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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

in einer Zeitschrift keine Rede sein kann. Ich begnüge mich deshalb nur kurz
zu erwähnen, daß Rußland, durch die offenherzigen Mitteilungen des Wiener
Hofes beunruhigt, sich beeilte, in der Person des diplomatischen Agenten Rodofiniktn
einen Mann nach Serbien zu senden, der als Urbild eines russischen Gesandten
gelten kann, obgleich er Grieche von Abstammung war. Er verstand es in
kürzester Zeit den harmlosen Kara Gjorgje irr die Tasche zu bekommen, ebenso
den serbischen Senat, alle ihm mißliebige Personen unschädlich zu machen, den
von Kara Gjorgje wiederholt geplanten Anschluß an Österreich zu vereiteln, sich
Serbiens als Mittel im Kampf gegen die Türkei zu bedienen, um dann mit
dieser einen Frieden zu schließen, in dem gegen Abtretung Bessarbiens Serbien
den Türken überlassen wurde und zwar obendrein noch in verräterischer
Weife, denn Rodofinikins Nachfolger, Nedoba, war es, der im Auftrage
seiner Regierung Kara Gjorgje überredete, dem türkischen Einbruch von 1813
keinen Widerstand zu leisten und sich zu verstecken, damit das führerlose Volk
nicht imstande sei, sich der Türken zu erwehren. Wir haben hier eine ganz
merkwürdige Analogie mit 1915, wo ja auch Serbien durch England ver¬
hindert wurde, sich rechtzeitig die Vulgären während der Mobilisierung durch
Angriff mit überlegenen Kräften vom Halse zu schaffen, worauf dann dasselbe
England, die russischen Drohungen unterstützend, Serbien verhinderte mit Österreich
Frieden zu schließen, es im Gegenteil durch falsche Zustcherungen, die dann in
gewohnter Weise von Grey verdreht wurden, zu einem verzweifelten Widerstand
aufstachelte, der doch jedem Denkenden von vornherein nutzlos erscheinen mußte
und nur die Folge haben konnte, Serbien vollständig in den Abgrund zu ziehen
und seiner staatlichen Selbständigkeit ein Ende zu machen.

Trotzdem Rodofinikin den Kara Gjorgje bewogen hatte sich unter russischen
Schutz zu stellen und gewissermaßen eine Waffenbrüderschaft mit Rußland ein¬
zugehen, fühlte sich der serbische Führer offenbar nicht ganz wohl dabei, denn
im April 1808 drückte er den Wunsch aus, mit dem Feldmarschall Simbschen
in der Grenz-Karaula Mrtwa Strasha ("Tote Schildwache") eine persönliche
Besprechung zu haben. Bei dieser begann Kara Gjorgje mit der (unter den
tatsächlichen Verhältnissen eigentlich komisch wirkenden) Schmeichelei, daß die
Serben der Unterstützung durch die Deutschen und namentlich durch Erzherzog
Karl allein ihre Befreiung vom Türkenjoch verdanken, um nämlich daran
die Klage knüpfen zu können, daß es deshalb umso trauriger sei. daß im
Vorjahr auf Anraten des ungarischen Reichstags das serbische Volk, welches
doch so treu und ergeben dem österreichischen Kaiserhaus sei, nicht nur den
türkischen Grausamkeiten überlassen wurde, sondern daß sogar die von den
Serben bereits bezahlten Lebensmittel und Munition an der Grenze zurück¬
behalten wurden. Weil nnn der österreichische Hof sich weder um die serbischen
Bitten gekümmert, noch die Anträge der Serben (auf Vereinigung mit Österreich)
erhört habe, sei Serbien im Vorjahre gezwungen gewesen, sich an Rußland zu
wenden, von dem man Geld, Schießbedarf und Hilfstruppen für die Kämpfe am


Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

in einer Zeitschrift keine Rede sein kann. Ich begnüge mich deshalb nur kurz
zu erwähnen, daß Rußland, durch die offenherzigen Mitteilungen des Wiener
Hofes beunruhigt, sich beeilte, in der Person des diplomatischen Agenten Rodofiniktn
einen Mann nach Serbien zu senden, der als Urbild eines russischen Gesandten
gelten kann, obgleich er Grieche von Abstammung war. Er verstand es in
kürzester Zeit den harmlosen Kara Gjorgje irr die Tasche zu bekommen, ebenso
den serbischen Senat, alle ihm mißliebige Personen unschädlich zu machen, den
von Kara Gjorgje wiederholt geplanten Anschluß an Österreich zu vereiteln, sich
Serbiens als Mittel im Kampf gegen die Türkei zu bedienen, um dann mit
dieser einen Frieden zu schließen, in dem gegen Abtretung Bessarbiens Serbien
den Türken überlassen wurde und zwar obendrein noch in verräterischer
Weife, denn Rodofinikins Nachfolger, Nedoba, war es, der im Auftrage
seiner Regierung Kara Gjorgje überredete, dem türkischen Einbruch von 1813
keinen Widerstand zu leisten und sich zu verstecken, damit das führerlose Volk
nicht imstande sei, sich der Türken zu erwehren. Wir haben hier eine ganz
merkwürdige Analogie mit 1915, wo ja auch Serbien durch England ver¬
hindert wurde, sich rechtzeitig die Vulgären während der Mobilisierung durch
Angriff mit überlegenen Kräften vom Halse zu schaffen, worauf dann dasselbe
England, die russischen Drohungen unterstützend, Serbien verhinderte mit Österreich
Frieden zu schließen, es im Gegenteil durch falsche Zustcherungen, die dann in
gewohnter Weise von Grey verdreht wurden, zu einem verzweifelten Widerstand
aufstachelte, der doch jedem Denkenden von vornherein nutzlos erscheinen mußte
und nur die Folge haben konnte, Serbien vollständig in den Abgrund zu ziehen
und seiner staatlichen Selbständigkeit ein Ende zu machen.

Trotzdem Rodofinikin den Kara Gjorgje bewogen hatte sich unter russischen
Schutz zu stellen und gewissermaßen eine Waffenbrüderschaft mit Rußland ein¬
zugehen, fühlte sich der serbische Führer offenbar nicht ganz wohl dabei, denn
im April 1808 drückte er den Wunsch aus, mit dem Feldmarschall Simbschen
in der Grenz-Karaula Mrtwa Strasha („Tote Schildwache") eine persönliche
Besprechung zu haben. Bei dieser begann Kara Gjorgje mit der (unter den
tatsächlichen Verhältnissen eigentlich komisch wirkenden) Schmeichelei, daß die
Serben der Unterstützung durch die Deutschen und namentlich durch Erzherzog
Karl allein ihre Befreiung vom Türkenjoch verdanken, um nämlich daran
die Klage knüpfen zu können, daß es deshalb umso trauriger sei. daß im
Vorjahr auf Anraten des ungarischen Reichstags das serbische Volk, welches
doch so treu und ergeben dem österreichischen Kaiserhaus sei, nicht nur den
türkischen Grausamkeiten überlassen wurde, sondern daß sogar die von den
Serben bereits bezahlten Lebensmittel und Munition an der Grenze zurück¬
behalten wurden. Weil nnn der österreichische Hof sich weder um die serbischen
Bitten gekümmert, noch die Anträge der Serben (auf Vereinigung mit Österreich)
erhört habe, sei Serbien im Vorjahre gezwungen gewesen, sich an Rußland zu
wenden, von dem man Geld, Schießbedarf und Hilfstruppen für die Kämpfe am


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[0366] Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert in einer Zeitschrift keine Rede sein kann. Ich begnüge mich deshalb nur kurz zu erwähnen, daß Rußland, durch die offenherzigen Mitteilungen des Wiener Hofes beunruhigt, sich beeilte, in der Person des diplomatischen Agenten Rodofiniktn einen Mann nach Serbien zu senden, der als Urbild eines russischen Gesandten gelten kann, obgleich er Grieche von Abstammung war. Er verstand es in kürzester Zeit den harmlosen Kara Gjorgje irr die Tasche zu bekommen, ebenso den serbischen Senat, alle ihm mißliebige Personen unschädlich zu machen, den von Kara Gjorgje wiederholt geplanten Anschluß an Österreich zu vereiteln, sich Serbiens als Mittel im Kampf gegen die Türkei zu bedienen, um dann mit dieser einen Frieden zu schließen, in dem gegen Abtretung Bessarbiens Serbien den Türken überlassen wurde und zwar obendrein noch in verräterischer Weife, denn Rodofinikins Nachfolger, Nedoba, war es, der im Auftrage seiner Regierung Kara Gjorgje überredete, dem türkischen Einbruch von 1813 keinen Widerstand zu leisten und sich zu verstecken, damit das führerlose Volk nicht imstande sei, sich der Türken zu erwehren. Wir haben hier eine ganz merkwürdige Analogie mit 1915, wo ja auch Serbien durch England ver¬ hindert wurde, sich rechtzeitig die Vulgären während der Mobilisierung durch Angriff mit überlegenen Kräften vom Halse zu schaffen, worauf dann dasselbe England, die russischen Drohungen unterstützend, Serbien verhinderte mit Österreich Frieden zu schließen, es im Gegenteil durch falsche Zustcherungen, die dann in gewohnter Weise von Grey verdreht wurden, zu einem verzweifelten Widerstand aufstachelte, der doch jedem Denkenden von vornherein nutzlos erscheinen mußte und nur die Folge haben konnte, Serbien vollständig in den Abgrund zu ziehen und seiner staatlichen Selbständigkeit ein Ende zu machen. Trotzdem Rodofinikin den Kara Gjorgje bewogen hatte sich unter russischen Schutz zu stellen und gewissermaßen eine Waffenbrüderschaft mit Rußland ein¬ zugehen, fühlte sich der serbische Führer offenbar nicht ganz wohl dabei, denn im April 1808 drückte er den Wunsch aus, mit dem Feldmarschall Simbschen in der Grenz-Karaula Mrtwa Strasha („Tote Schildwache") eine persönliche Besprechung zu haben. Bei dieser begann Kara Gjorgje mit der (unter den tatsächlichen Verhältnissen eigentlich komisch wirkenden) Schmeichelei, daß die Serben der Unterstützung durch die Deutschen und namentlich durch Erzherzog Karl allein ihre Befreiung vom Türkenjoch verdanken, um nämlich daran die Klage knüpfen zu können, daß es deshalb umso trauriger sei. daß im Vorjahr auf Anraten des ungarischen Reichstags das serbische Volk, welches doch so treu und ergeben dem österreichischen Kaiserhaus sei, nicht nur den türkischen Grausamkeiten überlassen wurde, sondern daß sogar die von den Serben bereits bezahlten Lebensmittel und Munition an der Grenze zurück¬ behalten wurden. Weil nnn der österreichische Hof sich weder um die serbischen Bitten gekümmert, noch die Anträge der Serben (auf Vereinigung mit Österreich) erhört habe, sei Serbien im Vorjahre gezwungen gewesen, sich an Rußland zu wenden, von dem man Geld, Schießbedarf und Hilfstruppen für die Kämpfe am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/366>, abgerufen am 22.07.2024.