sprache mit allen Sinnen lernen, zumal wenn man sie stündlich so rein erklingen hört, wie du gegenwärtig. . ." „Ihre liebe Frau lernt anders, dünkt mich, als ihr Philologen es auf¬ faßt." warf mit freundlichem Lächeln das junge Mädchen ein und legte leicht den Arm um Frau Stanew, „sie lernt mit dem Herzen. Auf diesem Gebiete gibt es zwischen uns nie ein Mißverstehen, da ist sie so gut eine Deutsche, wie ich eine Bulgarin, da gibt es keine Landesgrenzen." Die Betreffende schien wirklich verstanden zu haben, mit dankbarem Lächeln drückte sie der Sprecherin die Hand und sagte: „Recht so . . . doch sieh, was tun sie da?" Man war im Weitergehen vor Zanardellis Villa angekommen. Dort hatte sich, den Weg versperrend, eine große Menschenmenge angesammelt. Man schrie, man lärmte, man gestikulierte und hatte Lust daran. „Zanardelli, Eviva Zanardelli!" Mit rauschendem Klang fiel die Musik ein. Dann bestieg einer aus der Menge das Dach des kleinen Schilderhauses und hielt mit weithinschallender Stimme eine Rede, vom Volke mit Zurufen und Gestikulationen begleitet. „Ist es--Revolution? Oder ist es--Krieg?" Frau Stanew tat den Ausruf mit schreckhaft erstaunten Mienen. „Komödie!" erklärte ihr Gatte. „Es ist alles Theater bet diesem Volk. Mit edlem Feuer preisen sie die Freiheit, während das Volk in Knechtschaft schmachtet. Ihr Mund prahlt mit dem Heroismus, aber die Feigheit ist ihre Begleiterin auf dem Kriegszug! Von welchen Vorzügen redeten sie nicht, ohne sie zu besitzen!" „Nun, nun, ist die Schönheit nichts wert?" fragte lachend der Gerichtsrat. „Sie ist nichts wert, solange sie das wahre Wesen der Dinge mit dem Schein verhüllt!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/382>, abgerufen am 22.07.2024.